BDI aktuell 9_2015 - page 9

Die ambulante spezialfachärztliche Ver­
sorgung gibt es seit mehr als einem Jahr.
Bei der Umsetzung der ASV hakt es aber
noch gewaltig. Kann die ASV noch zu ei­
nem Erfolgsmodell einer sinnvollen Sym­
biose von ambulanten und stationären
Versorgungsangeboten werden?
DR. RALPH ENNENBACH:
Diese Frage
ist nicht einfach zu beantworten und
zwar deshalb, weil Erfolg oder Misser­
folg der ASV von sehr vielen Faktoren
abhängen, deren Auswirkungen sich
auch nur schwer vorhersagen lassen.
Es ist heute zum Beispiel nicht einmal
klar, mit welcher Geschwindigkeit der
Gemeinsame Bundesausschuss weitere
Krankheitsbilder in die ASV aufneh­
men wird. Rechnet man die derzeitige
Geschwindigkeit hoch, handelt es sich
jedenfalls eher um ein Schneckentem­
po. Und da die Politik eher Erwartun­
gen an eine andere Dynamik hat und
alle zwei bis drei Jahre alles Mögliche
reformiert, bin ich nicht sicher, wie die
ASV im Jahre 2020 aussehen wird.
Für mich hat die ASV dann die
Chance ein Erfolgsmodell zu werden,
wenn alle Player begreifen, dass es ers­
tens nur im Zusammenwachsen am­
bulanter und stationärer ärztlicher
Strukturen geht und dies zweitens
eben komplex ist und daher auch Zeit
braucht.
Wird denn der niedergelassene, speziali­
sierte Facharzt in Zukunft von der ASV
profitieren können?
Das hängt davon ab, was man unter
spezialisiert versteht. Ich glaube, dass
die ASV im Regelfall nur ein Stand­
bein neben anderen sein wird. Ich
glaube auch, dass die Fachärzte sich
eher in Berufsausübungsgemeinschaf­
ten (BAG) denn in Einzelpraxen auf­
stellen, und dass innerhalb der BAG
dann verschiedene Versorgungsange­
bote gemacht und diverse Vertragsebe­
nen bespielt werden. Da wird es ein
abgesprochenes Nebeneinander von
Kollektiv­und Sonderverträgen, Ko­
operationen mit dem stationären Be­
reich und eben auch der ASV geben.
In diesem Sinne wird der Spezialist
immer Teil einer Einheit mehrerer
Ärzte sein. Diese Einschätzung habe
ich übrigens ganz unabhängig davon,
wie die ASV sich als eine Spielwiese
weiterentwickelt.
In der ASV wird es laut Bundesgesund­
heitsministerium für Niedergelassene und
Krankenhäuser die gleichen Wettbewerbs­
bedingungen geben. Ist das Wunsch oder
Wirklichkeit?
Zumindest ist mit der Reform des Pa­
ragrafen 116b SGB V und der Einfüh­
rung der jetzigen ASV ein Schritt in
Richtung Gleichberechtigung getan. In
den nächsten Jahren wird es weitere
sogenannte Konkretisierungen der In­
dikationen in der ASV geben. Und
dann wird man immer wieder neu be­
urteilen müssen, inwieweit in Praxis
bestehende ambulante Strukturen eine
faire Mitwirkungschance haben. Der
Gesetzgeber hat von sich aus jedenfalls
den Raum dafür geschaffen. Jetzt geht
es für die Kassenärztliche Bundesver­
einigung als Vertreterin der niederge­
lassenen Ärzte darum, im Gemeinsa­
men Bundesausschuss für ausgewoge­
ne Beschlüsse zu sorgen.
Die Frage hat aber noch eine zweite
Komponente. Nämlich die, ob nieder­
gelassene Ärzte sich genauso schnell
kollektiv operationalisieren können wie
ein Krankenhaus. Im Fall des Kran­
kenhauses sagt der Chef: Wir machen
bei der ASV­XY mit und dann gilt
das. Bei den Niedergelassenen müssen
mehrere bereit sein, sich in ein ambu­
lantes Team zu integrieren, welches es
vorher so nicht gegeben hat. Dazu ge­
hören diverse Komponenten wie zum
Beispiel Vertrauen in die anderen Teil­
nehmer und organisatorischer Wille.
Das fällt nicht so vom Himmel und
muss erarbeitet werden. Hier haben
die Niedergelassenen einen Startnach­
teil.
Wie groß ist die Gefahr, dass einzelne
Krankenhäuser das Geschäft allein ma­
chen wollen und kein Interesse an einer
breiten Kooperation mit Vertragsärzten
haben?
Nahe Null. Sieht man einmal von
Hochschulen und deren Ambulanzen
ab, so kenne ich kein regionales Kran­
kenhaus, das einen „Traum“ ausleben
könnte, die Niedergelassenen aus de­
ren Refugium zu vertreiben. Allein
schon die mangelnden ärztlichen Res­
sourcen verhindern regelhaft eine reale
Komplettübernahme der ASV. Unsere
Krankenhäuser haben den alten Para­
grafen 116b zwar geliebt, weil es ein
Tummelplatz ohne Verpflichtungen
oder Prüfungen war. Genau deswegen
wünschen diese ja auch vielfach einen
Dauerbestandsschutz für die nach
Alt­Recht ausgesprochenen Genehmi­
gungen zur Durchführung ambulanter
Behandlungen am Krankenhaus.
Kritiker sehen durch die ASV die
Grundversorgung durch Haus­ und
Fachärzte bedroht. Sie befürchten, dass
dadurch Patienten ins Krankenhaus ab­
wandern und die niedergelassenen Ärzte
weniger Einnahmen haben. Sind diese
Sorgen berechtigt?
Hausärzte sind von einer Honorarbe­
reinigung gar nicht betroffen, weil der
Bereinigungsbeschluss des Bewer­
tungsausschusses explizit den haus­
ärztlichen Vergütungsbereich nach der
Trennung ausschließt. Das scheint bei
einigen turbulenten Diskussionen in
der jüngsten Vergangenheit übrigens
nicht bekannt gewesen zu sein.
Bei den Fachärzten ist die Bereini­
gung ein komplexer Vorgang, der zum
weit überwiegenden Teil die Fachärzte
betreffen wird, die im Segment der
ASV tätig werden. Ein geringer Restef­
fekt wird aber verbleiben, egal wie ver­
ursachergerecht man es umsetzt. Das
muss ich sicher ausführlicher erklären.
Bereinigt wird die Gesamtvergütung ja
deswegen, weil in der ASV die Leis­
tung nicht mehr zulasten des Kollek­
tivvertrags abgerechnet, sondern viel­
mehr direkt vergütet wird. Je genauer
man den Kreis der potenziellen Er­
bringer von ASV­Leistungen eingren­
zen kann, desto spezifischer ist eine
Honorarbereinigung möglich und um­
so weniger werden Dritte belastet.
Kann man den Kreis auf einen einzel­
nen Arzt eingrenzen, stellt sich das
Problem also nicht. Handelt es sich
bei dem Kreis um die Gruppe, verteilt
sich die Honorarverlagerung auf diese.
Nur dann, wenn die Leistung keiner
Untergruppe der Fachärzte zuord­
nungsfähig ist, erfolgt eine Umlage auf
alle und damit eigentlich eine Beteili­
gung aller Fachärzte.
Hier ist eine Fragestellung derzeit
noch unklar. So sollen die fachärztli­
chen Grundleistungen von der Berei­
nigung ausdrücklich nicht betroffen
sein, es fehlt aber die verbindliche De­
finition des Begriffes was fachärztliche
Grundleistungen sind. Man könnte
dies so deuten, dass die Bereinigung
der fachärztlichen Grundpauschale
unterbleiben soll, der Begriff aus dem
Gesetz ließe sich aber auch umfassen­
der interpretieren. Hier steht eine end­
gültige Debatte für mich noch an.
Unabhängig davon darf man aber
schon fragen, wie relevant und häufig
diese Konstellation auftritt. Hier
kommt nämlich auch der sogenannte
Ziffernkranz ins Spiel, der für jede
ASV­Indikation verschieden aussieht,
die zu bereinigenden Leistungen vor­
sieht und vom Bewertungsausschuss
festgelegt wird. Beinhaltet dieser nur
spezielle Leistungen, erfolgt keine Be­
lastung der Grundversorger. Es liegen
derzeit keine Anzeichen dafür vor, dass
ein relevanter Teil der Ziffernkränze
auf solche Leistungen entfallen würde.
Der Effekt ist also nicht gleich Null,
aber extrem weit weg von den Be­
fürchtungen, die derzeit geäußert wer­
den.
Aber man darf festhalten, die Quali­
tät der Arbeit der KBV im Bereich der
ASV wird auch daran zu messen sein,
dass der Anteil der „Grundleistungen“
eine absolute Randgröße bleibt.
Muss man am Ende über die ASV sagen:
Gut gedacht, zu kompliziert gemacht?
Falls jemand einen Sportwagen wollte,
so muss er sich wohl eher mit einem
Raupenschlepper behelfen.
Auszug aus dem Interview mit Dr. Ralph
Ennenbach, stellv. Vorsitzender der KV
Schleswig­Holstein in „Nordlicht AKTU­
ELL“ Ausgabe 07/2015 (Titel: „ASV­Start­
hilfe für Niedergelassene“, Seiten 4 bis 6).
Das Interview führte Marco Dethlefsen,
Abteilungsleiter Kommunikation bei der
KVSH.
Über die ambulante spezi­
alfachärztliche Versorgung
sollen niedergelassene
Fachärzte und Kranken­
hausärzte gemeinsam und
zu gleichen Rahmenbedin­
gungen die Behandlung
übernehmen. Dr. Ralph
Ennenbach, stellvertreten­
der Vorstandsvorsitzender
der KV Schleswig­Holstein,
beantwortet die Frage, ob
Niedergelassene dabei in
einem fairen Wettbewerb
mit den Kliniken stehen.
Niedergelassene haben einen Startnachteil
Das Interview führte Marco Dethlefsen
Dr. Ralph Ennnebach ist stellv. Vorstandsvorsitzender der KVSH.
© KV SCHLESWIG­HOLSTEIN
In Deutschland bestimmt die Budge­
tierung die Finanzen im Gesundheits­
wesen. Dennoch haben sich die Ver­
tragspartner immer wieder auf Berei­
che einigen können, in denen das
Budget außer Kraft gesetzt wird. In
diesem Falle tritt ein neues ordnungs­
politisches Problem auf. Der neue
Leistungsbereich wird nicht mehr in­
nerhalb des Budgets, auf KV­chine­
sisch in der morbiditätsbedingten Ge­
samtvergütung (MGV), abgebildet.
Damit die Krankenkassen nicht zwei­
mal bezahlen müssen, muss dieser
Leistungsbereich bereinigt werden.
Eigentlich ist das ganz einfach: Man
nehme die Zahl der ausgegliederten
Leistungen und multipliziere sie mit
dem Betrag, der sich aus dem mittle­
ren Punktwert ergibt. Man muss sich
bei den Vertragspartnern nur noch auf
den Zeitraum aus der Vergangenheit
festlegen, aus dem die Berechnung
stattfinden soll.
Danach können die Krankenkassen
wieder das Morbiditätsrisiko und die Fi­
nanzierung übernehmen, wenn sie be­
reit sind, in Euro und Cent zu vergüten.
So ist dies häufig in der Vergangen­
heit geschehen. Typisches Beispiel ist
das ambulante Operieren, das sowohl
von Vertragsärzte als auch Kranken­
häusern erbracht wird. Solche ausge­
gliederten Leistungen findet man sehr
häufig an der Grenze ambulant/statio­
när.
Die ambulante spezialfachärztliche
Versorgung (ASV) soll deshalb auch
extrabudgetär und ohne Mengenbe­
grenzung von den Krankenkassen
übernommen werden – so will es zu­
mindest der Gesetzgeber. Die Bereini­
gung ist hier nur deutlich schwieriger,
weil der Versorgungsbedarf aus der
Vergangenheit nicht einwandfrei defi­
niert werden kann, weil es eine Versor­
gung „ASV like“ bis dato nicht gab.
Im Übrigen hängt die Zahl der Leis­
tungen nicht nur vom vergangenen
Bedarf, sondern auch von eventuell
steigenden Zulassungen von Kranken­
häusern und Vertragsärzten ab, wenn
sich die ASV bei der Versorgung aus­
weitet.
Die Vertragsärzte haben auf Bun­
desebene eine kluge und einfache Lö­
sung gefunden. Sie definieren die Be­
reinigung nicht als Gesamtbetrag,
sondern fallbezogen. Dabei haben sie
für die Tuberkulose in der ASV 93,00
Euro pro Fall ausgerechnet. Die Kas­
senärztliche Bundesvereinigung ist da­
mit aus dem Schneider. Die Umset­
zung erfolgt in den Länder­KVen und
hier steckt der Teufel im Detail. Der
Gesetzgeber hat sich schon festgelegt.
Die Bereinigung darf natürlich nicht
zulasten der Hausärzte gehen. Auch
die grundversorgenden Fachärzte
müssen geschont werden, gleichgültig,
was der Gesetzgeber unter dieser
Gruppe versteht.
Soll das fallzahlabhängige Bereini­
gungsvolumen von der gesamten Fach­
gruppe oder direkt von dem an der
ASV beteiligten Facharzt übernommen
werden? Diese Frage hat die Länder­
KV in ihrer Honorarverteilung zu klä­
ren. Im Interesse einer funktionierenden
ASV kann man nur auf angemessene
und gut abgestimmte Lösungen vor Ort
hoffen – damit wenigstens das kleine
durch die Bürokratie sattsam malträtier­
te Pflänzchen ASV nicht gänzlich zer­
treten wird.
(HFS)
Bei der ambulanten spezial­
fachärztlichen Versorgung
könnte die Bereinigung
tatsächlich rund laufen.
Vorausgesetzt die Länder­
KVen machen mit.
ASV­Bereinigung: Eine gute Lösung?
Berufspolitik
BDI aktuell
September 2015
9
Der GBA legt für jede Erkrankung
fest, welche Anforderungen das
ASV­Team erfüllen muss. Diese
können von Geräten zur bildgeben­
den Diagnostik über eine 24­Stun­
den­Notfallversorgung bis zum Vor­
halten einer Intensivstation reichen.
Doch nicht alles kann und muss
das Team selbst vorhalten. Es
reicht, wenn die Ärzte eine schriftli­
che Kooperationsvereinbarung mit
Einrichtungen (z.B. Krankenhäu­
sern) schließen, die das Geforderte
bereitstellen. Eine Sammelabrech­
nung für die erbrachten Leistungen
gibt es dabei nicht, jeder Arzt rech­
net seine ASV­Leistungen selbst ab.
Ausblick:
Die bestehenden Rege­
lungen zur ASV werden regelmäßig
überarbeitet. So sieht das GKV­Ver­
sorgungsstärkungsgesetz unter ande­
rem vor, dass im Bereich der Onko­
logie und der Rheumatologie das
Kriterium der „schweren“ Verlaufs­
form gestrichen werden soll.
Auszug aus Nordlicht AKTUELL,
Ausgabe 7/2015, S. 9
GBA legt die Spielregeln fest
1,2,3,4,5,6,7,8 10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,...24
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