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BDI aktuell
September 2015
Berufspolitik
lle Jahre wieder veröffentlicht das Wissen­
schaftliche Institut der Ortskrankenkassen
(WidO) seinen Ärzteatlas. Soeben erschien
die jüngste Publikation mit der Behauptung, es
gäbe keinen Mangel an Hausärzten. Die Empö­
rung von Ulrich Weigeldt, dem Vorsitzenden des
Deutschen Hausärzteverbands, teilt der Berufs­
verband Deutscher Internisten: „Die Behaup­
tung, dass es im Grunde keinen Mangel an
Hausärztinnen und Hausärzten gibt, ist absurd.
Immer weniger Hausärzte müssen immer mehr
Patienten versorgen, die Praxen sind immer vol­
ler. Das können sowohl Hausärzte als auch Pati­
A
enten bestätigen. Dass jetzt eine Krankenkasse
auf Grundlage fragwürdiger Schlussfolgerungen
behauptet, dass dies eigentlich gar nicht der Fall
ist, zeigt, dass man offensichtlich mit der Realität
in den Praxen nicht vertraut ist.“
Die Realität sieht so aus: Um­
fragen zufolge planen 23 Prozent
der niedergelassenen Ärzte bis
zum Jahr 2020 ihre Praxis aufzu­
geben. Allein aus dem demogra­
fischen Wandel resultiert ein per­
soneller Mehrbedarf: Während
heute fünf Prozent der Bevölke­
rung älter als 79 Jahre sind, wird
deren Zahl bis zum Jahr 2060 auf etwa 13 Pro­
zent steigen. Je älter die Bevölkerung ist, desto
höher ist die Behandlungsintensität und damit
die Nachfrage nach Ärzten.
Aber nicht nur die Gesellschaft altert, sondern
mit ihr auch die Ärzteschaft. Der Anteil der un­
ter 35­jährigen Ärzte im Jahr 2014 lag nach An­
gaben der Bundesärztekammer bei 18,3 Prozent.
Zum Vergleich: Im Jahr 1993 waren noch 26,6
Prozent der Ärzte jünger als 35 Jahre. Weiterhin
schrumpfte der Anteil der 40­bis 49­jährigen
von 26,6 Prozent auf 25,2 Prozent, während der
Anteil der 50­ bis 59­jährigen von 28,3 Prozent
auf 28,5 Prozent anstieg.
Geändert hat sich auch die Arbeitseinstellung
der Jungmediziner, was auch dem wachsenden
Anteil an Frauen geschuldet ist. Diese jungen
Ärzte legen großen Wert auf ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Freizeit,
auf feste Arbeitszeiten und flexible Arbeitszeit­
modelle. Das hat zur Folge, dass sich immer
mehr von ihnen für eine Anstellung und gegen
die Niederlassung entscheiden. Zählte die Ärzte­
statistik im Jahr 1993 lediglich 5397 im ambu­
lanten Bereich angestellte Ärzte, so wuchs ihre
Zahl an der Gesamtärzteschaft bis zum Jahr 2014
auf 26307.
Der WidO­Ärzteatlas hat einen Versorgungs­
grad mit Hausärztinnen und Hausärzten von
110,4 Prozent errechnet, demnach eine Überver­
sorgung. Er stützt sich dabei auf eine Bedarfspla­
nung, die weder die gestiegene Morbidität der
Bevölkerung, noch den höheren Anteil von in
Teilzeit tätigen Hausärzten berücksichtigt.
Aktuell absolvieren lediglich knapp zehn Pro­
zent der Nachwuchsärzte ihre Weiterbildung in
der Allgemeinmedizin. Zum Glück übernimmt
ein stetig wachsender Anteil von hausärztlichen
Internisten Aufgaben der hausärztlichen Versor­
gung – mittlerweile über 20 Prozent. Ohne diese
Internisten wäre die hausärztliche Versorgung
längst am Ende.
Ihr Wolfgang Wesiack
EDITORIAL
Durchsichtige Spielchen mit der Ärztestatistik
Von Dr. Wolfgang Wesiack
Präsident des BDI
Je älter die Bevölkerung ist,
desto höher ist die Behandlungs­
intensität und damit die
Nachfrage nach Ärzten.
An vier Paragrafen der Musterberufs­
ordnung (MBO) hat der 118. Deutsche
Ärztetag geschraubt. Nun ist die zuge­
hörige Novelle der MBO auch in Kraft.
Dabei schafft das Berufsrecht vor allem
mehr Klarheit für Kooperationen. Aller­
dings musste hierzu erst der Bundesge­
richtshof (BGH) eingreifen.
Der Fall zog sich über Jahre hin: 30
Fachärzte aus Baden­Württemberg
hatten sich zu einer überörtlichen
Partnerschaftsgesellschaft zusammen­
geschlossen – unter ihnen vier Radio­
logen. Das schmeckte der Ärztekam­
mer vor Ort nicht. Sie versuchte zu­
nächst die Eintragung ins Partner­
schaftsregister zu verhindern. Als dies
nicht gelang, berief sie sich auf die Be­
rufsordnung des Landes, nach der ei­
ne TBAG mit Ärzten, die rein medizi­
nisch­technisch auf Veranlassung der
anderen TBAG­Partner tätig sind, als
Umgehung der verbotenen Zuweisung
gegen Entgelt zu werten sei. In der Tat
fand sich dieser Passus in Paragraf 18
Absatz 1 (Berufliche Kooperationen)
nicht nur der Berufsordnung in Ba­
den­Württemberg, sondern auch der
Musterberufsordnung Ärzte. Darauf­
hin schaltete sich die Wettbewerbszen­
trale in Bad Homburg ein und erhob
Unterlassungsklage gegen die TBAG.
Das Landgericht Mosbach stellte
zwar bereits im Jahr 2011 fest, dass be­
sagter Paragraf in der MBO gegen das
Grundgesetz verstößt. Er sei insbeson­
dere nicht mit der verfassungsrechtlich
garantierten Berufsfreiheit zu vereinba­
ren und stelle eine klare berufliche Be­
nachteiligung von Radiologen dar, de­
ren klassisches Betätigungsfeld nun ein­
mal gerade solche Leistungen und dies
in der Regel auf Veranlassung anderer
Ärzte ist (Az.: Az.: 3 O 13/10). Trotz­
dem blieb der Passus den Ärzten bei der
Änderung der Musterberufsordnung im
Jahr 2011 erhalten – bei der immerhin
20 Paragrafen der Berufsordnung ange­
gangen wurden. Und der Fall kochte
schließlich bis vor den Bundesgerichts­
hof (Az.: I ZR 137/12) hoch.
MBO schützt vor neuem Rechtsstreit
Dieser stellte im Sommer 2014 klar,
dass das pauschale Verbot einer TBAG
trotz der besonderen Auffälligkeit der
medizinisch­technischen Überweisungs­
fächer für sogenannte Kick­back­Leis­
tungen nicht gerechtfertigt sei. Die Ärz­
tekammern sollten ihre anderen Kont­
rollmechanismen nutzen.
Im Prinzip steht Ärzten damit seit
Sommer 2014 der Weg zu einer Ko­
operation mit Radiologen, Nuklear­
medizinern und weiteren Fachkolle­
gen, die rein medizinisch­technische
Leistungen erbringen, offen. Aller­
dings müssen sie dabei auf eine leis­
tungsgerechte Gewinnverteilung ach­
ten.
Mit der Änderung von Paragraf 18
Absatz 1 der MBO sind sie nun aber
weitgehend vor neuen Rechtsstreite­
reien gefeit. Denn dort steht jetzt nur
noch: Eine Umgehung des Zuwei­
sungsverbots „liegt insbesondere dann
vor, wenn der Gewinn ohne Grund in
einer Weise verteilt wird, die nicht
dem Anteil der persönlich erbrachten
Leistungen entspricht“. Und auch im
Korruptionsgesetz wurde nachgebes­
sert und das Augenmerk explizit auf
die Gewinnverteilung in den Koopera­
tionen gelegt (siehe auch Seite 8).
Jetzt sind die Landesärztekammern
am Zug, die Änderung in ihren regional
gültigen Berufsordnungen ebenfalls
umzusetzen. Die Chancen dafür stehen
gut: „Nach der Rechtssprechung des
Bundesgerichtshofs bleibt uns laut un­
serer Justiziarin gar nichts anderes üb­
rig“, sagt etwa Volker Heiliger, Presse­
sprecher der Ärztekammer Westfalen­
Lippe. Das bedeute jedoch nicht, dass
die Kammer Zuweisungen in Teil­BAG
künftig nicht mehr prüfen werde, stellt
Heiliger klar. Auch bei der Landesärzte­
kammer Hessen wird die Kammerver­
sammlung eindeutig darüber informiert,
dass die bisherige Regelung als verfas­
sungswidrig gilt. Doch bis die Berufs­
ordnungen auf Landesebene angepasst
sind, dauert es. In Hessen findet die
Kammerversammlung immerhin schon
im September statt, damit könnte die
novellierte Berufsordnung im Novem­
ber in Kraft treten. In Westfalen­Lippe,
ebenso wie in Mecklenburg­Vorpom­
mern und Niedersachsen wird sich die
Kammerversammlung erst im Novem­
ber mit den Änderungen in der MBO
befassen. Heiliger geht grob gerechnet
davon aus, dass damit in Westfalen­Lip­
pe die Novelle im Februar 2016 in
Kraft treten könnte.
Patientenrechte gestärkt
Nachgebessert wurde aber auch an an­
derer Stelle der MBO: Paragraf 10 Ab­
satz 2 gibt Patienten nun mehr Rechte
zur Einsicht in die sie betreffende Do­
kumentation der Ärzte. Der Ärztetag
hat hier ganz bewusst den Begriff „Do­
kumentation“ verwendet, weil die reine
Patientenakte nicht „alle relevanten
Konstellationen ärztlicher Dokumenta­
tion erfasst“. Gestrichen wurde der Pas­
sus, der die subjektiven Notizen des
Arztes vom Einsichtsrecht bislang aus­
geschlossen hatte.
Damit folgt der Ärztetag zum einen
dem geltenden Patientenrechtegesetz,
zum anderen aber auch der Rechtspre­
chung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerG). Das hatte nämlich schon vor
Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes
festgestellt (September 1998: Az.: 1 BvR
1130/98; Januar 2006: Az: 2 BvR
443/02), dass eine pauschale Beschrän­
kung des Einsichtnahmerechts der Pati­
enten auf objektive Befunde und Auf­
zeichnungen in der ärztlichen Doku­
mentation nicht verfassungskonform ist.
Einige Landesärztekammern (LÄK), so
zum Beispiel die LÄK Rheinland­Pfalz
hatten ihre Berufsordnungen bereits an
die Rechtsprechung des BVerG ange­
passt. Nach der Novelle in der MBO ist
das Einsichtsrecht des Patienten nur
dann beschränkt, wenn erhebliche thera­
peutische Gründe oder erhebliche Rech­
te des Arztes oder Dritter dem entgegen­
stehen. Ergibt sich im Einzelfall eine sol­
che Einschränkung, ist sie laut dem Ärz­
tetagsbeschluss auf das notwendige Mi­
nimum zu beschränken.
Seit Juli ist die Novelle
der Musterberufsordnung in
Kraft. Damit erhalten vor
allem Teilberufsausübungs­
gemeinschaften mehr Spiel­
raum bei der Kooperation,
ohne gleich unter den
Verdacht verbotener Zuwei­
sungen zu fallen. Nun liegt
es an den einzelnen Kam­
mern, die Änderungen zügig
in regionales Berufsrecht
umzuwandeln.
Berufsrecht: Mehr Luft für Kooperationen
SCHWERPUNKT
Von Rebekka Höhl
Berufsrecht neu sortiert? Gegen die große Novelle der MBO in 2011, als über 20 Paragrafen der Musterberufsordnung angepackt
wurden, wirken die Änderungen in nunmehr vier Paragrafen auf den ersten Blick eher bescheiden.
© VEGE / FOTOLIA.COM
Weitere Änderungen
Ebenfalls überarbeitet wurden:
§ 15 Abs. 3 MBO:
Für die For­
schung am Menschen müssen
Ärzte die überarbeitete Fassung
der Deklaration von Helsinki des
Weltärztebundes aus 2013 be­
achten. Diese spezifiziert z.B.die
Anforderungen für Maßnahmen
nach Abschluss einer Studie
§ 20 Abs. 2 MBO:
Verstirbt der
Praxisinhaber, kann die Praxis
zugunsten seiner Witwe oder ei­
ner/m nach dem Gesetz einge­
tragenen Lebenspartner/in durch
einen anderen Arzt weitergeführt
werden. Und zwar für sechs Mo­
nate.
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