BDI aktuell 9_2015 - page 10

Um Trends bei akuten Selbstvergif­
tungen zu untersuchen, haben In­
tensivmediziner um Studienleiter
Sirak Petros von der Uniklinik
Leipzig die Akten 3533 erwachse­
ner Patienten aus den Jahren 2005
bis 2012 ausgewertet (Anaesthesist
2015; 64: 456­462). Knapp ein
Drittel der Patienten war jünger als
25 Jahre. Rund 80 Prozent der In­
toxikationen waren alkoholbedingt,
und dies mit relativer Konstanz seit
2005. Ein erheblicher Anstieg der
Fallzahlen für eine Rausch­Notfall­
behandlung wurde in den Jahren
2011 und 2012 infolge des Kon­
sums von Crystal Meth, Cannabi­
noiden und Gamma­Hydroxybut­
tersäure (GHB) verzeichnet.
(st)
Intoxikation:
Alkoholrausch
am häufigsten
Nach wie vor ist Alkohol
die Hauptursache
behandlungsbedürftiger
akuter Intoxikationen.
NOTFALLMEDIZIN
Die neue Richtlinie zur Hirntoddiag­
nostik der Bundesärztekammer (BÄK)
legt nun mehr Wert auf eine gute Qua­
lifikation der Ärzte, die den Hirntod
feststellen und Körper zur Organent­
nahme freigeben dürfen. Zugleich fin­
den bewährte apparative Methoden
für den Nachweis des zerebralen Zir­
kulationsstillstandes wie Duplexsono­
graphie und CTAngiografie Eingang
in die „Vierte Fortschreibung der
Richtlinie zur Feststellung des irrever­
siblen Hirnfunktionsausfalls“.
Das Update ersetzt die dritte Richt­
linie zur Feststellung des Hirntodes
aus dem Jahr 1997. In der neuen
Richtlinie wird der Begriff „Hirntod“
bewusst vermieden, stattdessen fokus­
sieren sich die Richtlinienautoren nur
noch auf den „irreversiblen Hirnfunk­
tionsausfall“ und damit auf das, was
sich wissenschaftlich und medizinisch
tatsächlich nachweisen lässt.
Inhaltlich werden die Anforderun­
gen an die Qualifikation der Ärzte prä­
zisiert: Sie müssen nicht nur wie bis­
her über eine mehrjährige intensivme­
dizinische Erfahrung in der Behand­
lung von Patienten mit akuten und
schweren Hirnschädigungen verfügen,
sondern auch Fachärzte sein.
Neu ist auch, dass mindestens einer
der Ärzte, die den Hirntod feststellen,
ein Facharzt für Neurologie oder Neu­
rochirurgie sein muss. Bei Kindern bis
zum vollendeten 14. Lebensjahr ist zu­
sätzlich ein Facharzt für Kinder­und
Jugendmedizin erforderlich. Ist dieser
Neuropädiater, muss der zweite unter­
suchende Arzt kein Neurologe oder
Neurochirurg sein. Auch müssen Ärz­
te ihre Qualifikation auf dem Proto­
kollbogen bestätigen. Den beteiligten
Ärzten wird zudem eine regelmäßige
Teilnahme an qualitätsfördernden
Maßnahmen empfohlen. Diese sind
jedoch keine Pflicht.
Am Prozedere der Hirntoddiagnos­
tik hat sich jedoch wenig geändert.
Weiterhin müssen mindestens zwei
qualifizierte Ärzte den irreversiblen
Ausfall der Hirnfunktionen unabhän­
gig voneinander feststellen, diese Ärzte
dürfen nicht an Entnahme oder
Übertragung von Organen oder Gewe­
be des Spenders beteiligt sein. Sie dür­
fen auch nicht Weisungen eines Arztes
unterstehen, der daran beteiligt ist.
Dreistufiges Vorgehen
Die Diagnostik selbst erfolgt wie bis­
her in drei Stufen: Voraussetzung für
den Hirntod bleibt der zweifelsfreie
Nachweis einer akuten schweren Hirn­
schädigung sowie der Ausschluss re­
versibler Ursachen. In einem zweiten
Schritt müssen alle in den Richtlinien
geforderten sieben klinischen Ausfall­
symptome nachgewiesen werden: Ko­
ma, Lichtstarre beider Pupillen, kein
okulozephaler/vestibulookulärer Re­
flex, kein Kornealreflex, keine Reakti­
on auf Schmerzreize, kein Pharyngeal­
und Trachealreflex sowie der Ausfall
der Spontanatmung.
Danach müssen die Ärzte die Irre­
versibilität des Ausfalls feststellen, und
zwar durch eine Nachuntersuchung
nach mindestens zwölf Stunden bei
primärer supratentorieller Hirnschädi­
gung sowie nach einer Wartezeit von
mindestens 72 Stunden bei sekundärer
Hirnschädigung. Alternativ kann der
Nachweis eines isoelektrischen EEGs,
der Ausfall evozierter Potenziale oder
der Nachweis eines zerebralen Zirkula­
tionsstillstands die Irreversibilität des
Hirnfunktionsausfalls auch ohne War­
tezeit belegen. Zur Untersuchung der
Zirkulation werden Doppler­/Duplex­
sonografie, zerebrale Perfusionsszinti­
grafie oder CT­Angiografie erlaubt.
Sonderregeln für Kinder unter zwei
Für Kinder unter zwei Jahren gelten
Sonderregeln beim Nachweis der Irre­
versibilität: Die Wartezeit bis zur obli­
gaten klinischen Verlaufsuntersuchung
beträgt unabhängig von der Art der
Hirnschädigung bei Neugeborenen bis
zum 28. Tag mindestens 72 Stunden,
danach mindestens 24 Stunden. Zu­
sätzlich sind apparative Untersuchun­
gen nötig (isoelektrisches EEG, evo­
zierte Potenziale, Hirnzirkulation).
Kliniken müssen in einer Arbeitsan­
weisung festlegen, wie genau die Diag­
nostik zu verlaufen hat und dass diese
gemäß der neuen Richtlinie erfolgt.
Wie solche „Verfahren zur Qualitätssi­
cherung der Todesfeststellung“ im
Einzelnen auszusehen haben, überlässt
die Richtlinie aber den Kliniken.
(mut)
In einer neuen Richtlinie
werden bestehende Regeln
zur Hirntoddiagnostik
verschärft und präzisiert.
Neue Richtlinie zur Hirntoddiagnostik
In Europa erleiden schätzungsweise
275000 Menschen pro Jahr einen
Herzstillstand außerhalb von Kliniken.
Die Herzdruckmassage durch Ersthel­
fer scheint dabei eines der wirkungs­
vollsten Mittel zu sein, die Überle­
benschancen zu erhöhen. Dies ist wohl
am ehesten damit zu erklären, dass da­
durch das Zeitfenster für eine Defibril­
lation durch Fachkräfte verlängert
wird, mutmaßen Notfallmediziner um
Dr. Ingela Hasselqvist­Ax vom Karo­
linska­Institut in Stockholm. Da es je­
doch keine randomisierten Studien
zum Nutzen der Ersten Hilfe bei
Herzstillstand gibt und geben kann,
werden der Nutzen und das Training
von Millionen Ersthelfern immer wie­
der infrage gestellt.
Erste Hilfe bei jedem Zweiten
Mit schwedischen Registerdaten ha­
ben die Ärzte um Hasselqvist­Ax nun
versucht, unter anderem über eine
quasi­randomisierte Analyse den Nut­
zen der Ersten Hilfe so gut wie mög­
lich zu erfassen. So füttern sämtliche
schwedische Rettungszentren ein nati­
onales Register mit Daten zu den Um­
ständen eines Herzstillstands, der Zeit
bis zur Ankunft beim Patienten und
Erste­Hilfe­Maßnahmen. Die Ärzte
konnten auf diese Weise Angaben zu
über 30000 außerklinischen Herzstill­
ständen in Schweden auswerten, die
zwischen 1990 und 2011 registriert
wurden und bei denen eine Person
während des Herzkreislaufkollapses
zugegen war (NEJM 2015; 372:
2307).
Bei etwa der Hälfte dieser Patienten
hatten Ersthelfer vor Ankunft der Not­
ärzte bereits eine Wiederbelebung ver­
sucht. Von diesen Patienten waren
nach 30 Tagen noch 10,5 Prozent am
Leben, bei den Patienten ohne
Wiederbelebungsversuch durch Erst­
helfer nur 4,0 Prozent.
Allerdings unterschieden sich die
Patienten und die Umstände in beiden
Gruppen zum Teil deutlich. So waren
die von Ersthelfern behandelten Pati­
enten jünger, öfter männlich und hat­
ten häufiger eine defibrillierbare Herz­
rhythmusstörung als diejenigen, die
auf Wiederbelebungsversuche durch
professionelle Helfer warten mussten.
Dafür waren die Profis bei Letzteren
schneller vor Ort und rascher mit dem
Defibrillator zur Hand. Um solche
Verzerrungen zu berücksichtigen, wie­
sen Hasselqvist­Ax und Mitarbeiter
nun jedem Patienten mit Erster Hilfe
möglichst einen vergleichbaren Patien­
ten ohne Wiederbelebungsversuch
durch Ersthelfer zu, wobei Alter, Ge­
schlecht, Ort und die Zeit bis zur Ret­
tung durch Profis möglichst ähnlich
sein sollten. Das änderte jedoch nichts
am Ergebnis: Die Überlebenswahr­
scheinlichkeit war bei Patienten mit
Erster Hilfe trotzdem in etwa doppelt
so hoch (Odds Ratio: 2,15).
Reanimations­Rate fast verdoppelt
Interessant ist auch der Verlauf über
die Jahre hinweg: So fand 1990 nur
bei etwa 35 Prozent der Patienten mit
bemerktem Herzstillstand ein Wieder­
belebungsversuch durch Laien statt,
2011 lag dieser Anteil in Schweden
bereits bei 65 Prozent. Vorausgegan­
gen war ein weitreichendes Trainings­
programm. Danach ist inzwischen fast
jeder dritte Einwohner Schwedens in
Wiederbelebungsmaßnahmen ge­
schult. Interessanterweise stieg in den
vergangenen zehn Jahren auch die Er­
folgsquote bei Wiederbelebungen: Lag
die 30­Tages­Überlebensrate zu Be­
ginn des Jahrtausends noch bei knapp
über 5 Prozent, so beträgt sie nunmehr
rund 15 Prozent. Dagegen gibt es bei
Patienten ohne Erste Hilfe im zeitli­
chen Verlauf kaum Unterschiede: Hier
pendelt der Wert um die 5 Prozent.
Die Notfallmediziner um Hassel­
qvist­Ax überrascht besonders, dass
die Prognose bei den Patienten mit
Erster Hilfe so viel besser ist, obwohl
es bei ihnen länger bis zur Defibrillati­
on dauert. Sie vermuten zum einen,
dass Zeugen des Kollapses eher gewillt
sind einzugreifen, wenn schnelle ärztli­
che Hilfe nicht in Sicht ist, und dass
die Herzdruckmassage dann eine ge­
wisse Zirkulation bis zum Eintreffen
der Ärzte aufrechterhält.
In einer weiteren Publikation haben
sich Notfallmediziner vom Karolins­
ka­Institut Gedanken gemacht, wie
sich der Anteil der wiederbelebten Pa­
tienten nach Herzstillstand erhöhen
lässt (NEJM 2015; 372: 2316). In ei­
nem Modellprojekt konnten sie rund
10000 geschulte potenzielle Ersthelfer
dazu gewinnen, die Positionsdaten ih­
res Handys automatisch an Rettungs­
leitstellen zu übermitteln. Bei einem
Notruf wurden Ersthelfer in der un­
mittelbaren Nähe dann automatisch
per SMS und einem computergene­
rierten Anruf informiert.
In ihrer Studie lag mit diesem Sys­
tem die Rate von Wiederbelebungsver­
suchen bei 62 Prozent, ohne automati­
sche Information von Ersthelfern nur
bei 48 Prozent. Das Ganze funktio­
niert allerdings nur, weil bei allen ein­
gehenden Notrufen in Schweden auto­
matisch die Position des Anrufes be­
stimmt werden kann.
Erste Hilfe verdoppelt Überlebenschance
Eine Herzdruckmassage vor
dem Eintreffen der
Rettungskräfte verdoppelt
die Überlebenschancen bei
Herzstillstand, so das Er­
gebnis einer schwedischen
Studie. Eine Handy­App
könnte die Chance noch
weiter verbessern.
Von Thomas Müller
Wie reanimieren? In Schweden ist inzwischen fast jeder dritte Einwohner in Wiederbelebung geschult.
© ROBERT KNESCHKE/FOTOLIA.COM
11%
der Patienten mit Herzstillstand
haben in der schwedischen Studie
überlebt, wenn Ersthelfer vor
Ankunft der Notärzte bereits eine
Wiederbelebung versucht hatten.
Ohne Reanimations­Versuche von
Ersthelfern überlebten den Herzstill­
stand nur vier Prozent.
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BDI aktuell
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Medizin
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