8
November 2015
BDI aktuell
Berufspolitik
Ende September haben sich Bund und
Länder auf ein Kompromisspapier ge
einigt. Verabschiedet wurde es unter
dem Titel: „Gesetz zur schnelleren
Entlastung der Länder und Kommu
nen bei der Aufnahme und Unterbrin
gung von Asylbewerbern“. Das Gesetz
geht einher mit Sonderausgaben des
Bundes in Milliardenhöhe. Die ge
sundheitspolitisch relevanten Be
schlüsse hat man im „Asylverfahrenbe
schleunigungsgesetz“ zusammengefasst
und Anfang Oktober verabschiedet.
Hierbei wurde die Einführung einer
Gesundheitskarte in die Hoheit der
Länder übergeben, Verbesserungen für
den Impfschutz der Asylbewerber be
schlossen, für anerkannte Asylbewerber
ein verbesserter Zugang zu psychologi
scher Betreuung festgehalten – sowie
die Möglichkeit eröffnet, dass Asylsu
chende, die über eine abgeschlossene
Ausbildung in einem medizinischen
Heilberuf verfügen, in die medizinische
Erstversorgung von anderen Asylsu
chenden eingebunden werden können.
Insbesondere der letzte Punkt soll mög
lichst kurzfristig umgesetzt werden, in
dem Asylsuchenden mit abgeschlosse
ner Ausbildung als Arzt eine Ermächti
gung zur vorübergehenden Ausübung
von Heilkunde ermöglicht wird, um die
Ärzte bei der medizinischen Versorgung
der Flüchtlinge zu unterstützen.
Knackpunkt Abrechnung
Weit mehr Bedeutung werden jedoch
die Regelungen finden, welche erst ab 1.
Januar 2016 in Kraft treten sollen und
die sich auf die neu gefassten Paragra
fen 264 und 291 SGB V beziehen.
Bisher sind für die Versorgung von
Asylsuchenden die Kommunen zustän
dig, hieran wird sich auch in Zukunft
nichts ändern. Dadurch gibt es aber
bundesweit unterschiedliche Abrech
nungsverfahren. Dies ist vergleichbar
mit der Versorgung der Sozialhilfeemp
fänger, die auch höchst unterschiedlich
gehandhabt wird. Paragraf 264 SGB V
sah in seiner alten Fassung vor, dass die
Kassen in die Lage versetzt werden, für
Hilfeempfänger die Kosten der Kran
kenbehandlung zu übernehmen und
diese von der zuständigen Behörde zu
rückerstattet zu bekommen. Darüber
hinaus erhalten sie einen Aufschlag als
Kompensation ihres Verwaltungsauf
wandes. Von dieser Möglichkeit haben
bisher jedoch nur wenige Länder Ge
brauch gemacht.
Der neue Paragraf 264 sieht nun
vor, dass, überall dort, wo die Bundes
länder es für sinnvoll erachten, die
Kassen zur Übernahme der Kranken
behandlung und den damit einherge
henden Kosten verpflichtet werden
können. Hierzu bedarf es lediglich der
Beauftragung durch die oberste Lan
desbehörde bzw. Landesregierung.
Die Übernahme der Krankenbehand
lung und der Ersatz der Aufwendun
genund Verwaltungskosten werden
über eine Vereinbarung geregelt. In
diesem Zusammenhang kann auch die
Gesundheitskarte ausgegeben werden.
Kassen müssen Vereinbarung schließen
Wird eine solche Beauftragung ausge
sprochen, dann sind die Landesverbän
de der Krankenkassen und Ersatzkassen
zu einem gemeinsamen Abschluss einer
Rahmenvereinbarung verpflichtet. Hie
rin sollen insbesondere die Umsetzung
der leistungsrechtlichen Regelungen
nach den Paragrafen 4 und 6 des Asyl
bewerberleistungsgesetzes (AsylbLG),
die Abrechnung der Leistungen und de
ren Prüfung sowie der Ersatz der Auf
wendungen und Verwaltung der Kassen
geregelt werden. Bei Ausgabe der Ge
sundheitskarte muss ein Status verge
ben werden, an dem erkennbar ist, dass
der Empfänger Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhält.
Dabei gilt nach dem Asylbewerber
leistungsgesetz ein nur eingeschränk
ter Anspruch auf medizinische Versor
gung, der wie folgt begrenzt wird:
Ärztliche Behandlung
bei akuten Er
krankungen und Schmerzzuständen ein
schließlich der Versorgung mit Arznei
und Verbandsmittel sowie Gewährung
sonstiger zur Genesung, Besserung oder
Linderung von Krankheiten und Krank
heitsfolgen erforderliche Leistungen.
Gewährung
von ärztlicher und pfle
gerischer Hilfe und Betreuung von
Hebammenhilfe sowie von Arznei,
Verbandsmittel für Schwangere und
Wöchnerinnen.
Verabreichung
amtlich empfohlener
Schutzimpfungen und Vorsorgeunter
suchungen.
Eine Versorgung
mit Zahnersatz er
folgt nur und insoweit dies im Einzel
fall aus medizinischen Gründen un
aufschiebbar ist.
Was passiert mit Zusatzleistungen?
Die konkrete Umsetzung dieses Geset
zes liegt wie geschildert bei den Län
dern, sodass zukünftig mit einem Fli
ckenteppich an Lösungen zu rechnen
ist (siehe die Länderberichte zur Chip
karte auf dieser Seite).
Die Neuerungen versuchen zwar, ei
ne Konkretisierung des Leistungsrechtes
zu ermöglichen. Allerdings wird eine
bundeseinheitliche Regelung nicht er
füllt. Insofern bleibt offen, ob die in Pa
ragraf 264 Abs. 1 dargestellten Rahmen
vereinbarungen eine einheitliche Kon
kretisierung des Leistungsanspruches
der Betroffenen zum Inhalt haben und
dies gegenüber dem Vertragsarzt offen
gelegt wird. Nicht sichergestellt wird zu
dem, dass ggf. zusätzlich zu erbringende
Leistungen, die dann ebenso wie bei
GKVPatienten vom Vertragsarzt über
die KV abzurechnen wären, nicht nach
träglich mengenbegrenzenden Regulari
en unterworfen werden. An dieser Stelle
sei auf Absatz 6 in Paragraf 264 hinge
wiesen. Wie dieser Absatz künftig An
wendung findet und eine Überführung
der erbrachten Leistung in die MGV er
folgen kann, konnte von der KBV noch
nicht beantwortet werden. Daher skiz
zieren wir nachfolgend noch einmal die
Zuständigkeiten bezüglich der Honorie
rung der Leistungserbringung:
Erstaufnahmeeinrichtungen:
Hier
wird Asylsuchenden eine Eingangsun
tersuchung angeboten (Kostenträ
ger/Zuständigkeit: staatl. Gesundheits
amt oder vertragliche Direktvereinba
rungen mit Ärzten), die ggf. mit 1,0
fachem GOÄSatz vergütet werden.
Asylbewerber bis 15 Monate Aufent
halt
: Diese bekommen vom Sozialamt
einen begrenzt gültigen Behandlungs
schein ausgestellt, die Kostenträger
schaft liegt bei den Sozialhilfeträgern.
Ärzte rechnen über diesen Behand
lungsschein ihre nach EBM erbrachten
Leistungen ab. Für diesen Personen
kreis gilt ein eingeschränkter Anspruch
auf medizinische Versorgung (Akutbe
handlungen gem. AsylbLG §§4 und 6).
Asylbewerber mit einer Aufenthalts
dauer von mehr als 15 Monaten:
Hier
liegt die Zuständigkeit bei den Kassen.
Die Abrechnung soll – so die Planun
gen – über die elektronische Gesund
heitskarte mit einer entsprechenden
Kennzeichnung erfolgen, d.h. es gelten
§ 264 Abs. 2 SGB V und § 2 AsylbLG.
Der Leistungsanspruch ist dann iden
tisch dem der gesetzlich Versicherten.
Insofern kann davon ausgegangen
werden, dass die Leistungen für Asylbe
Durch das Asylbeschleunigungsgesetz soll alles einfacher
werden. Die Frage, welcher Leistungskatalog für die
medizinische Versorgung gilt, wurde allerdings nicht
eindeutig geklärt. Das sollen die Länder übernehmen –
und könnte Ärzte in Entscheidungsnöte bringen.
Flüchtlinge: Medizinische Verso
Von Tilo Radau
AkutVersorgung in
einer österreichi
schen Flüchtlings
unterkunft. Für sol
che Versorgungs
fälle ist ist der Leis
tungsrahmen in
Deutschland bis
lang nur grob ab
gesteckt. Die Kon
kretisierung sollen
die einzelnen Bun
desländer liefern.
© ANDREAS GEBERT/DPA
STUTTGART.
Die
badenwürttem
bergische Lan
desregierung hat
bereits Eck
punkte für die Einführung
der Gesundheitskarte für
Flüchtlinge festgelegt.
Kassen rechnen demnach
künftig mit dem Land
Leistungen ab. Die Pauscha
le, die das Land an Stadt
und Landkreise zahlt, soll
entsprechend um die
Gesundheitskosten gesenkt
werden. Die AOK als größte
gesetzliche Kasse im
Südwesten hat grundsätzli
che Bereitschaft für das
Projekt angekündigt.
36 564 Asylanträge
(Anträge im Zeitraum Januar
bis September 2015, Quelle:
Bundesamt für Migration)
Eckpunkte sind
festgelegt
BADENWÜRTTEMBERG
MÜNCHEN.
Bay
ern wird von der
Option zur Ein
führung einer
Gesundheitskar
te aktuell keinen Gebrauch
machen. „Das derzeitige
Versorgungssystem gewähr
leistet auch ohne Gesund
heitskarte ein dem Gesetz
entsprechendes Versor
gungsniveau“, betont Ulrike
Sparka, Sprecherin des
Sozialministeriums. Unmit
telbar nach der Ankunft im
Land erfolge ein Kurzscree
ning, eine Untersuchung auf
offensichtliche Krankheiten,
Infektionen und Verletzun
gen. In den ersten drei Ta
gen nach Ankunft erfolge
außerdem die vorgeschriebe
ne Erstuntersuchung.
45 867 Asylanträge
Keine Chipkarte
geplant
BAYERN
BERLIN.
Der
Berliner Gesund
heitssenator Ma
rio Czaja (CDU)
strebt an, die Ge
sundheitskarte für Flüchtlin
ge zum 1. Januar 2016 einzu
führen. Das kündigte er
jüngst bei einer offiziellen
Veranstaltung an. Die Versor
gung in der Hauptstadt hat in
der Vergangenheit nicht im
mer reibungslos funktioniert:
Seit Monaten drängen sich
vor dem zuständigen Landes
amt für Gesundheit und So
ziales (LaGeSo) Flüchtlinge,
um einen Registrierungster
min zu bekommen. Ehren
amtlich arbeitenden Ärzten
kommt eine Schlüsselrolle zu:
Mehr als 800 Ärzte haben ih
re Hilfe angeboten.
19 367 Asylanträge
Ziel ist der
1. Januar
BERLIN
Das AsylBeschleunigungsgesetz, das seit dem
24. Oktober in Kraft ist, schafft den rechtlichen Rahmen
für die Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Wie weit sind
die Vorbereitungen gediehen? Ein Überblick.
Chipkarte:
Wie ist der Stand?
Die Chipkarte soll auch Flüchtlingen einen einfachen Zugang zur medizinischen
Versorgung ermöglichen.
© HARALD TITTEL / DPA