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November 2015
BDI aktuell
Berufspolitik
Ende September haben sich Bund und
Länder auf ein Kompromisspapier ge­
einigt. Verabschiedet wurde es unter
dem Titel: „Gesetz zur schnelleren
Entlastung der Länder und Kommu­
nen bei der Aufnahme und Unterbrin­
gung von Asylbewerbern“. Das Gesetz
geht einher mit Sonderausgaben des
Bundes in Milliardenhöhe. Die ge­
sundheitspolitisch relevanten Be­
schlüsse hat man im „Asylverfahrenbe­
schleunigungsgesetz“ zusammengefasst
und Anfang Oktober verabschiedet.
Hierbei wurde die Einführung einer
Gesundheitskarte in die Hoheit der
Länder übergeben, Verbesserungen für
den Impfschutz der Asylbewerber be­
schlossen, für anerkannte Asylbewerber
ein verbesserter Zugang zu psychologi­
scher Betreuung festgehalten – sowie
die Möglichkeit eröffnet, dass Asylsu­
chende, die über eine abgeschlossene
Ausbildung in einem medizinischen
Heilberuf verfügen, in die medizinische
Erstversorgung von anderen Asylsu­
chenden eingebunden werden können.
Insbesondere der letzte Punkt soll mög­
lichst kurzfristig umgesetzt werden, in­
dem Asylsuchenden mit abgeschlosse­
ner Ausbildung als Arzt eine Ermächti­
gung zur vorübergehenden Ausübung
von Heilkunde ermöglicht wird, um die
Ärzte bei der medizinischen Versorgung
der Flüchtlinge zu unterstützen.
Knackpunkt Abrechnung
Weit mehr Bedeutung werden jedoch
die Regelungen finden, welche erst ab 1.
Januar 2016 in Kraft treten sollen und
die sich auf die neu gefassten Paragra­
fen 264 und 291 SGB V beziehen.
Bisher sind für die Versorgung von
Asylsuchenden die Kommunen zustän­
dig, hieran wird sich auch in Zukunft
nichts ändern. Dadurch gibt es aber
bundesweit unterschiedliche Abrech­
nungsverfahren. Dies ist vergleichbar
mit der Versorgung der Sozialhilfeemp­
fänger, die auch höchst unterschiedlich
gehandhabt wird. Paragraf 264 SGB V
sah in seiner alten Fassung vor, dass die
Kassen in die Lage versetzt werden, für
Hilfeempfänger die Kosten der Kran­
kenbehandlung zu übernehmen und
diese von der zuständigen Behörde zu­
rückerstattet zu bekommen. Darüber
hinaus erhalten sie einen Aufschlag als
Kompensation ihres Verwaltungsauf­
wandes. Von dieser Möglichkeit haben
bisher jedoch nur wenige Länder Ge­
brauch gemacht.
Der neue Paragraf 264 sieht nun
vor, dass, überall dort, wo die Bundes­
länder es für sinnvoll erachten, die
Kassen zur Übernahme der Kranken­
behandlung und den damit einherge­
henden Kosten verpflichtet werden
können. Hierzu bedarf es lediglich der
Beauftragung durch die oberste Lan­
desbehörde bzw. Landesregierung.
Die Übernahme der Krankenbehand­
lung und der Ersatz der Aufwendun­
gen­und Verwaltungskosten werden
über eine Vereinbarung geregelt. In
diesem Zusammenhang kann auch die
Gesundheitskarte ausgegeben werden.
Kassen müssen Vereinbarung schließen
Wird eine solche Beauftragung ausge­
sprochen, dann sind die Landesverbän­
de der Krankenkassen und Ersatzkassen
zu einem gemeinsamen Abschluss einer
Rahmenvereinbarung verpflichtet. Hie­
rin sollen insbesondere die Umsetzung
der leistungsrechtlichen Regelungen
nach den Paragrafen 4 und 6 des Asyl­
bewerberleistungsgesetzes (AsylbLG),
die Abrechnung der Leistungen und de­
ren Prüfung sowie der Ersatz der Auf­
wendungen und Verwaltung der Kassen
geregelt werden. Bei Ausgabe der Ge­
sundheitskarte muss ein Status verge­
ben werden, an dem erkennbar ist, dass
der Empfänger Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhält.
Dabei gilt nach dem Asylbewerber­
leistungsgesetz ein nur eingeschränk­
ter Anspruch auf medizinische Versor­
gung, der wie folgt begrenzt wird:
Ärztliche Behandlung
bei akuten Er­
krankungen und Schmerzzuständen ein­
schließlich der Versorgung mit Arznei­
und Verbandsmittel sowie Gewährung
sonstiger zur Genesung, Besserung oder
Linderung von Krankheiten und Krank­
heitsfolgen erforderliche Leistungen.
Gewährung
von ärztlicher und pfle­
gerischer Hilfe und Betreuung von
Hebammenhilfe sowie von Arznei­,
Verbandsmittel für Schwangere und
Wöchnerinnen.
Verabreichung
amtlich empfohlener
Schutzimpfungen und Vorsorgeunter­
suchungen.
Eine Versorgung
mit Zahnersatz er­
folgt nur und insoweit dies im Einzel­
fall aus medizinischen Gründen un­
aufschiebbar ist.
Was passiert mit Zusatzleistungen?
Die konkrete Umsetzung dieses Geset­
zes liegt wie geschildert bei den Län­
dern, sodass zukünftig mit einem Fli­
ckenteppich an Lösungen zu rechnen
ist (siehe die Länderberichte zur Chip­
karte auf dieser Seite).
Die Neuerungen versuchen zwar, ei­
ne Konkretisierung des Leistungsrechtes
zu ermöglichen. Allerdings wird eine
bundeseinheitliche Regelung nicht er­
füllt. Insofern bleibt offen, ob die in Pa­
ragraf 264 Abs. 1 dargestellten Rahmen­
vereinbarungen eine einheitliche Kon­
kretisierung des Leistungsanspruches
der Betroffenen zum Inhalt haben und
dies gegenüber dem Vertragsarzt offen
gelegt wird. Nicht sichergestellt wird zu­
dem, dass ggf. zusätzlich zu erbringende
Leistungen, die dann ebenso wie bei
GKV­Patienten vom Vertragsarzt über
die KV abzurechnen wären, nicht nach­
träglich mengenbegrenzenden Regulari­
en unterworfen werden. An dieser Stelle
sei auf Absatz 6 in Paragraf 264 hinge­
wiesen. Wie dieser Absatz künftig An­
wendung findet und eine Überführung
der erbrachten Leistung in die MGV er­
folgen kann, konnte von der KBV noch
nicht beantwortet werden. Daher skiz­
zieren wir nachfolgend noch einmal die
Zuständigkeiten bezüglich der Honorie­
rung der Leistungserbringung:
Erstaufnahmeeinrichtungen:
Hier
wird Asylsuchenden eine Eingangsun­
tersuchung angeboten (Kostenträ­
ger/Zuständigkeit: staatl. Gesundheits­
amt oder vertragliche Direktvereinba­
rungen mit Ärzten), die ggf. mit 1,0­
fachem GOÄ­Satz vergütet werden.
Asylbewerber bis 15 Monate Aufent­
halt
: Diese bekommen vom Sozialamt
einen begrenzt gültigen Behandlungs­
schein ausgestellt, die Kostenträger­
schaft liegt bei den Sozialhilfeträgern.
Ärzte rechnen über diesen Behand­
lungsschein ihre nach EBM erbrachten
Leistungen ab. Für diesen Personen­
kreis gilt ein eingeschränkter Anspruch
auf medizinische Versorgung (Akutbe­
handlungen gem. AsylbLG §§4 und 6).
Asylbewerber mit einer Aufenthalts­
dauer von mehr als 15 Monaten:
Hier
liegt die Zuständigkeit bei den Kassen.
Die Abrechnung soll – so die Planun­
gen – über die elektronische Gesund­
heitskarte mit einer entsprechenden
Kennzeichnung erfolgen, d.h. es gelten
§ 264 Abs. 2 SGB V und § 2 AsylbLG.
Der Leistungsanspruch ist dann iden­
tisch dem der gesetzlich Versicherten.
Insofern kann davon ausgegangen
werden, dass die Leistungen für Asylbe­
Durch das Asylbeschleunigungsgesetz soll alles einfacher
werden. Die Frage, welcher Leistungskatalog für die
medizinische Versorgung gilt, wurde allerdings nicht
eindeutig geklärt. Das sollen die Länder übernehmen –
und könnte Ärzte in Entscheidungsnöte bringen.
Flüchtlinge: Medizinische Verso
Von Tilo Radau
Akut­Versorgung in
einer österreichi­
schen Flüchtlings­
unterkunft. Für sol­
che Versorgungs­
fälle ist ist der Leis­
tungsrahmen in
Deutschland bis­
lang nur grob ab­
gesteckt. Die Kon­
kretisierung sollen
die einzelnen Bun­
desländer liefern.
© ANDREAS GEBERT/DPA
STUTTGART.
Die
baden­württem­
bergische Lan­
desregierung hat
bereits Eck­
punkte für die Einführung
der Gesundheitskarte für
Flüchtlinge festgelegt.
Kassen rechnen demnach
künftig mit dem Land
Leistungen ab. Die Pauscha­
le, die das Land an Stadt­
und Landkreise zahlt, soll
entsprechend um die
Gesundheitskosten gesenkt
werden. Die AOK als größte
gesetzliche Kasse im
Südwesten hat grundsätzli­
che Bereitschaft für das
Projekt angekündigt.
36 564 Asylanträge
(Anträge im Zeitraum Januar
bis September 2015, Quelle:
Bundesamt für Migration)
Eckpunkte sind
festgelegt
BADEN­WÜRTTEMBERG
MÜNCHEN.
Bay­
ern wird von der
Option zur Ein­
führung einer
Gesundheitskar­
te aktuell keinen Gebrauch
machen. „Das derzeitige
Versorgungssystem gewähr­
leistet auch ohne Gesund­
heitskarte ein dem Gesetz
entsprechendes Versor­
gungsniveau“, betont Ulrike
Sparka, Sprecherin des
Sozialministeriums. Unmit­
telbar nach der Ankunft im
Land erfolge ein Kurzscree­
ning, eine Untersuchung auf
offensichtliche Krankheiten,
Infektionen und Verletzun­
gen. In den ersten drei Ta­
gen nach Ankunft erfolge
außerdem die vorgeschriebe­
ne Erstuntersuchung.
45 867 Asylanträge
Keine Chipkarte
geplant
BAYERN
BERLIN.
Der
Berliner Gesund­
heitssenator Ma­
rio Czaja (CDU)
strebt an, die Ge­
sundheitskarte für Flüchtlin­
ge zum 1. Januar 2016 einzu­
führen. Das kündigte er
jüngst bei einer offiziellen
Veranstaltung an. Die Versor­
gung in der Hauptstadt hat in
der Vergangenheit nicht im­
mer reibungslos funktioniert:
Seit Monaten drängen sich
vor dem zuständigen Landes­
amt für Gesundheit und So­
ziales (LaGeSo) Flüchtlinge,
um einen Registrierungster­
min zu bekommen. Ehren­
amtlich arbeitenden Ärzten
kommt eine Schlüsselrolle zu:
Mehr als 800 Ärzte haben ih­
re Hilfe angeboten.
19 367 Asylanträge
Ziel ist der
1. Januar
BERLIN
Das Asyl­Beschleunigungsgesetz, das seit dem
24. Oktober in Kraft ist, schafft den rechtlichen Rahmen
für die Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Wie weit sind
die Vorbereitungen gediehen? Ein Überblick.
Chipkarte:
Wie ist der Stand?
Die Chipkarte soll auch Flüchtlingen einen einfachen Zugang zur medizinischen
Versorgung ermöglichen.
© HARALD TITTEL / DPA
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