BDI aktuell 11_2015 - page 6

Immer mehr Patienten informieren
sich vor einem Arztbesuch über das
Internet oder überprüfen Vorschlä­
ge zur Diagnose und Therapie über
dieses elektronische Medium. So
haben besonders aufgeklärte Pati­
enten schon vorher ihre Beschwer­
den etwa bei Wikipedia
­
pedia.de) eingegeben und kommen
zumindest mit einer medizinischen
Definition ihrer Symptomatik zum
Arzt, nach dem Motto: Wenn ich
meine Beschwerden mit den Anga­
ben im Internet vergleiche, habe ich
Angina pectoris.
Oft gelingt es nur mit Mühe,
wieder zur Schilderung der originä­
ren Beschwerden zurückzufinden.
Noch komplexer geht es bei der In­
formation über Risiken und Neben­
wirkungen diagnostischer und the­
rapeutischer Verfahren zu.
Fundamentale Fehleinschätzung
Hier kommt es zu manchen funda­
mentalen Fehleinschätzungen, weil
Risiken immer im Zusammenhang
mit dem individuellen Krankheitszu­
stand zu bewerten sind. Dazu ist der
einzelne Patient selten in der Lage.
Sein Verhalten wird emotional ge­
steuert. Bei Krankheiten spielt die
Angst vor der Wahrheit oft eine wich­
tige Rolle. Der Patient nutzt die In­
formation aus dem Internet dazu,
sein emotional motiviertes Verhalten
logisch zu begründen. Auch Ärzte
unterliegen oft diesem Verhaltens­
muster, wenn sie Patienten werden.
Diese Überlegungen setzen vo­
raus, dass die Internetinformatio­
nen sachlich richtig sind und nur
bei individueller Bewertung falsch
eingeschätzt werden. Stimmt das?
Das Ärzteteam der Central Kran­
kenversicherung hat rund 100 me­
dizinische Ratgeber­Websites un­
tersucht und ist zu einem alarmie­
renden Ergebnis gekommen: Mehr
als 30 Prozent der Websites stufte
das Team als mangelhaft und unge­
nügend ein. Im Interesse der Pati­
entensicherheit wird deshalb gefor­
dert, dass für Gesundheitsinforma­
tionen im Netz verbindliche Stan­
dards zu gelten haben.
Man sollte deshalb in der Praxis
oder in der Klinik ein Plakat aufhän­
gen mit der Aufforderung: Bevor Sie
das Internet konsultieren, fragen Sie
ihren behandelnden Arzt!
(HFS)
Gerade einmal eine Durchschnittsnote
von 4+ erreichten die rund 100
medizinischen Ratgeber­Websites, die
das Ärzteteam der Central Krankenver­
sicherungsseite geprüft hat. Nur neun
Online­Ratgeber wurden mit „gut“ be­
wertet, kein einziges mit „sehr gut“.
Zu Risiken
fragen Sie
Ihren Arzt
DR. INTERNET
Mit großer Mehrheit und in einem
Eilverfahren hat der Bundestag am
16. Oktober das umstrittene Gesetz
zur Vorratsdatenspeicherung be­
schlossen. Telekommunikationsun­
ternehmen und Internetprovider
müssen demnach Verkehrsdaten ih­
rer Dienste­Nutzer zehn Wochen
speichern. Dabei werden zwar Perso­
nen, Behörden und Organisationen
in sozialen oder kirchlichen Berei­
chen, die anonyme Beratung
anbieten, von der Speicherung aus­
genommen – für Ärzte und Kliniken
gilt diese Ausnahme aber nicht.
(reh)
Auch Arztdaten
werden erfasst
VORRATSDATENSPEICHERUNG
Die KV Schleswig­Holstein (KVSH)
arbeitet an einem Gutschein­Modell
als Lösung für die vom Gesetzgeber
geforderte Terminservicestelle. Das
Ziel: Die Praxen möglichst wenig be­
lasten, sich aber auch nicht weit vom
bisherigen Modell entfernen.
Die KV stellte das Modell auf ihrer
jüngsten Vertreterversammlung vor.
Die Idee stammt aus dem Berufsver­
band der Orthopäden und Unfallchir­
urgen und findet unter weiteren Ver­
bänden Zustimmung.
So soll das Modell funktionieren:
Patienten erhalten von ihrem Hausarzt
eine Überweisung und suchen sich zu­
nächst wie bislang selbst einen Fach­
arzt­Termin. Gelingt dies nicht in ak­
zeptabler Zeit, holt sich der Patient ei­
nen Überweisungscode beim Hausarzt
und wendet sich damit an die Termin­
servicestelle, die alle Daten von ihm
aufnimmt, ihm einen Facharzt in
Wohnortnähe und einen Gutschein­
code nennt. Mit diesem Code, der als
Etikett auf die Überweisung geklebt
wird, wendet sich der Patient an den
betreffenden Facharzt, der ihm einen
Termin innerhalb der gesetzlichen
Vier­Wochenfrist nennt.
Der Facharzt koppelt die Terminver­
einbarung über das elektronische
KVSH­Portal zurück, sodass dort eine
Auswertung aller vermittelten Termine
erfolgen kann. Die Terminservicestelle
stellt über einen Verteilungsalgorithmus
sicher, dass eine gleichmäßige Bean­
spruchung der Fachärzte unter Berück­
sichtigung der regionalen Dichte erfolgt.
Sollte kein Termin in einer Praxis mög­
lich sein, vermittelt die Stelle einen Ter­
min im Krankenhaus. Dazu sind eine
Rahmenvereinbarung mit der Kranken­
hausgesellschaft und feste Ansprech­
partner in den Kliniken erforderlich.
Das Modell erfüllt mehrere KV­Ziele:
Die meisten Patienten werden ohne Ein­
schaltung der Terminstelle ihren Fach­
arzttermin weiter selbst organisieren,
weil sie eine Wunschpraxis bevorzugen.
So wird wenig in die bisherige Praxis
eingegriffen. Fachärzte müssen eine be­
grenztere Zahl an Terminen als bei Al­
ternativmodellen an die Servicestelle
melden. Und es ist eine saubere Auswer­
tung der vermittelten Termine möglich.
KV­Vorstand Dr. Ralph Ennenbach
hofft, dass die Auswertung eine „Do­
kumentation des Unsinns“ der von
Ärzten unbeliebten Terminservicestel­
len ermöglicht. Er erwartet, dass Pati­
enten nur drei von fünf Terminen
wahrnehmen. Die KV stellte klar, dass
die Terminservicestelle zu vergleich­
baren Zeiten wie Arztpraxen erreich­
bar sein wird und von Patienten nicht
als „Medizinservicestelle“ genutzt
werden kann.
(di)
Die KV Schleswig­Holstein
will die ungeliebte Termin­
servicestelle mit einem Gut­
schein­Modell umsetzen. Es
soll Praxen wenig belasten.
Bürokratie­Diät: Per Gutschein zum Termin
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November 2015
BDI aktuell
Berufspolitik
Eine „Innovationsbremse“ sieht die
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
(DGK) in der im GKV­Versorgungs­
stärkungsgesetz geforderten Nutzen­
bewertung für bestimmte Medizinpro­
dukte. „Wir glauben, dass diese Rege­
lungen gewaltige Auswirkungen auf
die Einführung innovativer Medizin­
technik haben werden“, sagte DGK­
Präsident Professor Karl­Heinz Kuck
bei der DGK­Herbsttagung in Berlin.
Das Versorgungsstärkungsgesetz
sieht für Medizinprodukte mit hoher
Risikoklasse, die wie etwa Implantate
oder Herzschrittmacher invasiv einge­
setzt werden, eine Nutzenbewertung
vor. Anhand wissenschaftlicher Evi­
denz sei nachzuweisen, dass die Inno­
vation im Vergleich zu den bisher ein­
gesetzten Verfahren einen Zusatznut­
zen bringt, so Kuck. Er fürchtet, dass
sich die großen Erfolge, die in den ver­
gangenen 20 Jahren etwa bei der Re­
duzierung der kardialen Sterblichkeit
auch durch Innovationen bei Medizin­
produkten erreicht wurden, in Zukunft
nicht mehr so fortschreiben lassen.
Die große Frage der Zukunft werde
sein, wie sich der Zusatznutzen eines
Medizinprodukts überhaupt nachwei­
sen lasse. Die Methoden der Pharma­
industrie, wie etwa die placebokontrol­
lierte Studie oder die doppelte Ver­
blindung, seien nicht übertragbar.
Hohe GBA­Anforderungen befürchtet
Kuck äußerte die Befürchtung, dass
die Anforderungen an den Nachweis
durch den Gemeinsamen Bundesaus­
schuss (GBA) recht hoch angesetzt
werden könnten. Das bisher in
Deutschland praktizierte innovations­
freundliche Prinzip, nach dem Kran­
kenhäuser alle zugelassenen Verfahren
einsetzen dürfen, so lange sie nicht
verboten sind, werde womöglich durch
ein Konzept der Innovationsbremse
abgelöst. „Wenn die Hürden so hoch
sind, dass sie nicht refinanzierbar wer­
den, dann werden wir die neuen inno­
vativen Produkte nicht verfügbar be­
kommen oder nur mit erheblicher zeit­
licher Verzögerung“, warnte Kuck.
Zudem bestehe die Gefahr, dass
sich Forschergruppen und medizini­
sche Zentren aufgrund unrealistischer
Auflagen nicht mehr an internationa­
len Studien zu Medizinprodukten be­
teiligen können. Kuck nannte als Bei­
spiel aus der Vergangenheit eine Stu­
die zu einem elektrodenlosen Herz­
schrittmacher. Das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) hatte damals zur Auflage ge­
macht, nur Patienten einzuschließen,
die keinen anderen Herzschrittmacher
vertragen. „Das wäre in Deutschland
nur jeder 100000. Patient gewesen“,
so der DGK­Präsident. Mangels Pati­
enten sei die Studie hierzulande also
nicht durchführbar gewesen.
AOK fordert strengere Verfahren
Für neue Diskussion in der Debatte
um das Zulassungsverfahren für Medi­
zinprodukte könnte der Bandschei­
ben­Skandal in Niedersachsen sorgen.
Das Klinikum Leer berichtete von
zahlreichen Revisions­Operationen,
die nötig wurden, weil Patienten eine
defekte Bandscheiben­Prothese einge­
setzt bekommen haben.
Da die mangelhaften Prothesen
auch an andere Kliniken geliefert wur­
den, rechnen Kassen mit mehr als
11000 Fällen. Die AOK Niedersach­
sen hat in diesem Zusammenhang er­
neut ein strengeres Zulassungsverfah­
ren für Medizinprodukte gefordert.
(juk/ths)
Kardiologen: Hohe Hürden für
Innovationen treffen Patienten
Die Deutsche Gesellschaft
für Kardiologie schlägt
Alarm: Die vorgesehene
Nutzenbewertung für Medi­
zinprodukte wie Implantate
oder Herzschrittmacher
könnte sich als Fortschritts­
bremse erweisen.
Für Herzschrittmacher oder Implantate, die invasiv eingesetzt werden, sieht das Versorgungsstärkungsgesetz eine Nutzenbewertung vor.
© MATHIAS ERNERT, DEUTSCHES HERZZENTRUM BERLIN
In den vergangenen
20 Jahren ist die
kardiale Sterblich­
keit beim akuten
Herzinfarkt um 40
Prozent zurückge­
gangen.
Professor Karl­Heinz Kuck
Präsident der DGK
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