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Medizin
BDI aktuell
November 2015
15
Neurologen um Dr. Nathália Viso­
ná de Figueiredo aus São Paulo
dachten nicht gleich an Neurolues,
als sich bei ihnen eine 50­jährige
Frau mit plötzlicher Hemiparese
und einer linksseitigen taktilen Hy­
poästhesie vorstellte (JAMA Neu­
rol., online 27. April). Das MRT
deutete auf einen ischämischen
Schlaganfall in der rechten tempo­
parietalen Region. Zudem war an­
deutungsweise ein Basilar­Aneurys­
ma zu erkennen. Die Angiografie
bestätigte die Gefäßaussackung und
deckte zwei weitere Aneurysmen in
der mittleren Zerebralarterie auf.
Die Neurologen hätten es nun
dabei belassen können: Mehrere
Aneurysmen und ein Schlaganfall,
eigentlich schien damit alles klar.
Stutzig wurden sie jedoch, als ihnen
der schlechte kognitive Zustand der
Patientin auffiel. Im Mini­Mental­
Status­Test schaffte sie gerade noch
20 Punkte und hatte damit fast
schon eine moderate Demenz. Die
Neurologen wollten eine infektiöse
Ursache ausschließen und veran­
lassten eine Liquoruntersuchung.
Dabei fanden sie eine erhöhte Pro­
teinkonzentration, der VDRL­Test
auf Treponema pallidum war posi­
tiv, und es zeigten sich im Blut An­
tikörper gegen den Erreger.
Aneurysmen kommen immer
wieder bei Syphilis­Infektionen vor.
Vermutet wird, dass die Erreger die
Gefäßwände infiltrieren und zu ei­
ner Entzündungsreaktion führen,
die dann auch Infarkte auslösen
kann. Die Forscher konnten einen
Zufallsbefund zwar nicht ausschlie­
ßen, vermuteten aber einen Zusam­
menhang zwischen der Infektion,
der frühen Demenz, den Aneurys­
men und dem Schlaganfall. Vor al­
lem bei einer präsenilen Demenz
sollten Ärzte auch eine infektiöse
Ursache wie Syphilis ausschließen,
schreiben sie. In dem beschriebe­
nen Fall kam die Hilfe jedoch zu
spät: Trotz Penicillin­Antibiose ver­
besserte sich die kognitive Leistung
nicht mehr.
Seit 1990 hat sich die Syphilis­
Inzidenz in etwa verdreifacht; jähr­
lich werden zwischen 3000 und
3500 Neuerkrankungen in
Deutschland gemeldet. Da eine
Neurosyphilis mit gewisser Latenz
auftritt, könnten auch in Deutsch­
land bald wieder häufiger ZNS­
Komplikationen durch Treponema
pallidum beobachtet werden.
(mut)
Demenz mit
50: Schuld war
die Syphilis
Eine 50­Jährige wurde
durch geistigen Abbau,
neurologische Probleme,
Aneurysmen und Apo­
plexie auffällig.
KASUISTIK
Den Autoren von der Pittsburgher
Uniklinik wird ein 46­jähriger Patient
zur Abklärung von Radikulopathie­Be­
schwerden zugewiesen (Clin Orthop
Relat Res 2015; online 10. April). Seit
er vor einem Jahr ein schweres Arbeits­
gerät gehoben hat, leidet der Mann an
Kreuzweh und an Schmerzen, die vom
rechten hinteren Oberschenkelbereich
aus in den Unterschenkel und den
Fuß ausstrahlen.
Seine Symptome führen den Pati­
enten zuerst zum Chiropraktiker, ohne
Erfolg. Der Hausarzt verordnet physi­
kalische Therapie. Als das nichts
bringt, veranlasst er ein MRT und
schickt den Mann zum Spezialisten für
epidurale Steroidinjektionen. Es tritt
keine Besserung ein. Parallel beginnt
eine Gabapentin­Therapie. Der Mann
erzählt den Orthopäden auch von ei­
ner ipsilateralen Oberschenkelzerrung.
Seine Beschwerden, so sagt er, näh­
men beim Sitzen zu.
Die Untersuchung des rechten
Beins ergibt eine normale Kraft im
Unterschenkel, eine Sensibilitätsmin­
derung an der Unterseite der Ferse
und seitlich am Fuß sowie einen abge­
schwächten Achillessehnenreflex. Bei
der Palpation des Oberschenkels ist in
der Tiefe des Weichteilgewebes eine
Raumforderung tastbar. Das Hoff­
mann­Tinel­Zeichen ist positiv, die
Parästhesien strahlen beim Palpieren
in den Fuß aus. Nachdem das MRT
der LWS die Symptome nicht klärt,
werden eine konventionelle Röntgen­
aufnahme und ein Kontrast­MRT ge­
macht. Schon im Röntgenbild zeigt
sich eine Weichteilverdichtung im hin­
teren rechten Oberschenkel. Das
MRT zeigt eine 6 x 7 cm große Weich­
teilmasse, die den Ischiasnerv um­
schließt. Weitere Tests sichern die Di­
agnose: extraossäres Ewing­Sarkom.
Das Staging verläuft negativ. Der Pati­
ent unterzieht sich präoperativ drei
Chemotherapie­Zyklen mit Vincristin,
Ifosfamid, Doxorubicin und Etoposid.
Dies lässt den Tumor schrumpfen.
Vier Wochen nach dem letzten Zyklus
wird der Tumor chirurgisch en bloc
entfernt. Postoperativ erhält der Pati­
ent zwei adjuvante Chemotherapie­Zy­
klen wie gehabt, dazu noch vier Zyklen
mit Vincristin, Actinomycin und Ifos­
famid.
(rb)
Orthopäden berichten über
eine nicht alltägliche Ursa­
che für die Symptome einer
lumbalen Radikulopathie.
Lumbale Radikulopathie: Die Bandscheibe war es nicht!
Eine 34­jährige Patientin stellte sich
vor mit arterieller Hypertonie, die seit
vier Jahren bekannt ist. Ambulant war
zur Abklärung der Hypertonie eine
farbkodierte Duplexsonographie der
Nierenarterien durchgeführt worden.
Aktuell ist der Blutdruck unter der
Medikation mit Metoprolol 95 mg 1­
0­0 gut eingestellt. Es bestehen keine
weiteren Beschwerden.
Klinischer Befund
Patientin in altersentsprechendem AZ
und schlankem EZ. Herz, Lunge und
Abdomen mit unauffälligem Untersu­
chungsbefund. Blutdruck bei stationä­
rer Aufnahme 134/93 mmHg.
Labor und apparative Untersuchungen
Unauffällige Werte für Blutbild, Krea­
tinin, Harnstoff, Elektrolyte, Leber­
werte, CrP, CK, LDH und venöse
Blutgasanalyse.
Die farbkodierte Dupexsonogra­
phie zeigt eine unauffällige linke Nie­
renarterie mit einem V
max
unter 1 m/s.
Die rechte Nierenarterie hingegen
zeigt im Abgang ein pathologisches
Strömungssignal mit reduzierter Amp­
litude und vermindertem Strömungs­
anstieg; 2 cm nach Abgang dann Tur­
bulenzen und eine Strömungsbe­
schleunigung bis auf über 4 m/s. Intra­
renal weisen beide Nieren eine deut­
lich seitendifferente Perfusion auf. Der
Resistance­Index ist rechts
(0,43–0,45) deutlich kleiner als links
(0,56–0,61). Die rechte Niere ist mit
einem Längsdurchmesser von 9,5 cm
deutlich kleiner als die linke Niere mit
11,7 cm.
Die Langzeitblutdruckmessung
zeigt einen Mittelwert von 132/83,
tagsüber 135/85 und nachts 121/74.
Prozedere
Bei der Patientin wurde eine Angio­
graphie durchgeführt (siehe Abbildung
1).
Es zeigte sich eine kurzstreckige
mittelgradige Stenose der A. renalis
dextra unmittelbar proximal der Auf­
zweigung sowie mehrere hintereinan­
dergeschaltete, perlschnurartige Ein­
engungen im unteren Hauptast. Die
Diagnose: Nierenarterienstenose
rechts durch fibromuskuläre Dysplasie
Diagnostik und Therapie
Warum sucht man bei einem Hoch­
druckpatienten eine Nierenarterienste­
nose? Zum einen möchte man durch
Korrektur der Stenose den Blutdruck
senken und zum anderen die Nieren­
funktion verbessern oder eine zukünf­
tige Verschlechterung der Nierenfunk­
tion der stenosierten Niere verhindern.
Angioplastie und Stentung von arte­
riosklerotischen Stenosen sind inzwi­
schen technisch leicht durchzuführen,
gut etabliert und werden flächende­
ckend durchgeführt.
Senken Angioplastie und Stent den
Blutdruck und verbessern die Nieren­
funktion? Die Antwort fällt leider ne­
gativ aus. Mit CORAL ist die bisher
größte randomisierte Studie publiziert
worden, bei der Patienten mit arterio­
sklerotischer Nierenarterienstenose di­
latiert oder medikamentös behandelt
wurden (N Engl J Med 2014;
370:13–22). Über einen Zeitraum von
fünf Jahren ergab die Korrektur der
Stenose keinen Benefit in renalen und
kardiovaskulären Endpunkten. Sie be­
stätigt damit die Ergebnisse der
ASTRAL­und der STAR­Studie (N
Engl J Med 2009; 361:1953–1962,
Ann Intern Med 2014; 150:840–848).
Wie immer, wenn eine Studie liebge­
wonnene Eingriffe in Frage stellt, gibt
es Kritik an der Studie. Die vermutlich
beste Erklärung für den negativen
Ausgang der randomisierten Studien
ist, dass die in den Studien und damit
auch im klinischen Alltag dilatierten
Stenosen weder für den Hochdruck
noch für die Niereninsuffizienz verant­
wortlich sind und damit ihre technisch
erfolgreiche Korrektur auch beide
nicht beeinflussen kann. Es mag noch
Einzelindikationen für die Korrektur
von arteriosklerotischen Nierenarte­
rienstenosen geben, ein routinemäßi­
ges Suchen danach und Korrigieren
kann nicht mehr empfohlen werden.
Anders sieht es bei jungen Hoch­
druckpatienten aus. Bei ihnen liegen
parallel keine essenzielle Hypertonie
und keine Nierenerkrankung vor. Kor­
rektur der Stenose durch Ballonangio­
plastie führt zu einer langanhaltenden
Offenheit der Arterie und senkt den
Blutdruck (J Hypertens 2014;
32:1367–1378). Stenteinlage ist in den
meisten Fällen nicht notwendig. Auch
hier liegen keine randomisierten Stu­
dien vor, die Intervention mit medika­
mentöser Therapie vergleichen.
Da aber die Intervention einen so
eindeutigen Erfolg hat und fibromus­
kuläre Nierenarterienstenosen sehr
selten sind, sind randomisierte Studien
ethisch nicht vertretbar und auch nicht
möglich. Im vorliegenden Fall war die
Stenose sicher hämodynamisch rele­
vant, da es schon zur Schrumpfung
der betroffenen Niere gekommen war.
Eine Größendifferenz von mehr als 1
cm ist eine harte Indikation für eine
Angioplastie (J Hypertens 2014;
32:1367–1378).
Weiteres Prozedere und Verlauf
Es wurde eine erfolgreiche perkutane,
transluminale Angioplastie der Eng­
stellen in der rechten Nierenarterie
durchgeführt (siehe Abbildung 2). Es
wurde Acetylsalicylsäure (ASS) 100
mg 1­0­0 für 4 Wochen verordnet. Der
bei Entlassung gemessene Blutdruck
betrug 111/60 mmHg.
Quelle: Turner J­E,Henes F O et al (2015)
Arterielle Hypertonie bei einer jungen Pati­
entin ­ Dos and Don‘ts in Diagnostik und
Therapie der sekundären Hypertonie.
Nephrologe 10:135­136. Der Abdruck
erfolgte mit freundlicher Genehmigung der
Autoren.
Die Kasuistik stellt den Fall
einer 34­jährigen Patientin
mit arterieller Hypertonie
vor. Es stellt sich heraus,
dass eine Stenose der
rechten Nierenarterie durch
fibromuskuläre Dysplasie
für den Bluthochdruck
verantwortlich ist.
Kasuistik: Arterielle Hypertonie
bei einer jungen Patientin
Von J.­E­Turner, F. O. Henes et al.
Abb.1: Aortographie: Kurzstreckige mittelgradige Stenose der A. renalis dextra proximal
der Aufzweigung sowie Einengungen im unteren Hauptast.
© SPRINGER VERLAG GMBH
Fazit für die Praxis
Die Indikationsstellung
zur
Diagnostik und Intervention bei
atherosklerotischen Nieren­
arterienstenosen sollte
zurückhaltend erfolgen. Eine
Intervention mag weiterhin
sinnvoll sein bei ausgewählten
Hochrisikopatienten.
Bei jungen Hochdruckpatienten
,
insbesondere bei Frauen, ist eine
Nierenarteriendiagnostik
weiterhin sinnvoll, und
fibromuskuläre Stenosen können
und sollten angegangen werden.
Abb. 2: Angiographie der rechten Nierenarterie vor (a) und nach (b) erfolgreicher
perkutaner transluminaler Angioplastie mittels Ballonkatheter.
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