Als am 10. November 1989 im Hause
der Arztfamilie Milbradt zum Schlach
tefest geladen wurde, mussten Familie
und Freunde sehr lange auf den Haus
arzt Dr. Peter Hermanns aus Ham
burg warten. Der schwamm an diesem
Tag gewissermaßen gegen den Strom:
„Alle wollten in den Westen, Peter
Hermanns kam zu uns in den Osten.
Zeitlich genutzt hat ihm das wenig.“
Die Bekanntschaft der beiden All
gemeinmediziner reichte schon einige
Jahre zurück. Allgemeinmediziner und
Radiologe Dr. Uwe Milbradt aus Had
mersleben in SachsenAnhalt erzählt:
„Ich habe die den DDRÄrzten einge
räumte Möglichkeit genutzt, in West
zeitschriften publizierte Fachbeiträge
zu bestellen. Ein Artikel über Ultra
schalluntersuchungen hat mich sehr
interessiert. Ich wollte den Autoren
kennenlernen und kam schließlich
nicht nur mit Peter Hermanns in Kon
takt, sondern etliche Zeit später sogar
in den Besitz eines gebrauchten Ultra
schallgeräts.“
100 000 DDRMark Zoll gefordert
Das Ultraschallgerät sollte gesponsert
werden, der Transport auch. Das hatte
Hermanns organisiert. Aber die DDR
wollte dafür einen Zoll in Höhe von
100000 DDRMark erheben. Nach
unendlichen Gesprächen zwischen
West und Ost, zwischen Hadmersle
ben und Berlin war die Summe auf
5000 Mark herabgesetzt worden. Die
bezahlte Milbradt aus eigener Tasche.
Doch das Gerät durfte deshalb
noch lange nicht in seiner eigenen Pra
xis in Hadmersleben nahe Magdeburg
aufgestellt werden. „Mir wurde gestat
tet, in der Poliklinik Wanzleben einen
Raum für den Ultraschall zu mieten.“
Begründet wurde diese Anordnung
nie, wie so viele Ungereimtheiten.
„Mir war das letztlich auch egal. Ich
konnte endlich sonografieren.“ Drei
Jahre vor der Wende gab es damit ge
nau drei Ultraschallgeräte im heutigen
SachsenAnhalt.
Kleine Praxis wurde zum MVZ
1986 ist dann auch Margit Milbradt,
bis dato Lehrerin, in die Praxis ihres
Mannes gewechselt. „Während der
Ultraschalluntersuchungen in Wanzle
ben war die Praxis ja praktisch nicht
besetzt. Um den Patienten nicht das
Gefühl zu geben, wir lassen sie im Re
gen stehen, saß ich immer am Telefon
und konnte meinen Mann in Notfällen
informieren.“
Bis heute arbeitet sie mit in der
Hadmerslebener Praxis, die nun aller
dings ein MVZ mit insgesamt 25 Be
schäftigten und fünf Außenstellen ist.
Derzeit investieren die drei MVZGe
sellschafter – neben Uwe Milbradt
zwei weitere Ärzte – in einen Neubau
im benachbarten Wanzleben. Hier
wollen sie ein Domizil für ihr ambu
lantes geriatrisches Rehabilitationszen
trum schaffen, das sie im April dieses
Jahres eröffnet haben.
Schon heute lässt sich absehen: Das
Konzept geht auf. „Gemeinsam geht
eben vieles besser.“ Eine frühe Er
kenntnis von Uwe Milbradt, dem es
nie gleichgültig war, wenn Poliklinik
Ärzte ihm zu DDRZeiten ankreide
ten, weitaus mehr Patienten zu haben.
Wohl auch, weil ihm das Konkurrenz
gehabe immer gewaltig auf die Nerven
ging, entschied sich der Landarzt
gleich nach der Wende für eine Ge
meinschaftspraxis.
Praktisch zeitgleich wurde das klei
ne Hadmersleben zum zentralen An
laufpunkt für viele Ärzte des Landes.
„Ich hatte Anfang 1984 nach vielen Ir
rungen und Wirrungen die Praxis mei
nes verstorbenen Vaters übernehmen
dürfen und war seither in freier Nie
derlassung. Im Gegensatz zu den
meisten meiner Kollegen konnte ich so
bereits einige Erfahrungen weiter ge
ben und vor allem Mut machen. Die
Unsicherheit war groß. Keiner wusste
so recht, wie es weitergehen sollte.“
Uwe Milbradt vermittelte nicht nur
Wissen, er machte sich auch schlau,
„drüben, im Westen“, bei KBV und
Bundesärztekammer. Schließlich ließ
er einen kleinen Beitrag in die Tages
zeitung setzen und lud zum Treffen in
den Hadmerslebener Ratskeller ein.
Etwa 100 Ärzte beratschlagten hier,
wie es weiter gehen sollte, und wählten
auch gleich Verantwortliche Kreisstel
lensprecher für die einzelnen Kreise.
Zum zweiten Ärztetreffen, das die Mil
bradts einige Wochen später, am 28.
März 1990 im einstigen LPG Kultur
haus von Hadmersleben organisiert
hatten, kamen schon mehr als 500 In
teressierte. „Das war dann die Grün
dungsveranstaltung für die erste Kas
senärztliche Vereinigung SachsenAn
halts als Verein.“
Rückzug aus der Standespolitik
Ein Jahr nach der Wende hat sich Uwe
Milbradt völlig aus der Standespolitik
zurückgezogen. „Die Arbeit in der
Praxis“, sagt seine Frau, „war nicht
mehr zu schaffen.“ Er sagt: „Hier auf
dem Land ist man ehrlich. Die Patien
ten haben klar gefragt: Willst du nun
Funktionär werden oder unser Arzt
bleiben?“ Er entschied sich für die
Arbeit in der Praxis.
Ein bisschen schmerzt allerdings
auch heute noch, dass er seine Visio
nen nicht umsetzen konnte. „Heute
wird mühsam aufgebaut, was damals
ohne Überlegung zerschlagen wurde.
Der Versuch, Polikliniken in Ärzte
häuser mit eigenverantwortlichen Pra
xisinhabern umzuwandeln, wurde
nicht unternommen.“ Das WestSys
tem zu übernehmen, sei der einfache
re Weg gewesen. So bleibt denn fast
am Ende eines langen und sehr erfolg
reichen Berufslebens in zwei verschie
denen Welten, die ebenso bittere wie
schöne Erkenntnis: „Wir hatten viele
Feinde, aber unsere Patienten haben
immer zu uns gestanden. Sie waren
und sind unsere Freunde.“
Der Allgemeinmediziner
und Radiologe Dr. Uwe
Milbradt war zu DDRZeiten
einer von wenigen Ärzten in
eigener Niederlassung.
Bereits Anfang 1990
initiierte er die Gründung
der Kassenärztlichen Verei
nigung SachsenAnhalt.
Wendejahre: Arzt zwischen zwei Welten
Dr. Uwe Milbradt und sein Team arbeiten auch heute nach dem Motto Gemeinsam geht vieles besser.
© PETRA ZIELER
Von Petra Zieler
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Wir hatten viele
Feinde, aber
unsere Patienten
haben immer zu
uns gestanden.
Sie waren und sind
unsere Freunde.
Dr. Uwe Milbradt
Allgemeinmediziner und Radiologe
aus Hadmersleben nahe Magdeburg
in SachsenAnhalt
16
November 2015
BDI aktuell
Panorama
ZITIERT
Das BMG und die
breite Mehrheit der
Gesundheitspolitik
vertrauen der Selbst
verwaltung. Allerdings
ist das Vertrauen
nicht grenzenlos.
Vertrauen ist gut,
Kontrolle ist besser!
Lutz Stroppe
, beamteter Staatssekretär
im Gesundheitsministerium, beim
Festakt zum 60jährigen Bestehen der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV) am 30. September in Berlin
TOMICEKS WELT
FaceBook
Der Stock als Sinnbild einer älte
ren, gesundheitlich angeschlagenen
Dame? Als unverzichtbares Acces
soire des geschwächten Rentners?
Dieses Bild mag in vielen Köpfen
zwar präsent sein, doch dass man
damit nicht immer richtig liegt, hat
nun eine 62jährige Verkäuferin in
Berlin gelehrt: In einem Spätkauf
hat sie einen mutmaßlichen Räuber
mit ihrem Krückstock in die Flucht
geschlagen. Als der Unbekannte
unter Vorhalten eines Messers die
Herausgabe von Bargeld von der
Dame forderte, kam sie ihm nicht
nach, sondern schlug mehrmals mit
ihrem Krückstock auf ihn ein. Der
junge Mann flüchtete daraufhin oh
ne Beute. Seine Lektion hat er aus
der Begegnung vielleicht gelernt –
und wird sich beim nächsten Mal
wohl nicht mehr auf die Assoziation
in seinem Kopf verlassen. Immer
hin kann der Krückstock auch Tar
nung sein – einer zwar älteren, aber
durchaus fitten und reaktions
schnellen Kämpfernatur.
(dpa/jk)
Mit Krückstock
gegen den
Bösewicht
AUCH DAS NOCH