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BDI aktuell
November 2015
Berufspolitik
enn mehr Honorar fließt, wäre das nor­
malerweise ein Anlass zur Freude. Die
positive Nachricht lautete Mitte Septem­
ber: Der Orientierungswert für ärztliche und psy­
chotherapeutische Leistungen steigt im nächsten
Jahr um 1,6%. Der Punktwert erhöht sich damit
ab 1. Januar 2016 von jetzt 10,2718 Cent auf le­
diglich 10,4361 Cent. Damit werden die gestie­
genen Investitions­ und Praxiskosten nicht in vol­
ler Höhe ausgeglichen und gerade einmal die ge­
stiegenen Lebenshaltungskosten gedeckt – wahr­
lich kein Grund zum Jubeln.
Die Honorarverhandlungen hatten Mitte Au­
gust auf Bundesebene begonnen. Bei der Leis­
W
tungsmenge konnten sich KBV und GKV­Spit­
zenverband schnell einigen, nur bei den Preisen
nicht. Die Krankenkassen wollten den Orientie­
rungswert nur um 0,4% anheben. Die KBV for­
derte hingegen ein Plus von 2,6%. Da auf dem
Verhandlungsweg keine Einigung erreicht werden
konnte, musste der Erweiterte
Bewertungsausschuss entschei­
den.
Die Situation ist und bleibt
unbefriedigend. Die Budgetie­
rung sorgt dafür, dass rund 20%
der ärztlichen Leistungen gar
nicht bezahlt werden. Für den
Nachwuchs entsteht immer we­
niger Anreiz, das wirtschaftliche Risiko einer
Niederlassung auf sich zu nehmen. Für die be­
stehenden Praxen vergrößert sich die Investiti­
onslücke zunehmend.
Im stationären Bereich müssen wir schon seit
Jahren mit denselben Problemen leben. Hier
fehlt es spürbar an Personal und einem fairen
Vergütungssystem. Die Investitionsmittel für die
Kliniken werden von den Ländern trotz gesetzli­
cher Pflicht nicht in ausreichender Höhe aufge­
bracht. Bundesärztekammer­Präsident Dr. Frank
Ulrich Montgomery fordert die Politik dazu auf,
die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Klini­
ken weiterhin gute Qualität liefern können. Not­
wendig sind neue Stellen, ein finanzieller Aus­
gleich für Tarifsteigerungen und endlich mehr
Investitionsmittel der Länder. Das ist auch die
Forderung des Berufsverbandes Deutscher Inter­
nisten (BDI). Das geplante Krankenhausstruk­
turgesetz bleibt hinter den selbst gesteckten Zie­
len des Koalitionsvertrages zurück und bietet
keine dauerhafte Lösung für die Finanzierungs­
probleme wirtschaftlich gefährdeter Kliniken,
kritisiert Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Mar­
burger Bundes und als Internist auch Mitglied
des BDI.
Nicht besser steht es um die Verpflichtung der
Länder, für die Investitionen der Krankenhäuser
zu sorgen. Diese Pflicht negieren sie weitgehend.
Im Jahr 1993 zahlten die Länder noch 3,9 Milli­
arden Euro, im Jahr 2013 waren es nur noch 2,7
Milliarden. Nach seriösen Berechnungen sind
mehr als sechs Milliarden Euro im Jahr notwen­
dig. Die Politik schreibt nun das Investitionsvolu­
men der Länder auf den Durchschnitt der Jahre
2012 bis 2014 fest. Das hat zur Folge, dass die
Kliniken dieses Geld durch mehr Umsatz, sprich
Leistungsvermehrung hereinholen müssen. Das
erhöht den Druck auf die Ärzte und anderen
Mitarbeiter in den Kliniken und geht zu Lasten
der Patienten.
Ihr
Wolfgang Wesiack
Punktwertanhebung:KeinGrundzumJubeln
EDITORIAL
Von Dr. Wolfgang Wesiack
Präsident des BDI
Die Budgetierung sorgt dafür,
dass rund 20 Prozent der
ärztlichen Leistungen gar nicht
bezahlt werden.
„Die Menschen müssen sich darauf ver­
lassen können, nach dem neuesten me­
dizinischen Stand und in bester Qualität
behandelt zu werden.“ – Diese Zeilen
aus dem Koalitionsvertrag umreißen
laut Ingrid Fischbach, Parlamentarische
Staatssekretärin im Bundesministerium
für Gesundheit (BMG) treffend einen
Schwerpunkt der aktuellen Kranken­
hausreform. Gemeint ist damit nicht
nur das Vorhaben, die Krankenhauspla­
nung stärker mit der Qualitätssicherung
zu verzahnen. „Wir glauben an die Be­
lohnung für gute Qualität durch eine
qualitätsorientierte Vergütung wie mit
dem Krankenhausstrukturgesetz vorge­
sehen“, sagte sie am 1. Oktober zum
Auftakt der GBA­Qualitätssicherungs­
konferenz.
3,5 Millionen Datensätze erfasst
Dabei hätte die Politik gerne rechtssi­
chere Kriterien – insbesondere für die
Krankenhausplanung. Die bisherige
Qualitätssicherung in den Kliniken ist
dafür nicht ausgelegt. Deshalb soll der
Gemeinsame Bundesausschuss bis
Ende des Jahres Qualitätsindikatoren
entwickeln, die diesem Anspruch ge­
recht werden.
Doch gerade der für die Kliniken
aktuell vorgestellte Qualitätsreport
2014 zeigt, wie schwierig es bleibt, va­
lide und damit vergleichbare Daten zu
ermitteln. Seit Jahren bereitet das
Göttinger AQUA­Institut nun schon
die Daten für den jährlich erscheinen­
den Report auf. Für die aktuelle Aus­
gabe wurden in 1557 Krankenhäusern
rund 3,5 Millionen Datensätze zu 416
Qualitätsindikatoren aus 30 Leistungs­
bereichen erhoben. Dass sich bei sol­
chen Datenmengen und den ganz un­
terschiedlichen Krankenhausinformati­
onssystemen und Dokumentationsab­
läufen in den Kliniken die Datensätze
nicht eins­zu­eins entsprechen, ist nicht
auszuschließen. Selbst im Report 2014
heißt es: Die Zahl der Kliniken mit ei­
ner rechnerisch auffälligen Unterdoku­
mentation sei im Vergleich zum Vorjahr
zwar deutlich zurückgegangen. „An­
hand der Ergebnisse des Stichproben­
verfahrens mit Datenabgleich wird aller­
dings deutlich, dass die Datenvalidität
der betrachteten Krankenhäuser in den
untersuchten Leistungsbereichen vari­
iert.“ Dieses Problem werden weder ei­
ne Anpassung, noch neu geschaffene
Qualitätsindikatoren auf die Schnelle
beheben.
Überhaupt nicht über die Indi­
katoren abgebildet wird zudem der
„Hamsterrad­
Effekt“, in
dem sich viele Kliniken befinden. Die
Personaldecke wird nicht über die In­
dikatoren erfasst. Der Qualitätsreport
2014 zeigt aber, dass personelle Eng­
pässe ebenso wie die Fusionierung
von Häusern und Abteilung mit als
Gründe für unzureichende Datendo­
kumentation angegeben werden.
So wundert es nicht, dass Dr. Regina
Klakow­Frank, unparteiisches Mitglied
im GBA in ihrem Vorwort zu dem Re­
port schreibt: Die mit der „Hamster­
rad­Situation“ einhergehende Arbeits­
verdichtung „stellt derzeit wohl den rele­
vantesten Risikofaktor für eine Aufrecht­
erhaltung der stationären Versorgungs­
qualität und Patientensicherheit dar“.
Hier glaubt die Politik jedoch
scheinbar, mit dem 800­Millionen­
Euro­Paket, das sie für das Klinikper­
sonal geschnürt hat – wovon 500 Mil­
lionen Euro allein in die Aufsto­
ckung der Pflege fließen sollen –
genug getan zu haben.
Ein anderer Knackpunkt ist die Ri­
sikoadjustierung der Indikatoren.
Im Erfassungsjahr 2014 waren
gerade einmal 139 der 416
Qualitätsindikatoren risi­
koadjustiert. Bei 140
konnte ein Regressi­
ons­Verfahren ange­
wandt werden, so­
mit konnten die
Daten über Re­
chenverfahren
vergleichbar gemacht werden. Bei 137
Indikatoren war dies wegen „statistischer
Limitationen“ nicht möglich.
Einen äußerst wichtigen Punkt,
wenn es um Daten für die Kranken­
hausplanung geht, führt zudem die
Bundesärztekammer (BÄK) in ihrem
Positionspapier zur geplanten Ände­
rung der Qualitätssicherung an: Die
Qualität der Versorgung in den Klini­
ken ist regional unterschiedlich – das
gilt insbesondere beim Vergleich von
Ballungszentren mit ländlichen Regio­
nen. „Die Definition von Qualitätsan­
forderungen müsste somit regional
angepasst und weniger bundeseinheit­
lich definiert werden“, fordert die
BÄK zu Recht.
Freibrief für die Länder?
Es wird also der Kardinalfehler der am­
bulanten Bedarfsplanung wiederholt: Es
soll eine Bewertung des Versorgungsbe­
darfs stattfinden, ohne dass verlässliche
Daten, die die Versorgungsgrade tat­
sächlich abbilden, herangezogen wer­
den. Wenn einzelne Bundesländer an­
hand von Qualitätsindikatoren ver­
meintlich schlechte Krankenhäuser aus
dem Krankenhausplan verbannen kön­
nen, gibt man ihnen zudem ein weiteres
Werkzeug an die Hand, um sich ihrer
Investitionsverpflichtung zu entziehen.
Denn Mängel in der Qualität – wohl ge­
merkt im Vergleich zu anderen Kran­
kenhäusern – zeugen nicht immer nur
von Missmanagement und vermeintlich
schlechtem Personal. Vielen Kranken­
häusern fehlen wie gesagt schlicht die
nötigen Finanzmittel, um Investitionen
in Personal und Medizintechnik zu täti­
gen.
Der Qualitätsvergleich ist für die Pa­
tientenversorgung wichtig. Mit dem
Krankenhausstrukturgesetz droht die
Qualitätssicherung aber als reines Kont­
rollinstrument zu verkommen. Ihr ei­
gentlicher Zweck, die Weiterentwick­
lung der Qualität in der Versorgung und
das Lernen voneinander rückt dann in
den Hintergrund.
SIEHE AUCH SEITE 4
Die Krankenhausplanung
soll künftig auf Daten der
Qualitätssicherung fußen.
Dabei droht der Gesetzgeber
die Fehler aus der ambu­
lanten Bedarfsplanung zu
wiederholen.
SCHWERPUNKT
Qualitätsindikatoren:
Wie valide können die Daten sein?
Von Rebekka Höhl
Werden im künftigen Krankenhausplan Äpfel mit Birnen
verglichen? In die Qualitätsindikatoren fließen die personelle
Ausstattung der Häuser und regionale Begebenheiten
zumindest nicht ein.
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