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Oktober 2015
BDI aktuell
Medizin
Ein 61­jähriger männlicher Patient
stellte sich stationär vor. Er berichtete,
seit über zwei Wochen unter vermehr­
tem Stuhldrang zu leiden. Die Defäka­
tion selbst sei schmerzhaft und er ver­
spüre im Anschluss daran einen bren­
nenden analen Schmerz. Der Stuhl­
gang sei eher von weicher bis schleimi­
ger Konsistenz, Blut oder Teerstuhl
habe er jedoch nicht beobachtet. Fie­
ber, Nachtschweiß und Gewichtsver­
lust wurden verneint.
Der Patient präsentierte sich in gu­
tem Allgemein­und Ernährungszu­
stand. Die klinische körperliche Un­
tersuchung ergab zunächst keine Auf­
fälligkeiten. Im Aufnahmelabor fand
sich ein diskret erhöhter Wert für das
C­reaktive Protein (CRP) von 13,9
mg/l (Referenzbereich
,
5 mg/l).
Koloskopischer Befund
Aufgrund der schmerzhaften Defäkati­
on und Stuhlunregelmäßigkeiten wur­
de eine Ileokoloskopie durchgeführt.
Hier zeigte sich an der Vorderwand
des unteren Rektums ein düsterroter
semizirkulärer flächiger Tumor mit
multiplen Fibrinbelägen, der malig­
nomsuspekt erschien (siehe Abbil­
dung). Die Ausläufer des Tumors rag­
ten bis in das mittlere Rektum. Endos­
kopisch wurden ausgiebig Proben zur
Histologiegewinnung entnommen.
Histologie und Immunhistochemie
Es zeigte sich eine Rektumschleimhaut
mit deutlicher chronischer florider
erosiv­ulzeröser Entzündung neben
weitgehend unaufälliger entzündungs­
freier Kolonschleimhaut. Immunhisto­
chemisch fand sich kein Nachweis für
eine Infektion mit Herpes­simplex­Vi­
rus (HSV) oder Zytomegalievirus
(CMV). Bei negativer Periodic­acid­
Schiff(PAS)­Färbung ergab sich kein
Hinweis auf einen Pilzbefall.
Der epitheliale Marker KL­1 zeigte
lediglich im Bereich des regelrechten
Epithels eine positive Reaktion, die
Antikörper CD79a, CD20 und CD3
zeigten eine in etwa gleiche Verteilung
von B­und T­Lymphozyten. Insge­
samt ergab sich kein Anhalt für eine
Lymphom­oder Karzinominfiltration
und somit kein Anhalt für Malignität.
CT und Labordiagnostik
Am Folgetag erfolgte eine kontrastmit­
telgestützte Computertomographie
von Thorax und Abdomen zur Dar­
stellung der Ausbreitung des Tumors
und zum Nachweis möglicher Fern­
metastasen. Hierbei ließ sich der Tu­
mor im Rektum nicht eindeutig verifi­
zieren, eine Wandüberschreitung
schien jedoch zumindest an der Vor­
derwand möglich. Weiterhin ließen
sich multiple lokoregionäre Lymph­
knoten darstellen. In der Leber fand
sich im Segment VIII eine 1,4 cm gro­
ße hypodense dringend metastasenver­
dächtige Läsion.
Zusätzlich wurden laborchemisch
die Tumormarker karzinoembryonales
Antigen (CEA) und Carbohydratanti­
gen 19­9 (CA 19­9) im Serum be­
stimmt. Während CA 19­9 normwer­
tig war, konnte für CEA mit 4,3 g/l
(Referenzbereich
,
3,0 g/l) ein grenz­
wertig erhöhter Wert festgestellt wer­
den.
Weiteres Prozedere
Nach wie vor war die Dignität des Tu­
mors im Rektum unklar: Malignität
war histologisch nicht nachweisbar,
andererseits bestand der Verdacht auf
das Vorliegen einer Lebermetastase.
Histologisch schien der Rektumtumor
eher entzündlich als maligne verändert
zu sein. In einer ausführlichen neuerli­
chen Anamnese gab der Patient da­
raufhin eine seit dem Jahr 1996 beste­
hende HIV­Infektion an. Als Dauer­
medikation bestehe eine antiretrovirale
Therapie mit Dolutegravir, Abacavir
und Lamivudin. In den 1990er­Jahren
habe er sich zudem einer Feigwarzen­
operation im Anogenitalbereich unter­
zogen.
Es wurde daher die Indikation zur
Rektoskopie mit ausgiebiger neuerli­
cher Biopsie gestellt. Zudem wurden
mittels starrer Rektoskopie Abstriche
entnommen und zur mikrobiologi­
schen Untersuchung eingeschickt.
Ferner wurden weitere serologische
Untersuchungen zum Nachweis eines
möglichen Erregers veranlasst. Zur
weiteren Beurteilung der Leberläsion
wurden schließlich eine kontrastmit­
telunterstützte Sonographie der Leber
und eine Magnetresonanztomographie
(MRT) des Oberbauchs durchgeführt.
Abstriche und serologischer Befund
Die Polymerase­Kettenreaktion (PCR)
ergab einen positiven Befund für Chla­
mydia trachomatis mit Nachweis von
Chlamydia­trachomatis­DNA. Negati­
ve PCR­Befunde wurden für Neisseria
gonorrhoeae, HSV­1, HSV­2, Varizel­
la­Zoster­Virus (VZV) und CMV er­
halten.
Serologisch fand sich ein Hinweis
auf eine nicht mehr ganz frische Lues­
infektion (differenzialdiagnostisch: Zu­
stand nach bzw. unter Therapie). Die
Treponema­pallidum­Partikelaggluti­
nation (TPPA) im Serum fiel positiv
aus (TPPA quantitativ 1:1280); der
Cardiolipin­Flockungstest war im Se­
rum qualitativ positiv und quantitativ
im Serum 1:2; der Western­Blot­Test
zum Nachweis von Treponema­palli­
dum­IgM und ­IgG im Serum war po­
sitiv.
Bildgebung
Die metastasenverdächtige Leberläsi­
on zeigte sich in der kontrastmittelge­
stützten Sonographie am ehesten als
Hämangiom, war aber aufgrund ihrer
Lage im Segment VIII nicht ausrei­
chend sicher zu beurteilen.
Magnetresonanztomographisch
wurde eindeutig ein Hämangiom im
Lebersegment VIII dargestellt. Es er­
gab sich kein Anhalt für Organmetas­
tasierung oder pathologisch vergrößer­
te Lymphknoten.
Diagnostische Wertung, Diskussion
Initial bestand der hochgradige Ver­
dacht auf einen malignen Tumor im
Rektum sowie auf eine Lebermetasta­
se. Nach insgesamt 2­facher ausgiebi­
ger Probenentnahme konnten jedoch
keine malignen Zellen nachgewiesen
werden, immunhistochemisch bestand
zudem kein Anhalt für ein Lymphom.
Die Leberläsion im Segment VIII
stellte sich als Hämangiom heraus.
Bei bekannter HIV­Infektion muss­
te zudem an eine entzündliche Genese
des Rektumulkus gedacht werden. Der
Patient gab in einer ausführlichen wei­
teren Anamnese an, homosexuell zu
sein und Analverkehr praktiziert zu ha­
ben. In den Abstrichen aus dem Rek­
tumulkus ließ sich mittels PCR Chla­
mydia trachomatis nachweisen, sodass
in Zusammenschau der Befunde ein
Rektumulkus, hervorgerufen durch ei­
ne sexuell übertragene Chlamydia­tra­
chomatis­Rektitis, diagnostiziert wer­
den konnte. In der serologischen Erre­
gersuche fand sich nebenbefundlich
eine positive Treponema­pallidum­Se­
rologie mit positivem Nachweis von
sowohl IgG als auch IgM. Der Trepo­
nema­pallidum­Titer war mit 1:1280
nicht stark erhöht.
Im Nachhinein berichtet der Pati­
ent, insgesamt schon dreimal aufgrund
einer Lueserkrankung behandelt wor­
den zu sein. Aufgrund der Anamnese
und bei positivem IgM­Nachweis ist
eine chronische Treponema­palli­
dum­Infektion möglich. Differenzialdi­
agnostisch ist aufgrund des niedrigen
Titers jedoch auch eine abgelaufene
Infektion denkbar. Es wurden daher
folgende Diagnosen gestellt: Rektum­
ulkus bei Rektitis infektiöser Genese
mit Nachweis von Chlamydia tracho­
matis; chronische Treponema­palli­
dum­Infektion; Hämangiom im Le­
bersegment VII.
Chlamydia trachomatis (Serotypen
D­L) gehört zu den weltweit häufigs­
ten Erregern sexuell übertragbarer Er­
krankungen. Die Übertragung dieser
Serotypen ist ausschließlich durch se­
xuellen Kontakt oder perinatal mög­
lich und manifestiert sich bei sexueller
Übertragung als urogenitale Infektion
und – je nach sexueller Gewohnheit –
auch als Proktitis oder Pharyngitis.
Die Serotypen L1–L3 sind Verursa­
cher des Lymphogranuloma vene­
reum, eine hauptsächlich in den Tro­
pen vorkommende sexuell übertragba­
re Erkrankung.
Die häufigsten Erreger einer sexuell
übertragenen Proktitis sind Neisseria
gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis,
HSV­1, HSV­2 und Treponema palli­
dum, die auch im vorliegenden Fall se­
rologisch beziehungsweise mittels
PCR im Abstrich untersucht wurden.
Die PCR weist dabei eine Sensibilität
und Sensitivität von bis zu 95 Prozent
auf (Clin Colon Rectal Surg
20:58–63). Die klinische Symptomatik
einer Proktitis geht – wie auch bei dem
vorgestellten Patienten – mit perana­
lem Juckreiz, anorektalen Schmerzen
und Tenesmen einher (Int J STD
AIDS 25:465–4742).
Häufig verläuft die Chlamydienin­
fektion jedoch asymptomatisch. Laut
einer Studie an homosexuellen Män­
nern, die Analverkehr praktizieren und
bei denen anorektal Chlamydia tra­
chomatis nachgewiesen werden konn­
te, berichteten lediglich 26 Prozent
von ihnen über klinische Symptome
(BMC Infect Dis 11:203). Demnach
bleiben Infektionen häufig unentdeckt
und unbehandelt, über Screeningme­
thoden bei Patienten mit entsprechen­
der Anamnese wird diskutiert.
Als Therapie wird bei HIV­positi­
ven wie HIV­negativen Patienten die
Behandlung mit Doxycyclin (100 mg
per os, zweimal täglich über 7 Tage)
empfohlen. Zusätzlich sollten sich
mögliche Sexualpartner mit sexuellem
Kontakt in den vergangen 60 Tagen
testen und gegebenenfalls behandeln
lassen (Sexually transmitted diseases
treatment guidelines, 2010. MMWR
Recomm Rep 1–110). Eine durch
Chlamydien hervorgerufene Proktitis
kommt fast ausschließlich bei Män­
nern vor, die Analverkehr praktizieren.
Innerhalb dieses Patientenguts ist eine
Infektion nicht selten und kann durch
die Serotypen D–K und L hervorgeru­
fen werden. In einer Studie mit über
10000 Männern, die Symptome einer
sexuell übertragbaren Infektion auf­
wiesen, wurden 14 Prozent positiv auf
Chlamydien in einem Rektalabstrich
getestet (Clin Infect Dis
58:1564–1570). Bei Frauen ist eine
Chlamydienproktitis dagegen sehr sel­
ten. Unter HIV­positiven Männern,
die Analverkehr praktizieren, kommen
sexuell übertragene Koinfektionen ge­
häuft vor. Am häufigsten tritt hierbei
die rektale Infektion mit Neisseria go­
norrhoeae auf, die im Vergleich zur
Chlamydieninfektion häufiger sympto­
matisch ist (Int J STD AIDS
17:387–390 ).
Therapie und Verlauf
Aufgrund des Nachweises von Chla­
mydia trachomatis im Abstrich aus
dem Rektumulkus wurde eine orale
antibiotische Therapie mit Doxycyclin
begonnen. Nach Erhalt der positiven
Treponema­pallidum­Serologie wurde
dem Patienten die Fortführung der
antibiotischen Therapie mit Doxycyc­
lin für insgesamt vier Wochen empfoh­
len, da Doxycyclin eine Alternativthe­
rapie zur intramuskulären Penicillin­
G­Therapie in der Behandlung einer
Lues darstellt. Eine ambulante Kont­
rollrektoskopie wurde nach Beendi­
gung der antibiotischen Therapie an­
geraten. Der Patient wurde über die
Meidung von Promiskuität sowie die
Notwendigkeit einer ärztlichen Vor­
stellung möglicher Sexualpartner auf­
geklärt.
Quelle: Hartmann F, Nerlich A et al (2015)
Unklarer Rektumtumor. Gastroenterologe
10:317­321. Der Abdruck erfolgte mit
freundlicher Genehmigung der Autoren.
Kasuistik: Unklarer Rektumtumor
Ein 61­Jähriger berichtet
von vermehrtem Stuhl­
drang, schmerzhafter
Defäkation und brennenden
analen Schmerzen im
Anschluss an diese. Bei der
Endoskopie ist an der
unteren Rektum­Vorder­
wand ein düsterroter semi­
zirkulärer flächiger Tumor
erkennbar. Handelt es sich
um ein Malignom?
Von F. Hartmann, A. Nerlich et al.
Suspekter semizirkulärer exulzerierter Tumor an der Vorderwand des unteren Rektums
mit Ausläufern bis in das mittlere Rektum. Fibrinbeläge.
© SPRINGER­VERLAG GMBH
26%
der homosexuellen Männer,
die
Analverkehr praktizieren und bei
denen anorektal Chlamydia tracho­
matis nachgewiesen werden konn­
te, berichteten in einer Studie über
klinische Symptome. Eine Chlamy­
dieninfektion verläuft also häufig
asymptomatisch.
Fazit für die Praxis
Eine infektiöse Genese
eines
Rektumtumors sollte – insbeson­
dere bei vorbestehender HIV­In­
fektion und nichtwegweisender
Histologie – bedacht werden.
Eine Sexualanamnese
ist in die­
sen Fällen sinnvoll und hilfreich.
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