BDI aktuell 10_2015_E_Paper - page 16

Pauca sed matura – viel arbeiten, we­
nig publizieren, dies war einer der
Grundsätze Paul Ehrlichs. Als Wissen­
schaftler wollte er nur das Wissen wei­
tergeben, das er eindeutig und ohne
Zweifel belegen konnte. Ehrlich war
ein Freund der klaren Tatsachen – und
der lateinischen Sprache. Im Fach
Deutsch hingegen kassierte der Nobel­
preisträger einst eine Sechs.
Bei einem Blick auf seine Person
zeigt sich: Paul Ehrlich war nicht nur
Wissenschaftler, er war auch ein Uni­
kum. Und es sind genau diese Ge­
schichten über den Medizin­Nobel­
preisträger, die viele nicht kennen, die
zu seinem Erfolg als Forscher jedoch
bedeutend beigetragen haben.
Am 20. August 1915 starb Professor
Paul Ehrlich an einem Herzinfarkt im
hessischen Bad Homburg. Bis zu sei­
nem Tod hatte er wesentliche Grundla­
gen der modernen Medizin geschaffen.
„Ehrlich war auf vielen Gebieten bereits
relativ nah an dem Wissen, das wir heu­
te haben“, sagt Professor Florian Gre­
ten, Ehrlichs Nachfolger als Direktor
des Georg­Speyer­Hauses, anlässlich
seines 100. Todestages.
„Ehrlich färbt am längsten“
In den 61 Jahren seines Lebens hat
der Forscher dabei nicht nur eigene
Sätze geprägt, sondern viel wurde
auch gesprochen über diesen eigen­
brötlerischen Mann, der sich schein­
bar völlig der Wissenschaft verschrie­
ben hatte: „Ehrlich färbt am längsten“
etwa war solch ein Satz. Oft hörte
man seine Mitarbeiter diesen Satz tu­
scheln, ebenso wie die Menschen auf
der Straße, die an den erleuchteten
Fenstern vorbeigingen, wenn Ehrlich
bis tief in die Nacht über dem Mikro­
skop gebeugt saß und mit der in sei­
nen Kindheitstagen aufgekommenen
Färbetechnik Blutzellen einfärbte.
Das Labor war sein liebster Ort –
neben seinem Studierzimmer, in dem
er inmitten von Aufzeichnungen, Bü­
cherstapeln und Notizzetteln völlig al­
lein saß. „Für Besuch wäre ohnehin
kein Platz gewesen, da sich auf jeder
erdenklichen Sitzmöglichkeit die Bü­
cher stapelten“, sagt Professor Fritz
Sörgel mit einem Lächeln. Der Leiter
des Instituts für Biomedizinische und
Pharmazeutische Forschung in Nürn­
berg gilt als profunder Kenner Ehr­
lichs, er organisiert internationale
Kongresse über Ehrlich.
Ehrlich, der 1854 im schlesischen
Strehlen auf die Welt kam, bezeichne­
te sich selber einst als „Feind der gro­
ßen Geselligkeit“ und einen Liebha­
ber klarer Tatsachen.
Sein Lebenswerk ist eng mit der
Rhein­Main­Region verbunden: Über
Göttingen und Berlin kam Ehrlich 1899
nach Frankfurt, wo er zunächst das „In­
stitut für Serumforschung und Serum­
prüfung“ leitete, das spätere Paul­Ehr­
lich­Institut in Langen. Seine größten
Erfolge hatte er am „Institut für Experi­
mentelle Therapie“, aus dem später das
Chemotherapeutische Forschungsinsti­
tut Georg­Speyer­Haus wurde.
Mit der Gründung der Frankfurter
Universität 1914 war er zum ersten Or­
dinarius für Pharmakologie und Experi­
mentelle Therapie an der Goethe­Uni­
versität berufen worden. „Paul Ehrlich
gehört zu den Wissenschaftspionieren
der Goethe­Universität“, lobte Univer­
sitätspräsidentin Professorin Birgitta
Wolff während eines akademischen
Festakts zum 100. Todestag. „Er hat
entscheidenden Anteil daran, dass sich
die Goethe­Universität in der Grün­
dungsphase und danach zu einem Mag­
neten für weitere innovative Forscher­
persönlichkeiten entwickelt hat.“
In der Tat liest sich Ehrlichs Le­
benswerk nicht nur wie ein Kuriositä­
tenkabinett, sondern viel mehr noch
wie eine Heldengeschichte. Die Erst­
beschreibung der Mastzellen, die Ehr­
lich‘sche Reagenz, die Beschreibung
von „Lastwagen“ – also dem, was
heute als Carriersystem bezeichnet
wird: All das sind nur wenige Beispiele
seiner wissenschaftlichen Verdienste.
Laut Sörgel ist es dabei fast verwun­
derlich, dass Ehrlich lediglich einen
Nobelpreis verliehen bekommen hat.
Erhalten hatte er diesen für seine Sei­
tenkettentheorie: Mittels seitlicher Re­
zeptoren erkennen Zellen Krankheitser­
reger und Giftstoffe, binden sie nach
dem Schlüssel­Schloss­Prinzip an sich
und machen sie so unschädlich – Ehr­
lich lieferte mit seiner Entdeckung eine
frühe Beschreibung des Immunsystems.
Suche nach den „Zauberkugeln“
Was viele nicht wissen: Paul Ehrlich
führte auch die erste Leberbiopsie an
der Charité durch. Gesucht wurde da­
mals ein Mensch, der sich diesen
Schritt zutraute – Paul Ehrlich war ge­
nau dieser Gesuchte, trotz seines jungen
Alters von nur 30 Jahren. Sein primärer
Antrieb war auch dabei aber die For­
schung, nicht in erster Linie die Be­
handlung des Patienten. Auch Vorle­
sungen sah der passionierte Forscher als
leidige Pflichtübung an. „Studenten hat
er aus der Vorlesung oftmals regelrecht
herausgeekelt“, erzählt Sörgel.
Sein Steckenpferd war dabei stets
die Arzneimittelforschung. Im Fokus
stand für ihn die Suche nach den
„Zauberkugeln“, wie er die entwickel­
ten Pharmaka selbst nannte. Sein Ziel:
Sie sollten nur für die erkrankten Zel­
len giftig sein, nicht aber für die ge­
sunden. Und spezifisch sollten sie
sein, überall im Körper präsent, aber
nur dort einschlagen, wo sie gebraucht
werden. Nach unzähligen Versuchsrei­
hen mit diversen Pharmaka erfand er
Salvarsan, das erste wirksame Thera­
peutikum gegen Syphilis und das erste
systematisch entwickelte Chemothera­
peutikum überhaupt.
Gerade heute, in Zeiten der Dis­
kussion um Antibiotikaresistenzen,
sind Ehrlichs erste Antibiotika aktuel­
ler denn je. Dabei ist erstaunlich,
welch fortschrittliche Gedanken er be­
reits damals aufgriff: So hat Ehrlich
etwa bereits 1910 in einem Brief auf
die Problematik hingewiesen, dass
Tiertests lediglich an gesunden Tieren
durchgeführt würden – dies jedoch
nicht der Absicht entspreche, mit ent­
wickelten Pharmaka kranke Menschen
heilen zu wollen.
Heldengeschichte und Kuri­
ositätenkabinett: Das war
das Leben von Paul Ehrlich.
Vor 100 Jahren ist der „Va­
ter der Immunologie und
Chemotherapie“ gestorben.
Doch noch heute können
Wissenschaftler beim Blick
auf sein Lebenswerk lernen.
Medizinpionier und Unikum
Einweihung der Paul­Ehrlich­Gedenkstele am Uniklinikum Frankfurt.
© UNIKLINIKUM FRANKFURT
Von Jana Kötter
16
Oktober 2015
BDI aktuell
Panorama
ZITIERT
Die Bedarfsplanung
ist völlig veraltet,
nicht nur von den
Zahlen, sondern
auch vom Ansatz her.
Es muss ein ganz
neues System
aufgebaut werden,
das die Ressourcen,
die wir haben,
klüger einsetzt.
Professor Wolfgang Greiner,
Gesundheitsökonom an der Universität
Bielfeld und Mitglied im Sachver­
ständigenrat zur Begutachtung der
Entwicklung im Gesundheitswesen,
anlässlich einer gemeinsamen Veran­
staltung der KV Westfalen­Lippe
und der Techniker Krankenkasse in
Dortmund. (Quelle: Ärzte
Zeitung, Ausgabe 170 vom 4.9.2015)
TOMICEK’S WELT
Intelligente Autos
Ein Kinderhilfswerk hat mit einer
Werbeaktion im Landgericht von
Dresden versehentlich die Polizei
auf den Plan gerufen. In der Post­
stelle seien 40 Briefe an die Richter
eingegangen, die allesamt verdäch­
tige Krümel enthielten, teilte die
Polizei mit. Die Mitarbeiter infor­
mierten daraufhin die Polizei.
Schnell stellte sich heraus, dass
es sich bei dem Absender um ein
Kinderhilfswerk aus Karlsruhe han­
delte. Das hatte bundesweit tausen­
de Briefe an Spender und Behör­
den verschickt – versehen mit Pe­
tersiliensamen.
Damit wollte das Hilfswerk auf
Kinderdörfer in Lateinamerika auf­
merksam machen, die beim land­
wirtschaftlichen Anbau unterstützt
werden. Laut Polizei hat für Mitar­
beiter des Gerichts zu keiner Zeit
eine Gefahr bestanden. Die „ver­
dächtigen“ Krümel wurden sicher­
heitshalber dennoch im Labor des
Landeskriminalamtes untersucht,
hieß es.
(dpa)
Kinderhilfswerk
ruft Polizei auf
den Plan
AUCH DAS NOCH
Paul Ehrlich
kam 1854 in Strehlen
auf die Welt – als Sohn eines Likör­
fabrikanten und königlichen Lotte­
rie­Einnehmers.
Notiert
hat Ehrlich seine Gedanken
und Ideen, wo immer er war – hatte
er kein Papier zur Hand, durchaus
auch auf Kragen oder Manschetten
seiner Mitarbeiter.
Die Schule
hat Ehrlich im Rückblick
„immer als drückende Last empfun­
den“, vor allem das Fach Deutsch:
Hier kassierte er einst eine Sechs.
Das Labor
war sein Zuhause – er ar­
beitete an sieben Tagen die Woche.
Seinen Dackel
nahm er mit ins
Labor.
Paul Ehrlich – ein Eigenbrötler
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