BDI aktuell 10_2015_E_Paper - page 7

In jeder Arztpraxis werden im Schnitt
pro Jahr mehr als 2800 Überweisun­
gen, 600 Arbeitsunfähigkeitsbescheini­
gungen und 300 Heilmittelverordnun­
gen ausgestellt. Allein die Überweisun­
gen beanspruchen jährlich 10,5 Perso­
nentage je Praxis. Insgesamt müssen
die Praxen für bürokratische Aufgaben
pro Jahr durchschnittlich 96 Personen­
tage aufbringen. Zu diesem Ergebnis
kommt der Nationale Normenkont­
rollrat (NKR) in einer Untersuchung,
an der auch die Spitzenverbände der
Selbstverwaltung, das Gesundheitsmi­
nisterium und das Statistische Bun­
desamt teilgenommen haben.
„Der größte zeitliche Aufwand ent­
steht in den Bereichen, in denen Kos­
tensteuerung eine große Rolle spielt:
Verordnungen und Bescheinigungen so­
wie Anfragen von Kassen. Hier muss es
gelingen, den Fokus wieder stärker auf
die Behandlung der Patienten zu rich­
ten“, so KBV­Vize Regina Feldmann.
Dabei löst die Formularwut jährlich
Gesamtkosten von 4,33 Milliarden Eu­
ro in den Arzt­, Zahnarzt­ und psycho­
therapeutischen Praxen aus. Mit rund
2,2 Milliarden Euro müssen die Ärzte
und Psychotherapeuten den größten
Kostenblock tragen. Die stärksten Kos­
tentreiber bei den Ärzten und Psycho­
therapeuten sind wiederum – analog zur
gebundenen Arbeitskraft – das Ausstel­
len von Überweisungen (295 Mio. Eu­
ro), Auskünfte an Krankenkassen auf
Vordrucken (292 Mio. Euro), das Be­
scheinigen von Arbeitsunfähigkeit (164
Mio. Euro), die Befundübermittlungen
(131 Mio. Euro) und formfreie Aus­
künfte an Kassen und Medizinische
Dienste (130 Mio. Euro). Allein diese
fünf Informationspflichten machen
knapp die Hälfte des Gesamtaufwands
aus. Die Daten hat der Normenkont­
rollrat durch Interviews mit 277 Arzt­
und Psychotherapiepraxis sowie 76
Zahnarztpraxen ermittelt.
Die Ärzte sperren sich laut dem
Bericht nicht generell gegen Doku­
mentationspflichten. Als hinderlich
werde vielmehr das „Zusammentref­
fen vieler Informationspflichten im
Praxisalltag“ empfunden. Um Abhilfe
zu schaffen, hat der Rat aus seinen In­
terviewergebnissen heraus 20 Hand­
lungsempfehlungen für Kassen, ärztli­
che sowie zahnärztliche Selbstverwal­
tung und Politik erarbeitet. Immerhin
zwölf davon betreffen Ärzte und Psy­
chotherapeuten.
Im Visier hat der Normenkontroll­
rat hier auch die ausufernden Kassen­
anfragen. Die Vordrucke dafür sollten
nach Meinung des Rates regelmäßig
überprüft und auf das aktuelle Versor­
gungsgeschehen angepasst sowie
sprachlich vereinfacht werden. Außer­
dem sollte eine digitale Übermittlung
geprüft werden. Die Arbeitsunfähig­
keitsbescheinigung, die derzeit – je
nachdem ob noch Anspruch auf die
Entgeltfortzahlung durch den Arbeit­
geber besteht oder nicht – über zwei
Vordrucke läuft, soll in einem Muster
gebündelt werden. Dieser Vorschlag
wird von KBV und Kassen auch
schon zum 1. Januar 2016 umgesetzt.
Alle künftigen Formulare und Ver­
fahren nach dem Bundesmantelver­
trag Ärzte sollen nach der Empfehlung
des Normenkontrollrates zudem vorab
in Pilotprojekten und ­regionen auf
ihre Praxistauglichkeit getestet wer­
den. Viel Potenzial für bürokratische
Erleichterungen schreibt der Rat der
Praxissoftware zu. Es sollten feste
Ausfüllhilfen für Vordrucke in der
Software etabliert werden.
(reh/af)
Der Bürokratie­Bericht des Normenkontroll­
rates im Web:
Erstmals gibt es belegbare
Daten für die Bürokratielast
und die damit zusammen­
hängenden Kosten in den
Vertragsarztpraxen. Letztere
belaufen sich auf über vier
Milliarden Euro pro Jahr.
Doch es gibt auch Ideen,
wie sich die Last mindern
ließe.
Praxisbürokratie kostet Milliarden
Im Schnitt 96 Personentage pro Jahr und Praxis gehen für Formulare und andere bürokratische Aufgaben drauf.
© GINA SANDERS / FOTOLIA.COM
Auch wenn noch einiges in Papierakten
festgehalten wird, Computer gehören in
der Universitätsmedizin natürlich längst
zum Alltag. Auf dem Visitenwagen fährt
beispielsweise ein Notebook mit. Bringt
es da Ärzten tatsächlich etwas, wenn sie
bei der Visite noch ein Tablet bei sich
haben? Dieser Frage ging ein For­
schungsprojekt an der Charité­Klinik
für Neurologie in Berlin nach.
Ärzte, die regelmäßig an Rundgän­
gen zur Visite teilnehmen, wurden in
die Arbeit mit elektronischen Patien­
tenakten auf Tablet­Computern einge­
wiesen. 14 Wochen lang wurden unter
anderem die Vor­und Nachberei­
tungszeiten der Visite und die Dauer
der Visite selbst erhoben. Gestoppt
wurde auch, wie viel Zeit die Ärzte di­
rekt am Krankenbett verbringen und
wie lange sie zum Nachschlagen medi­
zinischer Daten benötigen.
Auswertung überraschte die Ärzte
Die Auswertung der gesammelten Da­
ten überraschte die Ärzte doch ein we­
nig. „Wir dachten, dass die Visite da­
mit vielleicht schneller geht“, berichtet
Professor Stephan Brandt, Stellvertre­
tender Direktor der Klinik für Neuro­
logie mit Experimenteller Neurologie.
Doch das Projekt zeigte, dass die Visi­
te mit dem Tablet genauso lange dau­
ert wie die konventionelle. Neu war,
dass die Ärzte nun aber mehr Zeit für
die Patienten hatten. Statt etwa vier
Minuten wie bei der althergebrachten
Visite verbrachten die Mediziner in
der mobilen Visite im Durchschnitt
eineinhalb Minuten mehr Zeit mit
dem Patienten.
Ein Grund dafür: Das Tablet be­
schleunigt das Nachschauen von me­
dizinischen Befunden in der elektroni­
schen Patientenakte. Durchschnittlich
40 Sekunden sparten die Ärzte gegen­
über dem Durchblättern der Papierak­
te ein. „Das ist Zeit, die unseren Pati­
enten zu Gute kommt“, sagt Brandt.
Auch in der Vor­ und Nachbereitung
konnten die Ärzte mithilfe des Tablets
deutlich Zeit einsparen. Sie verkürzten
sich um 18 beziehungsweise 15 Minu­
ten. „Mit den Tablets muss man im
Vorfeld nicht alles recherchieren, weil
man es auf dem Gerät schnell nachgu­
cken kann“, erklärt Brandt. Die Un­
terlagen seien immer dort einsehbar,
wo man sie gerade benötige.
Flexibler Einsatz am Krankenbett
Die Ergebnisse des Forschungspro­
jekts haben dazu geführt, dass an der
Klinik für Neurologie weitere Tablets
für die Visite bestellt wurden. Denn
mit den mobilen Endgeräten haben
Ärzte auch die Möglichkeit, Patienten
Aufnahmen einer Computertomogra­
fie oder andere Bilder zu zeigen und
Befunde direkt am Krankenbett zu
besprechen. Für die Zukunft hofft
Brandt, dass die Ärzte über die Tab­
lets auch klinische Aufträge wie etwa
die Anmeldung von CT vornehmen
können.
Die Charité ist indes kein Vorreiter,
was die Nutzung von Tablet­PC im
Klinik­Versorgungsalltag angeht. So
greifen zum Beispiel in den Kranken­
häusern der Knappschaft Ärzte und
Pfleger über Tablet­Computer auf Pa­
tientendaten zu, Patientenakten auf
Papier sind Vergangenheit – allerdings
nur auf einzelnen Stationen.
(juk)
Tablets beschleunigen zwar
nicht die Visite im Kranken­
haus, sie bringen den
Ärzten aber mehr Zeit für
die Patienten. Das hat
eine Untersuchung an der
Berliner Charité gezeigt.
Digitale Helfer bringen
mehr Zeit für Patienten
ANZEIGE
WORLD
FORUM
FOR
MEDICINE
BE PART OF IT!
16 19 NOVEMBER
2015
DÜSSELDORF
GERMANY
New show days
from Monday to
Thursday!
Online registration
is required!
2015-09-09 MEDICA 2015_Deutschland_MEDICA 2015_171 x 210mm_BDI aktuell_4c_4399
2015-09-09 MEDICA 2015_Deutschland_MEDICA 2015_171 x 210mm_BDI aktuell_4c_4399.indd 1
21.07.15 15:53
Berufspolitik
BDI aktuell
Oktober 2015
7
1,2,3,4,5,6 8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,...24
Powered by FlippingBook