BDI aktuell 10_2015_E_Paper - page 10

Antidepressiva blockieren die Wie­
deraufnahme von Serotonin auch in
die Thrombozyten und können so
Blutungskomplikationen Vorschub
leisten. Das gilt vor allem, wenn ein
Patient weitere Medikamente ein­
nimmt, die die Plättchenfunktion
beeinträchtigen. So ist einer Meta­
analyse zufolge die Wahrscheinlich­
keit für gastrointestinale Blutungen
nochmals höher, wenn SSRI zu­
sammen mit NSAR eingenommen
werden. Die Kombi aus Antide­
pressiva und NSAR könnte auch
die Entstehung von Hirnblutungen
fördern. Einer retrospektiven Studie
aus Südkorea zufolge haben Patien­
ten mit der Ko­Therapie ein um 60
Prozent höheres 30­Tages­Risiko
als Patienten unter Monotherapie
mit einem Antidepressivum (BMJ
2015; 351: h3517).
Für die Untersuchung wurden
Versicherungsdaten von Patienten
herangezogen, die zwischen 2010
und 2013 erstmals ein Antidepres­
sivum erhalten hatten. Jedem Pati­
enten, der zusätzlich NSAR anwen­
dete, wurde jeweils ein Patient ohne
NSAR­Therapie gegenübergestellt.
Versicherte mit bekannten zerebro­
vaskulären Erkrankungen waren
ausgeschlossen. Die Gesamtkohorte
umfasste 4,15 Millionen Patienten.
Unter Berücksichtigung von Un­
terschieden in der Einnahme weite­
rer blutungsfördernder Medika­
mente ergab sich ein Anstieg der
Hirnblutungsrate um 60 Prozent
innerhalb von 30 Tagen nach Be­
ginn der antidepressiven Therapie.
Die Steigerung ließ sich nicht auf
eine bestimmte Substanzklasse zu­
rückführen.
(bs)
Vorsicht bei
Antidepressiva
plus NSAR
Die Ko­Therapie mit
NSAR und Antidepressiva
könnte auch Hirnblutun­
gen fördern.
ERHÖHTE BLUTUNGSGEFAHR!
10
BDI aktuell
Oktober 2015
Medizin
Mit der neuen S3­Leitlinie „Sekun­
därprophylaxe ischämischer Schlag­
anfall und transitorische ischämische
Attacke“ erhalten Ärzte auf 25 ent­
scheidende Fragen klare Antworten
und, wenn sie wollen, in der 60­
seitigen Langfassung auch detaillierte
Erläuterungen, wie die beteiligten
medizinischen Fachgesellschaften, Be­
rufsverbände und anderen Organisati­
onen zu ihren Empfehlungen kamen.
Veröffentlicht wurde bisher nur der
erste Teil der Leitlinie zur Sekundär­
prophylaxe ischämischer Schlaganfälle
und transitorischer ischämischer Atta­
cken: Die Therapie mit Thrombozy­
tenfunktionshemmern, die orale Anti­
koagulation bei Vorhofflimmern sowie
die Behandlung bei Hyperlipidämie
und Hypertonie. Der zweite Teil der
S3­Leitlinie zu Maßnahmen wie
Lebensstiländerungen befindet sich
derzeit noch in der Entwicklung.
Die wichtigsten Empfehlungen der
Leitlinien­Autoren auf einen Blick:
Thrombozytenfunktionshemmer:
Grundsätzlich sollen alle Patienten mit
ischämischem Schlaganfall oder tran­
sitorischer ischämischer Attacke (TIA)
einen Thrombozytenfunktionshemmer
(TFH) erhalten, sofern keine Indikati­
on für eine orale Antikoagulation vor­
liegt. Bei der Medikation können sich
Ärzte zwischen ASS allein, ASS in
Kombination mit Dipyridamol sowie
einer Therapie mit Clopidogrel ent­
scheiden. Die Leitlinienexperten sehen
zwischen diesen Optionen aufgrund
der Studienlage keine klaren Unter­
schiede bei der Prävention kardiovas­
kulärer Ereignisse. Vielmehr betrach­
ten sie ASS plus Dipyridamol sowie
Clopidogrel als Alternativen zu einer
ASS­Monotherapie. Zwar hatten die
beiden Alternativen in Studien zum
Teil besser abgeschnitten als eine
ASS­Monotherapie, allerdings waren
die Unterschiede meist recht gering,
zudem wurden oft sehr niedrige ASS­
Dosen verwendet.
Auch die Kombination von ASS
plus Clopidogrel ist nach Ansicht der
Leitlinienexperten einer ASS­Mono­
therapie nicht überlegen. Wenn, dann
sollten Ärzte diese Kombination nicht
langfristig zur Schlaganfallprophylaxe
verwenden, es sei denn, es bestehen
zusätzliche Indikationen wie ein akutes
Koronarsyndrom oder eine koronare
Stentimplantation.
Auch bei der Dosierung gibt es kla­
re Empfehlungen: Patienten mit einer
ASS­Monotherapie sollten 100 mg/d
bekommen, für ASS plus Dipyridamol
wird eine Dosierung von 25/200 mg
und für Clopidogrel eine Dosierung
von 75 mg genannt. Die Behandlung
sollte möglichst innerhalb von 48
Stunden nach dem Schlaganfall oder
der TIA begonnen werden, Studien
hatten ein um etwa 30 Prozent redu­
ziertes Risiko für Tod und Behinde­
rungen bei einer frühen TFH­Thera­
pie ergeben – trotz eines etwas erhöh­
ten Blutungsrisikos.
Ein Problem sind möglicherweise
Patienten mit gastrointestinalen Risi­
ken: Bei abgeheilten Magengeschwü­
ren können Ärzte die TFH­Therapie
mit einem Protonenpumpenhemmer
begleiten.
Kommt es trotz Sekundärprophyla­
xe mit Thrombozytenfunktionshem­
mern zu erneuten zerebrovaskulären
Ereignissen, ist dennoch keine Dosi­
seskalation nötig. Auch für einen
TFH­Funktionstest sieht die Leitlinie
dann keinen Anlass. Es lägen nicht ge­
nügend Daten vor, die einen solchen
Test rechtfertigten, heißt es.
Einmal begonnen, soll die TFH­
Therapie dauerhaft erfolgen, „es sei
denn, dass Kontraindikationen auftre­
ten oder im Verlauf sich eine Indikati­
on zur Antikoagulation ergibt“ (A­
Empfehlung).
Hyperlipidämie:
Grundsätzlich wird allen Patienten mit
TIA oder ischämischem Schlaganfall
unabhängig vom Subtyp ein Statin
empfohlen. Anzustreben sind dabei
LDL­Werte unter 100 mg/dl (2,6
mmol/l). Eine Ausnahme sind Patien­
ten mit Hirnblutungen: Wegen des er­
höhten Blutungsrisikos unter Statinen
in einigen Studien wird Ärzten hier ei­
ne gründliche Nutzen­Risiko­Abwä­
gung empfohlen. Möglichst sollten der
Hirninfarkt oder die TIA bei solchen
Patienten nicht die einzige Indikation
für die Statintherapie sein. Die Leitli­
nie rät ebenfalls zu einer dauerhaften
Therapie, notfalls auch per Magenson­
de.
Gegenüber anderen Medikamenten
äußern sich die Leitlinienexperten kri­
tisch: „Nikotinsäurederivate, Fibrate
oder Ezetimibe sollen bei Patienten
nach ischämischem Schlaganfall oder
TIA zur Sekundärprophylaxe nicht
routinemäßig eingesetzt werden.“ Für
die Wirksamkeit solcher Therapien al­
leine oder in Kombination mit einem
Statin sei die Evidenz nicht ausrei­
chend.
Vorhofflimmern:
Generell wird bei Vorhofflimmern
(VHF) nach einem zerebralen ischä­
mischen Ereignis eine orale Antiko­
agulation empfohlen – auch bei älteren
Patienten. Höheres Lebensalter sei per
se keine Kontraindikation. Thrombo­
zytenfunktionshemmer sollten bei
VHF­Patienten jedoch nicht mehr ver­
wendet werden, es sei denn, es liegen
noch kardiologische Indikationen da­
für vor. Ähnliches gilt auch für Anti­
arrhythmika.
Bei der Wahl der Medikation über­
lässt es die Leitlinie den Ärzten, ob sie
lieber auf die neuen direkten oralen
Antikoagulanzien (DOAK) oder auf
die bewährten Vitamin­K­Antagonis­
ten (VKA) setzen, die Autoren tendie­
ren aber vorsichtig zu den DOAK:
Diese „sollten aufgrund des günstige­
ren Nutzen­Risiko­Profils zur Anwen­
dung kommen“. So wird festgestellt,
dass damit bei Patienten mit nicht val­
vulärem Vorhofflimmern unter den
drei erhältlichen DOAK Rivaroxaban,
Dabigatran und Apixaban weniger le­
bensbedrohliche oder fatale sowie we­
niger intrakranielle Blutungen auftre­
ten als mit VKA – bei ähnlich guter
antiembolischer Wirksamkeit.
Gefordert wird jedoch eine Über­
prüfung der Nierenfunktion mindes­
tens einmal pro Jahr. Eine Kreatinin­
Clearance unter 30 ml/min stellt eine
Kontraindikation für Dabigatran dar,
unter 15 ml/min darf auch nicht mit
Apixaban oder Rivaroxaban behandelt
werden. Bei Patienten über 75 Jahren
und bei Patienten mit eingeschränkter
Nierenfunktion muss zudem die Do­
sierung nach Herstellerangaben ange­
passt werden. Dies ist auch der Fall,
wenn eine Verschlechterung der Nie­
renfunktion zu erwarten ist, etwa bei
Hypovolämie oder Dehydrierung.
In einem Fall spricht sich die Leitli­
nie für ein bestimmtes DOAK aus:
falls Patienten für eine VKA­Therapie
nicht infrage kommen und daher bis­
lang mit TFH behandelt wurden. Sie
sollen nun eine Therapie mit Apixa­
ban erhalten. Grundlage der Empfeh­
lung ist eine Studie, in der bei solchen
Patienten die Apixaban­Therapie einer
TFH­Behandlung deutlich überlegen
war. Alternativ zu Apixaban können in
dieser Konstellation jedoch auch die
beiden anderen DOAK verordnet wer­
den.
Hypertonie:
Für hypertone Schlaganfall­ und
TIA­Patienten wird eine langfristige
antihypertensive Therapie mit systoli­
schen Zielwerten zwischen 120 und
140 mmHg empfohlen. Auf jeden Fall
sollten die Werte nicht darüber liegen,
sie sollten aber auch nicht medika­
mentös unterhalb dieses Korridors ge­
drückt werden. Liegt zusätzlich ein Di­
abetes vor, müssen Ärzte auch die
diastolischen Werte im Blick haben.
Hier liegt der Zielkorridor zwischen 70
und 90 mmHg. Studien haben erge­
ben, dass nicht nur erhöhte Blutdruck­
werte das Rezidivrisiko erhöhen, es
traten auch vermehrt neue Schlagan­
fälle bei einer Blutdrucksenkung un­
terhalb der genannten Zielwerte auf.
Schlaganfall: S3­Leitlinie zur
Sekundärprophylaxe
Von Thomas Müller
Neurologen und Schlag­
anfallexperten haben den
ersten Teil einer neuen
S3­Leitlinie vorgestellt. 25
Schlüsselfragen mit konkreten
Antworten sollen Ärzten die
Schlaganfall­Sekundär­
prävention erleichtern.
Gestörte Durchblutung: Die S3­Leitlinie zur Schlaganfall­Sekundärprophylaxe gibt auf
25 entscheidende Fragen klare Antworten.
© NATALIA LUKIYANOVA / ISTOCK / THINKSTOCK
Das empfehlen die
Leitlinienexperten
Einen Thrombozytenfunktions­
hemmer
sollen grundsätzlich
alle Patienten mit ischämischem
Schlaganfall oder transitorischer
ischämischer Attacke erhalten,
sofern keine Indikation für eine
orale Antikoagulation vorliegt.
Bei Vorhofflimmern
nach einem
zerebralen ischämischen Ereig­
nis wird generell eine orale Anti­
koagulation empfohlen – auch
bei älteren Patienten. Höheres
Lebensalter sei per se keine
Kontraindikation.
Für hypertone Schlaganfall­ und
TIA­Patienten
wird eine langfris­
tige antihypertensive Therapie
mit systolischen Zielwerten
zwischen 120 und 140 mmHg
empfohlen.
Die S3­Leitlinie „Sekundärprophy­
laxe ischämischer Schlaganfall
und transitorische ischämische
Attacke – Teil 1“ ist im Internet
einsehbar auf:
/
leitlinien/inhalte­nach­kapiteln
Studienergebnisse belegen, dass
Migräne und Schlaganfall einen
zentralen Mechanismus gemeinsam
haben: Enorme elektrochemische
Wellen, die über weite Teile des
Hirngewebes wandern (Neuron
2015; 86: 902­922). Insgesamt
seien die Wellen bereits bei mehre­
ren hundert Patienten nachgewie­
sen worden, heißt es in einer Mit­
teilung der Charité Berlin. „Mittler­
weile wurde die Riesenwelle bei ei­
ner ganzen Reihe von Erkrankun­
gen des Gehirns identifiziert. Im
Unterschied zu Migränepatienten
kann sie bei anderen Erkrankungen
ein Signal an die Hirngefäße sen­
den, sich extrem zu verengen. Dann
steigt der Blutfluss nicht an, son­
dern versiegt. Auf diese Weise pro­
voziert die Riesenwelle den massen­
haften Untergang von Hirngewe­
be“, wird Professor Jens Dreier vom
Centrum für Schlaganfallforschung
der Charité zitiert.
(eb)
Migräne und
Apoplex haben
Gemeinsamkeit
FORSCHUNG
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,...24
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