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BDI aktuell
Oktober 2015
Berufspolitik
pps erobern den Gesundheitsmarkt. Sie do­
kumentieren die tägliche Kalorienzufuhr,
zählen die gelaufenen Schritte und geben
Tipps für gesunde Ernährung. Mit Fitness­Arm­
bändern und Smartwatches lassen sich Körper­
funktionen so exakt messen wie nie zuvor. Diese
Daten gehen dann weiter an große Onlinekonzer­
ne oder die Anbieter einzelner Fitness­Apps. Der
neueste Clou ist die Apple­Watch. Sie ist nicht nur
schick und teuer, sondern soll sich auch um Fit­
ness und Gesundheit ihrer Käufer kümmern.
Die Menschen gehen sehr sorglos mit ihren
Gesundheitsdaten um. Jeder Dritte würde per­
A
sönliche Gesundheits­ und Fitnessdaten an seine
Krankenversicherung weiterleiten, wenn es für
die mit Smartphone­Apps, Fitness­Trackern
oder anderen Messgeräten gesammelten Infor­
mationen im Gegenzug Vorteile gibt. Das ist das
Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Umfra­
ge der Marktforschungsfirma
YouGov aus Dezember 2014.
Eine AOK spendiert jetzt so­
gar 50 Euro für den Kauf einer
Apple Watch. Das erinnert an
Zeiten, als die Krankenkassen
im Wettbewerb untereinander
mit Schiffsreisen und Urlaubs­
zielen um Mitglieder buhlten.
Jetzt also mit der Apple­Watch.
Die Verbraucherzentralen
warnen zu Recht vor einem sorglosen Umgang
mit persönlichen Daten bei digitalen Gesund­
heitsangeboten. Der Chef des Verbraucherzent­
ralen­Bundesverbands, Klaus Müller, sieht in
diesen neuartigen Modellen, die bei gesundem
Lebenswandel geringere Tarife in Aussicht stell­
ten, eine Abkehr von der solidarischen Versiche­
rung.
Big Brother is watching you: In der Versiche­
rungsbranche gibt es Überlegungen, die Fitness­
daten von Versicherten zu sammeln und einen
gesunden Lebensstil zu belohnen. Angeblich pla­
nen die ersten Versicherungen bereits Beitragsra­
batte für Nutzer, die ihnen laufend Fitness­ und
Gesundheitsdaten übermitteln. Die App­Daten
können mit Angaben in sozialen Netzwerken
oder mit den Daten von Kundenkarten zusam­
mengeführt werden, um Profile zu erstellen.
Transparenz à la Google ist nicht das, was wir
Ärzte uns zum Nutzen unserer Patienten wün­
schen. Der Datenkonzern ist momentan dabei,
durch eine Neukonstruktion des Unternehmens
seine Krakenarme noch weiter auszustrecken,
um mehr Marktmacht zu erhalten. Mich er­
schreckt, dass die Öffentlichkeit bislang so sorg­
los mit diesen Risiken umgeht.
Telemedizin mit ihren sinnvollen und nützli­
chen Möglichkeiten, die bei uns erst am Anfang
stehen, das Tele­Monitoring in ärztlich unterver­
sorgten Regionen und alle anderen wichtigen Te­
le­Funktionen dürfen nicht in die Hände von ge­
winnorientierten Unternehmen gelangen. Hier
muss der Gesetzgeber im eHealth­Gesetz Schran­
ken setzen. Eine App kann einen Arztbesuch nicht
ersetzen. Jeder Patient braucht eine individuelle
Behandlung. Und das geht am besten im persönli­
chen Gespräch mit dem behandelnden Arzt, meint
Ihr Wolfgang Wesiack
Die App: Big Brother oder Gesundheitshelfer?
EDITORIAL
Von Dr. Wolfgang Wesiack
Präsident des BDI
Das erinnert an Zeiten, als die
Krankenkassen im Wettbewerb
untereinander mit Schiffsreisen
und Urlaubszielen um Mitglieder
buhlten.
Wenn es um freiberufliche Tätigkeit
geht, werden zuerst Ärzte und Rechts­
anwälte genannt. Dabei ist das Spek­
trum deutlich weiter gefasst und betrifft
nicht nur die freien Heilberufe, sondern
etwa auch Tierärzte und Apotheker ge­
nauso wie Steuerberater und Wirt­
schaftsprüfer. Der Europäische Ge­
richtshof hat in einem Urteil vom
11.01.2001 die freien Berufe charakteri­
siert: „Freie Berufe sind Tätigkeiten, die
ausgesprochen Intellektuellen Charakter
haben, eine Qualifikation verlangen und
gewöhnlich einer genauen und strengen
berufsständischen Regelung unterlie­
gen. Bei der Ausübung einer solchen
Tätigkeit hat das persönliche Element
besondere Bedeutung, und diese Aus­
übung setzt auf jeden Fall eine große
Selbstständigkeit bei der Vornahme der
beruflichen Handlung voraus.“
Selbstständigkeit nicht zwingend
Soweit der Europäische Gerichtshof.
Freiberuflichkeit ist wie viele immer
noch glauben, somit nicht an eine be­
rufliche Selbstständigkeit gebunden.
Der Status spielt keine Rolle, auch ein
angestellter Arzt oder Anwalt genießt
die Rechte des freien Berufes und hat
dessen Pflichten einzuhalten.
Bleiben wir beim Arzt und seiner
Tätigkeit. Das Arzt­Patienten­Verhältnis
wird geprägt durch das persönliche Ele­
ment und die Sicherheit, dass dieses
Verhältnis der Schweigepflicht unter­
liegt. Dazu dienen neben gesetzlichen
Regelungen auch selbst gesetzte berufs­
ständische Verpflichtungen, die auch
durch Selbstverwaltungsorgane mit Be­
rufsrecht hinterlegt sind. Damit ist etwa
die Ärztekammer gemeint. Sie hat auf
diesem Weg hoheitliche Aufgaben.
Der Patient kann damit davon ausge­
hen, dass seine Angaben in diesem
Arzt­Patienten­Verhältnis „geheim“
bleiben, selbst seinen direkten Verwand­
ten gegenüber, genauso gegenüber
Behörden oder seinem Arbeitgeber. Er
kann mit seinem Arzt immer offen
reden, ohne befürchten zu müssen, vom
Staat verfolgt zu werden. Natürlich gibt
es Ausnahmeregelungen, die sehr eng
gesetzlich definiert sind.
Der Patient darf davon ausgehen,
dass sich der Arzt nur zum Wohle seines
Patienten leiten lässt und keine eigenen
oder fremden wirtschaftlichen Interes­
sen im Spiel sind. Gebührenordnungen
der freien Berufe werden deshalb auch
vom Gesetzgeber erlassen, um zu ver­
hindern, dass unzulässige Forderungen
das sensible Verhältnis belasten.
Der freie Beruf ist ein typisches
Merkmal eines demokratischen Staates,
der Wert darauf legt, dass seinen Bür­
gern noch ein Rest Privatsphäre übrig
bleibt, auf den das Gemeinwesen keinen
Einfluss hat. Das ist insbesondere für
den Bürger bei Krankheit und Konflik­
ten mit dem Gesetz von großer Bedeu­
tung. Eine Demokratie muss sich also
auch daran messen lassen, wie sie freie
Berufe schützt. Nicht umsonst werden
in totalitären Regimen Ärzte und An­
wälte sofort gleichgeschaltet und vom
Staat instrumentalisiert.
Wird der Gedanke des freien Berufes
auch im Alltag abgebildet? Wir leben in
einer Gesellschaft, in der Entscheidun­
gen nahezu allein ökonomisch – nach
Profit oder Kostengesichtspunkten – ge­
troffen werden. Das gilt gerade für un­
ser Gesundheitswesen, sodass man fra­
gen muss, ob unter solchen Bedingun­
gen der freie Beruf überhaupt in seinen
Werten durchgehalten werden kann.
Basis der ökonomischen Steuerung
des Gesundheitswesens ist seit Gesund­
heitsminister Horst Seehofer die einnah­
menorientierte Ausgabenpolitik. Diese
Einnahmen sind lohnabhängig. Bei guter
Wirtschaftslage und niedriger Arbeitslo­
senzahl steht mehr, bei schlechter weni­
ger Geld zur Verfügung. Das damit defi­
nierte Budget ergibt sich aus diesen Ein­
nahmen. Dennoch fordert der Bürger zu
Recht eine umfassende Versorgung, die
den Fortschritt und eine höhere Morbi­
dität einschließen lässt. Dies wird ihm
vom Politiker garantiert, in dem man et­
wa eine Körperschaft wie die Kassen­
ärztliche Vereinigung (KV) mit der Si­
cherstellung der ambulanten Versorgung
insgesamt beauftragt. Sie erhält einen
Budgetanteil und darf das Geld an die
Ärzte verteilen, die bei ihr Zwangsmit­
glied sind. Wird von den Ärzten viel an­
gefordert, sinkt der Preis der einzelnen
Leistung. Die KV macht teils detaillierte
Vorgaben für Leistungen, aber auch bei
der Arzneiverordnung. Halten der ein­
zelne Arzt oder die Ärzte als Fachgruppe
sich nicht daran, verfällt der Preis der
Leistung, oder es droht ein Regress.
Jeder Vertragsarzt steht somit auto­
matisch unter den ökonomischen
Zwängen des Systems und muss die
Folgen seinen GKV­Patienten verkau­
fen. Durch diese ökonomische Steue­
rung soll zwar die Finanzierbarkeit des
Systems gewährleistet werden, das
einzelne Arzt­Patienten­Verhältnis
bleibt davon aber mit Sicherheit nicht
unbeeinflusst. Der Vertragsarzt hat
Mühe, seine Freiberuflichkeit in der
täglichen Praxis hochzuhalten.
Weniger Druck in der Klinik?
Wie geht es dem Arzt im Krankenhaus?
Er erhält ein Gehalt und kann somit
unbeeinflusst von seiner Honorierung
seine medizinischen Entscheidungen
treffen. Wirklich? Auch er steht unter
dem vermehrten ökonomischen Zwang,
der von seinem Klinikträger ausgelöst
wird. Die Krankenhäuser sind dual fi­
nanziert: Die Länder sorgen für die In­
vestitionen, die Kassen für die laufen­
den Kosten. Da die Länder der Investi­
tionsverpflichtung nur unvollständig
nachkommen, müssen Gewinne aus
den laufenden Posten generiert werden.
Dies geht nur durch Rationalisierung,
bei 60 Prozent Personalkosten über die
Zahl und durch Druck auf die Mitar­
beiter. Zusätzlich muss man immer wie­
der neue Leistungen einführen, bei de­
nen man viel Rationalisierungspotenzial
vermutet. Noch mehr als in der Praxis
steht somit der Klinikarzt unter einem
ökonomischen Zwang.
Sollte man deshalb dem Arzt die Ent­
scheidung frei geben, ohne auf wirt­
schaftliche Zwänge zu achten? Hat diese
nicht auch der selbstständig tätige Arzt
als Unternehmer in seiner Praxis, die er
wirtschaftlich führen muss? Dies sind si­
cher gewichtige Einwände gegen eine
rein ärztliche Steuerung des Systems.
Nur ein Arzt kann aber eine direkte per­
sönliche Bindung zu seinem Patienten
aufbauen, die eine rein ökonomische Be­
trachtung bei der Entscheidung über Be­
handlung und Therapie kaum zulässt.
Das entscheidende Argument für
mehr ärztliche Freiberuflichkeit ist aber
das Berufsrecht, das den Patienten
schützt. Ein Verwaltungsleiter oder ein
Kassenvorstand kennt weder die persön­
liche Verantwortung im Einzelfall, noch
dieses Berufsrecht. Im Interesse einer
guten Versorgungsqualität darf der Arzt
daher nicht als ökonomisch orientierter
Claqueur beim Patienten verkommen.
Ob in Praxis oder Klinik: Per
Definition gilt der Arzt als
freier Beruf. Die zunehmen­
den wirtschaftlichen Zwänge
schränken den Entschei­
dungsfreiraum von Ärzten
insbesondere in Diagnostik
und Therapie jedoch immer
mehr ein.
SCHWERPUNKT
Was bleibt vom freien Arztberuf?
Von Dr. Hans­Friedrich Spies
Freiberufler im
Steuerrecht
Häufig wird
der freie Beruf mit
der Definition nach dem Steuer­
recht (Einkommensteuergesetz)
gleichgesetzt. Das ist jedoch für
alle Bereiche außerhalb des
Steuersystems falsch.
Nach Paragraf 18 Abs.1 EStG
erzielt derjenige „Einkünfte aus
selbstständiger Arbeit“, der frei­
beruflich tätig ist. „Zu der frei­
beruflichen Tätigkeit gehören die
selbstständig ausgeübte wissen­
schaftliche, künstlerische ... Tä­
tigkeit, die selbstständige Berufs­
tätigkeit der Ärzte ...“
Eingegrenzter Handlungsspielraum? – Für Kassenärzte Alltag.
© POGONICI / FOTOLIA.COM
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