8
September 2014
BDI aktuell
Berufspolitik
© JÖRG HACKEMANN / FOTOLIA.COM
Ende Juni haben die sieben Sach-
verständigen für das Gesundheits-
wesen ihr neues Gutachten dem
Bundesgesundheitsminister Her-
mann Gröhe (CDU) übergeben. Es
trägt den Titel: „Bedarfsgerechte
Versorgung – Perspektiven für länd-
liche Regionen und ausgewählte
Leistungsbereiche“.
Der Minister wird schon deshalb
erfreut sein, weil er die von der
Großen
Koalition
zwischen
CDU/CSU und SPD im Koaliti-
onspapier festgehaltene Gesund-
heitspolitik bestätigt sieht. Kritik an
der Politik gibt es kaum.
Hingegen werden viele aus der
Sicht der Internisten kritische Vor-
gaben sogar verschärft. Dies gilt be-
sonders für einen Vorschlag der
Sachverständigen: In überversorg-
ten Gebieten müssten demnach
Facharztpraxen künftig ausgeschrie-
ben werden. Der Sachverständigen-
rat fordert damit die kalte Enteig-
nung von Facharztpraxen bei der
Überversorgung.
Zusätzlich hat er sich mit zahlrei-
chen ausgewählten Themen be-
schäftigt, die „BDI aktuell“ für Sie
nebenstehend in Kürze zusammen-
gefasst hat. Dazu zählen: Versor-
gung in ländlichen Regionen, akut-
stationäre Versorgung, Arzneimit-
telversorgung,
Medizinprodukte,
Rehabilitation sowie Stärkung der
hausärztlichen Versorgung.
Die Sachverständigen konnten
sich dabei der Gerechtigkeitsdebat-
te in unserer Gesellschaft nicht ent-
ziehen. Im Gutachten sprechen sie
deshalb von der bedarfsgerechten
Versorgung in ausgewählten Leis-
tungsbereichen und bedarfsgerech-
ter Versorgung aus der Perspektive
ländlicher Regionen.
Die hausärztliche Versor-
gung will der Sachver-
ständigenrat für das Ge-
sundheitswesen stärken.
Die Vorschläge gehen
aber teilweise auf Kosten
der Fachärzte, besonders
der Internisten. „BDI ak-
tuell“ bewertet das Gut-
achten aus internistischer
Perspektive.
Von Dr. Hans-Friedrich Spies
Im zweiten großen
Kapitel des Gutach-
tens spricht der
Sachverständigenrat
die bedarfsgerechte
Versorgung in der
ländlichen Region
an. Mit Erstaunen nimmt man zur
Kenntnis, dass die Sachverständigen
die neu formulierte Bedarfsplanung
unkritisch übernehmen und als
Grundlage für ihre weiteren Überle-
gungen akzeptieren.
Jeder weiß, dass bei dieser Bedarfs-
planung nur die alten Zahlen mit
leichten Morbiditätskorrekturen fort-
geschrieben wurden und ein echter
Versorgungsbedarf bei den Überlegun-
gen nicht Pate gestanden hat. Auch
die Definition der ärztlichen Versor-
gung durch Arztsitze wird von den
Sachverständigen nicht kritisch hinter-
fragt. Obwohl man aufgrund neuer
Strukturen, auch im niedergelassen
Bereich, nicht mehr zwangsläufig da-
von ausgehen kann, dass der niederge-
lassene Vertragsarzt 60 und mehr
Stunden in der Woche arbeitet.
Überraschenderweise stellt der
Sachverständigenrat fest, dass man in
Zukunft nach dieser Bedarfsplanung
weniger anstatt mehr Ärzte benötigt.
Bei den Hausarztsitzen werden 2,8
Prozent, bei den Facharztsitzen ohne
Psychotherapeuten 5,2 Prozent der
Sitze nicht mehr gebraucht.
Disparität bei Haus- und Fachärzten
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte
den Sachverständigen klar werden
müssen, dass eine Bewertung der der-
zeitigen Versorgungssituation auch auf
dem Land auf der Grundlage der er-
lassenen Bedarfsplanung nicht mög-
lich ist. Sie nehmen dennoch die Be-
darfsplanung unkritisch zur Kenntnis
und machen sie zur Grundlage ihrer
weiteren Überlegungen.
Sie stellen fest, dass es eine Dispari-
tät bei Haus- und Fachärzten bei der
Versorgung gibt. Die verschiedenen
Regionen sind bei den Hausärzten so-
wohl unter- als auch überversorgt,
während man bei den Fachärzten
durchweg Überversorgungen feststellt
– außer bei HNO-, Augen- und Ner-
venärzten. Bei den fachärztlichen In-
ternisten beklagt man die fehlende
Differenzierung nach Schwerpunkten,
weil man davon ausgeht, dass der
fachärztliche Internist ohne Schwer-
punkt ohnehin keine große Bedeutung
mehr in der Versorgung haben wird.
Denn die Zahlen seien rückläufig.
Aufgrund ihrer Analyse sprechen
die Sachverständigen zahlreiche Emp-
fehlungen aus. Die Unterversorgung
auf dem Land soll vor allem durch fi-
nanzielle Anreize ausgeglichen wer-
den. So wünscht man einen Landarzt-
zuschlag für die hausärztliche Versor-
gung und die Jugend- und Kinderpsy-
chotherapeuten. Die finanzielle Last
für diese Förderung bürdet man der
Kassenärztlichen Vereinigung auf. Sie
soll aus der Gesamtvergütung der
KBV finanziert werden. Dass damit
ein Verteilungskampf zwischen Haus-
und Fachärzten und den Facharzt-
gruppen untereinander geschürt wird,
ist den Sachverständigen kein Wort
wert.
Enteignung von Facharztpraxen
Betrübt sind die Sachverständigen
über die Überversorgung, da Regulie-
rungsmechanismen nicht umgesetzt
worden seien. Hier hätten die KVen zu
wenig Praxen aus dem Verkehr gezo-
gen, obwohl ihnen der Gesetzgeber
durch eine Kann-Bestimmung diese
Möglichkeit eröffnet hat. Die Vertrags-
ärzte würden nach dem entsprechen-
den GKV-Umsatz entschädigt, so mei-
nen die Sachverständigen. Sie fordern,
dass KVen Praxen aufkaufen müssen,
wenn ein Versorgungsgrad von mehr
als 200 Prozent vorliegt (Überversor-
gung).
Dies trifft vor allem die fachärztli-
chen Internisten, die nach einer Erhe-
bung der Sachverständigen zu 12,4
Prozent betroffen wären. Diese Forde-
rung ist neu und wird die Debatte
über die kalte Enteignung besonders
von Facharztpraxen durch die Be-
darfsplanung neu entfachen. Man
kann nur hoffen, dass die Politik mehr
Augenmaß besitzt und den Empfeh-
lungen nicht folgt. Die Kassenärztliche
Bundesvereinigung hat bereits re-
agiert: Sie lehnt den verpflichtenden
Aufkauf von Praxen ab – auch wenn
sie vom Gesetzgeber in diesem Prozess
aufgrund ihres Status als Körperschaft
fest eingebunden ist.
Bei der Disparität von Haus- und
Fachärzten beklagen die Ratsmitglie-
der, dass sich die Anteile unter den
Niedergelassenen immer mehr Rich-
tung Fachärzte verschieben. Ein
Stockfehler ist ihnen bei der Definition
der Fächer im hausärztlichen Bereich
unterlaufen. So spricht man von „dem
Fach Allgemeinmedizin bzw. Allge-
meinmedizin und Innere Medizin“
und übersieht dabei, dass diese For-
mulierung in der aktuellen Muster-
Weiterbildungsordnung
abgeschafft
worden ist. Es gibt wieder Allgemein-
ärzte und Internisten.
Jeder zweite Hausarzt findet keinen
Nachfolger mehr, weil die Weiterbil-
dung in Allgemeinmedizin ins Stocken
geraten sei. Die Situation verschärft
sich nach Meinung der Sachverständi-
gen noch: Sie gehen davon aus, dass
zwei traditionelle Hausärzte von drei
„neuen“ ersetzt werden müssen.
Grund dafür seien die steigende Mor-
bidität sowie die Vorstellung der nach-
folgenden Ärztegeneration über Ar-
beitszeit und die Verbindung von Fa-
milie und Beruf.
Zudem hält der Rat umfassende
Strukturreformen für erforderlich, die
an den Grundfesten des Systems Ein-
zelpraxis rütteln. So fordert er lokale
Gesundheitszentren
(LGZ),
was
nichts anderes bedeutet als eine Zu-
sammenlegung seitheriger Einzel- oder
Gemeinschaftsstrukturen vor Ort.
In einem Typ A werden ärztliche
und pflegerische Leistungen angebo-
ten. Gemeinschaftsstrukturen mit Be-
rufsausübungsgemeinschaften sind an-
gesagt. Denkbar sind viele rechtliche
Konstruktionen über Praxisgemein-
schaften bis hin zu Medizinischen Ver-
sorgungszentren, um dieses Versor-
gungskonzept umzusetzen. Damit
wird vor allem die Möglichkeit verbes-
sert, angestellte Ärzte einzubinden.
Den Wünschen der nachfolgenden
Ärztegeneration wird damit Rechnung
getragen.
Auslaufmodell: Hausarzteinzelpraxis
Beim Typ B werden zusätzlich Klini-
ken eingebunden, vor allem um statio-
näre Pflegeeinrichtungen und geriatri-
sche Rehabilitation abzubilden. Dies
heißt, dass in ländlichen Regionen
nach Auffassung der Sachverständigen
die hausärztliche Einzelpraxis, insbe-
sondere in der eigenen Immobilie,
zum Auslaufmodell wird. Funktionie-
ren kann die Einbindung der mehr an
einer Work-Life-Balance interessierten
jungen Ärzte nur mit einer Umstruk-
turierung des Notfalldienstes. Eine
Versorgung durch einen Einzelarzt
rund um die Uhr passt nicht mehr.
Zurzeit haben wir drei Ebenen der
Notfallversorgung, die sich im alltägli-
chen Geschäft überlappen: den ärztli-
chen Bereitschaftsdienst (außerhalb
der Praxiszeiten organisiert durch die
KVen), die Notaufnahme in den
Krankenhäusern mit steigender Be-
deutung und den Rettungsdienst, der
fest in kommunaler Hand ist und
Enteignung bei
Überversorgung
trifft Internisten
VERSORGUNG AUF DEM LAND
Maßnahmen gegen
Überversorgung
spielen nur eine
sehr geringe Rolle,
wie die Tatsache
zeigt, dass bundes-
weit bislang ledig-
lich ein Arztsitz
aufgekauft wurde.
Durch die Förde-
rung des freiwilligen
Verzichts wurde
bislang bundesweit
noch kein Arztsitz
abgebaut.
Gutachten des Sachverständigenrats
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