Berufspolitik
BDI aktuell
September 2014
7
Im ersten Quartal 2014 haben die
gesetzlichen Krankenkassen eine Un-
terdeckung von 270 Millionen Euro
verzeichnet. Demnach stehen den
Ausgaben von 51 Milliarden Euro
Einnahmen von 50,7 Milliarden Euro
gegenüber. Die Kassen nehmen dies
zum Anlass, um auf eine strukturelle
Unterfinanzierung hinzuweisen und
für 2015 flächendeckend Zusatzbeiträ-
ge anzukündigen. Auslöser der Dis-
kussion ist das GKV-FQWG (siehe
rechts). Bereits die Diskussionen zu
Jahresbeginn haben gezeigt, dass die
Krankenkassen künftig ohne Zusatz-
beitrag sicher nicht ihren finanziellen
Verpflichtungen nachkommen kön-
nen. Experten rechnen damit, dass
Versicherte allein einen Zusatzbeitrag
in Höhe von einem Prozent tragen
werden müssen. Zu Gunsten des Bun-
desfinanzministeriums wurde der steu-
erfinanzierte Sozialausgleich einkas-
siert, sodass nunmehr die GKV-Versi-
cherten die Mittel aufbringen müssen.
Defizit durch Prämienausschüttung
Man kann es den Kassen also nicht
verdenken, dass sie früh auf einen sich
abzeichnenden finanziellen Engpass ab
2015 hinweisen, um den Versicherten
beizubringen, dass sich die Beitrags-
senkung nicht in ihrem Geldbeutel be-
merkbar machen wird. Interessant ist
jedoch, dass die Kassen ausgerechnet
das Defizit zu Beginn 2014 zum An-
lass nehmen, um die Problematik öf-
fentlich zu machen.
Denn aufgrund zahlreicher Werbe-
aktionen 2013 haben die Kassen im
ersten Quartal 2014 Prämien von 236
Millionen Euro an ihre Versicherten
gezahlt. Dazu kommen weitere freiwil-
lige Satzungsleistungen von 55 Millio-
nen Euro. Der dargestellte Ausgaben-
überschuss von 270 Millionen Euro ist
somit selbst verschuldet und in dieser
Phase sicherlich kein strukturelles Fi-
nanzierungsproblem. Durch die Prä-
mienzahlungen haben einige Kassen
ihre Versicherten an den hohen Fi-
nanzreserven teilhaben lassen.
Betrachtet man die Finanzentwick-
lung nach Kassenarten, so zeigen sich
unterschiedliche Entwicklungen etwa
bei den AOKen oder den Knapp-
schaftskassen gegenüber den Ersatz-
kassen und Betriebskrankenkassen. So
erzielten AOK und Knappschaft-
Bahn-See Überschüsse von 149 und
62 Millionen Euro. Die Ersatzkassen
hingegen registrierten Ausgaben, wel-
che die Einnahmen um Rund 317
Millionen Euro überstiegen, bei den
Betriebskrankenkassen um 128 Millio-
nen Euro. Dies verwundert nicht, da
vor allem die Ersatzkassen mit Divi-
dendenzahlungen und Prämien neue
Mitglieder gewinnen wollten.
Auch stellt sich die Frage: Wie viele
Versicherte profitieren von der Bei-
tragssenkung? Dem Bundesgesund-
heitsministerium zufolge kann es sich
eine mittlere zweistellige Zahl an Kas-
sen leisten, einen Zusatzbeitrag von
weniger als 0,9 Prozent zu erheben.
Derzeit zahlen GKV-Mitglieder bereits
0,9 Prozent mehr als Arbeitgeber.
Gleichwohl wird weiter behauptet,
dass sich rund 20 Millionen Versicher-
te 2015 über Beitragsentlastungen
freuen dürfen. Hier liegen die Koaliti-
onspartner nur geringfügig auseinan-
der: Während die CDU von 20 Millio-
nen ausgeht, spricht die SPD von 18
Millionen. Die Regierung geht also
weiterhin davon aus, dass viele Kassen
ihre Finanzreserven einsetzen werden,
um die Höhe des Zusatzbeitrages in
den kommenden Jahren niedrig zu
halten. Ob diese Vorstellung tatsäch-
lich eintreten wird, bleibt abzuwarten.
Reserven wohl rasch aufgebraucht
Es ist nicht tolerierbar, dass die Kas-
sen die milliardenschweren Kürzungen
des Bundeszuschusses zum Gesund-
heitsfonds über ihre Mitglieder refi-
nanzieren sollen. Man muss davon
ausgehen, dass durch die Absenkung
des Beitragssatzes ab 2015 der GKV
zehn bis elf Milliarden Euro fehlen
werden. Dies wird sicherlich nicht
über längere Zeit durch die aufgebau-
ten Finanzreserven, vor allem inner-
halb jeder Kassenstruktur, wegzuste-
cken sein.
Daher bleibt nur der Appell an die
Politik, ihr Leistungsversprechen für
ein hervorragendes deutsches Gesund-
heitswesen, auch finanziell derart zu
untermauern, um eine hochwertige
Versorgung zu sichern.
Dividenden und Prämien zehren
an Finanzreserven der GKV
Viele Kassen haben ihr
Sparschwein geschlachtet –
mit der Folge, dass ihre
Ausgaben die Einnahmen
nun übersteigen. Sogleich
kündigen viele ihren
Versicherten schon in naher
Zukunft Zusatzbeiträge an,
zu Recht?
Von Tilo Radau
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Kassenreform
(GKV-FQWG)
Beitragssatz
zur Gesetzlichen
Krankenversicherung sinkt von
1. Januar 2015 an von derzeit
15,5 auf 14,6 Prozent.
Der Arbeitgeberanteil
von 7,3
Prozent wird festgeschrieben.
Krankenkassen
können einen
kassenindividuellen Zusatzbei-
trag erheben, den allein die
Mitglieder prozentual von ihrem
Einkommen zahlen müssen.
Ein vollständiger Einkommens-
ausgleich
soll verhindern, dass
die unterschiedlichen Einkom-
mensstrukturen der Kassen den
Wettbewerb verzerren.
Ein Sozialausgleich
aus Steuer-
mitteln entfällt.
Die gesetzlichen Krankenkassen
müssen derzeit wieder ihre dicken
Reserven angreifen.
© PIXELOT/FOTOLIA.COM
Die Kassenärztliche Bundesvereini-
gung (KBV) klagt über die Budgetie-
rung in der vertragsärztlichen Versor-
gung. Sie will künftig nicht mehr für
begrenztes Geld einen unbegrenzten
Leistungsanspruch befriedigen. 2013
seien von den Leistungen in der Ge-
samtvergütung 2,3 Milliarden Euro
Honorar nicht gezahlt worden. Dies
seien 10,6 Prozent aller erbrachten
Leistungen. Das Budget führt laut
KBV zunehmend zu Unzufriedenheit
bei Patienten und Vertragsärzten, die
sich besonders über eine fehlende Pla-
nungssicherheit beklagen. Auch der
fehlende medizinische Nachwuchs
und der Landarztmangel werden über
die Budgetierung zum Teil erklärt.
Die Grundsatzforderung der KBV
lautet deshalb: Ende der Budgetierung
sowie feste und kostendeckende Preise
für alle erbrachten ärztlichen Leistun-
gen. Daher bewertet sie auch den Vor-
stoß der Techniker Krankenkasse mit
dem Ziel zu einer Einzelleistungsver-
gütung zurückzukehren, positiv.
Dabei begrüßt die KBV die ersten
Schritte in Richtung einer Beendigung
der Budgetierung: ausgedeckelt wur-
den 2009 Prävention, ambulantes
Operieren und belegärztliche Leistun-
gen, Strahlentherapie und künstliche
Befruchtung, 2010 Dialysesachkosten
und 2013 psychotherapeutische Leis-
tungen. In den kommenden Honorar-
verhandlungen will die KBV jetzt auch
Basisleistungen außerhalb des Budgets
vergütet wissen: Der persönliche
Arzt-Patienten-Kontakt, die symptom-
bezogene Untersuchung und die
Zweitmeinung sollen mit einer Basis-
pauschale zusammengefasst werden,
die extrabudgetär bezahlt werden soll.
Dies sei aber nur ein erster Schritt.
Die KBV bewegt sich im Rahmen
ihres gesetzlichen Auftrages, nachdem
der Orientierungspunktwert in seiner
Entwicklung definiert ist. Es müssen
die relevanten Investitions- und Be-
triebskosten berücksichtigt werden.
Hier geht sie von einer Steigerung der
Kostensituation aus, mit Ausnahme
der Effektivzinsen bei den Banken.
Eine zentrale Rolle spielt das soge-
nannte Oberarztgehalt, das für die
Kalkulation der ärztlichen Leistung im
EBM herangezogen wird. In 2008 hat
es angeblich 105572 Euro betragen.
Nach neueren Berechnungen unter
Berücksichtigung der Arbeitszeit
kommt man bei kommunalen und
universitären Krankenhäusern auf
über 133000 Euro, die nach Ansicht
der KBV für eine künftige Kalkulation
zugrunde gelegt werden müssen. Die
KBV verschweigt dabei, dass ein
Oberarzt in einer Klinik kein persönli-
ches Investitionsrisiko trägt und auch
für die wirtschaftliche Führung nicht
verantwortlich ist.
Insofern ist dieser Betrag auch un-
ter Berücksichtigung der Tarifsteige-
rungen immer noch zu gering veran-
schlagt. Wir haben es bei den Ver-
tragsärzten mit freien Unternehmern
und nicht mit angestellten Oberärzten
zu tun.
Des Weiteren wird die Honorarver-
einbarung auf KBV-Ebene von der
Morbiditätsstruktur beeinflusst, die re-
gional unterschiedlich ausfällt. Dia-
gnosebezogen schwankt sie nach dem
Beschluss des Bewertungsausschusses
aus 2013 zwischen 2,03 Prozent in
Mecklenburg-Vorpommern und 0,69
Prozent in Bremen. Die demografische
Veränderungsrate schwankt zwischen
0,47 Prozent in Mecklenburg-Vor-
pommern und 0,17 Prozent in Ham-
burg.
Die KBV geht somit von einer wei-
teren Steigerung der Gesamtvergütung
in den Verhandlungen aus. Offen ist,
ob die Kassen dem Verhandlungsan-
gebot der KBV zustimmen?
(HFS)
Die Honorarverhandlungen
von KBV und GKV-Spitzen-
verband haben Ende August
begonnen. Die KBV will ei-
nige Basisleistungen extra-
budgetär vergütet wissen.
KBV fordert Ende der Budgetierung
Zur Lösung und Finanzierung der
Probleme im Gesundheitswesen ist
die Politik sicher glücklich, dass es
die Selbstverwaltung gibt. Für Poli-
tiker müsste man sie neu erfinden,
wenn es sie nicht schon gäbe. In-
zwischen sieht man, wie ein einst
guter Ansatz, etwa mit der Einfüh-
rung der KV, zu einem Prügelkna-
ben für Fehler und Finanzierungs-
defizite im Gesundheitswesen dege-
neriert ist. An der KV wird die
kaum noch verantwortbare Überre-
gulierung des Gesundheitswesens
mehr als sichtbar.
Unter der Überschrift Beitrags-
stabilität und Sicherstellungsauftrag
bekommt die KV in ihrer gedeckel-
ten Honorarvergütung immer neue
Finanzierungsaufgaben. Angefan-
gen beim Landarztzuschlag, um die
flächendeckende Versorgung zu
verbessern, über die Entschädigung
von Praxen in überversorgten Ge-
bieten, die nicht mehr besetzt wer-
den, bis zur Finanzierung von KV-
Filialpraxen auf dem Land. Alles
soll aus der Gesamtvergütung fi-
nanziert werden, so stellt es sich die
Politik vor.
Aber damit nicht genug. Bun-
desgesundheitsminister Hermann
Gröhe (CDU) arbeitet den Koaliti-
onsvertrag ab und plant als Nächs-
tes, die Vier-Wochen-Frist für
Facharzttermine
einzuführen.
Übernehmen wird diese Aufgabe –
wie Wunder – die KV, die dieses
klassische Modell einer Überregu-
lierung auf ihre eigenen Mitglieder
übertragen muss. Scheitert sie an
der Aufgabe, sollen die Kranken-
häuser eingebunden werden. Wer
finanziert die Kliniken in diesem
Fall? Natürlich die KV mit ihrem
gedeckelten Honorar.
Die KV hat natürlich keine
Gelddruckerei in ihrem Keller. Das
Gesamthonorar richtet sich weiter
nach Grundlohnsumme und dem
eher unbedeutenden Morbiditäts-
zuschlag. Die Kosten gesetzlicher
Vorgaben werden bei der Kalkulati-
on nicht berücksichtigt. Wer
kommt für die Mehrkosten auf?
Natürlich zahlt das Zwangsmitglied
Vertragsarzt dies über sein Hono-
rar. Es lebe die Selbstverwaltung!
Es lebe die
Selbstverwaltung
DER CHEFREDAKTEUR MEINT
Schreiben Sie dem Autor unter:
Von Dr. Hans-Friedrich
Spies