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Es sind 20 gestandene Mannsbilder,
die sich im Hamburger Ärztecasino
vor der Kamera postiert haben. Zigar-
ren und Bierkrüge zeigen, dass der
Feierabend schon eingeläutet ist. Bin-
der, steifer Kragen und Weste machen
deutlich, dass sie Wert auf Etikette le-
gen. Ihr Gesichtsausdruck zeugt von
Zufriedenheit, vielleicht auch Stolz,
dazuzugehören.
Es ist ein stimmiges Bild, das die
Mediziner auf dem um 1910 geschos-
senen Foto abgeben. Wäre da nicht
diese Frau ganz links außen. Fast ver-
schwindet sie im Dunkel des schlecht
ausgeleuchteten Hintergrunds und
halb hinter dem Bierseidel stemmen-
den Arm ihres Nachbarn. Schelmisch
lächelnd steht sie da, einen ganzen
Kopf kleiner als ihr Nachbar und ir-
gendwie fehl am Platz wirkend.
1910: Vier Ärztinnen in Hamburg
Ob die männlichen Kollegen Dr. Lilli
Meyer-Wedell dieses Gefühl tatsäch-
lich vermittelt haben, ob sie vielleicht
nur geduldet oder doch anerkannt
war, ist nicht überliefert. Es ist auch
nur eine Vermutung, dass es sich um
Meyer-Wedell handelt, die zu der Zeit
im chemischen Laboratorium arbeite-
te. Viel Auswahl gab es allerdings
nicht – denn es gab kaum Ärztinnen
zu der Zeit am Uniklinikum Ham-
burg-Eppendorf (UKE). Mit ihrer Ge-
schichte beschäftigt sich eine Ausstel-
lung im Medizinhistorischen Museum
Hamburg unter dem Titel „Spurensu-
che – erste Ärztinnen in Hamburg und
am UKE“. Es sind Fotos wie das aus
dem Ärztecasino, die auf den ersten
Blick zeigen, wie stark die Außensei-
terrollen waren, die Ärztinnen wie
Meyer-Wedell bereit waren, für ihren
Beruf anzunehmen.
Sie hatte zuvor 1905 als zweite Frau
überhaupt in München promoviert.
Später war sie über 20 Jahre lang als
Ärztin in Hamburg niedergelassen und
in der Hamburger Säuglings- und
Kleinkinderfürsorge tätig. Wie beson-
ders das war, zeigen die in der Schau
genannten Zahlen: 1910 waren in
Hamburg nur vier Ärztinnen niederge-
lassen, im Deutschen Reich praktizier-
ten gerade einmal 168 Ärztinnen.
Die von Professor Eva Brinkschulte
geleitete Ausstellung zeigt, „wie
schwierig es war, uns an Frauen in der
Medizin zu gewöhnen“, wie Dekan
Professor Uwe Koch-Gromus es zur
Eröffnung ausdrückte. Die Frage, ob
ein solches Thema in Zeiten eines
überdurchschnittlich hohen Frauenan-
teils bei Studienanfängern, Absolven-
ten und Promovierenden überhaupt
Relevanz habe, wurde zur Eröffnung
durchweg bejaht. Denn von Gleich-
stellung kann keine Rede sein, solange
wie in Hamburg die Professorenstellen
nach wie vor zu 85 Prozent von Män-
nern besetzt werden. Die Fortschritte
allerdings sind immens. Mentoring-
Programme, spezielle Stipendien, Aus-
gleichsstellen für jede eingestellte Ärz-
tin und gezielte Seminarreihen helfen,
den Frauenanteil in der Medizin zu
stärken. Hilfreich wären weitere Maß-
nahmen zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, hieß es zur Eröffnung
durch die Gleichstellungsbeauftragte
Professor Hertha Richter-Appelt –
Maßnahmen, von denen beide Ge-
schlechter profitieren würden.
Ein anderes Foto aus der Ausstel-
lung, wieder im Ärztecasino aufge-
nommen: Die steifen Kragen sind ver-
schwunden, auch Bierkrüge und Zi-
garren sind nicht mehr zu sehen. Die
Gruppe, die sich vor der Kamera ver-
sammelt hat, zeigt die Vereinigung au-
ßerplanmäßiger Professoren und Pri-
vatdozenten in Hamburg. 50 Jahre
nach dem ersten Foto ist es aufgenom-
men worden und wieder hat es nur ei-
ne Frau in die Gruppe geschafft. Es ist
Hedwig Wallis, die später Direktorin
der Psychosomatischen Abteilung der
Kinderklinik werden sollte. 50 Jahre
hat es gebraucht, dass die Frau im-
merhin nicht mehr am Rand dieses ex-
klusiven Zirkels, sondern – zumindest
auf dem Foto – in die Mitte gerückt
ist. Aber: Sie war noch immer die ein-
zige Ärztin.
Eine bemerkenswerte Persönlichkeit
Wallis war eine bemerkenswerte Per-
sönlichkeit, deren Meilensteine im Le-
bensweg in der Ausstellung nachzule-
sen sind. Eine andere solche Persön-
lichkeit war Hermine Heusler-Eden-
huizen, die noch unter ganz anderen
Umständen 1902 inkognito als
„Schwester Hermine“ arbeiten muss-
te. Die Medizinstudentin verpflichtete
sich damals als Aushilfsschwester, um
praktische Erfahrungen sammeln zu
können. Sie erfuhr, wie körperlich an-
strengend, geprägt von Putzarbeiten
und von Herablassungen durch Ärzte
diese Tätigkeit damals war. Gegen Äu-
ßerungen von Professoren, ein Medi-
zinstudium von Frauen sei „grober
Unfug“, weil sie „körperlich und geis-
tig viel zu zart und schwach“ seien,
konnte sie nicht aufbegehren, um ihre
Tarnung nicht zu gefährden.
Es hat fast ein Jahrhundert gedau-
ert, bis Frauen in der Medizin die
meisten der mit solchen Vorurteilen
verbundenen Hindernisse und Folgen
aus dem Weg räumen konnten. Damit
auch die verbliebenen noch verschwin-
den, ist ein Rückblick wertvoll.
Eine Ausstellung im
Medizinhistorischen
Museum Hamburg richtet
den Fokus auf die ersten
Ärztinnen am UKE.
Ärztinnen – geduldete Außenseiterinnen
Die Ausstellung
zeigt, wie schwierig
es war, uns an
Frauen in der
Medizin zu
gewöhnen.
Professor Uwe Koch-Gromus
UKE
Vorsichtiger Blick aus der Distanz, die Herren Ärzte diskutieren das weitere
Vorgehen bei einem Patienten, UKE, 1926.
© MEDIZINHISTORISCHES MUSEUM HAMBURG (2)
Hamburger Ärztecasino, 1909: Männer en masse – und eine einzige Frau auf der
linken Seite – vermutlich die Ärztin Dr. Lilli Meyer-Widell.
Von Dirk Schnack
16
September 2014
BDI aktuell
Panorama
ZITIERT
Wer so viel mehr Geld
will, muss auch
sagen, wie sich die
Versorgung konkret
für die Menschen
dadurch verbessert.
Die Ärzte könnten
etwa mal die Vier-
Wochen-Terminga-
rantie aktiv mitgestal-
ten, statt sie immer
nur zu bekämpfen.
Jens Spahn
,
gesundheitspolitischer Sprecher der
Union im Bundestag, zu den aktuellen
Honorarverhandlungen zwischen KBV
und GKV-Spitzenverband.
TOMICEK’S WELT
Unterschätzte Gefahr
Hurrikane mit einem weiblichen
Namen fordern einer Studie zufolge
mehr Todesopfer als solche mit ei-
nem männlichen Namen. Vermut-
lich würden sie von der Bevölke-
rung als weniger bedrohlich wahr-
genommen, schreiben Forscher in
der Zeitschrift „Proceedings“. Die
Menschen seien daher weniger be-
reit, Vorsichtsmaßnahmen zu er-
greifen und etwa Evakuierungs-
empfehlungen zu folgen. Das bishe-
rige System der Namensgebung
sollte überdacht werden, raten die
Wissenschaftler.
Lange bekamen Hurrikane in
den USA nur weibliche Namen.
Meteorologen fanden das aufgrund
der launischen Natur dieser Stürme
angemessen, wie Kiju Jung von der
Universität von Illinois in Urbana-
Champaign berichtet. In den 70er
Jahren wurde die Praxis geändert.
Seitdem bekommen Hurrikane ab-
wechselnd weibliche und männliche
Namen von einer vor der Hurri-
kan-Saison festgelegten Liste.
(dpa)
Mehr Tote bei
Hurrikanen mit
Frauennamen
AUCH DAS NOCH
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24
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