Nach wie vor gespannt beobachten die
Ärzte die Arbeiten der Bundesärzte-
kammer an der neuen Gebührenord-
nung für Ärzte (GOÄ). Denn auf
Druck der Politik muss die Bundesärz-
tekammer die private Krankenversi-
cherung (PKV) und die Beihilfe von
Bund und Ländern an der Diskussion
beteiligen. Dies ist neu. Früher wur-
den die Gebührenordnungen allein
von der Bundesärztekammer (BÄK)
ausgearbeitet und dem Ministerium
als Basis für eine Rechtsverordnung
vorgeschlagen. Zudem scheinen die
derzeitigen Verhandlungen unter Zeit-
druck zu stehen. Es wird gemunkelt,
dass das Ministerium von den Ver-
handlungspartnern Bundesärztekam-
mer und PKV erwartet, dass bis zum
2. Quartal 2015 entscheidungsreife
Ergebnisse vorliegen.
Will man die Verhandlungsergeb-
nisse der Novellierung bewerten, muss
man die Systematik der zur Zeit gülti-
gen GOÄ zugrunde legen.
Kein direkter Kontakt zur PKV
Ausgangspunkt ist der Behandlungs-
vertrag zwischen Arzt und Patient, wo-
bei der Arzt gegenüber dem Patienten
nach der GOÄ liquidiert. Eine direkte
vertragliche Beziehung zur privaten
Krankenversicherung, mit der der
Patient einen Versicherungsvertrag
geschlossen hat, entsteht also nicht.
Die Flexibilität der Liquidation
wird durch sogenannte Steigerungs-
faktoren gesichert. Die Anwendung
der Gebührenordnungspositionen soll
nach dem Schweregrad des jeweiligen
Eingriffs und der Behandlung frei ge-
staltbar sein. Grundsätzlich ist eine
GOÄ im Gegensatz zum Erweiterten
Bewertungsmaßstab (EBM) kein Leis-
tungskatalog. Neue Leistungen kön-
nen als Analogziffern abgerechnet wer-
den, wenn sie nicht direkt in der GOÄ
verzeichnet sind. Soweit die Prinzipien
der noch gültigen GOÄ.
Es geht um die Kostensteigerung
Warum benötigen wir überhaupt eine
neue GOÄ? Könnte nicht die alte Ge-
bührenordnung unverändert weiter
bestehen? Ist sie doch ausreichend fle-
xibel gestaltet und damit anpassungs-
fähig. Die Forderung nach einer neuen
Gebührenordnung ist dennoch ge-
rechtfertigt, weil die Kostensteigerun-
gen nach mehr als 20 Jahren bei den
Leistungen nicht mehr abgebildet wer-
den können. Dies hat zur Folge, dass
nahezu durchweg die höchst zulässi-
gen Multiplikatoren angewandt wer-
den. Zum zweiten sind immer mehr
Leistungen in der GOÄ nicht mehr
enthalten, die zu einer zeitgemäßen
ärztlichen Versorgung gehören. Die
Anwendung von Analogziffern nimmt
Überhand. Diese Ziffern sind oft eine
reine Ermessensangelegenheit des be-
handelnden Arztes, sodass für Arzt
und Patient Rechtsunsicherheiten auf-
treten können.
Grundsätzlich würde es reichen, die
derzeitigen GOÄ-Positionen nur neu
zu bewerten und die Legenden anzu-
passen, um die GOÄ wieder auf den
neuen medizinischen Stand zu brin-
gen.
Die Politik hat aber einen Paradig-
menwandel eingeleitet. Sie verlangt
von der Bundesärztekammer, dass die
„sogenannten“ Kostenträger, nämlich
die private Krankenversicherung und
die Beihilfe an der Neuordnung und
Umsetzung der Novellierung von An-
fang an beteiligt werden. Die private
Krankenversicherung hatte dabei Vor-
stellungen, die der derzeitigen Syste-
matik der GOÄ widersprechen, und
forderte eine Öffnungsklausel. Sie
wollte direkte Verträge mit Ärzten
oder Arztgruppen abschließen und
sich damit der gesetzlichen Kranken-
versicherung annähern.
Außerdem wünschten sie eine
durchschnittliche Bewertung ohne
Steigerungsfaktoren und forderten ei-
ne betriebswirtschaftliche Kalkulation.
Es entstand der Eindruck, dass die pri-
vate Krankenversicherung sich in
Richtung GKV orientiert, sozusagen
zu einer Edel-GKV werden möchte.
Die derzeitige Diskussion wird zwar
vom Thema Legendierung und der
Bewertung bestimmt. Viel wichtiger ist
aber die Rahmenvereinbarung zur No-
vellierung der GOÄ, die inzwischen
von der BÄK in Abstimmung mit dem
PKV-Verband abgeschlossen wurde
und zur Genehmigung dem Bundes-
gesundheitsministerium vorliegt. Un-
ter welchen rechtlichen Bedingungen
wird in Zukunft der privat Versicherte
behandelt? Finden wir in dieser Rah-
menvereinbarung noch die Positionen
der alten GOÄ wieder?
Fasst man die Inhalte der Rahmen-
vereinbarung zusammen, so gibt es
weiter eine Einzelleistungsvergütung,
die aber zu Leistungskomplexen zu-
sammengefasst werden können. Man
spricht von einem kalkulierten Durch-
schnittswert und nennt ihn robusten
Einfachsatz.
Auch die PKV soll gesteuert werden
Hinter diesem schwammigem Begriff
dürfte sich verbergen, dass man Stei-
gerungsfaktoren nur noch in Ausnah-
mefällen zulassen will. Bei der be-
triebswirtschaftlichen Kalkulation wird
der ärztliche und technische Teil ge-
trennt bewertet. Dies kann unter Um-
ständen für die Privatliquidation im
Krankenhaus unabsehbare Folgen ha-
ben. Auch strukturelle Vorgaben, die
wir aus der GKV kennen, sind in der
Rahmenvereinbarung enthalten. So
will man bestimmte Leistungen för-
dern, also das System PKV steuern.
Grundsätzlich besteht die Analog-
bewertung weiter. Diese wird jedoch
durch eine gemeinsame Kommission
möglichst schnell in eine kalkulierte
Gebührenordnungsziffer
überführt.
Diese Kommission ist neu im System.
Durch sie wird eine Art von Selbstver-
waltung der Kostenträger und BÄK
eingeführt, wie wir sie aus der GKV
kennen. Wörtlich heißt es: „Zur No-
vellierung und Weiterentwicklung der
GOÄ richten Bundesärztekammer und
PKV-Verband/Beihilfe eine paritätisch
mit Vertretern der Bundesärztekam-
mer einerseits und des PKV-Verban-
des/Beihilfe andererseits besetzte ge-
meinsame Kommission zur Pflege und
Weiterentwicklung der GOÄ für pri-
vatärztliche Leistungen ein, welche ih-
re Beschlüsse im Einvernehmen der
beiden Parteien fasst und die sich zur
Durchführung von Datenanalysen ei-
ner gemeinsamen Datenstelle be-
dient.“ Es wird weiter ausgeführt, dass
diese Kommission weitreichende
Kompetenzen hat. Sie soll Fehlbewer-
tungen unter Berücksichtigung der
Kostenentwicklung untersuchen und
ggf. korrigieren. Es soll der medizini-
sche Fortschritt möglichst schnell ab-
gebildet werden, aber auch Qualitäts-
anliegen sollen verwirklicht werden.
Die Kommission ist auch dazu da, In-
terpretationen von Abrechnungsbe-
stimmungen verbindlich zu regeln.
Drohen feste Budgets?
Der entscheidende Punkt ist wie folgt
formuliert: „Die Bundesärztekammer
und PKV/Beihilfe werden vor Inkraft-
treten der GOÄ festlegen, von wel-
chem Honorarzuwachs (prozentual)
über sämtliche Leistungsbereiche hin-
weg innerhalb der ersten 6 Monate
nach Inkrafttreten der neuen GOÄ“,
das heißt in der Einführungsphase bis
zum „eingeschwungenen Zustand“ sie
ausgehen. Man vermeidet das Wort
Budget, aber eine Art Ausgabenober-
grenze ist wohl gemeint. Erinnerungen
an das GKV-System werden wach.
Die Rahmenvereinbarung lässt weitge-
hend offen, welche Mechanismen in
Kraft gesetzt werden, wenn die Kom-
mission zu der Auffassung kommt,
dass die Ausgabenentwicklung aus
dem Ruder gelaufen ist.
Andererseits muss als positiv be-
wertet werden, dass man offensichtlich
vermeiden will, dass die GOÄ wie der
EBM zu einem Leistungskatalog wird.
Den privaten Krankenversicherern ist
bewusst, dass dies einem Selbstmord
der PKV gleichkäme. In der Rahmen-
vereinbarung hat die geforderte Öff-
nungsklausel keinen Eingang gefun-
den. Verträge zwischen Ärzten und der
PKV sind weiter nicht vorgesehen.
Betrachtet man die Novellierung
der GOÄ aus der Sicht der Ärzte-
schaft, so bewegt sich die PKV in
Richtung GKV. Die private Kranken-
versicherung wird einer Selbstverwal-
tungslösung unterworfen, die in die-
sem Fall von der PKV und Beihilfe ei-
nerseits und der Bundesärztekammer
andererseits repräsentiert wird. Die
vorgesehene Ausgabenkontrolle, die
betriebswirtschaftliche
Kalkulation,
die sogenannten robusten Einfachsätze
als Durchschnittsbewertung einzelner
Leistungen und die gemeinsame Steu-
erungskommission leiten einen Para-
digmenwechsel in Richtung GKV ein.
Einbußen für Kliniken absehbar
Besonders interessant ist die Rahmen-
vereinbarung bezüglich der Privatli-
quidation im Krankenhaus. Hier ist
angedacht worden, dass die Abschläge
bei der Rechnungsstellung bei statio-
närer Behandlung verändert, das heißt
ggf. erhöht werden. Vonseiten der
BÄK wird zugesichert, dass die Dis-
kussion zurzeit nicht aktuell ist. Sie
würde im Übrigen zu einer Reduktion
der Liquidationsmöglichkeit der Chef-
ärzte, aber auch zu Einnahmeverlusten
bei den Krankenhäusern führen. Rein
theoretisch ist es denkbar, dass die
PKV nur noch die Liquidation des
ärztlichen Anteils zulässt, weil sie be-
hauptet, dass die technische Leistung
bereits in der abgerechneten DRG be-
zahlt worden ist. Derzeit ist eine sol-
che Lösung aber nicht umsetzbar, weil
der Gesetzgeber dazu das Kranken-
hausentgeltgesetz ändern müsste.
Leistungskatalog soll offen bleiben
Über die hier beschriebene Rahmen-
vereinbarung ist die Diskussion in der
Ärzteschaft inzwischen hinweggegan-
gen. Die Ärzte nehmen in Kauf, dass
die Selbstbestimmungslösung der Ver-
tragspartner Bundesärztekammer und
PKV/Beihilfe Elemente in das System
einführt, die man von der GKV kennt.
Das Vertragsverhältnis Arzt und Pati-
ent bestimmt nicht mehr allein die Li-
quidationsmöglichkeiten beim Privat-
versicherten. Es wird in Rahmenver-
einbarungen eingebunden, die seine
freien Liquidationsmöglichkeiten mehr
als seither einengen. Die PKV wird
aber schon deshalb nicht zur GKV,
weil weiterhin ein offener Leistungska-
talog dem privat versicherten Patien-
ten zur Verfügung gestellt wird.
Zurzeit findet die Diskussion über
die GOÄ auf der Ebene der Legendie-
rung der Gebührenordnungspositio-
nen und deren Bewertung statt. Infor-
mationen über die Gestaltung der
neuen Gebührenordnung liegen auch
den Berufsverbänden dabei nur bruch-
stückhaft vor. Es wird vermutet, dass
die Verhandlungen zwischen PKV und
Bundesärztekammer auch bezüglich
der Bewertung viel weiter fortgeschrit-
ten sind, als gegenüber Berufsverbän-
den und Interessengruppen darge-
stellt. Dies hat sich auch durch die
punktuelle Einbindung von Berufsver-
bänden durch Informationsveranstal-
tungen der Bundesärztekammer nur
geringfügig verbessert. Die GOÄ ist in
ihrer gesamten Bewertung noch im-
mer eine Blackbox.
Mehrvergütung wirklich möglich?
Wir sind gespannt, ob es tatsächlich
die von der BÄK versprochene Mehr-
vergütung im System gibt und welche
Umverteilungen durch die Neulegen-
dierung und Kalkulation zwischen den
einzelnen Arztgruppen stattfinden
werden. Sicher ist nur, dass wir bei der
Novellierung der GOÄ in eine neue
ordnungspolitische Epoche im Um-
gang mit den Selbstzahlern in Klinik
und Praxis eintreten werden. Aber
auch die BÄK wird sich umstellen
müssen. Die Arbeit in der gemeinsa-
men Kommission dürfte sehr viel Zeit,
Personal und Geld binden. Noch
scheint sich die BÄK nicht auf diese
neue Aufgabe eingestellt zu haben.
Zum ersten Mal arbeitet die
Bundesärztekammer die
Neuordnung der GOÄ nicht
alleine aus. Für Niederge-
lassene, aber auch Kliniken
ist das nicht unbedingt von
Vorteil. Die Öffnungsklausel
ist zwar vom Tisch. Sorgen
bereiten jedoch andere
Regelungen.
Baustelle GOÄ: Warum die Novellierung
zum Paradigmenwechsel wird
© BAUSTELLENSCHILD: EYEWAVE / FOTOLIA.COM | ERDHÜGEL: ABOD / FOTOLIA.COM | [M] TILL SCHLÜNZ
Von Dr. Hans-Friedrich Spies
8
März 2015
BDI aktuell
Berufspolitik