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| Meinung

Reichen die Vorschläge der Expertenkommission für den Paradigmenwandel?

© Phil Dera

 

Seit Jahren gibt es einen unauflösbaren Widerspruch zwischen dem ärztlichen Auftrag und der ökonomischen Wirklichkeit in Krankenhäusern und Kliniken. Die Ärzteschaft ist in der Patientenversorgung zunehmend unter Druck geraten, ihr Handeln einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung des Krankenhauses unterzuordnen.

Mit dem Ärztekodex „Medizin vor Ökonomie“ wird eine professionelle medizinethisch basierte Unterstützung seitens der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), des Berufsverbandes Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI), zahlreicher weiterer Fachgesellschaften, Berufsverbände, Bundes- und Landesärztekammern, Marburger Bund, bis hin zur Europäischen Internistenfederation garantiert, ohne damit eine durchgreifende Veränderung der aktuellen Arbeits- und Behandlungssituation in den Kliniken herbeiführen zu können.

Die Vorschläge der Regierungskommission zu einer grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung werden derzeit sehr intensiv diskutiert. Kann diese Reform das Spannungsfeld auflösen und „Medizin vor Ökonomie“ wieder gewährleisten? Der Reformvorschlag, Vorhaltepauschalen einzuführen, könnte den massiven ökonomischen Druck auf die Ärzteschaft reduzieren, aber nur dann, wenn eine ausreichende Krankenhausfinanzierung sichergestellt ist. Ansonsten führen finanzielle Defizite unabhängig von den Fallpauschalen weiter zu erheblichem ökonomischem Druck.

Da sicher eine finanzwirksame Umsetzung von Vorhaltepauschalen erst mit einer sehr langen Vorlaufzeit zu erwarten ist, fehlt im aktuellen Vorschlag die Idee zur Überbrückung dieser Zeit, in der sich mit weiter explodierenden Kosten, sich verschärfendem Personalmangel und in Folge auch reduzierten Fallzahlen die Gefahr für Klinikinsolvenzen erhöht. Dies würde dann zu einer extremen Steigerung des wirtschaftlichen Drucks auf die Ärzteschaft führen. Darüber hinaus wird auf Grund des Vorschlages der Expertenkommission der überwiegende Teil der Arztkosten in der DRG verbleiben und somit auch hier keine Entlastung der Ärzteschaft vom ökonomischen Druck zu erwarten sein.

Mit Blick auf die Definition von Versorgungsstufen sowie Mindeststrukturvoraussetzungen der Krankenhäuser ist von großer Bedeutung, dass die geplanten Strukturprüfungen nicht zusätzlich personelle Reserven der Kliniken binden und schließlich ein noch größerer bürokratischer Aufwand Ärzteschaft und Pflege belasten wird. Mit dem Ziel, den ökonomischen Druck zu reduzieren, müssen Personalkapazitäten für die Versorgung und nicht für zusätzliche bürokratische Aufgaben sichergestellt werden.

Im Fazit ist der Vorschlag der Regierungskommission vom 6. Dezember 2022 von großem Interesse, und beinhaltet sicher mehr als eine Reform der Krankenhausvergütung, da er auf die Krankenhausplanung ebenso abzielt. „Medizin vor Ökonomie“ jedoch kann nur Wirklichkeit werden, wenn die aktuelle Not in den Krankenhäusern nicht übersehen und die Konvergenzphase bis zum Einsatz von Vorhaltekosten finanziell entsprechend des Bedarfs überbrückt wird.

Eine Stabilisierung des massiven Personalmangels und ein wirklicher Abbau des großen bürokratischen Aufwandes sind gleichermaßen zwingend erforderlich, um ökonomischen Druck zu reduzieren. Inwieweit Versorgungsstufen und Mindeststrukturvoraussetzungen für Leistungsgruppen zukünftig die Ärzteschaft unterstützen, eine auf medizinethischer Unterstützung basierende vom ökonomischen Druck unabhängige Medizin zu betreiben, muss abgewartet werden.

Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger,
Ärztliche Direktorin, Zentrum / Innere Medizin / Fünf Höfe / München; Vorstandsmitglied des BDI; Leiterin des Ressorts Fortbildung

erschienen in BDIaktuell 2/2023