S_01_08_BDI_aktuell_12_2013__.qxd - page 12

Medizin
Nr. 12 • Dezember 2013
12
tung ist so zur Zeit nicht möglich [7,
36, 38].
kurzgefasst
In 1-5 % pro Jahr geht eine sub-
klinische in eine manifeste Hyperthy-
reose über. Die Symptome umfassen
u.a Palpitationen, vermehrtes Schwit-
zen, Nervosität, Ängstlichkeit und
Schlafstörungen.
Kardiovaskuläre Effekte
Schilddrüsenhormone beeinflussen
die kardialen Myozyten über nukleäre
Rezeptoren, aber auch direkt über
nicht genomische Effekte [15]. Eine
Vielzahl von Untersuchungen belegen
die Beeinflussung des Herzens durch
die subklinische Hyperthyreose. Die
basale Herzfrequenz ist bei diesen
Patienten erhöht ebenso wie die Nei-
gung zu vermehrten atrialen Extra-
systolen, aber auch zu Episoden mit
transientem oder auch permanentem
Vorhofflimmern [2]. Morphologische
Veränderungen des Herzens können
bei länger anhaltender TSH-Suppres-
sion in einer Hypertrophie des linken
Ventrikels münden [2, 10]. Der echo-
kardiographisch gemessene Index für
die linkskardiale Masse wurde konsis-
tent in einer Reihe von Studien
sowohl bei exogener Hormonzufuhr
wie auch bei endogener subklinischer
Hyperthyreose erhöht gemessen.
Erklärt wird dies durch direkte Effekte
der Schilddrüsenhormone auf kardia-
le Myozyten, einer Überaktivierung
des adrenergen Systems und verän-
derten Vor- und Nachlastbedingungen
[10, 16]. Auch die diastolische Herz-
funktion wird durch erniedrigte TSH-
Werte ungünstig beeinflusst [30].
Patienten mit erhöhtem kardiovasku-
lärem Risiko haben bei supprimierten
TSH-Werten ein erhöhtes Risiko für
das Auftreten einer Myokardinsuffi-
zienz [21]. In einer deutschen Unter-
suchung zeigte sich eine lineare
Beziehung zwischen der sonogra-
phisch gemessenen Intima-Media-
Dicke und der Schilddrüsenfunktion
[42].
Mortalität
Epidemiologische Studien belegen ein
deutlich erhöhtes Risiko für Vorhof-
flimmern besonders in der älteren
Bevölkerung. Bei über 60-Jährigen
fand sich in einer amerikanischen
Untersuchung ein Risiko von 28 % für
Vorhofflimmern über 10 Jahre bei
vollständiger TSH-Suppression [28].
In der Konsequenz resultieren die
kardiovaskulären Veränderungen in
einer erhöhten Mortalität, die mit
dem Alter und einer zunehmenden
Suppression des TSH-Wertes ansteigt
[13, 23]. Bei einigen dieser Studien
wurde allerdings nur der Ausgangs-
TSH-Wert gemessen, sodass mögli-
cherweise bei einem Teil der Patien-
ten im Verlauf der Studie eine mani-
feste Hyperthyreose aufgetreten ist
und sich der Effekt der alleinigen
TSH-Suppression nicht in allen Unter-
suchungen belegen lässt.In einer
Metaanalyse berechneten Haentjens
et al. [13] eine Übersterblichkeit von
41 % für Patienten mit subklinischer
Hyperthyreose. Ochs et al. [22] konn-
ten in einer Metaanalyse 2008 nur
eine gering erhöhte Mortalität fest-
stellen. Eine kürzlich publizierte Ver-
laufsuntersuchung aus Amsterdam
konnte dagegen keine erhöhte Morta-
lität bei TSH-Suppression über einen
Zeitverlauf von im Median 10,7 Jah-
ren zeigen [6]. Ebenfalls in den Nie-
derlanden wurde eine große Gruppe
von sehr alten Menschen mit einem
Lebensalter von über 85 Jahren einige
Jahre verfolgt. In dieser Untersuchung
hatte eine TSH-Suppression keinen
Einfluss auf die Mortalität [12]. In
einer großen Untersuchung zu den
Effekten einer Therapie mit Pravasta-
tin bei älteren Patienten mit erhöh-
tem kardiovaskulärem Risiko zeigte
nur die Gruppe der Patienten mit
subklinischer Hyperthyreose ohne
zusätzliche Behandlung mit Pravasta-
tin eine signifikante erhöhte Über-
sterblichkeit [21]. Ergänzende Hin-
weise auf einen Zusammenhang zwi-
schen TSH-Höhe und Mortalität gibt
aber auch eine aktuelle große Unter-
suchung mit über 44 000 Teilneh-
mern, die eine erhöhte Mortalität
auch bei noch euthyreoten Menschen
mit absinkenden TSH-Werten aufzeigt
[24]. Die größte Studienzusammen-
stellung mit über 52 000 Teilnehmern
wurde 2012 publiziert, sie bestätigte
eine erhöhte Gesamtmortalität
(Hazard Ratio [HR] 1,24; 95 %-Konfi-
denzintervall 1,06-1,46), eine erhöhte
kardiovaskuläre Mortalität (HR 1,29
[1,02-1,62]) und besonders ein stark
erhöhtes Risiko für das Auftreten von
Vorhofflimmern (zuzuordnendes Risi-
ko 41,5 %) bei Menschen mit subklini-
scher Hyperthyreose [5].
kurzgefasst
Die subklinische Hyperthyreose
steigert das Risiko für kardiovaskuläre
Kompikationen, besonders für das
Auftreten von Vorhofflimmern bei
älteren Menschen.
Knochenstoffwechsel
Die manifeste Hyperthyreose ist
durch eine negative Bilanz des
Knochenstoffwechsels mit Kalzium-
und Knochenmasseverlust und nach-
folgend erhöhtem Frakturrisiko
gekennzeichnet [39]. Die am distalen
Unterarm gemessene Knochendichte
nimmt bei TSH-Werten unter 0,5
mlU/l signifikant ab [34], während bei
höheren Werten keine Unterschiede
gefunden wurden. In einer bevölke-
rungsbasierten Untersuchung mit
mehr als 23 000 Teilnehmern, die
eine Therapie mit Schilddrüsenhor-
monen erhielten, zeigte sich eine
Erhöhung des Risikos für Wirbelkör-
perfrakturen bei leicht supprimierten
TSH-Werten (0,1-0,5 mlU/l) mit einer
Odds Ratio [OR] von 2,8, das bei voll-
ständiger TSH-Suppression (TSH <
0,1 mlU/l) deutlich ausgeprägter war
(OR 4,5). Ähnliche Ergebnisse zeigten
sich für das Risiko von Hüftfrakturen
(OR 1,9 bzw. 3,6) [29].
In einer kalifornischen Verlaufsunter-
suchung mit 3567 Teilnehmern über
im Median 13 Jahre (39 952 Patien-
tenjahre) konnte bei älteren Männern
ein 4,91-fach erhöhtes relatives Risiko
für das Auftreten von hüftgelenkna-
hen Frakturen bei bestehender subkli-
nischer Hyperthyreose nachgewiesen
werden, jedoch nicht bei Frauen [18].
In einer schottischen Untersuchung
zeigte sich eine erhöhte Frakturrate
für das Gesamtkollektiv der Unter-
suchten (17 684 mit Levothyroxin
behandelte Personen, Gesamt-Follow-
up 78 518 Jahre) bei TSH-Werten
unter 0,3 mlU/l [9]. Auch für Wirbel-
körperfrakturen wurde eine erhöhte
Rate bei Menschen mit supprimierten
TSH-Werten nachgewiesen [19].
kurzgefasst
Die Knochendichte wird bei
lang andauernder subklinischer
Hyperthyreose schlechter und das
Risiko für Osteoporose-bedingte
Frakturen steigt an.
Folgerungen
Ist ein TSH-Screening sinnvoll?
Eine Metaanalyse aus dem Jahre 2011
und ein Cochrane-Review zeigen, dass
es bisher keine Studien mit ausrei-
chend hoher Qualität gibt, die bele-
gen, dass ein bevölkerungsweites
Screening auf TSH-Normabweichun-
gen einen Nutzen oder Schaden
bringt [26]. Es bleibt zunächst unklar,
ob ein frühes therapeutisches Interve-
nieren bei nur leichten TSH-Erniedri-
gungen im Hinblick auch auf kardio-
vaskuläre Erkrankungen einen Vorteil
bringt, oder ob ein beobachtendes
Abwarten nicht genauso ausreichend
ist. Es ist immer ratsam, das individu-
elle Risiko mit zu beurteilen und
besonders bei kardiovaskulären
Begleit- oder Vorerkrankungen früh-
zeitig eine Behandlung einzuleiten.
Soll eine subklinische Hyperthyreose
behandelt werden?
Die Datenlage, die belegt, dass eine
Behandlung der subklinischen Hyper-
thyreose dem Patienten einen Überle-
bensvorteil bringt, ist schwach oder
sogar gar nicht existent [40]. Es gibt
eine Reihe von Untersuchungen, die
eine Verbesserung von Surrogatpara-
metern zeigen (Abnahme der Herzfre-
quenz, Normalisierung der erhöhten
linksventrikulären Masse), langfristi-
ge Untersuchungen nach Behandlung
einer subklinischen Hyperthyreose
fehlen [37]. Es scheint heute sinnvoll,
nach den Ursachen der Störung zu
fahnden und eine individuell ange-
passte Therapie anzustreben [43].
Ist der TSH-Wert durch eine exogene
Schilddrüsenhormonzufuhr suppri-
miert, sollte eine Dosisanpassung
erfolgen. Lediglich eine kleine Gruppe
von Patienten mit differenziertem
Schilddrüsenkarzinom benötigt heute
noch bei Verdacht auf eine Persistenz
der Erkrankung eine vollständig TSH-
suppressive Therapie. Die Dosierung
der Levothyroxinmedikation sollte in
diesen Fällen dem spezialisierten
Zentrum überlassen werden.
Liegt eine autonome Funktionsstö-
rung vor, so sollte zumindest bei TSH-
Werten < 0,1mIU/l eine thyreostati-
sche Therapie mit dem Ziel einer
Euthyreose begonnen werden. Da
diese Störung in der Regel persistiert,
ist dauerhaft eine definitive Therapie
in Form einer Radiojodtherapie oder
bei zusätzlichen suspekten Verände-
rungen oder Lokalkompressionszei-
chen eine Operation indiziert. Eine
hohe Jodzufuhr (explizit: jodhaltige
Röntgenkontrastmittel) muss bei
Autonomien vermieden werden.
In der thyreostatischen Therapie des
Morbus Basedow steigen die TSH-
Werte nach Therapiebeginn oft erst
nach längerer Zeit (zum Teil Monate)
an. In diesem Fall richtet sich die The-
rapie bevorzugt nach den peripheren
Schilddrüsenhormonwerten. Bei dau-
erhafter Normalisierung der Werte
für freies T3 und freies T4 steigt dann
aber auch der TSH-Wert ebenfalls
langsam an.
Eine TSH-Suppression, die durch eine
vermehrte Wirkung von humanem
Choriongonadotropin in der Schwan-
gerschaft hervorgerufen ist, benötigt
keine Therapie. Dies gilt auch für eine
TSH-Suppression durch pharmakolo-
gische Dosierungen von Glukokorti-
koiden.
Eine Therapieindikation ist immer
dann sorgfältig zu prüfen, wenn die
TSH-Werte unter 0,1 mlU/l erniedrigt
sind, da für diese Patientengruppe die
Evidenz für nachteilige gesundheitli-
che Effekte am größten ist. Bei TSH-
Werten zwischen 0,1 und 0,4 mlU/l
kann eine inivudualisierte Therapie-
entscheidung erfolgen unter besonde-
rer Berücksichtigung des kardiovasku-
lären Risikoprofils des Patienten. Um
die Frage einer Behandlungsindikati-
on für alle Patienten mit erniedrigten
TSH-Werten sicher beantworten zu
können, sind prospektive randomi-
sierte Studien erforderlich [3, 4]. Die
Datenlage zur Therapieeffektivität
einer Normalisierung des TSH-Wertes
in Bezug auf kardiale Endpunkte ist
noch unzureichend [35].
kurzgefasst
Die Ursache für eine subklini-
sche Hyperthyreose sollte differen-
zialdiagnostisch abgeklärt werden.
Bei zu hoher Levothyroxintherapie
muss eine Dosisanpassung erfolgen.
Autonome Funktionsstörungen soll-
ten auf Dauer durch Radiojodtherapie
oder Operation geheilt werden.
Konsequenz für Klinik und Praxis
▶ Eine subklinische Hyperthyreose
kann kardiovaskuläre, skelettale
und psychokognitive Auswirkungen
haben.
▶ Eine Ursachenabklärung sollte in
jedem Fall erfolgen.
▶ Die häufigste Ursache ist eine zu
hoch dosierte Therapie mit Levo-
thyroxin.
▶ Eine Therapie der schwanger-
schaftsbedingten latenten Hyper-
thyreose ist nicht notwendig.
▶ Bei autonomen Funktionsstörungen
ist eine definitive Therapie anzu-
streben.
Autorenerklärung: Der Autor erklärt,
dass er keine finanziellen Verbindun-
gen mit einer Firma hat, deren Pro-
dukt in diesem Artikel eine wichtige
Rolle spielt (oder mit einer Firma, die
ein Konkurrenzprodukt vertreibt).
Literatur
1 Ahmed S, Van Gelder IC, Wiesfeld AC et
al. Determinants and outcome of amio-
darone-associated thyroid dysfunction.
Clin Endocrinol (Oxf) 2011; 75: 388-394
2 Biondi B, Fazio S, Carella C et al. Cardiac
effects of longterm thyrotropin-suppres-
sive therapy with levothyroxine. J Clin
Endocrinol Metab 1993; 77: 334-338
3 Biondi B, Cooper DS. Subclinical thyroid
disease. Endocr Rev 2008; 29: 76-131
4 Biondi B. How could we improve the
increased cardiovascular mortality in
patients with overt and subclinical
hyperthyroidism?. Eur J Endocrinol
2012; 167: 295-299
5 Collet TH, Gussekloo J, Bauer DC et al.
Subclinical hyperthyroidism and the risk
of coronary heart disease and mortality.
Arch Intern Med 2012; 172: 799-809
Review
6 De Jongh RT, Lips P, van Schoor NM et al.
Endogenous subclinical thyroid disor-
ders, physical and cognitive function,
depression, and mortality in older indi-
viduals. Eur J Endocrinol 2011; 165:
545-554
7 Dobert N, Hamscho N, Menzel C et al.
Subclinical hyperthyroidism in dementia
and correlation of the metabolic index in
FDG-PET. Acta med austr 2003; 30: 130-
133
8 Feldkamp J. Autoimmunthyreoiditis:
Diagnostik und Therapie. Dtsch Med
Wochenschr 2009; 134: 2504-2509
9 Flynn RW, Bonellie SR, Jung RT et al.
Serum thyroid-stimulating hormone
concentration and morbidity from car-
diovascular disease and fractures in
patients on long-term thyroxine therapy.
J Clin Endocrinol Metab 2010; 95: 186-
193
10 Gullu S, Altuntas F, Dincer I et al. Effects
of TSH-suppressive therapy on cardiac
morphology and function: beneficial
effects of the addition of beta-blockade
on diastolic dysfunction. Eur J Endocri-
nol 2004; 150: 655-661
11 Gulseren S, Gulseren L, Hekimsoy Z et
al. Depression, anxiety, health-related
quality of life, and disability in patients
with overt and subclinical thyroid dys-
function. Arch Med Res 2006; 37: 133-
139
12 Gussekloo J, Van Exel E, De Craen AJM et
al. Thyroid status, disability and cogniti-
ve function, and survival in old age.
JAMA 2004; 292: 2591-2599
13 Haentjens P, Van Meerhaeghe A, Poppe
K et al. Subclinical thyroid dysfunction
and mortality: an estimate of relative
and absolute excess all-cause mortality
based on time-to-event data from cohort
studies. Eur J Endocrinol 2008; 159:
329-341
14 Hannemann A, Friedrich N, Haring R et
al. Thyroid function tests in patients
taking thyroid medication in Germany:
Results from the population-based Study
of Health in Pomerania (SHIP). BMC Res
Notes 2010; 3: 227 doi: DOI:
10.1186/1756-0500-3-227
15 Kahaly GJ, Dillmann WH. Thyroid hor-
mone action in the heart. Endocr Rev
2005; 26: 704-728
16 Kobori H, Ichihara A, Miyashita Y et al.
Local renin-angiotensin system contri-
butes to hyperthyroidisminduced cardi-
ac hypertrophy. J Endocrinol 1999; 160:
43-47
17 Laurberg P, Pedersen KM, Vestergaard H
et al. High incidence of multinodular
toxic goitre in the elderly population in a
low iodine intake area vs. high incidence
of Graves' disease in the young in a high
iodine intake area: comparative surveys
of thyrotoxicosis epidemiology in East-
Jutland Denmark and Iceland. J Intern
Med 1991; 229: 415-420
18 Lee JS, Buzkova P, Fink HA et al. Subcli-
nical thyroid dysfunction and Incident
hip fracture in older adults. Arch Intern
Med 2010; 170: 1876-1883
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...28
Powered by FlippingBook