Berufspolitik
Nr. 12 • Dezember 2013
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Die Koalitionsverhandlungen sind
noch in vollem Gange; aus der
Arbeitsgruppe Gesundheit drin-
gen nur Bruchstücke an die
Öffentlichkeit. Wie substanziell sie
wirklich sind, werden wir noch
sehen.
Sicher ist, dass Union und SPD an
Zwangsrabatten festhalten und
die Arzneimittelpreise eingefroren
bleiben. Sicher ist auch, dass die
Parteien die hausärztliche Versor-
gung stärken wollen, wie das
geschehen soll, im Hinblick auf
die Refinanzierungsklausen nach
§ 73 b SGB V, ist unklar. Man hört,
dass der einheitliche Beitragssatz
für Krankenkassen fallen wird
und die Kassen die Möglichkeit
wieder erhalten sollen, den Bei-
tragssatz nach ihren Möglichkei-
ten individuell festzusetzen.
An die wirklich großen Themen
haben sich die Koalitionäre ganz
offensichtlich noch nicht getraut. Hier
geht es um die zukünftige Finanzie-
rung der Krankenhäuser und eine
Reform des DRG-Systems. Weiterhin
geht es um die Frage einer sektor-
übergreifenden Bedarfsplanung, da
die von der letzten Regierung
beschlossene Bedarfsplanung nur für
den ambulanten Bereich gilt. Ganz
weit weg scheint die AG-Gesundheit
von der Forderung des BDI zu sein,
feste Preise und/oder eine feste
Menge für ärztliche Leistungen zu
definieren. In der Konsequenz heißt
dies, dass der Fortschritt in der Medi-
zin von den Fachärztinnen und Fach-
ärzten finanziert wird.
Alles in allem sieht es danach aus,
dass es keinen großen Wurf in der
Gesundheitspolitik geben wird, son-
dern mit kleinteiligen Veränderungen
eine Gesundheitspolitik nach Kassen-
und Interessenlage festgelegt werden
wird.
Der Berufs-
verband
Deutscher
Internisten,
Ihr BDI, wird
sich nach Bil-
dung der
neuen Regie-
rung schnellstmöglich mit dem
Gesundheitsminister in Gespräche
begeben, um die ambulante und
stationäre Versorgung der Patienten
mit internistischen Krankheiten zu
verbessern.
Wir sind an dieser Stelle auf Ihre
Mitwirkung, Ideen und Kontakte
angewiesen. Helfen Sie mit, enga-
gieren Sie sich.
Ihr
Dr. med. Wolfgang Wesiack
Präsident BDI e.V.
Präsident
Dr. med. Wolfgang Wesiack,
Hamburg
Editorial
Maximilian
Guido Broglie
wurde am 22.
November 1943
in Gießen gebo-
ren. Sein Vater,
Professor Dr.
med. Maximili-
an Broglie,
1959 Mitbegründer und langjähri-
ger Präsident unseres Verbandes,
führte auf dem Weg seiner wissen-
schaftlichen Karriere seine Familie
von Gießen über Kiel, Schleswig,
Neumünster nach
Wiesbaden/Mainz, und damit seine
Kinder durch zahlreiche Schulen,
die dem selbstbewussten und
eigenwilligen Knaben Max nicht
immer die gewünschten Freiräume
vermitteln konnten.
So verstärkte sich etwas frühzeitig
sein Wunsch (oder der des klugen
Vaters?), erst mal etwas Handfestes
zu lernen, und das in der Adam
Opel AG, Rüsselsheim; nicht direkt
in der Führungsetage, sondern an
der Werkbank der Maschinenschlos-
ser-Lehre. Dort allerdings bald im
Betriebsrat – ein erstes Aufleuchten
seiner Suche nach Recht und
Gerechtigkeit?
Wenngleich Handwerk goldenen
Boden versprach, zog Max nach der
Lehre von 1962–1965 doch eine
Zukunft mit Abitur vor.
Am Gymnasium Stiftung Louisen-
lund in Nähe der Großen Breite der
Schlei erlag er nicht der Versu-
chung, die angebotenen Praktika
„Ausbildung zum Feuerwehrmann
oder Segellehrer“ zu seinem
Lebensentwurf auszuweiten, son-
dern folgte dem Wahlspruch der
Schule: „Verantwortlich handeln,
kreativ denken, dem Gemeinwohl
verpflichtet sein“. Ein gutes Abitur
bewies, dass auch ein etwas gereif-
terer Schüler noch zu herausragen-
den Leistungen in einer disziplinier-
ten Gemeinschaft fähig ist.
Von 1967 bis 1972 folgten das Jura-
studium und Studium der Betriebs-
wirtschaftslehre, über die Universi-
täten Marburg, Mannheim, Frei-
burg, Heidelberg und darüber
hinaus bis Adelaide/Australien.
Seit 1976 Rechtsanwalt, leitete er
1977 bis 1980 die Personal- und
Rechtsabteilung einer großen
Firma, die auf Logistic-Programme
spezialisiert war. Die dort erworbe-
nen Kenntnisse erlaubten ihm, als
Hauptgeschäftsführer des Berufs-
verbandes Deutscher Internisten
seit 1980 die Buchhaltung und Mit-
gliederkartei zügig von Farbband
und Hollerith-Lochkarten zu befrei-
en und über den kurzlebigen Bild-
schirmtext BTX hinweg die ersten
BDI-Kurse „EDV in der ärztlichen
Praxis“ zu nutzen. Erst mal nur zum
Ansehen – nichts überstürzen!
Anfangs wurde dem neuen HGF
sein Amt nicht leichtgemacht.
Der damalige Präsident Dr. Frank-
Schmidt war ein Freund deutlicher
Formulierungen, wenn es um die
Interessen seiner Internisten ging.
Max Broglie musste in Tag- und
Nacht-Rufbereitschaft manches
vorsorglich verhindern oder retro-
grad die mildernden Umstände for-
mulieren – ein gutes Team.
Als Einstand erstritt er ein Urteil, in
welchem dem Berufsverband der
Allgemeinärzte untersagt wurde,
sich als „Hausarztverband“ im Sinne
eines Monopols zu bezeichnen.
(Etwa 70 % der Internisten waren
schon damals in Sicherung der Ver-
sorgung als „Internistischer Haus-
arzt“ unverzichtbar.) Der Kampf
gegen ein Primärarztsystem beglei-
tete seine ganze Amtszeit. Milde
und stets loyal betrachtete er die
recht fachfremden Versuche der
Ärzteschaft, gerichtsfest zu definie-
ren, was und wer denn nun ein
Hausarzt sei. Bis es dann im SGB V
ohne uns mehr schlecht als recht
geregelt wurde.
Es war eine berufspolitisch harte
und wilde Zeit. Dem, der glaubt,
das berufspolitische Leben sei
heute besonders schwierig, sei die
Lektüre unserer Chronik „50 Jahre
BDI“ und ein stets anregend-amü-
santes Gespräch mit Max Broglie
empfohlen.
1982 wurde die Geschäftsstelle aus
der kleinen Bleibe in Wiesbadens
Bahnhofsnähe in die neu erworbe-
ne weiße Villa Schöne Aussicht 5 in
Wiesbaden verlegt. Es war jetzt
mehr Platz für die Mitgliederbetreu-
ung und Verwaltungsarbeit. Die
Mitgliederzahl nahm ständig zu,
von 6.500 zu Beginn auf 29.300
Mitglieder zum Ende seiner Amts-
zeit 2004. Eine stolze Bilanz und
Referenz, der nichts weiter hinzuge-
fügt werden muss!
Ein sehr großer Teil dieses Erfolges
ist seiner häufigen und vor allem
überzeugenden Präsenz in den Lan-
desgruppen zwischen Bodensee
und Nordsee zu verdanken. Wenn
RAB kam, Rätsel der Reformen des
EBM und der GOÄ löste und sich
der teils bedrückenden Rechtspro-
bleme vieler Mitglieder annahm,
waren auch große Räume oft zu
klein.
Aus meiner Präsidentenzeit ist mir
besonders die Zusammenarbeit mit
unserem HGF im Chaos von Mauer-
fall und Wendezeit in dankbarer
Erinnerung.
Es gab kein Vorbild oder Muster für
die Lösung der sehr überraschen-
den Probleme oder für Empfehlun-
gen an die Kolleginnen und Kolle-
gen in den (späteren) Neuen Bun-
desländern, sich für eine freiberufli-
che Praxis oder für eine Klinikzu-
kunft zu entscheiden. Max Broglie
hat auch hier pragmatisch gehan-
delt, wie in der Lehrzeit gelernt, und
er ist angesichts der teils erschre-
ckenden Erfahrungen besonders
bewusst dem Schul-Motto gefolgt,
kreativ zu denken und der Gemein-
schaft verpflichtet zu sein.
2003/4 endete leider Max Broglies
vertragliche Dienstzeit als HGF des
BDI. Er stellte sich einer neuen
Herausforderung und wurde
Geschäftsführer der Deutschen
Gesellschaft für Innere Medizin und
Geschäftsführer der Akademie für
Fort- und Weiterbildung in der
Inneren Medizin. Seine Arbeit
wurde mit der Ehrenmitgliedschaft
des BDI und der DGIM gewürdigt.
Er ist Ehrenmitglied der Vereini-
gung der Deutschen Medizinischen
Fach- und Standespresse und Trä-
ger des Goldenen Ehrenzeichens der
Bayerischen Internisten sowie des
Deutschen Arzt-Recht-Preises.
Allein die Titel seiner Publikationen,
von „Der Arzt und sein Recht“ bis
zum EBM-GOÄ-Gebührenhandbuch,
seine Veranstaltungen von der
Medica juristica bis zu den Arzt-
Recht- und den Patienten-Rechtsta-
gen und die Adressen seiner Kanz-
lei-Präsenzen in ganz Deutschland
und in London füllen eine ganze
Druckseite.
„Seine große Stärke liegt in seiner
Fähigkeit zu verbaler Vereinfachung
schwieriger Problematiken, was von
seinen Zuhörern im Rahmen von
Fortbildung und Seminaren
gerühmt wird.“ Das hat Hanns Gott-
hard Lasch zur Charakterisierung
von Vater Maximilian Broglie
geschrieben. Besser kann es auch
für den Sohn nicht formuliert wer-
den! Vererbt? Was dürfen wir dann
noch erwarten, was von seinen ita-
lienisch-französisch-deutschen
Genen befürchten, während er das
biblische Alter seines Vaters erreicht
oder übertrifft?
Denn wir lesen bei WIKIPEDIA unter
„Broglie“: Altes Adelsgeschlecht aus
Piemont, seit 1656 in Frankreich
naturalisiert. Zahlreiche Marschälle
von Frankreich. Mehrere Premiermi-
nister, Bischöfe, Schriftsteller, ein
Nobelpreisträger (Broglie-Welle!),
aber auch ein Prince Claude-Victor
de Broglie, 1794 aus gutem Grund
guillotiniert! Offenbar alle auf ihre
Art aktiv, kreativ, lebensfroh und
gewichtig, auch wohl der französi-
schen Küche nicht abgeneigt.
Und wie weiter? Ruhestand? Gerade
hat Max Broglie eine neue „ärztli-
che“ Aufgabe übernommen.
Ad multos annos!
Dr. Harthmut Weinholz
Max Broglie zum Siebzigsten
Ohnmacht der Vertreter-
versammlung in den
Kassenärztlichen Vereinigungen
Betrachtet man das Vorgehen auf Bun-
desebene, so klaffen die Vorgaben des
SGB V und die tägliche Entscheidungs-
praxis öfter auseinander. Bei der Frage
der fachärztlichen Grundpauschale
hätte der Vorstand der Kassenärztli-
chen Bundesvereinigung allein ent-
scheiden können. Die mehr als
unglückliche Debatte in der Vertreter-
versammlung zu diesem Thema war
völlig überflüssig.
Jetzt wird dies durch ein Urteil des
Bundessozialgerichtes klargestellt. Eine
kassenzahnärztliche Vereinigung war
davon ausgegangen, dass der Vorstand
nur dann Selektivverträge abschließen
darf, wenn die Vertreterversammlung
dem zustimmt. Das Bundessozialge-
richt hat explizit entschieden: Die Ver-
tragsabschlusskompetenz des Vorstan-
des einer K(Z)V darf weder bei
Gesamt- noch bei Selektivverträgen
mit Krankenkassen und Verbänden der
Krankenkassen an eine Genehmigung
der Vertreterversammlung gebunden
werden. Auch wenn eine Kassenärztli-
che Vereinigung den Richterspruch
ausgelöst hat, er gilt auch für die Kas-
senärztlichen Vereinigungen gleicher-
maßen. Damit wird deutlich, dass die
Strukturreform der Kassenärztlichen
Vereinigungen im Jahre 2004 den Ein-
fluss direkt gewählter Vertreter der
Ärzteschaft, die in der Vertreterver-
sammlung sitzen, empfindlich
beschnitten hat.
Gleichzeitig dürfte es für KV-Vorstände
schwieriger werden, sich hinter den
Beschlüssen einer Vertreterversamm-
lung zu verstecken, die dafür nicht ver-
bindlich sind.
HFS
Urteil des Bundessozialgerichts
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