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Medizin
Nr. 12 • Dezember 2013
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Kasuistik
Anamnese
Die 67-jährige Frau hatte während
eines Urlaubsaufenthalts in den USA
plötzliche kolikartige abdominale
Beschwerden, die zu einem Kollapszu-
stand führten. Sie wurde mit dem Ret-
tungsdienst in das dortige Krankenhaus
eingewiesen. Am Aufnahmetag wurden
laut Bericht des behandelnden Arztes
bei der normosomen, klinisch bisher
unauffälligen Frau folgende Befunde
erhoben:
Labor
Blutzucker postprandial mit 132 mg/dl
etwas erhöht (Norm: 70-110 mg/dl);
Gesamteiweiß mit 5,9 g/dl (Norm: 6,2-
8,3 g/dl) erniedrigt. Der Troponin-I-Test
verlief mit 0,0 ng/ml negativ. Die übri-
gen Laborergebnisse lagen im Normal-
bereich.
Bildgebung
Die bei Aufnahme durchgeführte
Thorax-Röntgenaufnahme in zwei Ebe-
nen ergab keinen wegweisenden
Befund. Die ebenso am Aufnahmetag in
den USA durchgeführte Computerto-
mografie von Abdomen und Becken
erfolgte aus nicht mehr reproduzierba-
ren Gründen ohne i.v.-Kontrastmittel.
Sie ergab folgende Befunde, die nur
schriftlich vorliegen:
1. 11 cm messende, solide Raumforde-
rung unter der Leber mit teils zysti-
schen Anteilen
2. Etwas Aszites, möglicherweise auch
mit Blut gemischt
3. Nebenbefundlich Nierenzyste rechts,
kleine axiale Gleithernie
4. Lymphknoten, Nebennieren, Pankre-
as und Milz, Harnblase und Aorta
unauffällig, keine auffälligen Verän-
derungen am Darm
Nach symptomatischer Therapie wurde
die Patientin wieder entlassen und
gebeten, sich nach ihrer Heimreise zur
weiteren Abklärung und Therapie vor-
zustellen. Wenige Tage nach der Rück-
kehr aus dem Urlaub stellte sie sich in
der internistischen Praxis vor.
Aktuelle Vorstellung in
Deutschland
Körperlicher Untersuchungsbefund
Wir sahen die Patientin in reduziertem
Allgemeinzustand und gutem Ernäh-
rungszustand. Körpergröße 1,67 m,
Gewicht 73 kg; Körpertemperatur
36,6 Grad. Über beiden Lungen war rei-
nes Vesikuläratmen zu auskultieren;
Cor: Frequenz normal, rhythmisch,
Herztöne regelrecht. RR 135/75 mmHg.
Keine manifesten kardiopulmonalen
Dekompensationszeichen. Bauchdecken
palpatorisch weich; diffuser Druck-
schmerz im Bereich des rechten Ober-
bauchs.
Abdomensonografie
Die in der internistischen Praxis durch-
geführte Abdomensonografie (Abb. 1)
ergab eine vom rechten Leberlappen
nach ventral ausgehende 10,5 × 9,7 cm
große solide Raumforderung, die die
Nachbarorgane einschließlich der Gal-
lenblase komprimierte. Kaudal der
Raumforderung etwas freie Flüssigkeit
von 2,4 × 8,3 cm Ausdehnung. Gallen-
blase, Leber, Gallenwege, D. choledo-
chus, Pankreas, Nebennieren und Nie-
ren, hier bis auf eine unkomplizierte
parapelvine Zyste rechts, V. portae und
Aorta unauffällig, keine abdominellen
Lymphknotenschwellungen.
Gastroskopie
Die ebenfalls in der internistischen Pra-
xis ergänzend durchgeführte Gastro-
skopie mit Probehistologien ergab
letztlich bis auf eine kleine axiale Gleit-
hernie und eine histologisch bestätigte
chronische Antrum- und Korpusgastri-
tis keinen anderen pathologischen
Befund.
Computertomografie
Die anschließend in der Radiologischen
Abteilung der Sächsischen Schweiz Kli-
nik Sebnitz durchgeführte Computerto-
mografie des Abdomens und Beckens
(Abb. 2–4) ergab folgende, auf den
Tumor bezogene Befunde:
▶ Im rechten Abdomen zeigte sich im
Mittelbauch unter der Leber eine
glatt begrenzte Raumforderung mit
einer Größe von 10-12 cm.
▶ Die Raumforderung war inhomogen
und nahm massiv Kontrastmittel auf,
sodass von einem hohen Vaskulari-
sierungsgrad ausgegangen werden
musste.
▶ Die zum Teil gekammerte Raumfor-
derung hatte zwar überwiegend soli-
de Anteile, aber auch multiple
gekammerte nekrotische Areale.
▶ Der in der auswärtigen CT aus den
USA beschriebene Herd ging mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit nicht von
der Leber aus.
▶ Das Leberparenchym wurde am
unteren vorderen linken Leberlappen
erheblich verdrängt, möglicherweise
kurzflächig beginnend infiltriert.
▶ Gute Abgrenzbarkeit zum Magen,
wobei hier am Magenausgang eine
kurze Berührungsstrecke vorhanden
war, die sich dann aber auf das Duo-
denum fortsetzte. Eine separierende
Fettschicht war hier nicht erkennbar.
Das Duodenum wurde aber eher
bedrängt, als dass der Befund von
ihm ausgegangen wäre.
▶ Der Tumor wies keine Beziehung
zum Kolon auf und gehörte nicht zur
Niere und nicht zum Pankreas,
sodass letztlich eine zweifelsfreie
Zuordnung zu einem Organ nicht
möglich war.
▶ An erster Stelle handelte es sich ver-
mutlich um einen mesenchymalen
Tumor, wahrscheinlich einen gas-
trointestinalen Stromatumor (GIST).
▶ Dorsal und nach kranial bis in den
unteren Abschnitt unterhalb der Gal-
lenblase war eine abgekapselte Flüs-
sigkeitsregion erkennbar, die nicht
zur Gallenblase gehörte, aber dem
Tumor partiell anlag. Hier lag mög-
lichwerweise eine entzündliche Ein-
schmelzung oder auch eine abge-
grenzte ältere Einblutung vor.
▶ Keine Lymphknotenpathologie.
Weitere Untersuchungen
Unter dem Verdacht auf einen GIST
erfolgte die Tumorexstirpation mit
Cholezystektomie und atypischer
Leberresektion.
Die pathologische-makroskopische
Befundbeschreibung ergab ein 741 g
schweres, 14 × 13 × 10 cm messendes,
gekapseltes, knotiges Gewebsstück mit
grauweißlicher, mittelfester, fasziku-
lierter Schnittfläche. Keine Tumorinfil-
tration des mitresezierten Lebergewe-
bes.
Die histologische Untersuchung ergab
eine zellreiche Variante eines solitären
fibrösen Tumors (Abb. 5), der im
Gesunden entfernt wurde. Diese Tu-
morentität ist einer intermediär mali-
gnen Tumorgruppe zuzuordnen.
Obwohl CD99 vor allem als ein Marker
für Ewing-Sarkome und PNET bekannt
ist, wird er auch von der Mehrzahl soli-
tärer fibröser Tumoren exprimiert und
wurde daher bei entsprechendem mor-
phologischem Verdacht zur Diagnose-
sicherung eingesetzt.
Therapie und Verlauf
Nach postoperativer Vorstellung des
Falls im interdisziplinären Tumorboard
bestand keine Indikation zu einer adju-
vanten Therapie; regelmäßige onkolo-
gische Nachsorgen wurden ebenfalls
nicht empfohlen.
Die Patientin stellte sich 6 Monate
später symptomfrei zu einer sonografi-
schen Verlaufskontrolle in der Praxis
vor. Neben einem Zustand nach Chole-
zystektomie und der bereits beschrie-
benen Nierenzyste fand sich kein
auffälliger Befund.
Diskussion
Als solitäre fibröse Tumoren wird ein
Spektrum von Neubildungen mesen-
chymalen Ursprungs bezeichnet, die
nach der WHO-Klassifikation von 2002
ein intermediäres biologisches Poten-
zial aufweisen; eine Metastasierung
kommt selten vor. In der Literatur fin-
den sich nur wenige kasuistische Mit-
teilungen über solide fibröse Tumoren.
In einer kürzlich publizierten klinisch-
pathologischen Studie wurden 110
Fälle erfasst, häufigste Manifestations-
orte waren Pleura und Abdomen. Das
krankheitsfreie Überleben über 5 bzw.
10 Jahre lag bei 89 bzw. 73 % [5].
In der englischen Literatur wurden bis-
lang weniger als 40 Fälle beschrieben
[5]. Als seltene Manifestationen wur-
den in der italienischen Literatur kürz-
lich Lokalisationen in der Parotis bzw.
der Mundhöhle geschildert [1], aus
Japan in der linken Wange [7]. Autoren
aus Thessaloniki berichteten im deut-
schen Schrifttum über eine 64-jährige
Frau mit einem solitären fibrösen
Tumor der Nasenhaupt- und Nasenne-
benhöhlen [3]. Eher häufig scheint die
Lokalisation derartiger Tumore in der
Pleura zu sein; aus Frankreich wurde
kürzlich eine Studie über 157 komplet-
te Resektionen in einem thoraxchirur-
gischen Zentrum veröffentlicht [4].
Erreicht man eine chirurgische Kom-
plettresektion, ist dies als Prädiktor für
ein günstiges Langzeitüberleben anzu-
sehen; die Autoren beschreiben eine
5-Jahres-Überlebensrate von 96 % bei
benignen fibrösen Tumoren gegenüber
68 % bei malignen Tumoren; Rezidive
traten erwartungsgemäß in der Gruppe
der malignen fibrösen Tumore mit
16 vs. 2 % häufiger auf und waren mit
kürzerem Überleben assoziiert.
Konsens besteht bei allen Autoren in
der Empfehlung, eine komplette Resek-
tion anzustreben. Daten für eine stan-
dardisierte adjuvante Therapie existie-
ren nicht. Stacchiotti et al. berichteten
über einen positiven und anhaltenden
Effekt des Tyrosinkinasehemmers Suni-
tinib auf die Progression im metasta-
sierten Stadium: Bei 31 retrospektiv
auswertbaren Patienten war in 18 Fäl-
len eine Tumorkontrolle möglich
(2 partielle Remissionen, 16 stabile
Erkrankungen). Das mediane progressi-
onsfreie Überleben lag bei 6 Monaten
[6].
Konsequenz für Klinik und Praxis
▶ Der berichtete Fall ist in seiner Dia-
gnose eine Rarität.
▶ Er illustriert die alltägliche Versor-
gungsrealität von der Verdachts-
diagnose der erstversorgenden Akut-
klinik über das Zusammenspiel der
Schnittstellen mit weiterführender
Diagnostik und Planung des weiteren
Vorgehens zwischen Praxis sowie
spezialisierter ambulanter Klinik-
abteilungen bis hin zur gezielten
Einbindung von Kliniken der Schwer-
punktversorgung.
Diese Kasuistik stellt eine Patientin vor, die während ihres Urlaubs in den USA akut erkrankte und
sich mit dem bildgebend gestützten Verdacht auf eine solide abdominale Raumforderung zur weiteren
Klärung und Therapie in Deutschland vorstellte. Der Fall gewinnt seine Besonderheit durch die
„transatlantisch“ erfolgte Diagnostik und aufgrund der Rarität des Befundes.
Kasuistik
Seltener solider abdominaler Tumor
Abb. 1
Sonogramm des Oberbauchs (Pfeil: Raumforderung).
Abb. 3
CT venöse
Phase, koronare
Sicht (Pfeil: Raum-
forderung).
Abb. 2
CT venöse
Phase, axiale Sicht
(Pfeil: Raumforde-
rung).
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,...28
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