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Berufspolitik
Nr. 12 • Dezember 2013
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Auch sei es widersprüchlich, wenn
einzelne große Krankenkassen, wie
etwa die Barmer/GEK, keine versor-
gungsnotwendigen Krankenhäuser
vorschnell schließen wollen, aber auf
Landesebene bereits „Abschlachtplä-
ne“ vorlägen, die von den meisten
Krankenkassen und zum Teil auch
von der Politik unterstützt werden.
Auch die Krankenhausträger, so ver-
sicherte DKG-Präsident Alfred Dän-
zer, wollten sich den veränderten
Rahmenbedingungen und einem
offensiven Qualitäts- und Leistungs-
wettbewerb stellen. Voraussetzung
dafür seien allerdings stabile und
faire Rahmenbedingungen für alle
Klinikträger und eine gesicherte Trä-
gervielfalt.
Aus der Sicht der Krankenhäuser gibt
es in der neuen Legislaturperiode
insoweit politischen Handlungsbe-
darf, als die Investitionsfinanzierung
durch die öffentliche Hand nicht
sichergestellt ist und zurzeit 30 bis
50 Prozent aller Krankenhäuser exis-
tenziell bedroht sind, weil die Inves-
titionsförderung durch die Länder
inzwischen auf einen Niedrigststand
von 2,67 Milliarden Euro pro Jahr
gesunken ist. Dies entspricht einem
Minus von 26,8 Prozent seit 1991.
Spätestens im Jahr 2020 wird die
Förderung der Länder gegen null ten-
dieren, so die Prognosen von Prof. Dr.
Rainer Riedel, Gesundheitsökonom
an der Fachhochschule Köln. Nur
11,4 Prozent der Krankenhäuser sind
in der Lage, eine Rendite in Höhe von
vier Prozent zu erwirtschaften; die
übrigen Kliniken sind unrentabel,
müssen schließen oder werden ver-
stärkt fusioniert und auf Großkon-
zerne konzentriert. Die Kranken-
hausinvestitionsquote beträgt heute
4,4 Prozent, wohingegen die volks-
wirtschaftliche Investitionsquote bei
18,2 Prozent liegt. Dies hat das RWI
Essen kürzlich festgestellt.
Der Wettbewerbsdruck in den Bal-
lungszentren wird weiter steigen.
Dies erfordert eine geänderte Markt-
positionierung von Grund-/Regelver-
sorgern. Bei den Krankenhäusern
jeder Versorgungsstufe wird in den
kommenden Jahren der technische
Innovationsdruck wachsen, vor allem
bei der Informationstechnologie und
der Medizintechnik. Der Grad der
Leistungsspezialisierung und der
Konzentration (Konsolidierung) auf
größere Unternehmens- und
Betriebseinheiten wird wachsen. Die
Krankenhäuser dürften vermehrt auf
freiberuflich tätige Honorarmitarbei-
ter zurückgreifen. Patientenzentrier-
te Behandlungsprozesse sind bei den
meisten Kliniken das „Mittel der
Wahl“. Erforderlich sind regelhafte
diagnostische und abrechnungstech-
nische Standards (unter anderem
PRG; also Abrechnungspauschalen im
ambulanten spezialärztlichen Sektor)
und eine Bündelung der Kompeten-
zen in Ballungsgebieten, vor allem
die Förderung von medizinischen
Kompetenzzentren in Verbindung
mit § 116 b SGB V-Ambulanzen.
Barmer/GEK-Vorstandschef Dr. Chris-
toph Straub prognostizierte: Vertei-
lungskämpfe zwischen Krankenhäu-
sern in Ballungszentren und in der
Region werden sich verschärfen, vor
allem zulasten der Krankenhäuser in
der Peripherie. Die dadurch ausge-
lösten Reformprobleme: Eine über-
triebene Mengenausweitung im
Kampf um weitere Erlösoptimierung
und unter dem Druck des gewinn-
instrumentalisierten DRG-Systems
müsse per Gesetz verhindert werden.
Krankenhäuser in der Fläche ohne
Spezialisierung und ausreichende
Auslastung seien Auslaufmodelle. Sie
müssten mit Schwierigkeiten rech-
nen, notwendiges Fachpersonal zu
finden und gerieten unter Druck,
Defizite in der ambulanten Versor-
gung auszugleichen.
In den Mittelpunkt einer grundle-
genden Reform der Krankenhausfi-
nanzierung in der 18. Legislaturperi-
ode müsse die Refinanzierung eines
unabweisbaren Kostenanstiegs und
eine ausreichende Personalausstat-
tung bei verbesserten Arbeitsbedin-
gungen und höherer Vergütung des
Fachpersonals gestellt werden, for-
derte der DKG-Präsident. Der durch
das diagnosebezogene Vergütungs-
system (DRG) begünstigte Preisver-
fall bei steigender Morbidität und
wachsendem Leistungsbedarf müsse
beendet werden, so die DKG. Die
Mehrkosten infolge erhöhter Quali-
tätsnormen auf der Basis der
Beschlüsse des Gemeinsamen Bun-
desausschusses (G-BA) und des
medizinischen Fortschritts müssten
voll refinanziert werden. Die statio-
nären Einrichtungen benötigten zur
Sicherstellung und Erfüllung ihrer
Aufgaben mehr Planungssicherheit.
Ein „Stop and go“ gefährde die
Betriebskostenfinanzierung und die
Patientenversorgung. Die öffentliche
Förderung müsse auf mindestens
sechs Milliarden Euro jährlich stei-
gen, um den Investitionsstau abzu-
bauen, die Apparatetechnik zu
modernisieren und die Substanz zu
erneuern. Unerlässlich sei es zudem,
den vollen Kostenorientierungswert
als Verhandlungskorridor für die Ent-
geltbemessung in den Jahren 2014
und 2015 zu berücksichtigen. Die
Landespreise der Krankenhäuser
müssten von einer Mengendegressi-
on freigestellt werden. Die „doppelte
Degression“ sei ein Systemfehler, der
behoben werden müsse. Preise und
Mengen sollten „vor Ort“ gesteuert
werden. Die Verantwortung im Sinne
des Sicherstellungsauftrags und der
Gewährleistungspflicht müsse bei
den Bundesländern verbleiben. Die
Krankenhäuser lehnen die von den
Krankenkassen geforderten Selektiv-
und Rabattverträge bei planbaren
Leistungen ab, weil dies den Kassen
die Möglichkeit einräume, zugelasse-
nen Krankenhäusern die Kostenüber-
nahme für erbrachte Leistungen zu
verweigern. Damit würden die Kran-
kenkassen über Leistungsstrukturen
und -kapazitäten in den Regionen
fast allein entscheiden können. Sie
hätten es dann in ihrer Definitions-
macht, Krankenhäuser „auszuhun-
gern“ und in den Ruin zu treiben.
Schrittmacher für Innovationen
Die Klinikträger beanspruchen wie
bisher eine Schrittmacherrolle bei
der Implementation und Umsetzung
von innovativen medizinischen und
medizinisch-technischen Leistungen.
Deshalb müsse der Verbotsvorbehalt
bei stationären Leistungen beibehal-
ten werden. Die Beschränkung neuer
Untersuchungs- und Behandlungs-
methoden (NUB) auf Referenzzen-
tren lehnt die DKG ab. Dies unterbin-
de den medizinischen Fortschritt
und bringe den Klinikwettbewerb in
eine Schieflage. Jeder Klinikpatient
habe Anspruch auf Qualität, die dem
aktuellen Stand der Medizin ent-
spricht. Das vor allem von den Kran-
kenkassen kritisierte Problem der
Kurzlieger müsse gelöst werden.
„Drehtüreffekte“ seien kostentrei-
bend und müssten behoben werden.
Die DKG fordert deshalb eine weitere
Öffnung der Krankenhäuser für die
ambulante Versorgung und einen
uneingeschränkten Zugang zur
Behandlung von Patienten im ambu-
lanten spezialärztlichen Sektor.
Dänzer widersprach den Bestrebun-
gen, die ambulante und stationäre
Planung und die Zuständigkeit in der
arbeitsteiligen Patientenversorgung
zu vermengen und die Krankenhäu-
ser vom Trend zur Ambulantisierung
der Medizin abzukoppeln. Zur
Lösung der Probleme sowohl im sta-
tionären als auch im ambulanten
Sektor müssten die Lösungsansätze
ordnungspolitisch konsistent inei-
nandergreifen. Dänzer befürwortete
die These des Vorstandsvorsitzenden
der Barmer/GEK, Straub, dass eine
bedarfsorientierte Strukturanpas-
sung in der Regel nur durch eine
reformierte qualitätsorientierte
Krankenhausplanung erfolgen könne.
Voraussetzung sei allerdings eine
„leistungsgerechte und auskömmli-
che Investitionskostenfinanzierung“.
Eine sektorenübergreifende Versor-
gungsplanung, wie sie vor allem von
den Krankenkassenspitzenverbänden
befürwortet wird, impliziere eine
systemadäquate Reform und Harmo-
nisierung der Vergütungs- und
Honorierungssysteme sowohl im
ambulanten als auch im stationären
Sektor. Dabei dürften „qualitätsori-
entierte Direktverträge“ nicht als
ultima ratio und als Allheilmittel zur
politischen Norm erhoben werden.
Die Krankenhausgesellschaft befür-
wortet einen „gemeinsamen Natio-
nalen Kraftakt“, um die Finanzie-
rungsprobleme zu lösen. Bundes-
und Landesmittel müssten politisch
verlässlich bereitgestellt werden, um
die öffentlichen Aufgaben im Rah-
men ihrer Daseinsvorsorge und ihrer
Einstandspflichten zu erfüllen. Dän-
zer: Die Finanzierung der Investiti-
onsmittel über Entgelte der Kranken-
kassen, die monistische Finanzierung
also, könne nur als Teilmonistik und
nur bei gesicherter Bereitstellung der
„umgebuchten“ öffentlichen Mittel
infrage kommen.
Die Experten monierten beim Biers-
dorfer Manager-Kongress die schlep-
Megathema: Qualitäts-
wettbewerb und fairer
Finanzierungsrahmen
Krankenhausreform
Kommentar
Krankenhausreform
Die Krankenhausreform bildet
in der Arbeitsgruppe Gesund-
heit bei den Koalitionsgesprä-
chen zwischen CDU, CSU und
SPD eine entscheidende Rolle.
Die Positionen der Beteiligten
liegen weit auseinander.
BDI aktuell hat sich in den
letzten beiden Ausgaben die-
ses Themas ausführlich ange-
nommen und die Position der
Krankenkassen dargestellt. In
der Novemberausgabe wurde
ein Beitrag von Jochen Metz-
ner, Hessisches Sozialministeri-
um, zur Krankenhausplanung
aus der Sicht der Länder publi-
ziert. In dieser Ausgabe wird
über die Position der Deut-
schen Krankenhausgesell-
schaft berichtet, die 35. Biers-
dorfer Krankenhausgespräche
referiert Dr. Harald Clade.
Führt man die Beiträge zusam-
men, so liegen die Positionen
von Krankenkassen und Kran-
kenhäusern weit auseinander.
Vor allem die Forderung der
Kostenträger nach Selektivver-
trägen ist mit dem Anspruch
der Länder auf eine umfassen-
de Krankenhausplanung nicht
vereinbar. Man darf gespannt
sein, ob eine Koalition von
CDU/CSU und SPD in der Lage
ist, hier einen Kompromiss
zwischen Kostenträgern, Kran-
kenhäusern und Länderinte-
ressen zu finden.
HFS
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat anlässlich der
35. Biersdorfer Krankenhausgespräche in Biersdorf/Bitburg (Eifel)
Forderungen des GKV-Spitzenverbandes zurückgewiesen, „überfälli-
ge“ Strukturveränderungen im Krankenhaussektor überwiegend
durch Mehrleistungsabschläge und einen Kapazitätsabbau zu finan-
zieren.
Bürgerversicherung vor
dem Aus?
Jeder versteht darunter etwas anderes,
so einfach lässt sich die private und
die gesetzliche Krankenversicherung
nicht gleich schalten. Einzelne SPD-
Politikerinnen, wie z. B. Carola Rei-
mann, wollen die Bürgerversicherung
zwar noch nicht aus dem Vokabular
streichen. Das Basta-Wort von Jens
Spahn wird hier aber ein übriges tun.
Haben sich damit die Befürworter des
derzeitigen dualen Krankenversiche-
rungssystems durchgesetzt? Ja und
Nein: Die private Versicherung wird
zwar nicht expressis verbis abge-
schafft, aber alle Parteien, auch die
CDU/ CSU, sehen großen Reformbedarf
in dieser Versicherungsform. Unwider-
sprochen legt der Verhandlungsführer
der SPD, Karl Lauterbach, die Finger in
die Wunde. Für viele, vor allem Ältere,
wird die PKV auf die Dauer unbezahl-
bar. Logisch sei es deshalb, den Wech-
sel von der PKV zur GKV zu erleich-
tern. Ganz nebenbei kommt man dann
auch scheibchenweise an die Risiko-
rücklagen der PKV. Die PKV-Unterneh-
men werden es unter diesen Bedin-
gungen im System deutlich schwerer
haben.
Man darf davon ausgehen, dass den
Verhandlungsführern in den Koaliti-
onsverhandlungen noch mehr Reform-
bedarf an der PKV einfallen wird, die
die PKV zwangsläufig näher an die
GKV heranführen wird. Dies gilt im
Übrigen nicht nur für SPD-Mitglieder
in der Verhandlungsführung. Schon
vor der Wahl hatte Jens Spahn
Reformschritte in der PKV angemahnt.
Man sieht allenthalben Reformbedarf,
wohl nicht nur in der PKV, sondern
inzwischen auch in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Die „Bürgerversicherung“ wird zwar
aus dem Vokabular der Gesundheits-
politiker allmählich verschwinden, in
Zukunft wird dies wohl „Krankenkas-
senreform“ heißen. Die Hoffnung vie-
ler Ärzte und Ärzteverbände, dass in
der Krankenversicherung, insbesonde-
re in der PKV, auch nach der Wahl
alles so bleibt, wie es ist, scheint mehr
als trügerisch.
HFS
Koalitionsgespräche
(Fortsetzung von Seite 1)
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