Berufspolitik
Nr. 11 • November 2013
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die nicht Gegenstand dieses Aufsatzes
ist.
Die bisherige Berücksichtigung von
Qualitätsaspekten erfolgt in der Kran-
kenhausplanung der einzelnen Bun-
desländer höchst unterschiedlich: es
würde den Rahmen sprengen, die ver-
schiedenen Ansätze aufzuzählen, wie
ja auch die Planungstiefe in den Län-
dern ganz unterschiedlich ausgeprägt
ist. Im Wesentlichen werden in einzel-
nen Bereichen qualitative Vorgaben für
Struktur- und Prozessqualitätsaspekte
gemacht.
Die subjektiven Erwartungen der
Patienten müssen im Rahmen der
Krankenhausplanung berücksichtigt
werden, müssen aber gegen andere
Ziele abgewogen werden. Dies gilt
besonders, wenn sich Erwartungen
gegenseitig widersprechen. Wer
gesund ist, hart andere Erwartungen
als der akut oder chronisch Kranke.
Wer Geburtshilfen oder gar Kinderkli-
niken wohnortnah an jeder Ecke for-
dert, muss akzeptieren, dass diese
regelmäßig weder qualitativ hochwer-
tig sein können noch wirtschaftlich
arbeiten können.
Qualität spielt in vielerlei Hinsicht eine
Rolle. Es gibt die umfangreichen Vor-
gaben des Gemeinsamen Bundesaus-
schusses in Form von Richtlinien, es
gibt dabei die –momentan ausgesetz-
ten – Mindestmengen, es gibt Vorga-
ben zur einrichtungsübergreifenden
Qualitätssicherung mit dem „struktu-
rierten Dialog“, es gibt Qualitätsanfor-
derungen in den OPS, es gibt Leitlinien
der medizinischen Fachgesellschaften
und unterschiedliche Anforderungen
diverser Zertifizierungsverfahren.
Krankenhäuser müssen mittlerweile
jährlich Qualitätsberichte veröffentli-
chen und dort zunehmend auch
„harte“ Fakten veröffentlichen. Im
strukturierten Dialog müssen Kran-
kenhäuser sich rechtfertigen, wenn sie
auffällige Ergebnisse haben. Es existie-
ren eine Reihe von Initiativen, vorwie-
gend getrieben von privaten Klinikket-
ten, wie QSR (Helios, AOK), Qualitäts-
kliniken.de (Asklepios, Rhön, Sana),
und diverse Veröffentlichungen im
Internet oder in Magazinen (Fokus).
Allen gemeinsam ist, dass sie (auch)
die Ergebnisse der stationären Versor-
gung transparent und messbar
machen wollen. AQUA als vom
Gemeinsamen Bundesausschuss
beauftragtes Institut hat schließlich
den gesetzlichen Auftrag, Verfahren
und Methoden für eine einrichtungs-
und möglichst sektorenübergreifende
Ergebnisqualität zu entwickeln.
All dies lässt die Patienten ratlos
zurück. Wer sich bemüht, in dem Wust
an Informationen einen roten Faden,
eine nachvollziehbare Entscheidungs-
grundlage für etwa eine geplante Ope-
ration zu erhalten, wird am Ende der
Empfehlung seines Arztes vertrauen
oder dort hingehen, wo die Familie
schon immer hingegangen ist.
6. Künftige Rolle der Krankenhaus-
planung
Was bedeuten die geschilderten Rah-
menbedingungen für die Kranken-
hausplanung? Wie kann ein Konzept
für die Zukunft aussehen, woran soll
sich Krankenhausplanung orientieren?
Michael Porter, der Guru der Betriebs-
wirtschaftslehre aus Harvard, beschäf-
tigt sich seit einigen Jahren auch mit
Gesundheitssystemen und hat die ein-
fache, aber dadurch auch geniale Ant-
wort: am „Value“ d.h. „Wert“ oder
„Nutzen“ für den Patienten. Was das
ist, ist freilich immer noch so unscharf
wie die Betonung von „flächendecken-
der“ Versorgung.
Krankenhausplanung, die sich am Nut-
zen für den Patienten orientieren will,
muss differenzieren und Schwerpunk-
te setzen.
6.1. Notfallversorgung
Wer einen schweren Unfall, einen
Herzinfarkt oder Schlaganfall erleidet
und in Lebensgefahr ist, genießt einen
besonderen Schutz des Staates aus Art.
2 Abs. 2 GG. Hier muss die gesamte
Rettungskette greifen, die Rettungs-
dienst und Krankenhausversorgung
umfasst. Für den Nutzen des Patienten
ist es gleich, wie das organisiert wird.
Er muss lediglich innerhalb einer Stun-
de nach Alarmierung in einem geeig-
neten Krankenhaus sein, muss dort in
der erforderlichen Art und Zeit (etwa
„door to needle“) weiterbehandelt
werden. Um das zu erreichen, sind in
Hessen in den letzten Jahren eine Viel-
zahl von Aktivitäten unternommen
worden, auch durch klare und mitei-
nander abgestimmte gesetzliche Vor-
gaben im Rettungsdienst- und Kran-
kenhausgesetz, durch die Unterstüt-
zung von Netzwerken wie dem bun-
desweiten Traumanetzwerk oder
regionalen Schlaganfall- und Herzin-
farkinitiativen, zuletzt durch die Ver-
pflichtung, einen hessenweit einheitli-
chen webbasierten Versorgungskapazi-
tätsnachweis („Ivena“) einzuführen,
durch den in Frankfurt bereits jegliche
Notzuweisung der Vergangenheit
angehört.
6.2. Chronische Krankheiten
Chronische und altersbedingte Erkran-
kungen schränken die Lebensqualität
der betroffenen Menschen stark ein
und verbrauchen einen Großteil der
Ressourcen des Gesundheitssystems.
Die betroffenen Menschen haben nur
dann wirklichen „Nutzen“, wenn die
Behandlung „um sie herum“ organi-
siert wird, wenn mittels Case Manage-
ment interdisziplinär, intersektoral
und abgestimmt behandelt wird. Hier
spielen Netzwerke eine wichtige Rolle.
Mit der Neufassung des Hessischen
Krankenhausgesetzes werden solche
Netzwerke gefordert, es kann jetzt
erstmalig auch ein Versorgungsauftrag
als besondere Aufgabe an ein gemein-
sam agierendes Netzwerk vergeben
werden.
Für diese Erkrankungen machen auch
besondere Länderkonzepte Sinn, wenn
die bundesrechtlichen Vorgaben nicht
ausreichen. Als Beispiel sei das Hessi-
sche Onkologiekonzept genannt, das
derzeit umgesetzt wird. Hierbei sind
alle Krankenhäuser einer Region ver-
pflichtet, bei Krebserkrankungen zu
kooperieren. Die Koordination über-
nehmen insgesamt acht Krankenhäu-
ser in den sechs Versorgungsgebieten.
Die niedergelassenen Spezialpraxen
sind (hier werden die künftigen Vorga-
ben des § 116b ohnehin greifen) ein-
zubinden. Alle Patienten sollen in
abgestimmte und qualitätsgesicherte
Behandlungsverläufe eingebunden
werden. Ob das die Qualität tatsächlich
verbessert, wird man in den nächsten
Jahren überprüfen können, wenn die
klinischen Krebsregister deutschland-
weit eingeführt sind.
6.3. Planbare Leistungen
Planbare Leistungen, hierzu gehören
auch Geburten, muss es nicht an jeder
Ecke geben. Im Hessischen Kranken-
hausgesetz 2011 wird die besondere
Rolle der Notfallversorgung, der Inten-
sivmedizin und der chronischen
Erkrankungen betont. Es wird aber
auch definiert, dass planbare Leistun-
gen „zeitnah“ innerhalb des jeweiligen
Versorgungsgebiets (insgesamt sechs
in Hessen) zur Verfügung stehen sol-
len. Es ist also gesundheitspolitischer
Wille, dass Patienten dafür längere
Wege in Kauf nehmen, wenn dafür die
Qualität stimmt. Planung muss Wege
finden, Zentralisierungen und Speziali-
sierungen zu stärken. Das geht nicht,
indem einzelnen Kliniken vorgeschrie-
ben wird, welche einzelnen Facharzt-
kompetenzen sie betreiben dürfen.
Vielmehr müssen alle Versuche unter-
nommen werden, größere Einheiten
zu schaffen, um Spezialisierung und
Wirtschaftlichkeit zu fördern. Stich-
worte sind Konzernbildung, Fusionen,
Standortzusammenlegungen, teil auch
mit Schließungen. Aus diesem Grund
(und um die Zukunft der kommunalen
Träger, die den Sicherstellungsauftrag
innehaben, zu stärken), hat Hessen im
Auftrag des hessischen Gesundheits-
ministers Stefan Grüttner ein Konzept
entwickeln lassen, um die kommuna-
len Kliniken in Hessen in Holding-
strukturen einzubinden. Das Konzept
wird derzeit vor allem in Hessen, aber
auch deutschlandweit intensiv disku-
tiert. Es ist sicher: die Zeit kommuna-
ler Einzelkämpfer ist endlich. Wer
nicht bereit ist, seine Kliniken in eine
Holdingstruktur zu überführen und
dabei auch ein Stück politischen Ein-
fluss aufzugeben, wird diese Kranken-
häuser in wenigen Jahren entweder
schließen oder privatisieren müssen.
6.4. Integrierte Versorgung (i.V.)
Sie bietet ideale Möglichkeiten, um bei
chronischen Erkrankungen eine
patientenorientierte, qualitätsgesicher-
te und wirtschaftliche Versorgung zu
organisieren. Leider ist die Geschichte
der i.V. ein Trauerspiel, von wenigen
positiven Ausnahmen wie dem Vertrag
zur sektorenübergreifenden Behand-
lung psychischer Erkrankungen in
Hanau abgesehen. Die Krankenkassen
nutzen die Möglichkeiten der i.V. prak-
tisch nie, es geht bei fast allen bekann-
ten Verträgen nur um Preisdumping.
Das liegt offensichtlich, man erkennt
es auch an den Diskussionen um das
Krankenhausentgeltsystem, an der
panischen Angst vor Zusatzbeiträgen.
Die DAK hat genug Federn gelassen,
daher will keine Kasse mehr ein sol-
ches Risiko eingehen.
Natürlich ist die Kritik der Kassen am
faulen Kompromiss Gesundheitsfonds
verständlich, natürlich braucht eine
Kasse Beitragssatzautonomie. Dennoch
ist es schade, dass nicht mehr Kassen
erkennen, dass sie einen Wettbewerbs-
vorteil erzielen könnten, wenn sie sich
ernsthaft bemühten, ihren Kunden den
maximalen Nutzen zu verschaffen,
indem ihnen wirkliche Versorgungs-
verbesserungen angeboten werden.
Der bereits erwähnte in Hanau abge-
schlossene Vertrag hat zusätzlich den
besonderen Charme, dass fast alle Kas-
sen gemeinsam beteiligt sind.
Auch die Ankündigung der AOK, i.V.-
Verträge an Qualitätsergebnisse aus
Routinedaten koppeln zu wollen, gibt
Anlass zu vorsichtigem Optimismus.
Will man die integrierte Versorgung
wirklich nach vorne bringen, sollte
man mutig sein: Für eine künftige
Weiterentwicklung würde es sich
anbieten, die Vorschriften zu Disease-
Management-Programmen und inte-
grierter Versorgung gesetzlich zu ver-
knüpfen. Die Verträge zur integrierten
Versorgung sollen nach § 140a Abs. 1
Satz 2 SGB V ohnehin eine bevölke-
rungsbezogene Flächendeckung
ermöglichen. Dies könnte man zur
Pflicht machen und gleichzeitig für die
Versorgung chronischer Krankheiten
die im Rahmen der DMP bewährten
Qualitätskriterien übernehmen sowie
eine sektorenübergreifende Orientie-
rung sowie Evaluierung vorschreiben.
6.5. Berücksichtigung von
Qualitätsaspekten
Unter 5. wurde dargelegt, wie viele
unterschiedliche Qualitätsvorgaben es
bereits gibt. Die Vorgaben des Gemein-
samen Bundesausschusses gelten bun-
desweit, das ist begrüßenswert. Aller-
dings greifen die Richtlinien zum Teil
sehr stark in die Krankenhausplanung
ein, wie aktuell wieder durch die Neu-
fassung der Neonatologierichtlinie.
Daher sollte den Ländern zumindest
ein Sitz ohne Stimme im Ausschuss für
Qualitätssicherung zuerkannt werden,
wie es die Gesundheitsministerkonfe-
renz bereits gefordert hat. Hierüber
kann es eigentlich keine zwei Meinun-
gen geben.
Ergänzende qualitätssichernde Rege-
lungen der Länder sind da sinnvoll, wo
die Vorgaben des Gemeinsamen Bun-
desausschusses nicht vorhanden sind
oder nicht weit genug gehen. So hat
Hessen eine Strukturmindestmenge
von 35–50 Geburten unter 1500g für
die Neonatologie Level 1 vorgegeben,
um ein „Hochrüsten“ aus Marketing-
gründen zu verhindern. Wer unter die-
ser Menge bleibt, hat die Möglichkeit,
eine besondere Qualität anhand der
hessischen Neonatologiestudie nach-
zuweisen.
Im Hessischen Krankenhausgesetz ist
in § 19 Abs. 2 nun geregelt, dass bei
den krankenhausplanerischen Ent-
scheidungen auch die in den §§ 135 bis
139 c SGB V entwickelten Indikatoren
zur Ergebnisqualität zu berücksichti-
gen sind. In der Begründung dazu
heißt es: „Der Hinweis auf die Berück-
sichtigung von Qualitätsindikatoren in
Abs. 1 macht deutlich, dass die Quali-
tät der erbrachten Ergebnisse künftig
bei den Einzelentscheidungen des
Krankenhausplans eine bedeutende
Rolle spielen wird. Allerdings steht die
Entwicklung gerichtsfester Ergebnis-
qualitätsindikatoren erst am Anfang.
Hier wird man auch die Ergebnisse des
Instituts nach § 137a SGB V abwarten
müssen.“
Das macht deutlich, dass es Hessen
ernst meint. Die Ergebnisqualität als
entscheidender Outcomefaktor muss
künftig berücksichtigt werden, bei
nachgewiesen schlechter Qualität
muss auch eine Kündigung des Versor-
gungsauftrags möglich sein. Allerdings
muss das vor Gericht auch Bestand
haben.
Zurzeit steht das Hessische Kranken-
hausreferat in Verhandlungen mit der
Landesgeschäftsstelle für Qualitätssi-
cherung und deren Beirat, um Auswer-
tungen der einrichtungsübergreifen-
den Qualitätssicherung zu erhalten.
Aktuell wurde eine Liste mit 23 Indi-
katoren erstellt, die Anhaltspunkte für
Strukturdefizite oder Schnittstellen-
probleme liefern können. Wann es
auch soweit ist, krankenhausplaneri-
sche Entscheidungen auf der Basis von
Ergebnisqualität zu treffen, bleibt
abzuwarten. Eine bundesweite Lösung
durch den GBA ist allerdings einem
„Qualitätsföderalismus“ vorzuziehen.
6.6. Sektorenübergreifende
Versorgungsplanung
Über sektorenübergreifende Versor-
gungsplanung zu reden, ist „in“. Man
sollte freilich die durch Grundgesetz
oder SGB V vorgegebenen Zuständig-
keitsregelungen für die Sicherstellung
der stationären und ambulanten Ver-
sorgung nicht außeracht lassen. Echte
sektorenübergreifende Entscheidungs-
befugnisse wird es auf absehbare Zeit
nicht geben. Es macht aber viel Sinn,
Gremien zu schaffen, die das Ziel
haben, einen breiten Konsens zu erzie-
len, dem sich die eigentlichen Ent-
scheider nicht entziehen können. So
wurden in Hessen, ähnlich auch in
anderen Bundesländern, regionale
Gesundheitskonferenzen gebildet, die
durch das Hessische Krankenhausge-
setz die Aufgabe haben die regionalen
Versorgungsstrukturen zu beobachten
und mit den an der Gesundheitsver-
sorgung Beteiligten einen intensiven
Dialog zu führen. Insbesondere soll sie
drohende Unterversorgung erkennen,
Qualitätsdefizite aufdecken, Vorschläge
zur Optimierung der Versorgung
machen, die Bildung von Kooperatio-
nen und Versorgungsnetzwerken zu
unterstützen und zu moderieren und
dem Sozialministerium jährlich über
die Entwicklung der regionalen Ver-
sorgung berichten. Auf der Landesebe-
ne wird in Hessen, wie in fast allen
Bundesländern, ab 2013 das in § 90a
SGB V vorgesehene sektorenübergrei-
fende Landesgremium gebildet, das
ähnliche Aufgaben hat. So könnte
zukünftig eine abgestufte und abge-
stimmte Kommunikationsstruktur zur
Förderung interdisziplinärer Struktu-
ren entstehen, die auch ähnliche Gre-
mien auf Landkreisebene einbezieht.
Das würde den Patienten zu Gute
kommen.
Jochen Metzner
Jochen Metzner ist Leiter des Referats
Krankenhausversorgung im Hessischen
Sozialministerium. Bei dem Artikel han-
delt es sich um eine aktualisierte Fas-
sung eines Beitrags aus der Zeitschrift
„Gesundheits- und Sozialpolitik“