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Berufspolitik
Nr. 11 • November 2013
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Die Bundestagswahl 2013 ist
Geschichte, die Gewinner sind in
intensiven Koalitionsverhandlun-
gen. Der Berufsverband Deut-
scher Internisten hat ganz kon-
krete Forderungen an eine
Gesundheitspolitik in der kom-
menden Legislaturperiode.
In der ambulanten Versorgung ist
die Sicherstellung ohne Rationie-
rung unter den derzeitigen Bedin-
gungen mit einem offenen Leis-
tungskatalog und einer budgetier-
ten Vergütung nicht mehr zu
gewährleisten. Der BDI fordert,
die Budgetierungsvorgaben des-
halb schrittweise abzubauen,
beziehungsweise alternativ hier-
zu bei den vorgegebenen Finanz-
volumen die Leistungsmenge ver-
bindlich zu definieren. Aufgrund
restriktiver Vorgaben und über-
bürokratisierter Verfahren im
Gemeinsamen Bundesausschuss
werden Innovationen den Versicher-
ten in der ambulanten Versorgung
zunehmend vorenthalten. An dieser
Stelle fordert der BDI den Verbotsvor-
behalt auch für die ambulante Ver-
sorgung analog zum Krankenhaus
einzuführen.
Das derzeitige DRG-System mit sei-
nen regelhaften Nachkalkulationen
führt zu einer degressiven Vergütung
bei etablierten Krankenhausleistun-
gen. Der hierdurch erzeugte wirt-
schaftliche Druck wird intern auf die
Krankenhausärzte und das Pflegeper-
sonal weitergegeben. An dieser Stelle
ist die Freiheit der ärztlichen Ent-
scheidung im Krankenhaus in den
Händen der Ärztinnen und Ärzte zu
belassen und darf nicht durch ökono-
mische Vorgaben eingeschränkt wer-
den. Die duale Finanzierung der
Krankenhäuser führt länderabhängig
zu unterschiedlichen Wettbewerbs-
bedingungen und zwingt teilweise
die Träger, artfremd über die DRG-
Vergütung Investitionen zu finanzie-
ren. Der BDI fordert die neue Bundes-
regierung auf, die Länder stärker als
bisher in die Pflicht zu nehmen und
diese an ihre Aufgabenerfüllung der
Investitionsbeteiligung zu ermahnen.
Das Morbiditätsrisiko gehört analog
der ambulanten Versorgung in den
Zuständigkeitsbereich der Kranken-
kassen.
In der vergangenen Legislaturperiode
wurde durch die Neuformulierung
des § 116b SGB V die Versorgung
ambulant/stationär aufgelockert. Es
gibt feste Preise für die Leistungser-
bringer, Vertragsärzte und Kranken-
häuser sollen gleich behandelt wer-
den und die Notwendigkeit der Leis-
tung ergibt sich allein aus den vom
Gemeinsamen Bundesausschuss erar-
beiteten Qualitätsvorgaben. Der BDI
fordert diesen Versorgungsansatz
auszubauen.
Der Gesundheitsfonds mit einheitli-
chen Beiträgen und das starre Leis-
tungsrecht haben die gesetzlichen
Krankenversicherungen über die
Präsident
Dr. med. Wolfgang Wesiack,
Hamburg
Jahre weitgehend gleichgeschaltet
und die Möglichkeiten zu innovati-
ven Verträgen mit Leistungserbrin-
gern eingeschränkt. Damit die
Eigenverantwortung für die Versi-
cherten gefördert wird, fordert der
BDI, das System der Kostenerstat-
tung als Wahltarife in der GKV für
Versicherte und Ärzte zu veran-
kern. Dass ein solches System mit
besonderen Härtefallregelungen
ausgestattet sein muss, ist selbstre-
dend.
Editorial
Deutschland hat gewählt
Das duale System von GKV und
PKV ist als Wettbewerbsmotor
unbedingt beizubehalten. Ohne
diese Dualität wird der Leistungs-
katalog der gesetzlichen Kranken-
versicherungen mit Blick auf die
finanzielle Situation mehr und
mehr eingeschränkt werden. Der
BDI setzt sich für eine Beibehal-
tung des dualen Versicherungssys-
tems ein, wobei eine Krankenkas-
senreform einen Wettbewerb zwi-
schen allen Krankenkassen ermög-
lichen muss und nicht in einer Ein-
heitsversicherung enden darf.
Die Gesundheitspolitik steht auch
in der neuen Legislaturperiode vor
großen Herausforderungen, wir, als
Ihr Berufsverband, werden den
Verantwortlichen hierbei genau
auf die Finger schauen und dort,
wo es notwendig ist, unsere Stim-
me erheben.
Dr. med. Wolfgang Wesiack
Präsident BDI e.V.
Das Grundproblem werde dadurch
nicht gelöst, nämlich eine befreiende
Gesamtvergütung, die anschließend
umverteilt wird. Über den EBM seien
die Probleme der hausärztlichen Ver-
sorgung auf dem Lande nicht zu
lösen.
Als Sprecher der hausärztlich tätigen
Internisten versicherte Dr. Iwo Grebe,
dass der BDI bereit sei, an der Seite
des DHÄV die bestehenden Versor-
gungsprobleme auf dem Lande zu
lösen. Da immer weniger Ärzte die
Facharztprüfung in der Allgemeinme-
dizin ablegten, jedoch immer mehr in
der Inneren Medizin, sollte man über-
legen, in die hausärztliche Versorgung
wieder die Leistungen hineinzuneh-
men, die viele Internisten gelernt
haben und auch anwenden möchten.
Für den BDI-Präsidenten Dr. Wolfgang
Wesiack ist die entscheidende Frage,
woher man die Ärzte hernehmen soll,
die in eine Landarztpraxis gehen sol-
len. Junge Ärzte und Ärztinnen woll-
ten in großer Zahl angestellt arbeiten
und kein finanzielles Risiko überneh-
men. „Wir müssen daher die Struktu-
ren angehen.“
Die Zweite KBV-Vorsitzende Dipl.
med. Regina Feldmann, zuständig für
die hausärztliche Versorgung, nannte
die Forderungen der jungen Leute
„korrekt und richtig“. Warum gebe es
zum Beispiel eine 12-Stunden-Prä-
senzzeit? Bei ordentlicher Organisati-
on würden sicher auch 9 Stunden rei-
chen. Auch dass ein Hausarzt eine
ganze Woche lang Bereitschaftsdienst
machen muss, dürfe so nicht bleiben.
Es sei zu überlegen, mit welchen
Berufen die Ärzte hier kooperieren
können, wie etwa qualifizierte Arzt-
helferinnen eingesetzt werden kön-
nen.
Sie könne sich auch Strukturen vor-
stellen mit einem Ärztehaus in einer
Kreisstadt, eventuell finanziert von
der KV oder auch gemeinsam mit der
Kommune, in dem verschiedene
Haus- und Fachärzte zu bestimmten
Zeiten tätig sein könnten, ohne den
ganzen Tag dort zu sein. Qualifizierte
medizinische Fachangestellte könnten
dort die Grundversorgung sichern
und bei Bedarf den Facharzt rufen. Ein
ähnliches Modell der Gemeindesch-
wester gab es bereits in der DDR.
Ein entscheidender Fehler ist laut
Feldmann, dass vieles zu halbherzig
gemacht wird. Sie nannte beispielhaft
die Lehrstühle für Allgemeinmedizin.
Sie werden von allen Seiten gefordert,
aber es gibt erst ganz wenige. Das
scheitert daran, dass die für die Uni-
versitäten zuständigen Länder kein
Geld haben. Wenn sich da etwas
ändern soll, dann müsse die neue
Bundesregierung handeln. Die Ausbil-
dung müsse die Allgemeinmedizin
bekannt machen, die jungen Leute
müssten die Arbeit am Patienten ken-
nen lernen.
Den ganz großen Wurf wird es nach
ihren Worten nicht geben. Vielmehr
müsse man in kleinen Schritten
voranschreiten. Einige neue Struktu-
ren gebe es schon. Sie nannte die Fili-
alpraxen in Sachsen oder KV-finan-
zierte Häuser in Thüringen. Jetzt kön-
nen auch Kommunen Träger der
Eigeneinrichtungen sein. Die KVen
müssten solche Dinge stärker unter-
stützen.
Dr. Hans-Friedrich Spies, 2. stellver-
tretender BDI-Präsident, betrachtet
diese Entwicklung eher skeptisch. Es
sollten Ärzte sein, die solche Häuser
oder Zentren führten, und keine Trä-
ger oder Finanziers, die ökonomische
Anreize setzen. Eigene Einrichtungen
der KVen hält er für kritisch, denn das
Geld dafür wird aus dem Honorar
aller anderen Vertragsärzte genom-
men. Während Spies aus der Sicht des
Freiberuflers eher unternehmerisch
denkt, fährt Feldmann ganz auf der
bürokratisch-zentralistischen Schie-
ne: Die KV stellt ein Haus hin, die
Ärzte können darin als Angestellte
arbeiten, und wenn sie wollen, kön-
nen sie eines Tages die Einrichtung
auch kaufen.
Langfristig, betonte am Ende Haus-
arzt-Internist Grebe, kann man die
Verbesserung der hausärztlichen Ver-
sorgung nicht mit Geld erreichen,
sondern nur mit einer Veränderung in
unseren Köpfen. „Dazu gehört auch
die Anerkennung und Wertschätzung
des Hausarztes.“
Weiterbildung – nur ein Abfall-
produkt der täglichen Arbeit?
Wer finanziert die Weiterbildung des
Internisten? lautete das Thema einer
anderen Podiumsdiskussion. Früher
war die Weiterbildung ein Abfallpro-
dukt der täglichen klinischen Arbeit,
learning by doing. In den Praxen gab
es überhaupt keine Weiterbildung,
schilderte BDI-Vizepräsident Spies die
Situation. Doch heute spielt die Finan-
zierung eine Rolle. Die Weiterbildung
läuft nicht mehr nebenher. Man benö-
tigt ein Curriculum, es gibt Schwierig-
keiten mit dem Ablauf der klinischen
Arbeit usw. Der Charakter der Weiter-
bildung habe sich elementar verän-
dert.
Der stellvertretende Bundesvorsitzen-
de der Ärzte-Gewerkschaft Marburger
Bund, Dr. Andreas Botzlar, mag das
Wort Abfallprodukt für die Weiterbil-
dung nicht. Er würde lieber von
„Frucht“ der klinischen Arbeit spre-
chen. Für die Bezahlung gibt es nach
seiner Sicht nur drei Möglichkeiten:
▶ der Weiterbilder zahlt
▶ die Gesellschaft zahlt
▶ der Weiterzubildende zahlt selbst.
Das Krankenhaus habe finanzielle
Vorteile durch die Weiterbildung, weil
die Weiterbildungsassistenten viel bil-
liger sind als Fachärzte. Der Weiterzu-
bildende dagegen hat finanzielle
Nachteile durch den Einkommensver-
lust. Dadurch finanziert er selbst die
Weiterbildung mit. Im ambulanten
Bereich, räumte er ein, ist es kaum
möglich, durch den Einsatz von Wei-
terzubildenden Erlöse zu erzielen. Er
hält eine separate Finanzierung aber
nicht für nötig. Besser sei ein Gehalt,
aus dem auch die Weiterbildung
bezahlt werden könnte, und zwar im
stationären wie im ambulanten Sek-
tor.
Dr. Franz-Joseph Bartmann, Vorsit-
zender des Deutschen Senats für ärzt-
liche Fortbildung der Bundesärzte-
kammer, konnte keine Lösung anbie-
ten. Man habe mit der Förderung der
Weiterbildung zum Allgemeinmedizi-
ner begonnen, jetzt sei zu überlegen,
wie viel Fördermittel bis zum vollen
Gehalt für jeden Weiterzubildenden
gezahlt werden können. In der
Schweiz habe man dafür eine Lösung
gefunden: Der Weiterzubildende
bekomme das gleiche Gehalt wie ein
Neue Strukturen
braucht das Land
6. Deutscher Internistentag
am 26./27. September in Berlin
(Forts. v. S. 1)
Podiumsdiskussion
über die Neuord-
nung der hausärztli-
chen Versorgungs-
ebene beim beim
Internistentag in
Berlin (Foto: Philipp
Dera).
Großen Zuspruch
bei den Kongressbe-
suchern fand auch
das hochkarätige
medizinische Fort-
bildungsprogramm,
organisiert und
geleitet von Vor-
standsmitglied
Professor Dr.
Petra-Maria
Schumm-Draeger
(Foto: Philipp Dera).
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