Medizin
Nr. 6 • Juni 2013
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Eine Beschreibung der hypertrophi-
schen Kardiomyopathie findet sich
bereits 1907 in der Deutschen Medizi-
nischen Wochenschrift: Der Pathologe
A. Schmincke schreibt: „Ich betrachte
sie als primäre muskuläre Stenosen
des Conus der Aorta, die ihrer Natur
nach kongenital angelegt sind [...]. Bei
der Diagnose [...] ist es wesentlich, dass
andere [...] verantwortlich zu machen-
de Momente (Nierenerkrankungen,
Arteriosklerose) und sogenannte
Arbeitshypertrophien ausscheiden.“
[15]
Spätere, umfassendere Definitionen
der HCM erfolgten durch Donald Teare
1958 und Eugene Braunwald 1964. Die
HCM fiel unter viele (mehr als 70)
Nomenklaturen, zum Teil pathomor-
phologisch-anatomischer, zum Teil
funktioneller Natur. Heute wird sie der
Gruppe der primären, genetischen
Kardiomyopathien zugeordnet [5, 6].
Sie ist ein heterogenes Krankheitsbild
mit autosomal-dominantem Erbgang
und einer Prävalenz in der Bevölke-
rung von 0,2 % (1:500). Sie wird mor-
phologisch definiert als hypertrophier-
ter, nicht dilatierter linker Ventrikel bei
fehlender systemischer oder kardialer
Grunderkrankung, welche das Ausmaß
dieser Hypertrophie erklärt (z. B. arte-
rieller Hypertonus, Aortenklappenste-
nose). Differenzierende Begriffe wie
HNCM (hypertrophisch non-obstrukti-
ve Kardiomyopathie) oder HOCM
(hypertrophisch obstruktive Kardio-
myopathie) werden heute versucht zu
verlassen, da sie der zugrundeliegen-
den komplexen und variablen Patho-
physiologie nicht ausreichend Rech-
nung tragen.
Große Fortschritte sind zu verzeichnen
bei der Aufdeckung der genetischen
Basis dieser Erkrankung: In mehr als
20 Genen sind HCM-verursachende
Mutationen nachgewiesen, die Mehr-
zahl codiert für Gene des Sarkomers.
Die genauen molekularen Signalwege
und Mechanismen sind jedoch noch
nicht völlig verstanden. Mögliche Ursa-
chen sind
▶ Veränderungen des Calcium-Stoff-
wechsels der Kardiomyozyten,
▶ Veänderung der Calcium-Sensitivität
des Sarkomers,
▶ eine verstärkte kardiale Fibrose,
▶ eine gestörte biomechanische Stress-
Wahrnehmung und/oder
▶ eine gestörte kardiale Energieregula-
tion [4].
Bei rund 70 % der Patienten entwickelt
sich eine dynamische Obstruktion des
linksventrikulären Ausflusstraktes
(LVOT) in Ruhe oder unter körperlicher
Belastung. Die Hypertrophie bewirkt
eine Flussbeschleunigung. Diese führt
zu einer systolischen Vorwärtsbewe-
gung eines Mitralklappensegels (Systo-
lic Anterior Movement, SAM) mit Kon-
takt am Septum. Zusätzlich kann eine
begleitende funktionelle Mitralklappe-
ninsuffizienz auftreten. Die funktionel-
le Verkleinerung des LVOT bewirkt
einen Gradienten, den das Herz über-
winden muss, um seine Ausflussleis-
tung aufrecht zu erhalten und bewirkt
charakteristische Symptome wie Dys-
pnoe oder Angina pectoris. Auch in
Abwesenheit einer dynamischen
Obstruktion kann es aber durch eine
diastolische Funktionsstörung zu
Symptomen der Herzinsuffizienz kom-
men.
Das klinische Spektrum der HCM
reicht von Patienten mit blanden Ver-
läufen und normaler Lebenserwartung
bis hin zu schweren und tödlichen kli-
nischen Verläufen. Diese sind im
Wesentlichen gekennzeichnet durch
drei charakteristische Entitäten:
1. Plötzlicher Herztod, hervorgerufen
durch ventrikuläre Tachyarrhyth-
mien, die häufigste Todesursache bei
asymptomatischen Patienten vor
dem 35. Lebensjahr.
2. Progrediente Herzinsuffizienz mit
Belastungsdyspnoe und/oder Angina
pectoris trotz erhaltener systolischer
Funktion. In einer kleinen Gruppe
(3-10 %) kommt es zusätzlich zur
systolischen Dysfunktion.
3. Vorhofflimmern, paroxysmal oder
persistierend, dieses kann eine Herz-
insuffizienz auslösen und bewirkt
eine gesteigerte Morbidität und
Mortalität u. a. durch systemische
Thromboembolien.
kurzgefasst
Die hypertrophische Kardiomyo-
pathie ist die häufigste erbliche Kar-
diomyopathie. Grundsätze der mole-
kularen Pathogenese sind verstanden
oder in Entschlüsselung, erklären aber
noch nicht die sehr variablen klini-
schen Verläufe, die eine Herausforde-
rung für den Kliniker darstellen.
Diagnostik der hyper-
trophischen Kardiomyo-
pathie
Das wesentliche Ziel ist die Differen-
zierung der Hypertrophie einer HCM
von anderen Ätiologien und die Risi-
kostratifizierung der betroffenen
Patienten und ihrer Familienangehöri-
gen. Schwierigkeiten bestehen bei mil-
der kardialer Hypertrophie mit der
Differenzialdiagnose des „Sportlerher-
zens“. Das Fehlen einer linksventriku-
lären Hypertrophie schließt umgekehrt
eine HCM nicht aus: Jede linksventri-
kuläre Wandstärke kann grundsätzlich
im Zusammenhang mit einer geneti-
schen HCM-verursachenden Mutation
stehen. Die Entwicklung der Hypertro-
phie ist typischerweise altersabhängig.
Allerdings können auch Genotyp-posi-
tive Patienten einen negativen Phäno-
typ (inkomplette Penetranz) aufwei-
sen.
Anamnese und klinische
Untersuchung
Die Leitsymptome der HCM sind Angi-
na pectoris und Dyspnoe, relevant ist
auch die Frage nach (Prä-)Synkopen.
Darüber hinaus sollte eine präzise
Familienanamnese erhoben werden.
Bei der klinischen Untersuchung impo-
niert bei Patienten mit LVOT-Obstruk-
tion (bis 70 %) ein Systolikum dessen
Intensität durch Provokationsmanöver
beeinflussbar ist (z. B. Valsalva-Manö-
ver).
EKG
Das EKG gehört zur Basis- und Ver-
laufsdiagnostik bei Patienten mit HCM
und ihren Angehörigen. EKG-Verände-
rungen können auftreten, bevor es zu
echokardiographisch fassbaren Verän-
derungen kommt. Das 12-Kanal-EKG
ist bei 75–95 % der Patienten mit HCM
verändert. Diese können vermeintlich
typisch sein:
▶ abnorme, breite Q-Zacken,
▶ Zeichen der linksventrikulären
Hypertrophie oder
▶ einer linksatrialen Belastung.
Häufig sind darüber hinaus
▶ ST-Streckenveränderungen,
▶ T-Wellen-Abnormitäten („giant
T-Waves“),
▶ Schenkelblöcke und
▶ Vorhofflimmern.
Allerdings ist die Spezifität aller bei
HCM vorkommenden EKG-Verände-
rungen gering. Hilfreich ist aber der
relativ hohe negativ prädiktive Wert
eines unauffälligen EKG im Hinblick
auf den Ausschluss der Erkrankung,
z. B. bei Verwandten von HCM-Patien-
ten bzw. bei Screening-Untersuchun-
gen von Sportlern. So ist das EKG nur
in 10 % der Fälle falsch negativ. Zudem
ist ein unauffälliges EKG bei HCM ein
prognostisch günstiger Faktor und
kann ein Hinweis auf einen weniger
schwerwiegenden Verlauf sein [7]. Der
Nachweis von Salven und (nicht-)
anhaltenden ventrikulären Tachykar-
dien im Langzeit-EKG ist zentral zur
Risikostratifizierung für den plötzli-
chen Herztod und zur Diagnose von
asymptomatischen Episoden von Vor-
hofflimmern.
Echokardiographie
Die Definition der HCM erfordert eine
linksventrikuläre Hypertrophie und
das Fehlen einer anderen kardialen
oder systemischen Ätiologie, die das
Ausmaß der Hypertrophie erklärt.
Wanddicken über 15 mm werden
dabei als pathologisch angesehen,
13–14 mm als grenzwertig. Bei Vorlie-
gen einer relevanten basoseptalen
Hypertrophie und einer folglich mehr
oder weniger ausgeprägten LVOT-
Obstruktion sind erhöhte Flussge-
schwindigkeiten messbar („pw“-Dopp-
ler). Als Folge des im LVOT so wirken-
den Venturi-Effektes kann ein „systolic
anterior movement“ des vorderen
Mitralklappensegels erkennbar sein.
Unterschiedlich stark ausgeprägt kann
dieses sogenannte „SAM“-Phänomen
mit einer funktionellen Mitralinsuffi-
zienz assoziiert sein. Eine dynamische
Obstruktion des LVOT (z. B. nach Val-
salva-Manöver) korreliert mit dem
symptomatischem Status, der Entwick-
lung von Vorhofflimmern, emboli-
schen Komplikationen und der Morta-
lität.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die
diastolische Funktionsstörung. Eine
Herausforderung ist die Differenzie-
rung zwischen pathologischer (HCM)
und physiologischer linksventrikulärer
Hypertrophie (Sportlerherz) und ande-
ren Formen, wie z. B. der hypertensi-
ven Herzerkrankung. Ausmaß und
atypische Verteilungsmuster der
Hypertrophie, Veränderungen der sys-
tolischen oder diastolischen Funktion
sprechen für eine HCM. Vergrößerte
Herzdiameter in Verbindung mit
Hypertrophie und passender Anamne-
se sprechen für ein Sportlerherz,
typisch für die HCM sind kleine Herz-
höhlen (< 45 mm). Zusätzlich hilft die
Bestimmung der regionalen Myokard-
Deformierung (Strain-Imaging/Strain-
Rate-Imaging): Sportlerherz und
hypertensive Herzerkrankung zeigen
eine weitgehend normale Deformie-
rung, wohingegen der Strain bei HCM
deutlich vermindert ist.
Stress-Echokardiographie und
(Spiro-)Ergometrie
Belastungsuntersuchungen lassen sich
bei HCM mit großer Sicherheit durch-
führen, auch bei Hochrisikopatienten
beträgt die Komplikationsrate nur
0,16 % [12]. Die Stress-Echokardiogra-
phie dient der Detektion und Quantifi-
zierung eines belastungsinduzierten
dynamischen LVOT-Gradienten, insbe-
sondere bei Patienten mit niedrigen
Ruhegradienten (< 50 mmHg). Sie
ermöglicht die Einschätzung der kör-
perlichen Leistungsfähigkeit, eines
Therapieerfolgs und unterstützt bei
der Risikostratifizierung für den plötz-
lichen Herztod (s. u.). Keine Rolle spielt
die Stress-Echokardiographie dagegen
in der Diagnose einer koinzidenten
koronaren Herzerkrankung aufgrund
der heterogenen Wanddicken und
atypischer Wandbewegungen. Die
metabolische Leistungskapazität in der
Spiroergometrie ist ein weiterer unab-
hängiger Risikofaktor und kann zwi-
schen Patienten mit niedrigem und
hohem Risiko für die Endpunkte Tod
und Herzinsuffizienz differenzieren
[13].
Kardiale Magnetresonanz-
tomographie
Die Hauptaufgabe der kardialen MRT
ist die eindeutige Diagnose und Ein-
ordnung des Phänotyps, insbesondere
bei schlechten Schallbedingungen oder
der Verteilung der Hypertrophie auf
echokardiographisch schlecht einseh-
bare Bereiche (z. B. apikal) (Abb. 1). Sie
ermöglicht die präzise Bestimmung
der Hypertrophieausprägung, ihre Ver-
teilung und die genaue Erfassung der
linksventrikulären Konfiguration.
Neben LVOT-Flussmessungen kann die
kardiale MRT darüber hinaus zum
nicht-invasiven Ausschluss einer
sekundären LV-Hypertrophie beitra-
gen, wie bei kardialer Amyloidose,
M. Fabry oder der LAMP2-Kardiomyo-
pathie (Morbus Danon, x-chromoso-
male lysosomale Speichererkrankung).
Dabei ermöglicht die kardiale Magne-
tresonanztomographie mit „late gado-
Hypertrophische Kardiomyopathien
Diagnostik und Therapie
Die hypertrophische Kardiomyopathie (HCM) ist die häufigste monogene Kardiomyopathie und betrifft
in Deutschland rund 160 000 Patienten. Primär- und Sekundärprophylaxe des plötzlichen Herztodes und
die genetische Beratung der betroffenen Familien erfordern eine präzise Diagnostik. Bei der Therapie
symptomatischer Verläufe stehen Betablocker und Calcium-Antagonisten im Mittelpunkt. Mit der
Myektomie und der perkutanen Alkohol-Ablation von Teilen des Septums stehen zwei weitere etablierte
Therapiekonzepte zur Verfügung. Die Identifikation von Patienten zur primärprophylaktischen Implanta-
tion eines ICD ist eine große Herausforderung. Hier versprechen neben etablierten Risikofaktoren neue
bildgebende Verfahren eine zusätzliche Entscheidungshilfe.
Abb. 1
Kardiale MRT bei einem 45-jährigen männlichen Patienten. Kurze Herzachsenschnitte, die bei deutlicher konzentrischer linksven-
trikulärer Hypertrophie eine eindeutig multifokale späte Gadolinium-Signalanhebung (LGE) erkennen lassen (Pfeile), als Hinweis auf myo-
kardiale Fibrose. Bei Zustand nach überlebtem plötzlichen Herztod war echokardiographisch der Verdacht auf eine HCM gestellt worden.
Es folgte die sekundärprophylaktische ICD-Implantation.
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,...28