Berufspolitik
Nr. 6 • Juni 2013
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Der jährlich im Mai stattfinden-
de Deutsche Ärztetag ist der
berufspolitische Höhepunkt der
gesamten verfassten deutschen
Ärzteschaft. Es werden nicht nur
innerärztliche Themen diskutiert
und entschieden, sondern auch
wesentliche gesellschaftspoliti-
sche Positionen der deutschen
Ärzteschaft erarbeitet. Wir ste-
hen dabei nicht nur im Fokus der
Fachpresse, sondern der gesam-
ten medialen Öffentlichkeit. Poli-
tische Themen gibt es genug.
Unser Krankenversicherungssystem
steht in der Diskussion. Bürgerversi-
cherung ja oder nein, Korruptions-
vorwürfe, Bedrohung des Arztberu-
fes durch ökonomische Zwangsvor-
gaben, um nur wenige Themen zu
nennen.
Auch intern gibt es mit der Novellie-
rung der Muster-Weiterbildung
genügend Sprengstoff. Die M-WBO
ist gleichsam die Königsdisziplin der
Bundesärztekammer. Wir entschei-
den (noch) alleine über unsere Wei-
terbildung, aber wir müssen darauf
achten, dass es so bleibt. Die geplan-
te neue Struktur sogenannter Kom-
petenzlevel muss diskutiert werden.
Ist diese Struktur wirklich besser als
die zugegebenermaßen in die Jahre
gekommene alte oder trägt sie nicht
vielmehr noch dazu bei, die Fachde-
finitionen zu verwässern? Auch soll-
te in diesem Jahr über die Möglich-
keit der Durchführung eines Teils
der Weiterbildung im ambulanten
Bereich positiv entschieden werden.
Was sich hinter dem Punkt
Geschäftsordnung verbirgt, wird
Präsident
Dr. med. Wolfgang Wesiack,
Hamburg
sich herausstellen. Finanzielle Pro-
bleme der BÄK werden ja kolpor-
tiert.
Editorial
Es bleibt zu hoffen, dass eine
geänderte Geschäftsordnung die
Praxis früherer Ärztetage beendet,
eine Unzahl von Anträgen einzu-
bringen und zu diskutieren, um
sie dann als Konvolut auf Nim-
merwiedersehen an den Vorstand
zu überweisen. Vielleicht wird der
Deutsche Ärztetag dann in
Zukunft weniger an ein Studen-
tenparlament erinnern und sich
mehr durch Effizienz und Profes-
sionalität auszeichnen.
Dr. med. Wolfgang Wesiack
Präsident BDI e.V.
Beide Experten stachen in der Vergan-
genheit vor allem durch ihre Diskussion
zur Finanzierung der Gesundheitsaus-
gaben in Deutschland – Kopfpauschale
versus Bürgerversicherung – hervor.
Zudem zeichnet sich Drabinski als
Co-Entwickler des in Zusammenarbeit
mit der KV Schleswig-Holstein und der
PVS entwickelten Versorgungsmodells
„Gesundheitskonto mit Solidargut-
schrift“ verantwortlich (siehe Artikel
„Alter Wein in neuen Schäuchen“ in
BDI aktuell 2/2013).
Gedeckelter Gesundheitsbeitrag
In der Bestandsaufnahme geht die BÄK
auf die bereits bekannten Einnahme-
probleme, den demografischen Wandel,
sinkende Einnahmen, steigende Ausga-
ben sowie die Steigerung des Beitrags-
satzes bzw. des Steueranteils ein. Insge-
samt werden die jetzigen Zustände
sowohl in der GKV als auch in der PKV
beklagt. Da man sich dem Gedanken
einer reinen Bürgerversicherung auch
nicht anschließen kann, wurde somit
eine neue Idee, „der Gesundheitsbei-
trag“, aus der Taufe gehoben. Hierunter
wird der feste, einkommensunabhängi-
ge Anteil der Versicherten am Beitrags-
aufkommen, den diese zu entrichten
haben, verstanden. Dabei werden sämt-
liche Einkommensarten eines Haushalts
und nicht nur allein das sozialversiche-
rungspflichtige Einkommen bei der Bei-
tragsentrichtung zugrunde gelegt.
Bezüglich der Höhe einer solchen Pau-
schale herrscht noch Uneinigkeit – sie
pendelt zwischen ca. 135 und 170 Euro
monatlich. Gekoppelt wird der Gesund-
heitsbeitrag mit einem Sozialausgleich,
der über allgemeine Steuern durch den
Gesundheitsfonds als Bundeszuschuss
finanziert werden soll.
Zur Vermeidung von finanziellen Über-
forderungen für Versicherte mit niedri-
gem Einkommen soll der Gesundheits-
beitrag mittels einer Belastungsgrenze
gedeckelt werden. Diese sieht einen
maximalen beitragspflichtigen Anteil
des gesamten Haushaltseinkommens
von maximal 9 % vor. Gemäß den Aus-
sagen des Positionspapiers entspricht
diese Höhe den aktuell heutigen Belas-
tungsgrenzen von ca. 10,2 % des sozial-
versicherungspflichtigen Einkommens.
Gesundheitsfonds müsste
neu geregelt werden
Somit wird das Solidarprinzip durch
einen steuersubventionierten Sozialaus-
gleich ergänzt. Der Gesundheitsbeitrag
soll zudem zwischen den gesetzlichen
Krankenkassen variieren, für alle Versi-
cherten innerhalb der Kasse gleich sein
und unabhängig von Alter, Geschlecht
und Vorerkrankungen kalkuliert wer-
den. Die Familienversicherung wird neu
geregelt, sodass die Ausgaben für Kin-
der durch den Bundeszuschuss über
den Gesundheitsfonds finanziert wer-
den. Hierunter fallen auch Personen, die
sich in Elternzeit befinden oder Famili-
enangehörige pflegen und somit bei-
tragsfrei mitversichert werden.
Erwerbsfähige Erwachsene, welche
nicht die o.g. Kriterien erfüllen, werden
zukünftig beitragspflichtig.
In den hierfür neu zu gestaltenden
Gesundheitsfonds sollen zukünftig bei
GKV-Versicherten der lohnabhängige
Arbeitgeberbeitrag, die Zuweisungen
der gesetzlichen Rentenversicherung
zur Krankenkasse sowie die Steuermit-
tel für den Ausgleich sozial- und famili-
enpolitischer sowie versicherungsfrem-
der Leistungen einfließen.
Als weiteres Ziel erkennt die BÄK die
sozialverträgliche Stärkung der Eigen-
verantwortung. Dazu gehört auch die
Steigerung der Attraktivität von Kosten-
erstattung und Kostenbeteiligung in der
GKV.
Auch eine Reform der PKV wird ange-
strebt. Hier wird für die Mitnahme der
Altersrückstellungen in vollem Umfang
zwischen den PKV-Unternehmen plä-
diert. Darüber hinaus wird ein ausrei-
chender individueller Versicherungs-
schutz in der PKV durch Mindestkrite-
rien für Versorgungsleistungen ver-
pflichtend festgelegt. Dieser muss einen
transparenten Vergleich zwischen den
PKV-Tarifen und den Leistungen der
GKV ermöglichen.
Fazit: Probleme werden nicht gelöst
So richtig revolutionär ist das Konzept
nicht, da vor allem die bisherige Belas-
tungsgrenze für Versicherte nicht ange-
tastet wird. Somit kommt kaummehr
Geld ins System und die zu Anfang des
Papiers zitierten Probleme werden nur
ansatzweise aufgegriffen. Auch die enge
Verbindung zu der inzwischen von allen
Parteien nicht mehr so geliebten „Kopf-
pauschale“ wird die Akzeptanz des
Papiers bei den politischen Entschei-
dungsträgern nicht erleichtern.
Dipl.-Betriebsw. Tilo Radau
Geschäftsführer des BDI
Auch Korruption im Gesundheits-
wesen sollte strafbar sein
Wesiack: Der Blick nur auf die Ärzte geht fehl
Die Weiterentwicklung des dualen
Krankenversicherungssystems in
Deutschland
Positionspapier der Bundesärztekammer
Neben der Bundeszahnärztekammer hat sich nunmehr auch die Bun-
desärztekammer als weiterer Spitzenverband der Heilberufe mit der
Zukunft von gesetzlicher und privater Krankenversicherung beschäf-
tigt. Herausgekommen ist ein Positionspapier „Anforderungen zur
Weiterentwicklung des dualen Krankenversicherungssystems in
Deutschland“, welches mit der tatkräftigen Unterstützung von
Dr. Thomas Drabinski, Institut für Mikrodaten-Analyse, Kiel, und
Prof. Dr. Günter Neubauer, IfG Institut für Gesundheitsökonomie,
München, entwickelt wurde.
Die Vertragsärzte benötigen eine
sichere Kalkulationsgrundlage für
ihre Berufsausübung. Deshalb for-
dert der Präsident des Berufsver-
bands Deutscher Internisten,
Dr. Wolfgang Wesiack: „Weg mit
der Budgetierung! Hin zu festen
Preisen für klar definierte Leistun-
gen!“
Mit einem offenen Leistungskatalog
und einer budgetierten ärztlichen Ver-
gütung ist die Sicherstellung der ambu-
lanten Versorgung ohne Rationierung
nicht mehr zu gewährleisten. Dieses
System hat sich nach Wesiacks Ansicht
überholt und muss deshalb schrittwei-
se abgebaut werden.
Eine denkbare Alternative wäre es, bei
vorgegebenem Leistungsvolumen die
Leistungsmenge zu einem festen Preis
mit den Krankenkassen verbindlich
festzulegen.
Aus diesem Grunde kritisiert der BDI
auch die erneute Reform des EBM.
Wesiack: „Uns fehlt kein neuer EBM zur
Verteilung des Honorars, was uns fehlt,
sind Finanzmittel für die ambulante
Versorgung. Der EBM ist ein Bewer-
tungsmaßstab und führt weiterhin zu
einer Punktwert-Währung. Was wir
brauchen, ist ein EBM in Euro und Cent,
die auch ausgezahlt werden.“
Neben pauschalierten Vergütungsfor-
men müssen Einzelleistungen vergütet
werden, die das jeweils arztgruppen-
spezifische Leistungsspektrum abbil-
den. Für diese Leistungen muss es feste
und kostendeckende Preise geben, die
jährlich an die wirkliche Kostenent-
wicklung angepasst werden. Nur die
Vergütung aller Leistungen zum vollen
Preis entspricht der vom Gesetzgeber
gewollten Übernahme des Morbiditäts-
risikos durch die gesetzlichen Kranken-
kassen, betont Wesiack.
Pressemitteilung des BDI
BDI will feste Preise für
definierte Leistungen
Wesiack: Das System der Budgets hat sich überholt
Korruption sollte bestraft werden,
findet auch der Berufsverband
Deutscher Internisten. Doch hält
BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesi-
ack es für einen groben Fehler, in
der öffentlichen Diskussion wie-
der einmal nur auf die Ärzte zu
schauen. Die Ursache für das Fehl-
verhalten liegt in der Intranspa-
renz des Gesundheitssystems.
Er teilt die Auffassung von Transparen-
cy International, wonach sich alle Betei-
ligten im Gesundheitswesen – Waren-
anbieter von Pharmazeutika und Medi-
zingeräten, Leistungserbringer jeder
Art, Krankenhäuser und Reha-Einrich-
tungen, Versicherte und deren Arbeit-
geber – die Schwächen des intranspa-
renten Systems zunutze machen. Nur
wenn das System für die Versicherten
und für die Leistungserbringer transpa-
renter wird, kann es vor Korruption
besser geschützt werden.
Zu einem, der sich bestechen lässt,
gehört immer auch einer, der aktiv
besticht, weil er sich davon einen Vor-
teil verspricht. Dieser müsste mindes-
tens ebenso zur Verantwortung gezo-
gen werden, meint Wesiack. Auch die
Bonusverträge für Chefärzte an den
Krankenhäusern sowie die Rabattver-
träge der Krankenkassen, die ebenfalls
zu dem Korruptionssystem gehören,
müssen transparent gemacht werden.
Der BDI-Präsident ist im Gegensatz zu
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr
allerdings der Meinung, dass die Kor-
ruption im Gesundheitswesen nicht im
Sozialversicherungsrecht, sondern als
Straftatbestand im Strafrecht geregelt
werden sollte.
Pressemitteilung des BDI
Weitere Informationen zum Thema
Korruption bei Ärzten finden Sie auch
im Artikel „Neues vom Staatsanwalt“
auf den Seiten 1 und 6.
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