Der Anfang 2009 in der privaten
Krankenversicherung gesetzlich ver-
ankerte brancheneinheitliche Basis-
tarif führt immer noch ein Schatten-
dasein: Während in der Hauptversi-
cherungsart der PKV, der Krankheits-
vollversicherung, Ende 2011 circa
8,98 Millionen Personen versichert
waren, vermeldete die Branche im
PKV-„Zahlenbericht 2011/2012“ zum
31. Dezember 2011 exakt 26 088
Basistarif-Versicherte. Am 30. Juni
2009, also ein halbes Jahr nach Start
des Tarifs, gab es erst 9 800 Versicher-
te im Basistarif.
Vier Jahre nach Einführung dieses
„Billigtarifs“ gibt es bisher offenbar
keine Sicherstellungs- und Versor-
gungsprobleme. Allerdings pochen die
privaten Versicherungsgesellschaften
regelmäßig auf einen form- und aus-
sagefähigen Heil- und Kostenplan mit
eindeutiger Kostenübernahmeerklä-
rung zumindest im Bereich Kieferor-
thopädie, Implantologie und Funkti-
onsdiagnostik und oftmals auch im
Fall der ärztlichen Behandlung.
Die Zahl der privat Vollversicherten
lag am 30. Juni 2012 bei rund 8,96
Millionen Personen; das sind 0,2 %
oder 15 300 Personen weniger als
zum Jahresende 2011. 2012 dürfte die
Zahl der Basistarif-Versicherten wei-
ter gestiegen sein, sodass heute etwas
mehr als 28 000 Policen an den
Mann/die Frau gebracht wurden. Die
Zahl der privaten Zusatzversicherun-
gen stieg im ersten Halbjahr 2012 auf
22,6 Millionen. Damit hat sich der
Trend im Zusatzversicherungsbereich
ebenso wie bei den Spartarifen im
Verhältnis zur Vollkostenversicherung
weiter verstärkt. Der Anteil der Voll-
versicherung an den gesamten Bei-
tragseinnahmen der PKV in Höhe von
34,67 Milliarden Euro beträgt 72,55 %.
Die Einnahmen und Ausgaben in den
Sparten „Basis- und Standardtarif“
werden im Branchenbericht nicht
getrennt ausgewiesen, sodass deren
Ertragskraft für die Branche extern
nur grob geschätzt werden kann.
Ende 2011 hatten 10,97 % der Bevöl-
kerung in Deutschland eine private
Krankheitsvollversicherung abge-
schlossen, darunter ein prozentual
verschwindend geringer Anteil
(0,31 %) an Versicherten im Basistarif.
Der Basistarif war seit seiner „Geburt“
sowohl bei der Privatassekuranz als
auch bei der Ärzte- und Zahnärzte-
schaft ein „ungeliebtes Kind“. Der
PKV-Basistarif ebenso wie der 1994
eingeführte Standardtarif hatten das
Ziel, Elemente der PKV mit den Rah-
menbedingungen der gesetzlichen
Krankenversicherung zu verbinden
und auf der Leistungs- und Vergü-
tungsseite vergleichbare Vorgaben zu
installieren. Nach § 75 Sozialgesetz-
buch V (SGB V) wurde 2008 vorge-
schrieben, dass die Kassenärztlichen
und Kassenzahnärztlichen Vereini-
gungen die ärztliche und zahnärztli-
che Versorgung im Standard- und im
Basistarif sicherstellen und flächen-
deckend gewährleisten müssen. Für
Neukunden übernahm der Basistarif
ab 2009 vor allem eine soziale Schutz-
und Sicherungsfunktion im Alter. Aus-
löser war die damals verankerte allge-
meine Pflicht zur Versicherung und
die wachsende Zahl von Durch-
schnittsverdienern und Erwerbslosen.
Kontrahierungszwang und
Honorarbegrenzung
Die PKV führte 2009 sowohl eine
100%-Absicherung im Basistarif als
auch eine beihilfekonforme Variante
ein. Für die Versicherungsunterneh-
men besteht in diesem Tarif
bei bestimmten
Personen-
gruppen
Kontrahie-
rungs-
zwang,
zum Bei-
spiel für
Personen
ohne Kran-
kenversiche-
rungsschutz,
die der PKV
zuzuordnen sind.
Den Standardtarif
konnten vor Ein-
führung des Basis-
tarifs Personen wäh-
len, die eine private
Krankenversicherung
vor 2009 abgeschlossen
hatten, seit mindestens zehn Jahren
privat vollversichert waren und ein
bestimmtes Mindestalter erreicht hat-
ten oder Bezieher einer gesetzlichen
Rente beziehungsweise eines Ruhege-
haltes unterhalb der niedrigeren Ver-
sicherungspflichtgrenze waren. Kon-
trahierungszwang bedeutet: Es darf
im Basistarif weder Risikozuschläge
noch Leistungsausschlüsse geben; die
Leistungen orientieren sich am
Niveau der GKV. Der Beitrag im PKV-
Basistarif ist auf den Höchstbeitrag in
der GKV begrenzt (jährlich dynami-
siert). Weist ein Basistarifversicherter
Hilfebedürftigkeit nach Maßgabe des
Sozialrechts nach, wird der Beitrag
während dieser Zeit halbiert. Der
Basistarif löste den „modifizierten“
Standardtarif (zum 1. Juli 2007 einge-
führt) ab, dessen Versicherte 2009 in
den Basistarif übergeführt wurden.
Demnach ist der Basistarif ein gesetz-
licher Tarif nach GKV-Art „de luxe“,
weil er die Leistungen der gesetzli-
chen Krankenversicherung in der PKV
analog abbildet und vergütet.
Behoben wurde seit Beginn des Jahres
2013 auch ein viel kritisiertes Pro-
blem von Versicherten im Basistarif:
Sind die Beiträge sehr hoch, kann es
vorkommen, dass ein im Tarif verein-
barter Selbstbehalt nicht zu einer Bei-
tragsermäßigung führt. Künftig kann
eine Umstellung des Vertrages in den
Basistarif ohne Selbstbehalt verlangt
werden, wenn keine angemessene
Reduzierung der Prämie erreicht wer-
den kann. Die Mindestbindungsfrist
für die Beibehaltung des gewählten
Tarifs von drei Jahre gilt in diesen Fäl-
len nicht.
Nach dem GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz (GKV-WSG) wurde
dekretiert, dass für vergleichbare
ärztliche und zahnärztliche Leistun-
gen vergleichbare Vergütungen zu
zahlen sind. Sofern keine Vergütungs-
vereinbarungen zwischen der Kassen-
ärztlichen Bundesvereinigung und
dem PKV-Verband sowie Regelungen
im Bereich der Zahnärzteschaft beste-
hen, sind die Leistungen wie im
Ersatzkassenbereich zu vergüten.
Auch bei der Beitragshöhe nimmt der
Basistarif Bezug auf die GKV: Basis-
tarifversicherten darf nicht
mehr als der
Höchstbeitrag in der GKV berechnet
werden. Mithin war den Leistungser-
bringern (Ärzten, Zahnärzten und
anderen) auferlegt worden, Vereinba-
rungen zu treffen, die die Vergütungs-
höhe auf das GKV-Niveau begrenzen.
Sowohl die Ärzteschaft als auch die
Zahnärzteschaft, weniger die Privat-
assekuranz, sahen im Basistarif ein
„Einfallstor in die Einheitsversiche-
rung“. Sowohl die Zahnärzteschaft als
auch die Ärzteschaft geißelte die Ein-
führung des Standard- und später des
Basistarifs (Ärztejargon: „Barfußtarif“)
als einen vom Gesetzgeber motivier-
ten Versuch, die PKV mittel- und
langfristig zu schwächen und diese im
Leistungs- und Liquidationsgebaren
auf den Einheitskurs der gesetzlichen
Versicherung zu bringen. Die Körper-
schaften und Verbände der Ärzte- und
Zahnärzteschaft setzten alles daran,
den Basistarif zahlenmäßig möglichst
klein zu halten und nicht zu propa-
gieren. Ärzte und Zahnärzte wollten
nicht mit GKV-analogen „Standard-
leistungen“ in die Bresche springen,
um den Basistarif zu entlasten bezie-
hungsweise zu subventionieren.
Andererseits hatte die PKV für ein-
schnürende gesetzliche Vorgaben mit
Kontrahierungszwang, Beitragsdecke-
lung, Liquidationsbegrenzung und
Prämienreduzierung plädiert, um den
systemfremden Billigtarif kostende-
ckend kalkulieren zu können.
Umverteilung und Einheitskurs
Die PKV mutmaßte gravierende Unge-
rechtigkeiten und Umverteilungswir-
kungen, die das neue Tarifsystem aus-
lösen würde: Die Subventionslast
gehe auf Kosten der Bestandsversi-
cherten in der PKV. Nicht zuletzt
wegen dieses als ungerechtfertigt
erachteten Eingriffs in bestehende
Verträge hatten PKV-Versicherte und
einige wenige Unternehmen der Bran-
che (so die DKV AG) Verfassungsbe-
schwerde gegen die Gesundheitsre-
form 2008 (GKV-WSG) eingelegt.
Zwar wurden von den Karlsruher
Richtern die Beschwerden zurückge-
wiesen, dem Gesetzgeber
aber eine Beobachtungs-
pflicht für den Fall aufer-
legt, falls das Tarifsystem
aus dem Ruder laufen
sollte. Dies sollte
gewährleisten, dass
die Gesundheitsre-
form auch in
Zukunft keine
unzumutbaren
Folgen für die
Versicherten
und die PKV-
Unternehmen
hat. In der Tat: Der
Basistarif könnte im
Laufe der Zeit, falls
er weiter expan-
dieren sollte,
erhebliches Erosi-
onspotenzial
implizieren – mit
der Folge, dass nach-
folgende Reformen
stets zulasten der
Vollversicherungen
der PKV gehen und
der Einheitskurs und
die BEMA-tisierung programmiert
werden könnte. Allerdings ist der
Reformschritt allein zulasten der Leis-
tungserbringer, der Ärzte- und Zahn-
ärzteschaft gemacht worden: durch
eine Begrenzung der Vergütung und
der Vergütungsmultiplikatoren. Dies
hat denn auch die PKV eingeräumt,
indem sie dafür plädierte, die Ärzte-
und Zahnärzteschaft müsse über
(reduzierte) Vergütungen dazu beitra-
gen, dass die Funktionsfähigkeit der
gesamten Branche erhalten bleibe.
Der Druck der PKV auf die Ärzte und
die Zahnärzte könnte sich erhöhen,
falls die Zahl der Basistarifversicher-
ten künftig weiter expandieren sollte.
Mit dem Start des Basistarifs wurden
gemäß § 75 SGB V(„Inhalt und
Umfang der Sicherstellung“) im ärztli-
chen und zahnärztlichen Leistungsbe-
reich unterschiedliche Vergütungsmo-
dalitäten und Höchstmultiplikatoren
vereinbart: Der PKV-Verband und die
Kassenärztliche Bundesvereinigung
vereinbarten Ende des ersten Halbjahr
2009 für die Behandlung von Basista-
rifversicherten folgende Vergütungs-
multiplikatoren, nachdem die Ver-
handlungen Ende 2008 einvernehm-
lich für gescheitert erklärt wurden
und die Schiedsstelle angerufen
wurde:
▶ für Laborleistungen das 0,9-Fache
des Einfachsatzes der Gebührenord-
nung für Ärzte,
▶ für technische Leistungen das
1,0-Fache,
▶ für alle übrigen Leistungen den
1,2-fachen Steigerungssatz.
In der Einführungsphase des Basista-
rifs hatte der Gesetzgeber zunächst
eine höhere Vergütung mit der Span-
ne zwischen dem 1,38- und 1,8-
fachen Satz GOÄ festgelegt. Diese für
die Ärzte vermeintlich attraktivere
Regelung wurde dann nach halbjähri-
ger Geltung per Vertrag mit den
(erwähnten) reduzierten Vergütungs-
multiplikatoren begrenzt.
Zahnärzte: Begrenzung auf das
2,0-Fache
Im zahnärztlichen Sektor gibt es kein
vergleichbares Reglement (Vertrags-
und Schiedsstellenlösung). Mit der
Einführung des Basistarifs kann für
die Leistungen des Gebührenverzeich-
nisses der Gebührenordnung für
Zahnärzte (GOZ) bis maximal das
2,0-Fache des Gebührensatzes berech-
net werden (statt dem sonst in der
GOZ verankerten 2,3-Fachen).
Der Höchstmultiplikator (Schwellen-
wert) im Bereich der privatzahnärzt-
lichen Behandlung in Höhe des
2,0-Fachen entsprach rechnerisch in
etwa dem Vergütungsniveau im
gesetzlichen Versicherungsbereich bei
Behandlung von Ersatzkassenversi-
cherten. Er wurde von Anfang an von
der privaten Krankenversicherung als
in der Höhe vertretbar akzeptiert. Der
im Vergleich zu dem für die persönli-
chen ärztlichen Leistungen geltende
Höchstsatz (1,8-fache Gebührensatz
der GOÄ) für zahnärztliche Leistun-
gen höher angesetzte Höchstsatz
(2,0-fache Gebührensatz der GOZ)
trägt dem Umstand Rechnung, dass
der Abstand des durchschnittlichen
Vergütungsniveaus der geltenden GOZ
zum Vergütungsniveau für die ver-
tragszahnärztlichen Leistungen gerin-
ger ist als der Abstand des durch-
schnittlichen Vergütungsniveaus der
GOÄ zum Vergütungsniveau für die
vertragsärztlichen Leistungen.
Dennoch gab es vor eineinhalb Jahren
ein Nachgeplänkel und ein Insistieren
des PKV-Verbandes gegenüber der
KZBV, den auf das 2,0-Fache begrenz-
te Höchstsatz weiter zu reduzieren:
Der PKV-Verband unterbreitete der
KZBV „per Einschreiben mit Rückant-
wortschein“ den Wunsch, ähnlich wie
bei den Ärzten einen geringeren Mul-
tiplikator zu akzeptieren. Dass die
KZBV den Ukas der PKV links liegen
ließ, ist verständlich. Denn wer will
sich schon ohne Not und ohne gesetz-
lichen Zwang gerne als Sparkommis-
sar für die nach wie vor gut florieren-
de Privatkrankenassekuranz einspan-
nen lassen?
Dr. rer. pol. Harald Clade
Berufspolitik
Nr. 6 • Juni 2013
4
Einfallstor zur Einheits-
versicherung?
Der Basistarif der privaten Krankenversicherung
Vier Jahre nach gesetzlich verankerter Einführung eines branchen-
einheitlichen Basistarifs in der Privatassekuranz ist mit einer
Expansion der Zahl der Policen in diesem von Anfang an umstritte-
nen Sektor der „Billigversicherung“ zu rechnen.
Foto: Thieme Verlagsgruppe
1,2,3 5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,...28