Berufspolitik
Nr. 6 • Juni 2013
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Im Klartext heißt das, dass eine Wei-
terbildungsordnung noch lange nicht
verbindlich ist. Erst wenn sie von der
Landesärztekammer übernommen
wird, erlangt sie Rechtskraft. Das
kann dann etwas länger dauern.
Leistungsumfang und
Zeugnisvorgaben
Bei aller Kritik hat die seitherige Wei-
terbildungsordnung eine klare Gliede-
rung. Im ersten Abschnitt wird bei
jedem Fachgebiet der Leistungsum-
fang beschrieben, teils detailliert, aber
auch oft sehr allgemein formuliert.
Damit gelingt – zumindest grob – die
Abgrenzung der Fächer und Schwer-
punkte untereinander. Typisches Bei-
spiel ist in der kardiologischen Wei-
terbildung die Myokardszintigraphie,
die bei der Durchführung eine ein-
deutige Leistung der Nuklearmedizin
ist. Der Kardiologe muss über Indika-
tion und Bewertung Bescheid wissen,
ohne dass er die Szintigraphie aber
selbst erbringen darf.
Im zweiten Teil werden speziell die
Vorgaben für das Zeugnis beschrie-
ben, das zur Facharztprüfung berech-
tigt. Die Vorgaben im ersten Abschnitt
gehen in der Regel über die des zwei-
ten Abschnittes deutlich hinaus und
beinhalten Leistungen, die eindeutig
zum Fach gehören, aber nicht von
jedem verlangt werden können, wenn
er zum Facharzt zugelassen werden
will. So gehört die Lebertransplanta-
tion eindeutig zur Chirurgie, gleich-
zeitig ist die selbstständige Durchfüh-
rung dieser Operation aber nicht
unbedingt Voraussetzung für die Prü-
fungszulassung.
Entrümpelung erforderlich!
Trotz dieser überschaubaren und
dabei verständlichen Systematik gibt
es an der derzeitigen Fassung der
Weiterbildungsordnung berechtigte
Kritik. Bei genauer Durchsicht fällt
auf, dass die Systematik, insbesondere
bei später eingefügten Ergänzungen
nicht so stringent eingehalten wird,
wie es wünschenswert ist. Bei den
Inhalten zur Zeugniserstellung müsste
entrümpelt werden, weil man in der
Regel überflüssige, das heißt überhol-
te Vorgaben nicht gestrichen hat, aber
gleichzeitig neue hinzugefügt wur-
den. Deshalb wird moniert, dass
sowohl die geforderten Zahlen als
auch die Inhalte in der Realität des
Krankenhauses nicht mehr erfüllt
werden können. Bösartige Zungen
behaupten, es würde nirgends so viel
geschwindelt wie beim Erstellen von
Weiterbildungszeugnissen. Dazu passt
das Murren zahlreicher Weiterbil-
dungsermächtigter. Sie könnten in der
rauen Wirklichkeit des Klinikalltages
für ihre Aufgaben nicht mehr die Ver-
antwortung übernehmen. Hinzu
kämen immer kürzere Arbeits- und
Dienstzeiten, die zwar im Interesse
der Weiterbildungsassistenten und
ihrer Arbeitsqualität sinnvoll und not-
wendig seien, die aber faktisch die
Weiterbildung verlängern würden.
Zumindest sei es kaum noch möglich,
die Vorgaben in der Mindestweiterbil-
dungszeit zu erfüllen – so zahlreiche
Weiterbilder.
Neue Strukturelemente
gewünscht
Die Bundesärztekammer vermisst
wichtige Strukturelemente in der
alten, derzeit gültigen Weiterbil-
dungsordnung. Eine berufsbeglei-
tende Weiterbildung, die auch z. B.
nach einer Niederlassung noch
umsetzbar ist, wird gefordert. Beson-
ders schmerzt die Kammern, dass die
von ihnen ausgestellten Zeugnisse von
der Kassenärztlichen Vereinigung
kritisch hinterfragt und bei manchen
Leistungen über die Facharztanerken-
nung hinaus weitere Qualifikations-
nachweise verlangt werden. Dies
müsse abgestellt werden, meint die
Kammer. Man will die Weiterbildung
auch sozialrechtlich wieder gesell-
schaftsfähig machen.
Strittig ist die Einbindung der ambu-
lanten Versorgung, also auch der Pra-
xen über die Allgemeinmedizin
hinaus. Hier wird heiß diskutiert, ob
diese obligat vorgeschrieben werden
soll oder wie bisher fakultativ ein
Mauerblümchendasein fristet.
Allen ist bewusst, dass in den Kliniken
viele Inhalte nicht mehr vermittelt
werden können, weil die Leistungen
nahezu nur noch ambulant erbracht
werden. Wird ein Facharzt unter die-
sen Bedingungen bei der Niederlas-
sung mit solchen Leistungen konfron-
tiert, wird er fachlich überfordert
sein.
Manche Fächer oder Schwerpunkte
bilden die Versorgung fast komplett
ambulant ab. Kliniken oder Klinikab-
teilungen benötigt man nur noch für
spezielle Fälle. Typisch hierfür ist der
Schwerpunkt Rheumatologie im Fach-
gebiet Innere Medizin. Wenn hier
eine ambulante Weiterbildung nicht
bald umgesetzt wird, bricht der Nach-
wuchs fast ganz weg.
Die bereits jetzt mögliche fakultative
ambulante Weiterbildung wird nicht
gelebt. Facharztpraxen sind durch die
sogenannten Regelleistungsvolumen
so ausgebremst, dass sie zusätzliches
Geld für den Assistenten mitbringen
müssen. Durch die Leistungen des
Assistenten wird das Regelleistungs-
volumen sicher überschritten. Der
niedergelassene Arzt bleibt dann auf
seinen Kosten bei dieser zusätzlichen
Versorgung sitzen. Wenn ein Ver-
tragsfacharzt seine Praxis wirtschaft-
lich ruinieren will, stellt er einen Wei-
terbildungsassistenten für sein Fach
ein.
So entsteht eine Art Systemversagen.
Die Bundesärztekammer erlaubt –
fakultativ – zwar die ambulante Wei-
terbildung, die ambulanten Abrech-
nungssysteme machen die Durchfüh-
rung aber unmöglich.
KV fordert obligate ambulante
Weiterbildung
Die KV fordert deshalb die obligate
ambulante Weiterbildung auf dem
jetzigen Deutschen Ärztetag, um die
beteiligten Krankenkassen, Kranken-
häuser und die Politik zu einer Finan-
zierungslösung für die Weiterbildung
zu zwingen. Man wird dabei aufpas-
sen müssen, dass dies nicht zu Lasten
der jungen Kolleginnen und Kollegen
geht. Dabei wird auch deutlich, dass
die Weiterbildung nicht wie früher
ein Abfallprodukt in der täglichen kli-
nischen Arbeit ist, die vom zuständi-
gen Chef für die Kammer bescheinigt
werden wird. Bereits die Einführung
der Facharztprüfung stimmt da nach-
denklich. Auch die Forderung nach
verbindlichen Curricula und Weiter-
bildungsoberärzten bringt die Weiter-
bildung verdächtig in die Nähe von
Ausbildung – mit welchen Konse-
quenzen auch immer. Soweit die Ana-
lyse der derzeitigen Lage an der Wei-
terbildungsfront. Eine Reform muss
her, die eine Reihe von Zielvorstellun-
gen zu verwirklichen hat.
Realistische Vorgaben
erforderlich
Zu allererst muss die Neufassung wie-
der realistische, umsetzbare Vorgaben
enthalten. Die Zeugnisse müssen
glaubwürdig sein. Dabei muss der
Patient sicher sein, dass er von gut
weitergebildeten und qualifizierten
Fachärzten im Deutschland behandelt
wird. Die Grenze ambulant/stationär
muss auch in der Weiterbildung ein-
geebnet werden, wenn man dieses
Ziel erreichen will. Auch wenn es
strittig ist, dass die Bundesärztekam-
mer in der Weiterbildungsordnung
verpflichtet ist, einen Leistungskata-
log über die Vorgaben zur Zeugniser-
stellung hinaus zu formulieren, so hat
sie diese Aufgabe – gewollt oder
ungewollt – auch schon bisher wahr-
nehmen müssen. Sie sollte sich im
Interesse der gesamten Ärzteschaft
dieses Themas annehmen, sonst wird
es von nicht ärztlichen Institutionen
vorgegeben werden müssen. Kassen-
ärztliche Vereinigungen und Kranken-
kassen orientieren sich bereit jetzt bei
der ambulanten Abrechnung am Text
der derzeitigen Weiterbildungsord-
nung genauso wie Kostenträger bei
der Zuordnung von Leistungen zu
Krankenhäuser und deren Abteilun-
gen.
Eine Reform ist sicher richtig, aber
man könnte auf den einfachen Gedan-
ken kommen: „Evolution ist besser als
Revolution.“ Bleiben wir also bei der
alten Struktur, sortieren die Inhalte
und Vorgaben neu und merzen For-
mulierungsfehler der Vergangenheit
aus. Diesen Weg wollten der Ärztetag
und die Bundesärztekammer aber
nicht gehen. Ein völlig neues System
soll her, das sich aber an den gestell-
ten Vorgaben wird messen lassen
müssen.
Module bedrohen fachliche
Identität
Als erstes hat man das Modul als
übergeordneten Begriff entdeckt, um
die Weiterbildungsordnung zu refor-
mieren. Dies hat durchaus Charme,
gelingt es doch, viele technisch orien-
tierte Kompetenzen fachunabhängig
zuzulassen und vor allem die berufs-
begleitende Weiterbildung zu fördern.
Bei kritischem Nachdenken kommen
Zweifel auf. Schon jetzt ist die Qualifi-
kation der Weiterbildungsinhalte zu
stark an die technischen Fähigkeiten
und an die Eingriffsmedizin geknüpft.
Die klinische Kenntnis der Krankhei-
ten wird zu wenig berücksichtigt.
Module hätten diesen Irrweg weiter
verfolgt. Der durch das Modul zuge-
lassene Arzt hätte zwar die Untersu-
chungstechnik beherrscht, aber er
wäre nicht ausreichend über das zu
untersuchende Krankheitsbild und
die sich ergebenden Konsequenzen
informiert gewesen – fatal für eine
qualifizierte Versorgung.
Die Einführung von Modulen bedroht
die fachliche Identität ganzer Fachge-
biete. Zwar wäre es mit der Modulari-
sierung besser möglich, die Kompe-
tenz von Technik und Eingriffen für
Abrechnungszulassungen zu definie-
ren, die klinische Kompetenz in den
Fachgebieten wäre aber glatt unter
die Räder gekommen. Die Bundesärz-
tekammer war so klug, diesen Irrweg
zu verlassen. Das Wort Modul
erscheint nicht mehr.
Kompetenzlevel als
Alternative?
Als Alternative hat man den Begriff
„Kompetenzlevel“ entdeckt. Nach die-
sem Lernmodell wird der Prozess der
Weiterbildung bis zur Kompetenz
eigenständigen Handelns aufgebaut.
Am Beispiel der Appendizitis lässt
sich das System am besten erläutern:
Level 1 als Basis entspricht der Kennt-
nis beim Examen und der damit ver-
bundenen Approbation. Level 2 heißt,
dass man spezielle Erfahrung auch in
dieser Krankheit hat sammeln kön-
nen. Level 3 bedeutet, dass man weiß,
wie diese Erkrankung behandelt wird
und Level 4 als Endpunkt bedeutet,
dass man die Appendizitis durch die
operative Behandlung auch selbst-
ständig therapiert. Für Fächer, deren
Inhalt weitgehend durch Eingriffe und
weniger von klinischer Erfahrung
geprägt sind, mag dieses Konzept
passen.
Man sollte bedenken, dass die hierar-
chische Betrachtung, die hinter dem
Kompetenzlevelsystem steckt, nicht
konfliktfrei auf alle Fachgebiete über-
tragbar ist. Psychiater werden schon
ihre Schwierigkeiten haben. Es dürfte
auch spannend sein, will man die
eher in die Breite gehenden Fächer
ohne Spezialisierung abbilden – z. B.
die Allgemeinmedizin, aber auch die
Innere Medizin, die sich von einer
breiten Basis ausgehend in Schwer-
punkte hinein differenziert.
Am Deutschen Ärztetag sollte disku-
tiert werden, ob die Kompetenzlevel
tatsächlich der Stein der Weisen für
eine Neuordnung der Muster-Weiter-
bildungsordnung sind. Sinnvoll wäre
zumindest, das Konzept nochmals kri-
tisch von den Berufsverbänden über-
prüfen zu lassen, bevor man einfach
so weiter arbeitet.
Die sozialmedizinische Kompetenz
mit der Definition von Fachgebieten
und deren Abgrenzung untereinander
lässt sich mit den Kompetenzleveln
ohnehin nur unzureichend darstellen.
Hier muss die Bundesärztekammer
zusätzlich nacharbeiten. Die Entität
der Fächer muss weiter rechtssicher
definiert bleiben.
BDI aktuell wird nach dem Deutschen
Ärztetag über die Diskussion weiter
berichten.
HFS
Deutscher Ärztetag
(Fortsetzung von Seite 1)
Die Weiterbildung in Deutschland
– ein Update
Die Vorgaben zur ärztlichen Weiterbildung differieren erheblich zwischen den einzelnen Landesärzte-
kammern. Als junge Ärztin oder Arzt in der Weiterbildung sollte man sich beim Wechsel von einem
Bundesland in das andere vorher über die jeweiligen Weiterbildungsvorschriften informieren.
Der 116. Deutsche Ärztetag findet
vom 28. bis 31. Mai in Hannover
statt. Auf der Tagesordnung stehen
neben der Novellierung der (Muster-)
Weiterbildungsordnung und der
ambulanten Weiterbildung u.a. auch
die Anforderungen an eine Kranken-
versicherung der Zukunft und die
Priorisierung im Gesundheitswesen.
Foto: iStock
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