Die Einführung einer Bürgerversiche-
rung steht zwar im Mittelpunkt, aber
auch die Pflegeversicherung und die
Arbeitslosenversicherung, die in
Arbeitsversicherung umetikettiert
werden soll, wird in die Diskussion
mit einbezogen. Dabei heißt es wört-
lich: „Unser Ziel ist es, dass Sie, das
heißt, die Bürgerinnen und Bürger,
die Sicherheit haben, gesund und
ohne materielle Not in Würde alt
werden zu können.“ Dies geht nur mit
Sozialsystemen, die alle Bürgerinnen
und Bürger versichern und ihnen in
jeder Lebenslage Schutz und Unter-
stützung bieten. Die Leistungen müs-
sen dem Bedarf folgen und nicht den
Institutionen, so die SPD.
Bürgerversicherung mit einheitli-
chem Wettbewerbsrahmen
Die angedachte Bürgerversicherung
bezieht sich auf „Gesundheit und
Pflege“, sie ist eine Kranken-, Voll-
und Pflegeversicherung für alle Bür-
gerinnen und Bürger. Das duale Kran-
kenversicherungssystem mit gesetzli-
cher Krankenversicherung (GKV) und
privater Krankenversicherung (PKV)
wird gleichgeschaltet. Alle Kassen
bekommen einen „einheitlichen und
solidarischen Wettbewerbsrahmen“.
Für alle GKV-Mitglieder und – das ist
neu – für alle Neuversicherten ist die
Bürgerversicherung Pflicht. Für die
PKV bedeutet dies, dass ihr der Nach-
wuchs abgeschnitten wird. Der PKV-
Versicherte darf sich innerhalb eines
Jahres entscheiden, ob er sich der
GKV anschließt oder privat versichert
bleibt. Im Klartext: Die PKV wird fak-
tisch abgeschafft.
Die Finanzierung zwischen Arbeitge-
bern und Arbeitnehmern soll wieder
paritätisch geregelt werden. Der steu-
erfinanzierte Anteil darf dabei stetig
ansteigen.
Beitragsautonomie für die
Krankenkassen – Gesundheitsfonds
neu geregelt
Die Krankenkassen erhalten wieder
ihre Beitragsautonomie, sodass der
Zusatzbeitrag abgeschafft werden
kann. Genau genommen wird damit
der seitherige Gesundheitsfonds
grundsätzlich neu geregelt, wenn
nicht sogar abgeschafft. Die Vergü-
tung wird bei der ambulanten Leis-
tung vereinheitlicht – im niedergelas-
senen und stationären Bereich. Bei
der Sicherstellung wird plakativ klar-
gestellt: „Wir wollen allen Bürgerin-
nen und Bürgern den Zugang zu guter
medizinischer Versorgung ermögli-
chen, unabhängig vom Wohnort, der
sozialen Lage und dem Versicherten-
status.“
Die Versorgung soll primärärztlich
ausgerichtet und „die integrierte Ver-
sorgung zwischen haus-, fach- und
spezialärztlicher Versorgung ausge-
baut“ werden.
Die Bedarfsplanung wird insgesamt
sektorenübergreifend geregelt. Man
will eine „gesunde Stadt bzw. gesunde
Region“.
Die Patientenrechte und der Verbrau-
cherschutz werden weiter gestärkt.
„Nutzengedanke“ bei
Innovationen
In dem Papier misst man den Innova-
tionen im Gesundheitswesen große
Bedeutung zu. Ihr Einfluss auf die
„wirtschaftliche Prosperität“ unseres
Landes wird erkannt. Offensichtlich
hat man auch die Bedeutung der
Gesundheitswirtschaft für unser
Wirtschaftssystem zumindest nicht
übersehen.
Der Leistungskatalog orientiert sich
weiterhin an „notwendig, zweckmä-
ßig und wirtschaftlich“. Zentrale
Bedeutung hat hier der „Nutzenge-
danke“ bei der Einführung von Inno-
vationen. Offensichtlich denkt man
daran, die derzeitigen Regelungen im
Gemeinsamen Bundesausschusses
und im AMNOG weiter zu verfeinern.
Der Leistungskatalog wird somit
gleichgeschaltet, für Leistungen
außerhalb des Systems ist kein Platz
mehr. Dem IGeL wird der Kampf
angesagt.
Gerechtere Krankenhaus-
finanzierung
Die Krankenhausfinanzierung soll
gerechter und verlässlicher werden.
Dabei denkt man an folgende Punkte:
▶ Die flächendeckende Versorgung
und die Trägervielfalt bleiben gesi-
chert.
▶ Die Finanzierung berücksichtigt
ausreichend die Personalkosten im
Krankenhaus.
▶ Es werden Personalmindeststan-
dards eingesetzt.
▶ Die Krankenkassen sollen mit Kran-
kenhäusern vermehrt Selektivver-
träge abschließen.
▶ Die Fehlanreize des DRG-Systems
werden beseitigt. Eine Korrektur
des DRG-Systems ist wohl ange-
dacht.
Mehrklassenmedizin durch
die Hintertür?
Bei kritischer Betrachtung wird klar,
dass das derzeitige System komplett
neu sortiert werden soll. Die private
Krankenversicherung ist ein Auslauf-
modell, das sich kurzfristig durch die
SPD-Vorgaben selbst limitiert. Die
Grenze ambulant/stationär gibt es in
der bisherigen Form nach Vorstellung
der SPD nicht mehr. Dies dürfte
bedeuten, dass die Krankenhäuser
noch mehr als bisher in die ambulan-
te Versorgung einbezogen werden.
Der Leistungskatalog geht von einer
Vollversorgung aus. Über eine Diffe-
renzierung von Grund- und Wahlleis-
tung wird in dem Papier nicht gere-
det. Alle Versicherten bekommen das
gleiche, nicht weniger, aber auch
nicht mehr. Es ist zu befürchten, dass
sich über Leistungen außerhalb des
beschlossenen Kataloges eine Schat-
tenwirtschaft etabliert, die die Mehr-
klassenmedizin durch die Hintertür
wieder einführt.
Durch die einheitliche Vergütung
wird der Wettbewerb zwischen den
Leistungserbringern endgültig
erstickt. Die derzeitige Vielfalt im
System wird abgebaut.
Die KV wird noch nicht einmal
erwähnt!
Ordnungspolitisch ist z. B. für das
Subsidiaritätsprinzip und damit auch
für die Kassenärztliche Vereinigung
kein Platz mehr. Sie wird noch nicht
einmal erwähnt. Der Staat ist all-
mächtig. Die Krankenhausstruktur
wird an einem ganz entscheidenden
Punkt verändert: Die Krankenkassen
erhalten die Möglichkeit, selektive
Verträge zu schließen. Die Verpflich-
tung für die Krankenkassen, mit allen
zugelassenen Krankenhäusern Versor-
gungsverträge abschließen zu müs-
sen, wird damit abgeschafft. Hier wird
in die Länderkompetenz empfindlich
eingegriffen, ein Streit zwischen Bund
und Ländern ist damit vorprogram-
miert.
Viele Punkte sind in dem Papier nur
plakativ angesprochen. Der Teufel
wird bei der Umsetzung wieder mal
im Detail stecken. Die Finanzierung
des Systems steht nicht mehr im Mit-
telpunkt des SPD-Konzeptes. Es geht
vielmehr um soziale Verteilungsge-
rechtigkeit von Sozialleistungen. Um
dies zu erreichen, werden der Leis-
tungskatalog und die Honorierung
gleichgeschaltet.
Als erste haben die Zahnärzte zu dem
Papier Stellung genommen. Ihre Resü-
mee hört sich wie folgt an: „Die Bun-
deszahnärztekammer geht im Ergeb-
nis davon aus, dass die Bürgerversi-
cherung in eine Einheitskasse oder
einem System mit wenigen großen
Krankenkassen mündet. Auch sollen
mit der Bürgerversicherung zu viele
Inhalte einer Staatsmedizin umgesetzt
werden, die ihren Kern in der Ver-
drängung der bewährten freiberufli-
chen und niedergelassenen zahnärzt-
lichen Tätigkeit haben. Das Konzept
der Bürgerversicherung wird damit
von der Bundeszahnärztekammer als
insgesamt ungeeignet abgelehnt.“
HFS
„Für ein neues soziales
Gleichgewicht“
„Neues“ von der SPD
Die SPD hat ihr Regierungsprogramm 2013 vorgelegt. Wie zu
erwarten, wird im Bundestagswahlkampf die Sozialpolitik eine
zentrale Rolle spielen. Man will die Systeme in der Sozialversiche-
rung neu ordnen, das heißt, nach Meinung der SPD vereinheitli-
chen. Folgerichtig steht über dem Papier die Überschrift: „Deutsch-
land besser und gerechter regieren: Für ein neues soziales Gleich-
gewicht in unserem Land“.
Nr. 5 • Mai 2013
6
Berufspolitik
Aktuelle Entwicklung beim
neuen § 116 b
Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
Die ambulante ärztliche Behandlung durch das Krankenhaus war im alten § 116 b des SGB V geregelt. Es
handelte sich um einen Unglücksparagraphen im wahrsten Sinne des Wortes. Alle Beteiligten waren mit
diesem Gesetz unzufrieden. Die Kassenärztliche Vereinigung sah durch die Parallelstrukturen im Kran-
kenhaus ihren Sicherstellungsauftrag gefährdet. Die Krankenhäuser erlebten eine von Bundesland zu
Bundesland unterschiedliche Genehmigungspraxis für die Abrechnung dieser Leistungen und kamen zu
allem Überfluss mit der zu niedrigen EBM-Bewertung nicht zurecht.
Auch die Krankenkassen fanden das
Gesetz nicht gut. Sie forderten eine
Budgetbereinigung bei der Kassenärzt-
lichen Vereinigung, weil sie der Auffas-
sung waren, dass ambulant erbrachte
Leistungen doppelt bezahlt werden.
Alarmiert waren vor allem die Ver-
tragsärzte und hier die Onkologen. Sie
fürchteten bei konsequenter Umset-
zung dieses § 116 b das Aus für die
ambulant vertragsärztlich tätigen Spe-
zialisten. Aus der Sicht der Beteiligten
im Gesundheitswesen konnte deshalb
eine Neuordnung des § 116 b nur bes-
ser werden.
Zahlreiche Innovationen
Der Gesetzgeber hat sich tatsächlich zu
einigen Innovationen aufgerafft. Die
spezialfachärztliche Versorgung, die in
§ 116 b neu geregelt ist, kennt keine
Versorgungsebene, sondern nur einen
Leistungskatalog. Der Einstieg für die
Leistungserbringung erfolgt nicht über
Budgetvorgaben und Mengenbegren-
zungen, sondern durch Qualitätsvorga-
ben. Vertragsärzte und Krankenhäuser
dürfen gleichberechtigt die Leistungen
erbringen, nach dem Motto „Gleiches
Geld für gleiche Leistungen“. Die Ver-
gütung erfolgt in Euro und eine dezi-
dierte fiskalische Mengenbegrenzung
findet nicht statt.
Es hat einige Zeit gedauert, bis vor
allem die Vertragsärzte erkannt haben,
dass hier eine ordnungspolitische For-
derung der verfassten Ärzteschaft
nahezu komplett erfüllt worden ist.
Die Krankenkassen sind mit dem
Ergebnis unzufrieden, vor allem der
Begriff „Wer kann, der darf“ ist ihnen
ein Dorn im Auge.
Der BDI hat von Anfang an dieses Kon-
zept unterstützt, auch wenn ihm
bewusst war, dass eine Umsetzung
dieser Vorgaben an die Beschlüsse des
Gemeinsamen Bundesausschusses
gebunden war. Die guten Ansätze
könnten durch Detaillösungen wieder
zunichte gemacht werden. Der Rege-
lungsbereich des Gemeinsamen Bun-
desausschusses besteht in der sächli-
chen und personellen Definition von
Qualitätsvorgaben, dem Behandlungs-
umfang der im Gesetz definierten
Krankheiten und der Überweisungser-
fordernis bei der Behandlung der
Patienten. In Anlagen sollen die im
Gesetz definierten schweren Verlaufs-
formen von besonderen Krankheits-
verläufen, seltenen Erkrankungen und
Erkrankungszustände mit geringer
Fallzahl sowie hochspezialisierte Leis-
tungen geregelt werden.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat
sich mit den strukturellen Vorgaben
der ambulanten spezialfachärztlichen
Versorgung beschäftigt und die medi-
zinischen Details der in den Anlagen
zu regelnden Krankheitsbilder zurück-
gestellt. Es ist tatsächlich gelungen, die
Organisationsvorgaben mit Zustim-
mung aller Bänke, nämlich der Kran-
kenkassen, der Krankenhäuser, der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung
und der Patientenvertreter, am 21.
März 2013 zu beschließen. Auch die
weiteren Beratungen wurden einver-
nehmlich priorisiert.
An diesem Punkt muss darauf hinge-
wiesen werden, dass der Gemeinsame
Bundesausschuss nur die medizini-
schen Vorgaben regelt. Vergütungsre-
gelungen finden in einem sogenannten
durch die Krankenhausgesellschaft
„ergänzten“ Bewertungsausschuss
statt und sind bisher nicht verhandelt
worden.
Für die nächsten Beratungen sind bei
den schweren Verlaufsformen die gas-
trointestinalen Tumore, die gynäkolo-
gischen Tumore, rheumatologische
Erkrankungen und die Herzinsuffi-
zienz vorgesehen. Bei den seltenen
Erkrankungen stehen auf der ersten
Seite der Tagesordnung die Tuberkulo-
se, das Marfan-Syndrom, die pulmona-
le Hypertonie, die Mukoviszidose und
die primär sklerosierende Cholangitis.
Teamarbeit gefragt
Die Struktur der ambulanten spezial-
fachärztlichen Versorgung setzt
Kooperationsstrukturen voraus. So
muss ein sogenanntes ASV-Team mit
einer Teamleitung definiert werden.
Die Beteiligten dieses ASV-Teams sind
dem zuständigen Landesausschuss bei
der Antragstellung zu melden.
Fachärzte, die hinzugezogen werden,
z. B. für die Bildgebung oder für Labor-