Berufspolitik
Nr. 5 • Mai 2013
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16 Punkte der KBV
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung
sieht die Freiberuflichkeit der Berufs-
ausübung von Ärzten und Psychothera-
peuten zunehmend zur Disposition
gestellt. Sie formuliert 16 Punkte, die es
wieder ermöglichen, die ambulante
Sicherstellung unter freiberuflichen
Bedingungen umzusetzen.
1. Diagnostische und therapeutische
Freiheit wiederherstellen: Die
gesetzlichen Vorgaben nach Wirt-
schaftlichkeit, Notwendigkeit und
Zweckmäßigkeit werden weiter
akzeptiert. Der inzwischen gesetzlich
verankerte unmittelbare Einfluss der
Krankenkassen auf diese Entschei-
dungen und auf das Arzt-Patienten-
Verhältnis soll rückgängig gemacht
werden.
2. Feste und kostendeckende Preise
anstreben: Der Erweiterte Bewer-
tungsmaßstab als Abrechnungs-
grundlage ist nach Auffassung der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung
nicht mehr in der Lage, die Untersu-
chungen und Behandlungen in einer
Praxis tatsächlich abzubilden. Das
System führt dazu, dass die Vertrags-
ärzte – so wörtlich – am Ende eines
langen Arbeitstages nicht wissen,
was sie für ihre Arbeit erhalten. Man
fordert Vergütungen von Einzelleis-
tungen neben pauschalierten Vergü-
tungsformen und vor allem feste und
kostendeckende Preise, die jährlich
an die Kostenentwicklung angepasst
werden sollen.
3. Versorgungsfremde Mengensteue-
rung abschaffen: Mengensteuerun-
gen gefährden die Versorgung der
Versicherten. Die KBV fordert des-
halb alternativ von den Krankenkas-
sen feste Leistungsmengen, die dann
zu festen Preisen bezahlt werden sol-
len.
4. Haus- und fachärztliche Versorgung
stärken: Neben einer Verbesserung
in der haus- und fachärztlichen
Grundversorgung wird gefordert, die
haus- und fachärztlichen Grundleis-
tungen außerhalb des Budgets zu
festen Preisen ohne Mengensteue-
rung zu honorieren.
5. Klare Wettbewerbsordnung für Kol-
lektiv- und Selektivverträge schaffen:
Die Kassenärztliche Bundesvereini-
gung akzeptiert die Selektivverträge
nach §§ 73 b, 73 c und 114. Man
sieht in den Verträgen einen sinnvol-
len Vertragswettbewerb, um die
medizinische Versorgung der Bevöl-
kerung zu optimieren. Insbesondere
Innovationen ließen sich durch
Selektivverträge abbilden. Diese
könnten die Vorstufe einer Übernah-
me der Innovationen in das Kollek-
tivvertragssystem darstellen.
Der neue Sicherstellungsauftrag
Die 16 Punkte der KBV
(Fortsetzung von Seite 1)
?
Satte Überschüsse bei den Krankenkassen
und im Gesundheitsfonds: Trägt diese Situa-
tion dazu bei, dass sich die Parteien mit
Reformvorschlägen zur Gesundheitspolitik
vor den Wahlen eher unauffällig verhalten?
Dr. Wolfgang Wesiack:
In der Tat. Der
Druck ist bei Finanzknappheit größer.
Fast alle sogenannten Reformen der Ver-
gangenheit waren Reaktionen auf die
Finanzsituation bei den Kassen und daher
fast immer nur Kostendämpfungsgeset-
ze. Im Übrigen kann man mit gesund-
heitspolitischen Themen in Deutschland
keine Wahlen gewinnen.
?
Wenn man die aktuellen Programm-
entwürfe liest, gibt es durchaus konkrete
Überlegungen. Was wäre aus Sicht der
Ärzte, speziell der Internisten, ein Worst-
Case-Szenario?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Ein staatliches
Gesundheitssystem mit nur angestellten
Ärzten ohne Therapiefreiheiten für den
einzelnen Patienten. Wir sind leider
immer weiter auf dem Weg dahin.
?
Das wollen Sie verhindern und daher
haben Sie Wahlprüfsteine angekündigt. Wie
sehen die aus?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Der BDI fordert
für Ärzte eine schrittweise Abschaffung
der Budgetierung. Alternativ sind feste
Preise und klar definierte Leistungsmen-
gen denkbar. Für die Krankenkassen for-
dert der Internistenverband flexible Rege-
lungen für Verträge, um Innovationen für
die Versicherten zur Verfügung zu stellen.
Der BDI fordert in Praxis und im Kranken-
haus neue Strukturen, damit ärztliche
Tätigkeit von nichtärztlichen Aufgaben
entrümpelt wird. Nur so können die vor-
handenen Ressourcen besser genutzt und
der ärztliche Beruf wieder attraktiver wer-
den.
?
Wollen Sie darüber auch mit Herrn Lau-
terbach im Rahmen der BDI-Delegiertenver-
sammlung in Wiesbaden diskutieren?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Wir werden
unsere Wahlprüfsteine mit den gesund-
heitspolitischen Repräsentanten der poli-
tischen Parteien diskutieren. Ja, mit Pro-
fessor Lauterbach ist bereits ein Termin
vereinbart.
?
Was halten Sie von der Forderung der
KBV, dass für den Besuch von Fachärzten
überwiegend die Kostenerstattung gelten
soll. Unterstützt der BDI eine solche Forde-
rung?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Der BDI stimmt
der Kostenerstattung als Wahltarif grund-
sätzlich zu, auch wenn wir eine Reihe von
Umsetzungsproblemen sehen. Sinn
macht dies aber nur, wenn der dazugehö-
rige Leistungskatalog im Vergleich zum
EBM erweitert wird, um das Angebot
attraktiv zu gestalten.
?
Sie haben das Stichwort EBM genannt.
Ihre Kommentare zur Reform waren in
jüngster Zeit eher kritisch bis vernichtend.
Hat sich an ihrer Position etwas verändert?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Nein. Uns fehlt
kein neuer EBM zur Verteilung des Hono-
rars, was uns fehlt, sind Finanzmittel für
die ambulante Versorgung. Eine immer
wieder neue und auch willkürliche
Umverteilung löst die eigentlichen Pro-
bleme nicht, sondern verschärft sie nur.
?
Was meinen Sie damit konkret?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Der EBM ist ein
Bewertungsmaßstab und führt weiterhin
zu einer Punktwert-Währung. Was wir
brauchen, ist ein EBM in Euro und Cent,
die auch ausgezahlt werden.
?
Die Diskussion vermittelt auch den Ein-
druck, dass jede fachärztliche Disziplin sich
am Leistungsspektrum der Inneren Medizin
bedienen möchte. Können Sie das bestäti-
gen?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Nur zum Teil.
Wir müssen bei der Novellierung der
Muster-Weiterbildung streng darauf ach-
ten, dass Gebietsgrenzen respektiert wer-
den. Die M-WBO ist nicht nur dazu da,
die Vorgaben von Weiterbildungszeugnis-
sen zu formulieren, sondern auch eine
Sozialordnung, nach der in Klinik und Pra-
xis abgerechnet werden darf.
?
Muss dann nicht zwangsläufig eine Dis-
kussion über Fachgrenzen geführt werden?
Dr. Wolfgang Wesiack:
Nein. Fachgren-
zen müssen respektiert, nicht verwässert
werden.
?
Dennoch gehört das Thema Weiterbil-
dungsordnung auf die Tagesordnung. . .
Dr. Wolfgang Wesiack:
. . . eine M-WBO
beschreibt die Voraussetzungen für die
Facharztprüfung und definiert den Leis-
tungskatalog eines Fachgebietes. Sie
sichert damit nicht nur die Qualität der
Weiterbildung, sondern ist auch die
Grundlage für viele wirtschaftliche Ent-
scheidungen.
Die Engpässe in den Kliniken machen
einen Bürokratieabbau und Strukturen
erforderlich, die die Freiheit der ärztlichen
Berufsausbildung nicht behindern, son-
dern stärken.
Wir werden beim nächsten Deutschen
Ärztetag noch nicht in der Lage sein,
Anträge zur Struktur und zum Inhalt der
neuen M-WBO zu entscheiden und plä-
dieren – gerade wegen der Engpässe in
den Kliniken – für eine gründliche Diskus-
sion und eine Verschiebung.
Das Interview führte
Wolfgang van den Bergh
Weg mit Budgets und hin
zu festen Preisen
Dr. Wolfgang Wesiack im Interview
Ärzte brauchen eine klare Kalkulationsgrundlage. Daher müssen die
Budgets weg und feste Preise für klar definierte Leistungen einge-
führt werden. Das forderte BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesiack
im Interview mit der „Ärzte Zeitung“ vor dem Internistenkongress.
Das Interview ist am 25. März 2013
in der „Ärzte Zeitung“ erschienen.
Nachdruck mit freundlicher Genehmi-
gung der „Ärzte Zeitung“.
Dies betrifft alle Fachärzte und nicht
nur die Internisten mit und ohne
Schwerpunkt. Die den Fachärzten zur
Verfügung gestellten 126 Millionen
Euro sind jedoch nur ein Tropfen auf
dem heißen Stein. Mit dieser Geld-
menge lässt sich eine ausreichende
Ausstattung der von der Kassenärztli-
chen Vereinigung geplanten Pauscha-
le für die fachärztliche Grundversor-
gung (PFG) nicht finanzieren.
Es hat deshalb innerhalb der Kassen-
ärztlichen Bundesvereinigung zahlrei-
che Überlegungen gegeben, durch
eine Umverteilung innerhalb des
Facharzttopfes diesen Betrag aufzu-
stocken.
Diese Pauschale sollte nach den ers-
ten Überlegungen nicht an alle Fach-
ärzte bezahlt werden. Von Anfang an
waren die Facharztgruppen ausge-
schlossen, die keinen direkten Arzt-
Patienten-Kontakt für ihre Untersu-
chungen benötigen. Auch die Inter-
nisten mit Schwerpunkt sollten nicht
beteiligt werden.
Alle Fachärzte werden an der PFG
beteiligt, …
Diese Vorgabe wurde von der Vertre-
terversammlung am 1. März 2013
beschlossen. Dies hätte zu einem
erheblichen Vorwegabzug im Fach-
arzttopf zur Aufstockung der PFG
geführt. Das Honorar, insbesondere
der Internisten mit Schwerpunkt,
wäre empfindlich reduziert worden.
Bei der letzten Vertreterversammlung
hat sich ein Alternativkonzept durch-
gesetzt. Es werden nahezu alle Fach-
arztgruppen an der PFG beteiligt. Die
Finanzierung ergibt sich aus Korrek-
turen, vorwiegend bei den Sachkos-
ten und betrifft hier unter anderem
auch die Nephrologen.
Der KBV-Vorsitzende wunderte sich,
warum die PFG plötzlich so „sexy“
sei. Er hat dabei vergessen, dass es
weniger um die PFG selbst ging, son-
dern dass sich die Internisten mit
Schwerpunkt gegen eine Umvertei-
lung im Facharzttopf zu ihren Lasten
gewehrt haben.
… aber es gibt eine lange Aus-
schlussliste
Die Vorstellung, dass jetzt sämtliche
Fälle der Internisten mit und ohne
Schwerpunkt mit einer PFG abgerech-
net werden können, ist jedoch irrig.
Bestimmte technische Leistungen
führen zu einem Ausschluss. Die Ver-
treterversammlung hat eine lange
Liste beschlossen, die nicht nur tech-
nische Leistungen, sondern auch
Komplexpauschalen beinhaltet, die zu
einem Ausschluss der Abrechnung der
PFG führen. In praxi bedeutet dies,
dass bei den Internisten mit und ohne
Schwerpunkt nur selten eine PFG
abgerechnet werden kann
Nach Abschluss der innerärztlichen
Diskussion, die wegen der aufgetrete-
nen Neidkomplexe zwischen den
Fachgruppen viel Staub aufgewirbelt
hat, bleibt nur eine Erkenntnis: Viel
Lärm um nichts.
HFS
Pauschale für die fachärztliche Grundversorgung (PFG)
Neues Geld für alle Fachärzte?
Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat in seinem letzten Beschluss erkannt, dass die wohnortnahe
Basisversorgung unterfinanziert ist und beschlossen, 250 Millionen für den hausärztlichen und fachärzt-
lichen Bereich zur Verfügung zu stellen. Insbesondere bei der wohnortnahen fachärztlichen Versorgung
ist durch den Verfall der Regelleistungsvolumina in den letzten Quartalen ein Finanzierungsdefizit aufge-
treten, das nahezu existenziell wird.
1,2,3 5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,...28