Berufspolitik
Nr. 5 • Mai 2013
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Sehr geehrte Frau Professor Märker-
Hermann,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Gerich,
sehr geehrter Herr Dr. Montgomery,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
Was ist das Wesen einer guten medizini-
schen Versorgung?
Aus Sicht der Patienten, dass sie alles, was
für Diagnostik und Therapie ihrer subjekti-
ven Befindlichkeitsstörungen und objektiven
Erkrankungen zur Verfügung steht, zu Las-
ten ihrer Krankenkasse erhalten. Allerdings
steht dazu im SGB V § 12 Abs. 1 dazu tro-
cken nur der Satz, dass Leistungen ausrei-
chend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein
müssen und nur im notwendigen Umfang
in Anspruch genommen werden dürfen. Das
ist etwas anderes.
Aus der Sicht eines gesunden Versicherten
soll der Krankenkassenbeitrag möglichst
niedrig sein. Diese Betrachtung ändert sich
aber sofort, wenn der Versicherte zum
Patienten wird. Jetzt tritt die Sorge, bekom-
me ich noch alles, was ich brauche, in den
Vordergrund. Da Gesundheit für ihn das
höchste Gut und Krankheit in der Regel
angstbesetzt ist, ist er plötzlich auch bereit,
fast alles dafür zu bezahlen oder – besser –
die Kostenübernahme von seiner Kranken-
kasse zu erwarten.
Auch für die Krankenkassen stehen die
Finanzen im Vordergrund. Sie sind ein, aller-
dings vom Staat geschütztes, Wirtschafts-
unternehmen in Form einer rechtsfähigen
Körperschaft des öffentlichen Rechtes.
Der gültige rechtsfähige Rahmen gibt diesen
Unternehmen die finanziellen Bedingungen
vor. Der Gesundheitsfonds stellt einheitliche
Beiträge sicher. Aber auch wenn zurzeit auf-
grund der wirtschaftlichen Lage Überschüs-
se auftreten, bestimmen die Krankenkassen
in diesem System ihrer Ausgabenpolitik
nicht selbst. Zwangsläufig steht die Finan-
zierung des Systems bei den Aktivitäten der
Krankenkassen ganz oben auf der Liste, die
Inhalte der Versorgung werden zweitrangig.
Medizinischer Sachverstand wird deshalb
beim Führungspersonal der Kassen eher sel-
ten beobachtet. Werden Führungskräfte von
Krankenkassen krank, verhalten sie sich
übrigens wie ganz normale Kranke. Sie wol-
len z.B. lieber Originalpräparate als Generi-
ka, schnellere Arzttermine und den besten
Arzt. Sie wollen eine auf sie zugeschnittene
besonders gute, ja die beste Versorgung.
Und jetzt zur Politik. Politiker sind dem All-
gemeinwohl verpflichtet, Politik besteht aus
der Fähigkeit, kluge Kompromisse zu finden.
Politiker sind aber auch nur Menschen. Im
Hintergrund ihrer Überlegungen steht
immer auch ihre Wiederwahl. Politiker kön-
nen in diesem System gesunden Versicher-
ten angemessene Beiträge – sie setzen sie
letzten Endes fest – und gleichzeitig alle
sinnvollen Leistungen versprechen. Wenn es
klemmt, sind nicht ihre politischen Vorga-
ben, sondern die durch ihre Vorgaben
drangsalierten Beteiligten, in der Regel die
Ärzte und Krankenhäuser mit ihren Institu-
tionen, schuld. Als Politiker kann man alles
versprechen und hat auch einen Sünden-
bock, wenn etwas schief geht. So kann man
mit Gesundheitspolitik Wahlen gewinnen.
Selbstverständlich wird das System von kei-
ner Partei in Frage gestellt werden. Aber
politische Verantwortung sieht anders aus.
Deshalb scheuen sie sich, schmerzhafte
Wahrheiten zu äußern wie z.B. die einfache
Tatsache, dass der nachweisbare medizini-
sche Fortschritt, unser State-of-the-art-Wis-
sen, jährlich um etwa 5–8% wächst, die
dafür notwendige Kostensteigerung seit vie-
len Jahren aber bei ca. 2–3% gehalten wird.
Oder die Tatsache, dass bei der GOÄ in 17
Jahren nicht einmal ein Inflationsausgleich,
geschweige denn die längst überfällige
Gebührenanpassung erfolgt ist.
Worin besteht für uns Ärzte das Wesen einer
guten medizinischen Versorgung der Bevöl-
kerung? Dass wir unser gesichertes Wissen
unseren Kranken entsprechend des morbidi-
tätsgesicherten Bedarfs zur Verfügung stel-
len können. Die Freiheit des ärztlichen Beru-
fes ist dabei Grundvoraussetzung. Mit ihr
müssen wir aber auch verantwortungsbe-
wusst umgehen.
Es ist schon auffällig, wie wir Ärzte in den
letzten Jahren zunehmend beschimpft und
diffamiert werden. Von der Politik, den
Krankenkassen und natürlich von den
Medien. Da werden Skandale hochgespült,
die keine sind. Wir sind alle nur noch kor-
rupt, geldgierig und bereichern uns auf Kos-
ten unseres solidarisch finanzierten Gesund-
heitssystems, also der Allgemeinheit. Wir
stehen inzwischen unter einem permanen-
ten Generalverdacht, sind nur noch in der
Defensive und müssen uns für alles rechtfer-
tigen. Dieses Vorgehen, meine Damen und
Herren, hat Methode.
Wir, die Ärzteschaft, sollen für alle Missstän-
de des Systems verantwortlich gemacht
werden. Damit wollen die Herren aus Politik
und Krankenkassen doch nur von ihrem
eigenen Versagen und von ihrer eigenen
Verantwortung ablenken!
Und die Patienten sind hochgradig irritiert!
Wem sollen sie noch glauben? Es ist zwar
immer wieder eindrucksvoll und auch beru-
higend, wie viel Vertrauen uns die Patienten
entgegen bringen und welch hohe Wert-
schätzung unsere Arbeit in der Bevölkerung
genießt. Es darf aber an der Stelle nicht ver-
schwiegen werden, dass Patienten Vertrau-
en verlieren und wir Ärzte in Klinik und Pra-
xis durch diese durchweg haltlosen Attacken
dauerhaft demotiviert werden. Die nachlas-
sende Attraktivität unseres Berufes und der
sichtbare Ärztemangel sind deutliche Zei-
chen an der Wand.
In diesem Umfeld kommt die ärztliche Frei-
beruflichkeit immer mehr unter die Räder,
auch wenn sie gerade in ihrer Bedeutung
höchstrichterlich unterstrichen wurde. Der
unabhängige freiberufliche Arzt lässt sich in
diesem politischen Umfeld offensichtlich
nicht so steuern wie Politik und Kostenträ-
ger sich dies wünschen. Ein weisungsgebun-
dener angestellter Mediziner passt besser in
dieses System. Es ist zu befürchten, dass
unter solchen Bedingungen das Wichtigste,
ein ungestörtes Arzt-Patienten-Verhältnis,
irreversibel beschädigt und damit das ent-
scheidende Stück Menschlichkeit verloren
geht.
Am 22. September wird ein neuer Bundes-
tag gewählt. Die Gesundheitspolitik, so
fürchte ich, wird im kommenden Wahl-
kampf kaum eine Rolle spielen. Stillhalten
lautet die Devise.
Deshalb müssen wir uns im Vorfeld kräftig
einbringen. Der BDI, der Berufsverband
Deutscher Internisten als politischer Arm der
Inneren Medizin, wird mit allen politisch
relevanten Parteien Gespräche führen und
unsere gemeinsamen Vorstellungen deutlich
einbringen.
Liebe Frau Märker-Hermann, sehr verehrte
Mitglieder der Deutsche Gesellschaft für
Innere Medizin, liebe Freunde,
Der Berufsverband Deutscher Internisten
bedankt sich für die gute Zusammenarbeit
im letzten Jahr. Wir haben einiges erreicht,
aber es ist noch viel zu tun. Denken Sie nur
an die Novellierung der Muster-Weiterbil-
dung, wo wir zusammen auf einem guten
gemeinsamen Weg sind.
Ich wünsche Ihrem Kongress einen erfolgrei-
chen Verlauf.
Dr. Wolfgang Wesiack
119. DGIM-Kongress in Wiesbaden
Grußwort von Dr. Wesiack zur
Eröffnung des Kongresses
Karenzzeit vor einem möglichen
Wechsel in die PKV vorsieht. Er geht
davon aus, dass die PKV heute nicht
annähernd mehr die politische Unter-
stützung genießt wie noch vor 20 Jah-
ren. Das bedeute, dass sie künftig Mit-
glieder verlieren werde.
Dennoch sind die Zukunftsaussichten
für die Ärzte keineswegs trübe, stellte
Wille fest. In früheren Gutachten für
die Techniker Krankenkasse und den
Facharztverband hat er dargelegt, wie
sich die demografische Entwicklung
vollziehen wird: Der Altersquotient
der über 65-Jährigen oder auch der
80-Jährigen steigt in den kommenden
Jahren bis 2030 oder 2050 ganz erheb-
lich an. Wille: „Die Älteren verursa-
chen höhere Ausgaben.“ Die Nachfrage
nach vertragsärztlichen Leistungen
steigt dementsprechend. Absolute
Gewinner der demografischen Ent-
wicklung sind nach seinen Worten die
Urologen und Radiologen, aber auch
die Facharzt-Internisten. Verlierer sind
die Kinderärzte und die Gynäkologen.
Bis 2030 dürfte die Nachfrage nach
ärztlichen Leistungen bei den meisten
Ärzten bei abnehmender Bevölkerung-
zahl konstant bleiben, glaubt der Öko-
nom. Die Hausärzte werden sich
schwer tun, die wachsende Nachfrage
zu befriedigen, weil hier der Nach-
wuchs fehlt. Insgesamt, so Willes
Voraussage, wird es in den nächsten
Jahren vielerlei Anreize zur Niederlas-
sung in der Praxis geben. „Ich mache
mir keine Sorgen um die berufliche
Zukunft der Ärzte.“
BDI-Präsident Wesiack nahm das
zufrieden zur Kenntnis und wies
darauf hin, dass im Gebiet Innere
Medizin die Nachfrage von jungen
Ärzten schon jetzt sehr hoch sei. „Wir
können ihnen eine attraktive Zukunft
bieten.“ Zum Schluss wollte er von
dem Wirtschaftsexperten noch wis-
sen, wie denn die künftige Gesund-
heitspolitik nach der Wahl zum Deut-
schen Bundestag aussehen könnte.
Wille glaubt weder an eine rot-grüne
noch an eine schwarz-gelbe Koalition.
Reichen würde es für eine Große
Koalition, eventuell auch für Schwarz-
Grün, aber da ist bei den Grünen noch
keine klare Aussage erkennbar.
„Aufregende Zukunft“
Die optimistischen Aussagen konnte
der BDI-Präsident gleich am nächsten
Tag an die Zuhörer des Forums für
junge Mediziner „Chances“ weiterge-
ben. Die zahlreichen jungen Medizine-
rinnen und Mediziner wollten von
ihm hören, welche Möglichkeiten die
Weiterbildung ihnen eröffnet, Inter-
nist und/oder Spezialist zu werden.
Ohne auf die Verwicklungen in dem
komplizierten Gebilde Weiterbil-
dung detailliert einzugehen, erläu-
terte Wesiack das Wesentliche der
Muster-Weiterbildungsordnung
und die existierenden regionalen
Unterschiede. Er verwies auf den
Flyer des BDI, der ein Schema lie-
fert für alles, was heute in der Inne-
ren Medizin möglich ist.
Hier heißt es aufpassen, mahnte er,
denn es gibt große Begehrlichkei-
ten anderer Fächer, der Inneren
Medizin etwas wegzunehmen.
Diese verfüge über eine Vielfalt an
Möglichkeiten, die andere Fächer
nicht hätten. Deshalb sei eine klare
Abgrenzung notwendig. „Es ist
wichtig, unser Fach klar zu definie-
ren und Grenzen zu ziehen, damit
nicht andere durch Module davon
profitieren können.“
Für die künftigen Internisten gibt
es drei Möglichkeiten, schilderte
Wesiack: Am Anfang steht eine
gemeinsame stationäre Basis-Wei-
terbildung in Innerer Medizin von
drei Jahren. Danach gibt es unter-
schiedliche Wege: Der Facharzt für
Innere Medizin muss auf die drei
Jahre noch zwei Jahre aufsatteln,
der Spezialist muss an diese fünf
Jahre noch drei Jahre in einem
Schwerpunkt hinzufügen. Wesiack
empfahl diesen Weg, weil man
damit für den Rest des beruflichen
Lebens bestens gerüstet sei. Daneben
gebe es noch den Schnelldurchgang
zum Spezialisten mit drei Jahren
Basis-Weiterbildung und drei Jahren
Schwerpunkt-Weiterbildung.
Gegenüber früher haben Jungmedizi-
ner heute gute Berufschance, betonte
der BDI-Präsident. 20–25% der älteren
Ärzte gehen demnächst in Rente, die
Bevölkerung altert rapide und sorgt
damit für eine große Nachfrage nach
internistischen Leistungen. Aufmun-
ternd appellierte er an die Zuhörer:
„Sie stehen vor einer aufregenden
Zukunft. Wenn Sie Fragen haben, gibt
Ihnen der BDI konkrete Antworten.“
Das Junge Forum (JF) im BDI ist dafür
der richtige Ansprechpartner.
Bessere Ausbildung für
Weiterbilder
Das Junge Forum will Kolleginnen und
Kollegen in der internistischen Weiter-
bildung und Studentinnen und Stu-
denten auf dem Weg in die Innere
Medizin aktiv unterstützen und die
Arbeitsbedingungen in der Weiterbil-
dung nachhaltig verbessern. Dem
diente auch ein Workshop des Jungen
Forums, in dem der JF-Sprecher PD Dr.
Michael Denkinger sich mit Prof. Dr.
Markus Siebold von der Katholischen
Hochschule Köln darüber austauschte,
welche Verbesserungsmöglichkeiten
in der Weiterbildung vor Ort notwen-
dig seien.
Denkinger hat 2009 im Jungen Forum
des BDI die Idee des Weiterbildungs-
Oberarztes entwickelt, der sich spe-
ziell um die Weiterzubildenden im
Krankenhaus kümmern sollte. Ähnli-
che Ideen hat der Berufsverband der
deutschen Chirurgen (BDC), mit dem
Siebold eng zusammenarbeitet. Ende
2012 haben beide Berufsverbände
einen Gründungsworkshop veranstal-
tet mit dem Ziel einer besseren Orga-
nisation der Weiterbildung.
Ein erster Schritt sollte laut Siebold die
Ausbildung der Weiterbilder sein.
Dazu zählt er die Einweisung in die
Nutzung der Evaluation und Erarbei-
tung einer Ist-Analyse der Weiterbil-
dung sowie die Erstellung eines Kern-
Curriculums. Weiterbildung und Qua-
litätsmanagement gehören zusam-
men, und notwendig sei ein Training
durch Weiterbildungsplanungsgesprä-
che und Lernrückstandsmeldungen.
Vom Weiterbildungsoberarzt spricht
Denkinger übrigens nicht mehr. Es
gehe nicht darum, einen neuen Arzt
zu kreieren, erklärte er in Wiesbaden,
der nur Weiterbildung macht, sondern
darum, diejenigen, die das ohnehin
tun, zu befähigen.
KS
1,2 4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,...28