Medizin
Nr. 5 • Mai 2013
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Hyperthyreosen in der Schwanger-
schaft sind selten. Die Inzidenz
beträgt ca. 0,2-0,5 % [14] und ist in
90-95 % der Fälle durch eine Base-
dow-Hyperthyreose hervorgerufen.
Die Diagnose wird durch die Bestim-
mung der Schilddrüsenantikörper
untermauert. Entscheidend sind die
zu 70-100 % positiven TSH-Rezeptor-
Antikörper (TRAK). Bei 70-80 % der
Fälle werden auch Anti-TPO und/oder
Anti-Thyroglobulin bei 30-50 % der
Fälle nachgewiesen.
Sehr viel seltener ist eine klinisch
manifeste Hyperthyreose mit der
Frühform der Hashimoto-Thyreoiditis
assoziiert. In der Regel wird die Base-
dow-Erkrankung bereits präkonzep-
tionell diagnostiziert und behandelt.
Von den autoimmunologisch beding-
ten Hyperthyreosen ist die transiente,
HCG-induzierte Schwangerschafts-
hyperthyreose abzugrenzen, die sich
im I. und II. Trimenon manifestiert
und häufig durch eine Hyperemesis
gravidarum gekennzeichnet ist.
Schilddrüsenautoantikörper werden
dabei typischerweise nicht nachge-
wiesen. Frauen mit Mehrlingen sind
häufiger betroffen, weil ihre HCG-
Spiegel höher sind. Die schwanger-
schaftsbedingte Hyperthyreose bedarf
in der Regel keiner Therapie und ist
ab der 17. Schwangerschaftswoche
selbstlimitierend. In Einzelfällen kann
eine Therapie mit Betablockern not-
wendig sein.
Hinweisend für eine maternale
Hyperthyreose in der Schwanger-
schaft können Gewichtsverlust,
Unruhe, Tachykardie und Augensymp-
tome sein. Im II. und III. Trimenon
vermindert sich wegen der schwan-
gerschaftsbedingten Immunsuppres-
sion die Krankheitsaktivität. Im
Wochenbett besteht die Gefahr der
Exazerbation.
Weitere mögliche Ursachen einer
Hyperthyreose sind z. B. Schilddrü-
senautonomie (uni- oder multifokal),
subakute Thyreoiditis oder die Ein-
nahme von Amiodaron. Das Labor
zeigt folgende Ergebnisse: Das zur
Diagnose führende TSH ist suppri-
miert, fT3 und fT4 sind erhöht,
Schilddrüsenantikörper sind positiv.
Eine nicht erkannte oder unbehan-
delte Hyperthyreose kann in der
Schwangerschaft zu maternalen
und fetalen Komplikationen führen
(Tab. 1)
TSH-sezernierende Hypophysenade-
nome (TSHom) sind eine sehr seltene
Ursache einer Hyperthyreose. Diffe-
renzialdiagnostisch ist die durch eine
TSH-Rezeptor-Mutation bedingte
Schilddrüsenhormonresistenz (resis-
tance to thyroid hormone, RTH) abzu-
grenzen. Patienten mit RTH sind in
der Regel euthyroit und bedürfen kei-
ner thyreostatischen Therapie [3].
Die Kasuistik berichtet über eine 28-
jährige Erstgravida mit Verdacht auf
schwangerschaftsinduzierte Hyperto-
nie (SIH) in Verbindung mit einer
Tachykardie.
Kasuistik
Anamnese
28-jährige Patientin, Erstgravida,
Eigenanamnese und bisheriger
Schwangerschaftsverlauf unauffällig,
keine vorbestehenden Erkrankungen,
keine Operationen. Erstvorstellung in
der Intensivschwangerenberatung der
Universitätsfrauenklinik Rostock
wegen maternaler Tachykardie und
Verdacht auf SIH in der 24 + 0
Schwangerschaftswoche (SSW).
Körperlicher Untersuchungsbefund
Altersentsprechend guter Allgemein-
zustand. Körpergröße 163 cm, Aus-
gangsgewicht zu Beginn der Schwan-
gerschaft 98 kg; BMI 36,88 kg/m
2
(n. WHO Adipositas II°), Gewicht bei
Erstvorstellung 100 kg, die bisherige
Gewichtszunahme betrug nur 2 kg.
RR 140/90 mmHg; Puls 96/min. Kör-
pertemperatur im Normbereich, kein
Durchfall, keine Kopfschmerzen oder
Oberbauchschmerzen, subjektives
Wohlbefinden.
Bei grenzwertigem Blutdruck in der
Schwangerschaft und Beschwerdefrei-
heit wurde zunächst ein abwartendes
Vorgehen vereinbart und eine Labor-
kontrolle veranlasst. Die maternale
Pulsfrequenz ließ sich nur schwer ein-
ordnen, ein Anstieg der Herzfrequenz
in der Schwangerschaft bis 100/min
wird häufig gesehen und durch die
Zunahme des Blutvolumens als kom-
pensatorisch eingeordnet, Grenzwerte
existieren nicht.
Fetaler Sonographiebefund: Biometrie
des Feten zeitgerecht, Fruchwasser
untere Norm, Plazenta unauffällig,
fetale und maternale Dopplersonogra-
fie (A.cerebri media, A. umbilicalis,
A.uterinae dextra und sinistra) im
Normbereich
Klinisch-chemische Untersuchungen
Die Schilddrüsenwerte waren deutlich
erhöht:
▶ TSH 6,72 μIE/ml (Norm 0,3-3,5)
▶ fT3 6,26 pg/ml (Norm 2,3-3,9)
▶ fT4 17,6 pg/ml (Norm 6,0-12,3)
TRAK und TPO-AK negativ. Keine
Anämie. Bei erhöhtem TSH, trotz
erhöhter peripherer Schilddrüsenhor-
monwerte, bestand zu diesem Zeit-
punkt dringender Verdacht auf das
Vorliegen eines TSHoms als Ursache
des maternalen Blutdruckanstiegs
und der maternalen Tachykardie.
Daraufhin Beendigung der in der
Schwangerschaft empfohlenen Iodid-
supplementation und Veranlassung
einer Gesichtsfelduntersuchung, die
Perimetrie war unauffällig.
Ergänzende Untersuchungen
Schilddrüsensonographie in der
28. SSW: Gesamtvolumen mit 23 ml
etwas vergrößert (Norm bis 18 ml).
Im linken Lappen ca. 7 mm echorei-
cher rundlicher Herd.
Therapie und Verlauf
In der 28 + 0 SSW stellte sich die
Patientin notfallmäßig mit klinischer
Symptomatik (Herzrasen, Unruhe,
fehlende maternale Gewichtszunah-
me) vor und wurde umgehend statio-
när aufgenommen. Die mütterliche
Herzfrequenz lag zu diesem Zeitpunkt
bei 136/min, der RR bei 140/90
mmHg. Im EKG wurde eine Sinusta-
chykardie nachgewiesen.
Nach Einstellung auf 3×50 mg Pro-
pylthiouracil konnte eine deutliche
Besserung der klinischen Symptoma-
tik erzielt werden, die mütterliche
Herzfrequenz fiel auf Werte zwischen
110 und 120/min und die Unruhe
verschwand. Bis zum Ende der
Schwangerschaft nahm die Patientin
insgesamt 6 kg zu (bis 104 kg Körper-
gewicht). Der Verlauf der Schilddrü-
senparameter ist in Abb. 1 aufgeführt.
Nach der klinischen Besserung und
stationären Entlassung der Patientin
wurde neben dem Verlauf der Schild-
drüsenparameter auch die fetale Ent-
wicklung mittels Ultraschall (Biome-
trie, Fruchtwassermenge, Dopplerso-
nographie) kontrolliert. Hier wurde
eine normgerechte Entwicklung
dokumentiert. Regelmäßige Kontrol-
len der Leberenzymwerte der Patien-
tin zeigten sich im Normbereich.
Mit wiederholt suspektem CTG
(Kardiotokogramm) wurde die
Patientin in der 40. vollendeten SSW
aufgenommen und die Geburt mit
Prostaglandingel vaginal eingeleitet.
Partus: In der 40 + 4. SSW erfolgte die
Spontangeburt eines eutrophen Mäd-
chens (3065 g; 10.-90. Gewichtsper-
zentile). Im Nabelschnurblut war der
TSH-Spiegel mit 75,00 μU/ml deutlich
erhöht (Norm: 1,8-12,2 μU/ml). Der
fT3-Spiegel im Nabelschnurblut
betrug 4,64 pmol/l (Norm 2,7-6,3
pmol/l), der fT4-Spiegel war hier mit
10,0 pmol/l erniedrigt (Norm 11,5-
22,7 pmol/l).
Im routinemäßig durchgeführten
Neugeborenen-Screening am
3. Lebenstag betrug der TSH-Wert
immer noch 18,29 mU/l (Norm < 15).
Eine Verlaufskontrolle beim Kinder-
arzt in der 2. Lebenswoche zeigte
dann mit 1,15 mU/l einen unauffälli-
gen TSH-Wert. Das Neugeborene
wurde voll gestillt, der Wochenbett-
verlauf war klinisch unauffällig.
Die maternale Therapie mit 3 × 50 mg
Propylthiouracil wurde fortgeführt.
Das MRT des Kopfes am 3. Tag post
partum bestätigte die Verdachtsdiag-
nose eines TSHom als Mikroadenom
der Hypophyse 5 × 8 mm anterokra-
nial rechtsseitig (Abb. 2–4).
Diskussion
Bei schwangerschaftsinduzierter
Hypertonie ist neben der Suche nach
kardialen oder nephrogenen Ursachen
der Ausschluss einer Schilddrüsen-
funktionsstörung zwingend erforder-
lich.
Die erste Blutuntersuchung wies
erhöhte periphere Schilddrüsen-
hormone auf. In dieser Situation
würde entsprechend der negativen
Feedback-Regulation eine Suppressi-
on von TSH zu erwarten sein. Tatsäch-
lich wurde eine TSH-Erhöhung nach-
gewiesen. Negative Schilddrüsenanti-
körper schlossen eine autoimmunolo-
gisch bedingte Schilddrüsenerkran-
kung aus.
Folgende Differenzialdiagnosen waren
zu diskutieren:
Eine seltene Ursache einer
Hyperthyreose in der Schwangerschaft
TSH-sezernierendes Hypophysenadenom (TSHom)
Etwa 1-2 % aller Schwangeren sind nach Literaturangaben von Schilddrüsenerkrankungen betroffen.
Dabei sind Hypothyreosen und die Struma bei weitem am häufigsten. Die Inzidenz klinisch manifester
Hypothyreosen liegt bei 1-2 %, die subklinischer Hypothyreosen bei 2,5 %.
Abb. 1
Verlauf von TSH, fT3 und fT4 in der Schwangerschaft und im Wochenbett.
* Wert im Normbereich.
Abb. 2
MRT Kopf mit Kontrastmittel seitlich 3. Tag p. p. Pfeil: Hypophysenadenom.
25
15
10
20
5
0
24+0
SSW
27+0 29+1 32+0 34+0 35+2 40+4 5.d .p.p.
6,26
5,63
4,69
3,97
3,71* 3,97
8,56
5,45
6,72
8,08
9,05
10,2
11,1
12,4
15,4
7,07
11,0*
14,9
10,3*
12,9
14,1
19,7
21,1
17,6
TSH
Norm 0,3–3,5 μlE/ml
fT4
Norm 6,0–12,3 pg/ml
fT3
Norm 2,3–3,9 pg/ml
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,...28