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Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2014
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Ein Augenarzt hat gerichtlich einge-
fordert, dass sein Regelleistungsvolu-
men alle wesentlichen Leistungen sei-
nes Fachgebietes rechnerisch in jedem
Behandlungsfall mit den Preisen der
Eurogebühr zu vergüten sind. Er hat
dagegen geklagt, dass sich dies bei der
Berechnung der Regelleistungsvolu-
mina und in den Beschlüssen des
Erweiterten Bewertungsausschusses
nicht abbildet. Das Regelleistungsvo-
lumen wird nicht inhaltlich nach dem
EBM, sondern nach den Abrechnun-
gen der Vergangenheit kalkulatorisch
bestimmt.
Das Landessozialgericht hat diesen
Gedankengang bereits verworfen, das
Bundessozialgericht ist ihm gefolgt. In
der Erklärung des Gerichtes heißt es
unter anderen: „Die Annahme des
Klägers, dass sein RLV so hoch sein
muss, dass die wesentlichen Leistun-
gen seines Fachgebietes rechnerisch
in jedem Behandlungsfall mit den
Preisen der Euro-Gebührenordnung
zu vergüten sind, mag der Idealkon-
zeption des Gesetzes entsprechen, ist
jedoch nicht durchweg realisierbar,
wenn wie gesetzlich vorgegeben die
tatsächlich gezahlten Gesamtvergü-
tungen Grundlage der Berechnung der
RLV sind. Das Grundsystem der Ver-
gütung der Gesamtheit der vertrags-
ärztlichen Leistungen mit einem
(grundsätzlich) abschließend festge-
legten Honorarvolumen in Form der
im Vereinbarungswege mit den Kran-
kenkassen bestimmten morbiditäts-
bedingten Gesamtvergütungen ist
nicht durchweg kompatibel mit der
Vorstellung, der Großteil der vertrags-
ärztlichen Leistungen auf einem
bestimmten Fachgebiet je Fall sei
zwingend mit festen Preisen zu ver-
güten.“
Schuld ist die Politik!
Man kann sich der Auffassung von
Reinhardt durchaus anschließen. Das
Urteil stellt fest, dass die einnahmen-
orientierte Ausgabenpolitik und die
budgetierte Gesamtvergütung Richt-
schnur für die Vergütungsvereinba-
rungen der Kassenärztlichen Vereini-
gung sind. Zweitrangig sind die
inhaltlichen und kalkulierten Vorga-
ben der medizinischen Leistungen.
Unter den Bedingungen einer budge-
tierten Gesamtvergütung muss der
Sicherstellungsauftrag auch dann
nach gesetzlichen Regeln erfüllt wer-
den, auch wenn die Vorgaben einer
kalkulatorischen Vergütung einzelner
Leistungen unter Mangelbedingungen
nicht aufrecht zu erhalten ist. Man
muss dieses Urteil in seinem Inhalt
zwar beklagen, aber schuldig ist nicht
das Bundessozialgericht.
Auch das Bundessozialgericht kann
sich nur nach den gesetzlichen Vorga-
ben richten, die der Bundestag
beschlossen hat. Er kann davon nicht
abweichen, auch wenn er es aus
anderen ordnungspolitischen Grün-
den wollte. Das SGB V ist tatsächlich
so aufgebaut, dass das Prinzip Budge-
tierung oberste Priorität hat. Alles
darunter ist Makulatur.
Dem Gericht bleibt unter diesen
Bedingungen keine andere Entschei-
dung übrig, zumal auch die politische
Linie parteienübergreifend durch
diese Vorgabe bestimmt wird.
Für die Ärztinnen und Ärzte in
Deutschland bleibt nur die Konse-
quenz, sich an die Politik zu wenden,
um diese abartigen Vorgaben zu
beseitigen. Das Bundessozialgericht
ist der falsche Adressat.
HFS
Dabei wird beim Bürger der Eindruck
erweckt, als sorge der Gesetzgeber für
ein hohes Maß an Beitragsstabilität
gleichzeitig für ein umfassendes Ange-
bot an Gesundheitsleistungen. Wenn
es mal nicht so richtig klappt, hat man
den Schuldigen schnell gefunden – die
Selbstverwaltung.
Unser seit Jahrzehnten gewachsenes,
strikt reglementiertes Gesundheitswe-
sen muss in der Umsetzung zu immer
mehr Konflikten führen – wird doch
die Bevölkerung immer älter und
kränker und soll der medizinische
Fortschritt allen zugutekommen;
durch lohnabhängige Beiträge als Soli-
darsystem finanziert. Die Konflikte
glaubt man durch immer neue gesetz-
liche Regelungen, vor allem im SGB V,
zu entschärfen. Das kann nur so lange
gut gehen, wie sich die beschlossenen
Gesetze in der Praxis nicht gegenseitig
neutralisieren.
Budgetierung und Bedarfsplanung
Bei der Bedarfsplanung der ambulan-
ten Versorgung ist es jetzt soweit. Die
im letzten Jahr renovierte Bedarfspla-
nung spiegelt unverändert nicht den
echten ärztlichen Bedarf wieder – die
Ist-Situation wird nur leicht korrigiert
fortgeschrieben. Dennoch hofft man,
dass die Versorgungslücken insbeson-
dere in der hausärztlichen Versorgung
auf dem flachen Land geschlossen
werden, indem mehr Ärztinnen und
Ärzte sich dort niederlassen, was wie-
derum finanzielle Anreize erforderlich
macht. Liegt es wirklich nur an einer
zu geringen Zahl von niedergelassenen
Ärzten, dass die Versorgung von den
Patienten als unzureichend empfun-
den wird oder gibt es auch noch ande-
re Gründe? Selbst wenn die Zeit und
die Ressourcen in den Praxen zur Ver-
fügung stünden, wird kein Patient in
diesem System zusätzlich versorgt
werden können, weil die Budgetierung
des Gesamtsystems ordnungspolitisch
inzwischen in den Praxen angekom-
men ist, sei es über Regelleistungsvo-
lumina oder über Praxisbudgets. Den
Ärzten steht für die Versorgung im
Quartal nur eine bestimmte Menge
Geld für eine definierte Patientenzahl
zur Verfügung. Betriebswirtschaftlich
ist es nicht vertretbar, darüber hinaus
zu arbeiten – erhält man nicht nur
kein Honorar, man bleibt auch noch
auf den zusätzlichen Kosten sitzen.
Ergo wird die Praxisorganisation und
die eigene Urlaubszeit entsprechend
angepasst – ein längerer Urlaub am
Ende jedes Quartals ist angesagt.
Damit aber nicht genug. Die Ärztinnen
und Ärzte, die dem Druck der Patien-
ten nachgeben und die Versorgung
weiter aufrecht erhalten, werden bei
ihren Kassenärztlichen Vereinigungen
auffällig – bei einem weiteren restrik-
tiven ordnungspolitischen Ansatz: der
Plausibilitätsprüfung. Sie müssen auf-
fallen, weil sich diese Vorgaben an der
Kalkulation aus dem Honorarbereich
orientieren.
Damit aber immer noch nicht genug.
Der in der Plausibilität aufgefallene
Arzt muss mit Honorarrückforderun-
gen rechnen, die sich in manchen
KVen an dem angeforderten Honorar
und nicht am ausgezahlten orientieren
– man zahlt also Geld zurück, das man
gar nicht erhalten hat.
Lässt man diesen aberwitzigen Ablauf
Revue passieren, stellt sich zumindest
die Frage, ob durch eine Aufhebung der
Budgetierung zu Lasten der Kostenträ-
ger – die tragen nämlich auch Versor-
gungsverantwortung – ein großer Teil
der Versorgungsdefizite in flächende-
ckenden Versorgungsebenen behoben
wäre – ohne neue Zulassungen.
Grundsätzliche Lösungen gesucht!
Unser neuer Gesundheitsminister ist
an dieser Stelle gefragt. Wie soll es
weitergehen? Minister Gröhe hat sich
als erstes eines weiteren Missstands in
der Versorgung angenommen: zu
lange Wartezeiten bei der fachärztli-
chen Versorgung. Man darf auf die
Lösungsvorschläge gespannt sein.
Haben wir doch hier ein ähnliches Pro-
blem wie bei der hausärztlichen Ver-
sorgung auf dem flachen Land.
Die Budgetvorgaben, insbesondere bei
den Regelleistungsvolumina, begren-
zen die Versorgung so, dass Wartezei-
ten entstehen müssen. Mehr Patienten
zu versorgen, kann dann zu der
beschriebenen Plausibilitätsprüfung
und all den finanziellen Folgen führen.
Neue ordnungspolitische Ansätze mit
Androhung von Restriktionen helfen
nicht weiter, im Gegenteil, sie werden
alles nur noch verschlimmern. Grund-
sätzliche Lösungen sind gefragt.
HFS
Die Reform unseres Gesund-
heitssystems ist überfällig
Ein Appell an den neuen Gesundheitsminister
(Fortsetzung von Seite 1)
Das BSG ist unschuldig!
Das Prinzip Budgetierung
Dr. Klaus Reinhardt, der Verbandsvorsitzende des Hartmannbun-
des, hat Kritik an einem wichtigen Urteil des Bundessozialgerichts
geübt und darauf hingewiesen, dass dieses Urteil die Freiberuflich-
keit der niedergelassenen Ärzte in Frage gestellt. Viele Urteile mit
einer gleichen Tendenz sind aus der Vergangenheit bekannt.
Worum ging es?
Urteil des Bundessozialgerichts vom
11.12.2013, Az.: B 6 KA 6/13 R.
Die Pressemitteilung des
Hartmannbunds finden Sie auch
unter
unter „Presse“.
Zu lange Wartezeiten haben ihren
Hauptgrund in der Budgetierung der
kassenärztlichen Gesamtvergütung,
die in Form von Regelleistungsvolu-
mina und von Praxisbudgets inzwi-
schen in jeder einzelnen Praxis ange-
kommen ist.
Die Fachärzte können nicht mehr
Leistungen erbringen, als ihnen nach
einem extrem eng kalkulierten EBM
zugestanden und bezahlt werden.
Wenn sie diese Vorgaben überschrei-
ten, erhalten sie nicht nur kein Hono-
rar, sondern dürfen auch noch die
zusätzlichen Kosten tragen. Zu allem
Überfluss kann es dann vorkommen,
dass sie über Plausibilitätskontrollen
sogar mit Regressen bedroht werden.
Neue Vorschriften sind in unserem
bereits jetzt überreglementierten
Gesundheitswesen keine Lösung, sie
wirken nur
negativ.
Die Warte-
zeiten bei
der fachärzt-
lichen Ver-
sorgung
werden
direkt durch
das geltende
Honorarsys-
tem veran-
lasst. Ein
sinnvoller
Lösungsan-
satz bietet
sich an, indem die Budgetierungspoli-
tik zumindest gelockert wird. Dann
wird sich das Problem Wartezeit in
den Facharztpraxen ganz von selbst
lösen.
Pressemitteilung des Berufsverband
Deutscher Internisten e.V.
Wesiack: Budgetierung lockern statt zu reglementieren
Wartezeiten in der fach-
ärztlichen Versorgung
Eine neue Reglementierung in der vertragsärztlichen Versorgung,
um die langen Wartezeiten bei Facharztterminen zu verhindern, hält
der Berufsverband Deutscher Internisten, BDI e.V., für kontraproduk-
tiv. BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesiack fordert den Gesetzgeber und
die Körperschaften auf, stattdessen die Ursachen dieser Fehlentwick-
lung zu beseitigen.
BIld: PhotoDisc
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