Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2014
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Der Zulassungsausschuss muss
bei der Vergabe eines Vertrags-
arztsitzes in überversorgten
Gebieten im Rahmen einer Nach-
besetzung prüfen, ob der Bewer-
ber auch tatsächlich die Arztpra-
xis fortsetzen will. Der Praxissitz
darf nicht „verscherbelt“ werden.
Ein richtungweisendes Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) ver-
bietet eine Kommerzialisierung
von Vertragsarztsitzen und
einen Missbrauch von Bedarfs-
planungsvorschriften im ver-
tragsärztlichen Sektor.
Der Fall: Ein Facharzt für Frauenheil-
kunde und Geburtshilfe (69 Jahre)
war – nach langjähriger Tätigkeit als
Vertragsarzt – acht Jahre lang als
angestellter Arzt in Berufsausübungs-
gemeinschaften (BAG) tätig. In diesem
Abschnitt der Berufstätigkeit hatte er
sich bereits erfolgreich um eine Pra-
xisnachfolge beim Zulassungsaus-
schuss beworben, die Zulassung dann
aber zugunsten einer Anstellung in
eine Gemeinschaftspraxis zurückge-
geben. Eine erneut begehrte Zulas-
sung wollte der Arzt nach einem
Tätigkeitswechsel in ein Medizini-
sches Versorgungszentrum (MVZ)
einbringen, um in der Zweigpraxis
des MVZ als Angestellter tätig zu wer-
den.
Der Zulassungsausschuss versagte
dem Arzt die Zulassung und wählte
stattdessen einen anderen (jüngeren)
Bewerber aus. Das Bundessozialge-
richt (Az.: B 6 KA 19/12 R vom
20. März 2013) bestätigte die Urteile
der Vorinstanzen. Die BSG-Leitsätze:
Der Aspirant muss in einem überver-
sorgten Gebiet beweiskräftig darle-
gen, dass er gewillt und in der Lage
ist, seine Praxis am gleichen Standort
fortzuführen. Er muss zudem eine
kontinuierliche Patientenversorgung
gewährleisten („Versorgungskontinui-
tät“). Wenn ein Arzt, der sich um eine
Nachfolgezulassung bewirbt, die Pra-
xis jedoch nicht fortführen will,
kommt er in einem überversorgten
Gebiet nicht für eine Praxisnachfolge
infrage. Falls der Nachfolgeaspirant
seine bisherige Praxis aufgibt und die
Nachfolgezulassung in ein überörtli-
ches MVZ vor allem deswegen ein-
bringen will, um das Versorgungszen-
trum in seinem Aktionsradius mit
seiner Hilfe zu erweitern, muss der
Zulassungsausschuss den Zulassungs-
antrag ablehnen. Dadurch werde eine
vom Gesetzgeber nicht gewollte Kom-
merzialisierung des Vertragsarztsitzes
vermieden, so der 6. Senat des BSG in
Bekräftigung seiner ständigen Recht-
sprechung aus früheren Jahren.
Approbationsalter spielt keine
Rolle
Bei der Nachfolgezulassung müssen
auch die räumlichen und personellen
Voraussetzungen zum Erhalt der Pra-
xis erfüllt und belegbar sein. Dabei
hat der Zulassungsausschuss einen
Ermessungsspielraum. Es genügt
nicht zu erklären, die Vertragsarzttä-
tigkeit im selben Fachgebiet und im
selben Planungsbereich wie der bis-
herige Praxisinhaber ausüben zu wol-
len. Außerdem muss der Nachfolger
den Praxisbetrieb als Inhaber oder
zumindest als Mitinhaber fortsetzen.
Nur dann habe dieser die Möglichkeit,
seinen Fortführungswillen umzuset-
zen. Als angestellter Arzt in einem
MVZ könne er dies nicht, weil er dem
Direktionsrecht des MVZ-Eigentümers
ausgesetzt sei, so das BSG. Beabsich-
tigt der Nachfolgeaspirant dagegen als
angestellter Arzt in der Zweigpraxis
eines MVZ zu arbeiten, so hat er kei-
nen Anspruch auf die Erteilung einer
Nachfolgezulassung. Bei einer Nach-
besetzung spielen das jeweilige
Approbationsalter und die bisherige
ärztliche Tätigkeit in der Regel keine
Rolle. Grund: Eine mehr als fünfjähri-
ge ärztliche Tätigkeit nach Abschluss
der Weiterbildung bedeutet keinen
zusätzlichen Vorzug gegenüber einem
weitergebildeten Mitbewerber mit
weniger Berufsjahren um die Praxis-
nachfolge.
BGH: Keine Kommerzialisierung!
Ein Bewerber um die Vergabe eines
Vertragsarztsitzes in einem überver-
sorgten Gebiet hat keinen Anspruch
auf Nachfolgezulassung, wenn er eine
bestehende und frei werdende Praxis
überhaupt nicht fortführen will. Der
Zulassungsausschuss muss einer vom
Gesetzgeber nicht gewollten Kom-
merzialisierung des Vertragsarztsitzes
entgegenwirken. Die Fortführung der
Praxis darf nicht vom Willen eines
Arbeitgebers abgängig gemacht wer-
den.
Dr. rer. pol. Harald Clade
Auf die Versorgungs-
kontinuität kommt es an
Nachfolgezulassung