BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesi-
ack hat in seinem Editorial die
GOÄ-Novellierung – insbesondere
in ihrem Paragrafenteil – nach dem
abgelaufenen Ärztetag nochmals
kritisch hinterfragt. Dies ist umso
wichtiger, weil die ordnungspoliti-
schen Verwerfungen in der weiteren
Diskussion nicht in Vergessenheit
geraten dürfen, denn sie sind bis auf
Weiteres noch nicht zu Ende.
Noch liegt kein Gesamtkonzept
der Legenden und Bewertungen
der Gebührenordnungspositionen
vor. Der Informationsgrad der ein-
zelnen Fachgruppen scheint sehr
unterschiedlich. Es entsteht der
Eindruck, als seien die vermuteten
Gewinner der Reform deutlich bes-
ser informiert als Fachgruppen, die
mit einem Honorarverlust rechnen
müssen.
Kein Platz mehr für Kranke?
Hier muss alsbald das Gesamtwerk
auf den Tisch und in seinen Aus-
wirkungen von den Verhandlungs-
führern plausibel erläutert werden.
Auch der robuste Einfachsatz der
Rechnungstellung macht eine Ana-
lyse notwendig, da eine individuelle
Rechnung nach Schweregrad nur
noch begrenzt möglich sein wird.
Gebührenordnungskenner wissen
um die Auswirkung solcher Durch-
schnittsvergütungen. Aufwändige
Maßnahmen vermeidet man mög-
lichst, überspitzt ausgedrückt: Es
lohnt sich besonders Gesunde zu
behandeln. Man kann jedem nur
empfehlen, die Auswirkungen der
neuen GOÄ auch im Lichte seines
Patientenklientels und dessen Mor-
bidität zu bewerten.
Ein großer Brocken ist noch nicht
aufgeschlagen: die Liquidation im
stationären Bereich. Bleibt es bei den
Abschlägen der Rechnungsstellung
bis zu 25 Prozent? Wird die deutsche
Krankenhausgesellschaft ebenfalls an
den Verhandlungen beteiligt? –
Fürchtet sie doch einen Einnahme-
verlust bei Änderung der geltenden
Bedingungen in Milliardenhöhe. –
Dann würde aus der gemeinsamen
Kommission zur Weiterentwicklung
der GOÄ, GeKo genannt, ein soge-
nannter „ergänzter“ Bewertungsaus-
schuss, den wir hinreichend aus der
GKV kennen. Die Konvergenz PKV
in Richtung GKV lässt grüßen.
Die weiteren Pläne der PKV
Wahrscheinlich lässt man aber die-
ses Thema noch in dieser Legisla-
turperiode ruhen, weil die PKV
noch weitergehende Pläne hat, die
sich nicht nur über eine GOÄ-Re-
form, sondern durch zusätzliche
Korrekturen am Krankenhausent-
geltgesetz realisieren lassen. Da ist
etwa an die Einschränkung der Li-
quidation auf den ärztlichen Anteil
der kalkulierten GOÄ-Ziffer zu
denken.
Auch die Rolle eines Ärztetages
bei der Klärung berufspolitischer
Fragen muss kritisch hinterfragt
werden. Hat man seine Kompetenz
bei einer so differenzierten berufs-
politischen Frage wie der GOÄ et-
wa überschätzt? Zumindest war der
Ärztetag nicht so zusammengesetzt,
dass alle Ärzte sich repräsentiert
fühlten. So geht ein tiefer Riss mit-
ten durch die Ärzteschaft, der von
der Bundesärztekammer schleu-
nigst gekittet werden muss.
Noch sind viele
Fragen offen
DER CHEFREDAKTEUR MEINT
Schreiben Sie dem Autor unter:
Von Dr. Hans-Friedrich
Spies
„Mondpreise“ wie bei Sovaldi
®
verhin-
dern, das Einsparvolumen des AM-
NOG anheben, Ärzte dazu bringen,
mehr Innovationen mit anerkanntem
Zusatznutzen zu verschreiben: Vertre-
ter der Bundestagsfraktionen, der
Krankenkassen, aber auch aus den
Verbänden der Industrie bringen sich
aktuell in Stellung, um frühzeitig ihre
Positionen in den erwarteten Ände-
rungsprozess des Arzneimittelmarkt-
Neuordnungsgesetzes – kurz AM-
NOG – einzuspeisen.
Der Pharma-Dialog zwischen In-
dustrie und Regierung ist auf der
Fachebene beendet. Tatsächlich abge-
schlossen werden soll er mit einer ge-
meinsamen Erklärung am 12. April.
Anpassung an EU-Recht
Erst dann sollen auch die von mehre-
ren Vertretern der Regierungsfraktio-
nen angekündigten Änderungen am
AMNOG vorbereitet werden. Sie sol-
len unabhängig von der Vierten No-
velle des Arzneimittelgesetzes ange-
gangen werden. Das geht aus einem
internen Fahrplan des Gesundheitsmi-
nisteriums hervor. Diese Novelle soll
eine Anpassung deutschen an europäi-
sches Recht regeln und bereits Mitte
März ins Kabinett.
Die sich aus dem Dialog ableiten-
den Optionen lassen sich dementspre-
chend länger diskutieren:
Barrieren,
die Ärzte daran hindern,
positiv bewertete Arzneien Wirkstoffen
ohne festgestellten Zusatznutzen vor-
zuziehen, könnten beseitigt werden.
Eine Befragung der Techniker Kran-
kenkasse hat ergeben, dass jeder zweite
Arzt (49 Prozent) sich auf Fortbildun-
gen dazu entschließt, neue Arzneien
zu verordnen. Die Ergebnisse der frü-
hen Nutzenbewertung lösen dies nur
bei jedem sechsten Arzt (15 Prozent)
aus. Zudem finden sich in Leitlinien
zahlreiche Arzneien (47 Prozent), die
die frühe Nutzenbewertung ohne Zu-
satznutzen durchlaufen haben. Ärzte
sind gehalten, leitliniengerecht zu ver-
ordnen.
Deutschland ist Referenzpreisland.
Um ihre Weltmarktpreise nicht zu ge-
fährden, haben Hersteller seit 2011
knapp 20 Medikamente vom Markt
genommen. Einige davon hatten Ver-
sorgungsrelevanz und mussten von
den Kassen dennoch als teure Re-Im-
porte weiter eingekauft werden.
Um die international
wirkenden
Kellertreppeneffekte auszuschließen,
könnten sich Kassenvertreter auch
vorstellen, in den Preisverhandlungen
einem höheren Referenzpreis zuzu-
stimmen, der in anschließenden, ge-
heimen Zusatzverhandlungen relati-
viert werden könnte. Das entspricht
Praktiken, die auch aus dem Ausland
bekannt sind.
Die Kassen
fordern ein Ende der
freien Preisbildung im ersten Jahr nach
Markteinführung eines Präparats
(„Mondpreise“). Die Industrie hält
dagegen. Gesprochen wird über Kom-
promisse, die freie Preisbildung auf die
ersten sieben Monate zu begrenzen
(frühe Nutzenbewertung plus die
Opt-out-Phase). Der verhandelte Er-
stattungsbetrag könnte dann ab dem
achten Monat nach Markteinführung
gelten.
Die Mischpreise,
die sich aus unter-
schiedlicher Gewichtung des Zusatz-
nutzens eines Wirkstoffs für einzelne
Subgruppen ergeben, sind ebenfalls in
der Diskussion. Je nach Ausmaß des
Zusatznutzens für einzelne Subpopula-
tionen gestaffelte Preise seien denkbar,
sagte der Arzneimittelexperte der Uni-
onsfraktion, Michael Hennrich, im Ja-
nuar in Berlin.
Eine Änderung des
Arzneimittelmarkt-Neuord-
nungsgesetzes (AMNOG)
scheint nach dem
inoffiziellen Ende des
Pharma-Dialogs wahr-
scheinlich. Auch über die
Rolle der Ärzte als Verord-
ner wird diskutiert.
Ist nach dem Pharma-Dialog
vor einer AMNOG-Änderung?
Von Anno Fricke
Der Arzneimittelmarkt bleibt auch nach dem Pharma-Dialog unter Beobachtung.
© PHOTOSG / FOTOLIA.COM
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Sie können sich
sicher sein, dass
das Thema
Arzneimittel nach
Abschluss des
Pharma-Dialogs in
den kommenden
Wochen und
Monaten in den
Mittelpunkt rückt.
Michael Hennrich
CDU-Gesundheitspolitiker
Die GOÄ-Novelle entwickelt sich im-
mer mehr zum Wahlkampfthema.
Nachdem die SPD-Fraktion mit ei-
nem Beschluss, die Reform abzuleh-
nen, vorgeprescht ist (wir berichteten)
- und darin erneut die Bürgerversiche-
rung ins Rennen bringt -, tritt nun
auch die FDP in die Debatte um die
„GOÄneu“ ein. Interessanterweise auf
Landesebene: In einem Antrag an die
rot-grüne Landesregierung in Baden-
Württemberg stellt der sozialpolitische
Sprecher der FDP-Landtagsfraktion,
Jochen Haußmann, die Kostenfrage.
Dabei will er nicht nur wissen, welches
Honorarvolumen den Ärzten durch
das Aussetzen der Novelle und die da-
mit fehlende Anpassung der Gebüh-
rensätze verloren gehen könnte. Er
fragt auch, was die Ärzteschaft die ge-
plante Bürgerversicherung kosten
wird. Denn letztere könnte, wie be-
richtet (Ausgabe 2/2016), auch bei ei-
ner GOÄ-Novelle kommen.
Die Antwort ist aus Sicht Hauß-
manns mehr als unbefriedigend: „Es ist
ein peinliches Ablenkungsmanöver, das
die SPD hier vollführt.“ Bei der GOÄ-
Reform wolle „sie sich hinter Unwissen-
heit verstecken“. Die zuständige Minis-
terin für Arbeit und Sozialordnung, Fa-
milie, Frauen und Senioren, Katrin Alt-
peter, antworte lediglich mit Pauschal-
plätzen. Tatsächlich verweist Altpeter in
ihrer Antwort darauf, dass der Landesre-
gierung bislang kein Entwurf der GOÄ-
Novelle vorliege. Daher sei es nicht mög-
lich, eine Bewertung hinsichtlich einer
ausbleibenden Honoraranpassung vor-
zunehmen. Viel interessanter ist aber,
dass laut Altpeter auch die Auswirkun-
gen der Bürgerversicherung aufs Hono-
rar nicht abschätzbar seien. Hierbei han-
delt es sich schließlich um ein Kon-
strukt, das bereits im letzten Wahlkampf
herhalten musste. „Einen Rat könnte sie
sich bei der Betriebsratsinitiative ‚Bür-
gerversicherung? Nein Danke‘! holen.
Diese hat schon im Jahr 2013 die ver-
heerenden Auswirkungen auf den Ge-
sundheitsstandort Baden-Württemberg
ausgerechnet“, so Haußmann.
KVen: Kritikpunkte sind berechtigt
Doch auch innerhalb der Ärzteschaft ru-
mort es weiter. Selbst wenn die Anträge,
die kritische Punkte am derzeitigen Ver-
handlungsstand der GOÄ-Novelle be-
nennen, auf dem Sonderärztetag am 23.
Januar nicht mehrheitsfähig waren, KBV
und KVen fordern die Bundesärztekam-
mer (BÄK) dennoch auf, diese bei der
weiteren Umsetzung der Reform zu be-
rücksichtigen. In einem gemeinsamen
Brief an BÄK-Präsident Prof. Frank Ul-
rich Montgomery (vom 11. Februar)
lassen sie auch durchklingen, dass einige
Änderungsanträge womöglich nur an
Formulierungsfragen gescheitert wären.
Vor allem folgende Punkte sollten in
die GOÄ-Verhandlungen einfließen:
Im Rahmen des dreijährigen Moni-
torings zur GOÄneu sollten keine
Ausgabenobergrenzen festgelegt wer-
den. Hier schwingt die Sorge nach ei-
nem GKV-gleichen Budget mit.
Die Wahrung der „uneingeschränk-
ten“ Freiberuflichkeit von Niederge-
lassenen und Klinikärzten.
Es dürfe keine Beeinträchtigung des
individuellen Arzt-Patienten-Verhält-
nisses stattfinden.
Eine „ordnungspolitische Anleh-
nung“ an Strukturen der GKV sei zu
verhindern.
Die gemeinsame Kommission zur
Weiterentwicklung und Pflege der
GOÄ (GeKo) sollte lediglich eine
„beratende Funktion“ einnehmen.
Außerdem wünschen sich die KVen
ein eigenes GOÄ-Kapitel für allgemein-
medizinische Leistungen.
(reh)
Was würde es die Ärzte kos-
ten, wenn die SPD tatsäch-
lich die Bürgerversicherung
einführt? Die FDP im Ländle
will es wissen. Gleichzeitig
fordern KBV und KVen, eine
GOÄneu nicht an der Ärzte-
schaft vorbei auszuhandeln.
GOÄ: Debatte geht an vielen Fronten weiter
4
März 2016
BDI aktuell
Berufspolitik