Im Mittelpunkt der aktuellen Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 5 KA 1505/23) stand ein hausärztlich tätiger Internist, der für das Jahr 2014 wegen vermeintlich unwirtschaftlichen Arzneimittelverordnungen in Anspruch genommen werden sollte. Die Prüfgremien hatten im Nachgang eine Einzelfallprüfung durchgeführt und verlangten einen Regress von rund 13.000 Euro – obwohl dieselben Verordnungen zuvor bereits Gegenstand einer Richtgrößenprüfung gewesen waren. Diese Prüfung war für die Praxis des Internisten völlig unauffällig verlaufen: Die maßgebliche Richtgrößengrenze wurde eingehalten, und die Prüfstellen hatten den Fall damals nicht zur Wirtschaftlichkeitsprüfung gestellt.
Genau hier setzte das Landessozialgericht an: Es hob den Regress auf, weil die Einzelfallprüfung unzulässig war. Die bereits zuvor erfolgte Richtgrößenprüfung entfalte eine Sperrwirkung. Das bedeutet: Wenn identische Verordnungen bereits im Rahmen der Richtgrößen- bzw. Vorabprüfung geprüft und nicht beanstandet wurden, dürfen sie später nicht noch einmal wegen derselben Frage – nämlich ihrer Wirtschaftlichkeit – im Einzelfall regressiert werden. Das gilt selbst dann, wenn einzelne Verordnungen, wie im entschiedenen Fall, zahlreiche aut-idem-Ausschlüsse enthalten.
Eine nachgeschaltete Einzelfallprüfung sei nur dann möglich, wenn es nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um die Zulässigkeit der Verordnung geht, etwa bei klaren Verordnungsausschlüssen. Für reine Preis- oder Vergleichswirtschaftlichkeit ist der Prüfweg dagegen versperrt.
Obwohl der konkrete Fall das alte Richtgrößenrecht betraf – das System ist seit 2017 gesetzlich umgestellt –, bleibt die Entscheidung für Ärztinnen und Ärzte heute hochrelevant. Denn der rechtliche Gedanke, den das Gericht betont, ist weiterhin gültig: Wo Prüfstellen und KVen Toleranzbereiche, Vergleichswerte oder Vorabprüfungen nutzen, um Verordnungsverhalten strukturell zu bewerten, kann diese erste Prüfung dieselben Verordnungen vor späteren Einzelregressen schützen. Die grundlegende Argumentation des Landessozialgericht und des Bundessozialgerichts lautet: Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht doppelt geprüft werden. Wenn eine Praxis innerhalb vorgegebener Toleranzgrenzen liegt und deshalb keine Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgelöst wird, darf das gleiche Verordnungsverhalten nicht über den Umweg einer Einzelfallprüfung regressiert werden. Andernfalls stünden unauffällige Praxen schlechter da als solche, die in eine förmliche Richtgrößenprüfung geraten – ein Ergebnis, das die Gerichte zu Recht als systemwidrig ansehen.
Gerade in der Praxis, in der bundesweit zunehmend Richtwertprüfungen, Vergleichsgruppenanalysen und Filterverfahren zum Einsatz kommen, bleibt dieser Grundsatz bedeutsam. Zwar ist das alte Richtgrößensystem nicht mehr in Kraft, doch der Schutzgedanke vor „Doppelbelastung“ gilt fort.
Für niedergelassene Internistinnen und Internisten heißt das: Wenn Verordnungen im Rahmen solcher Prüfmechanismen erkennbar berücksichtigt und nicht beanstandet wurden, spricht vieles dafür, dass spätere Einzelregresse wegen Unwirtschaftlichkeit unzulässig sind – es sei denn, es geht um klare Verstöße gegen die Verordnungsfähigkeit. Ärztinnen und Ärzte sollten Bescheide, Mitteilungen oder Dokumentationen der jeweiligen Vorab- oder Richtwertprüfungen sorgfältig aufbewahren; sie können in nachgelagerten Verfahren ein entscheidendes Argument gegen unzulässige Einzelfallprüfungen sein.
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg bringt damit nicht nur Klarheit für Altfälle, sondern setzt auch ein wichtiges Signal für die Gegenwart: Wirtschaftlichkeitsprüfungen müssen verlässlich, nachvollziehbar und nicht doppelgleisig sein. Wer sich innerhalb der vorgesehenen Grenzen bewegt, darf auf Rechtssicherheit vertrauen.
