Vorbemerkung
Die Referentenentwürfe (Stand: 16. Oktober 2025) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) betreffend eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Apothekenversorgung (Apothekenversorgung-Weiterentwicklungsgesetz – ApoVWG) und der Zweiten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung zielen darauf ab, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Apotheken langfristig und tragfähig zu verbessern, ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern sowie ihre Rolle in der Gesundheitsversorgung auszuweiten. Dazu soll das, seit Juni 2022 aufgrund der pandemiebedingten Ausnahmeregelung bestehende, Impfangebot in Apotheken ausgeweitet werden. Dies betrifft weitere Schutzimpfungen, die keine Lebendimpfstoffe sind, für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Zugleich werden die pharmazeutischen Dienstleistungen im Gesetz konkretisiert und erweitert. Außerdem sieht der Referentenentwurf vor, dass Apothekerinnen und Apotheker in bestimmten Situationen künftig verschreibungspflichtige Medikamente abgeben dürfen. Ergänzend soll die Möglichkeit patientennaher Schnelltestungen in Apotheken erweitert werden.
Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin sind bundesweit die größte Fachgruppe. Internistinnen und Internisten sind in allen Versorgungsbereichen tätig, das heißt im stationären sowie im hausärztlich- und fachärztlich ambulanten Versorgungsbereich. Vor diesem Hinter-grund nimmt der BDI, ergänzend zur Stellungnahme des Spitzenverbandes Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), zu folgenden Maßnahmen im ApoVWG und in der Zweiten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung im Einzelnen Stellung.
Apothekenversorgung-Weiterentwicklungsgesetz – ApoVWG
1. Maßnahmen zur Retaxation bei Apotheken
Artikel 1 Nr. 1 Buchst. c) (Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)
§ 129 Absatz 4d Satz 2 SGB V: Retaxation bei Apotheken – Bagatellgrenze 300 € bei Ärzten und Ärztinnen
Ärztinnen und Ärzte sehen sich seit Jahren mit teils erheblichen Regressforderungen der Kassenärztlichen Vereinigungen konfrontiert. Ein exemplarischer Fall betrifft einen Kardiologen, gegen den eine Regressforderung in Höhe von 490.000 € allein aufgrund fehlender persönlicher Unterschriften unter den Rezepten für den Sprechstundenbedarf geltend gemacht wurde, obwohl die Verordnungen medizinisch notwendig, wirtschaftlich angemessen und vollständig im Praxisbetrieb verwendet worden waren.
Vor vergleichbaren Herausforderungen stehen Apothekerinnen und Apotheker ebenso. Auch in den Apotheken führen geringfügige formale Fehler regelmäßig zu erheblichen Retaxationen, obwohl die abgegebenen Arzneimittel medizinisch indiziert waren und den Patientinnen und Patienten der beabsichtigte gesundheitliche Nutzen zugutekam.
Mit einer Änderung des § 129 SGB V soll die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sogenannten „Nullretaxation“ künftig eingeschränkt werden. Demnach sollen Fälle, in denen keine konkrete Gefährdung der Arzneimittelsicherheit vorliegt und die Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber den Versicherten erfüllt ist, nicht mehr zur vollständigen Vergütungskürzung führen. Dies betrifft insbesondere Konstellationen, in denen Apotheken trotz Nichtverfügbarkeit des preisgünstigsten Arzneimittels ein gleichwertiges Präparat abgegeben haben, ohne eine vollständige Verfügbarkeitsanfrage dokumentieren zu können.
BDI-Bewertung:
Der BDI unterstützt die Neuregelung. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Retaxation führt dazu, dass aufgrund kleiner Formmängel von der Apothekerin oder dem Apotheker die Vergütung für eine vollständig erbrachte Leistung zurückverlangt wird. Dies entspricht nicht einer leistungsgerechten Vergütung, die die Anforderungen des Alltags berücksichtigt.
Ein wirkungsvoller Schritt zu einer zeitnahen Entbürokratisierung im Bereich der Ärztinnen und Ärzte könnte im Rahmen des Apothekenversorgungs-Weiterentwicklungsgesetzes (ApoVWG) auf Basis der bereits im Gesetzgebungsprozess zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) entwickelten, jedoch nicht eingeführten, Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 300 € erfolgen. Damit wäre ein weiterer Schritt zum Bürokratieabbau, der vielfältig im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien angeführt wird, umgesetzt.
Mit einer Änderung des § 106b Absatz 2 Satz 2 SGB V (GVSG) würde geregelt, dass neben dem Umfang von Wirtschaftlichkeitsprüfungen die Rahmenvorgaben zukünftig verpflichtend auch die Vorgabe zur Aufnahme einer Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 300 € in den Prüfvereinbarungen enthalten müssen, bis zu deren Erreichung Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht beantragt werden können. Diese Antragsgrenze soll sich auf jeweils eine Betriebsstättennummer pro Quartal und je Krankenkasse beziehen. Es ist davon auszugehen, dass durch diese Maßnahme rund 70 % der bislang durchgeführten Prüfverfahren zukünftig entfallen könnten. Diese Maßnahme kann einen wichtigen Beitrag zur Entbürokratisierung leisten und zur Vereinheitlichung der bestehenden Prüfvereinbarungen führen, was letztlich mehr Verfahrenstransparenz schafft.
2. Maßnahmen zur Weiterentwicklung der pharmazeutischen Dienstleistungen und Etablierung von Präventionsaufgaben
Artikel 1 Nr. 1 Buchst. g) (Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)
§ 129 Abs. 5e SGB V und § 346 SGB V: Pharmazeutische Dienstleistungen
Seit der Verabschiedung des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) haben Patientinnen und Patienten Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die Versorgung der Versicherten verbessern sollen.
Der Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) wird nun im § 129 Abs. 5e SGB V grundlegend erweitert und konkretisiert. Ziel ist die Stärkung der pharmazeutischen Kompetenz in der präventiven und begleitenden Versorgung sowie eine Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Es wird ausdrücklich geregelt, dass pDL auch die Prävention und Früherkennung von Erkrankungen und Erkrankungsrisiken neben den Maßnahmen im Rahmen einer Arzneimitteltherapie umfassen. Der GKV-Spitzenverband und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) werden beauftragt, einen Rahmenvertrag zu Art, Umfang und Vergütung der pDL abzuschließen; können diese sich nicht einigen, entscheidet eine Schiedsstelle. Die Bundesapothekerkammer (BAK) erhält den Auftrag, für jede Dienstleistung verbindliche Standardarbeitsanweisungen (SOPs) zu entwickeln, die Teil der Abrechnungsgrundlage werden.
Ausgehend von § 129 Abs. 5e SGB V alt wurden bereits fünf pDL entwickelt, welche nun explizit in den § 129 Abs. 5e SGB V neu aufgenommen werden. Darüber hinaus sollen vier neu definierte pDL ebenfalls aufgenommen werden:
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Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus,
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Beratung in Form einer Kurzintervention zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen,
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erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation,
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Pharmazeutisches Medikationsmanagement bei komplexen oder neu eingeleiteten Therapien,
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Betreuung von Patientinnen und Patienten nach Organtransplantation,
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Betreuung bei oraler Tumortherapie,
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erweiterte Einweisung und Übung der Inhalationstechnik (bei chronisch-obstruktiven Erkrankungen),
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Einweisung zur Anwendung von Autoinjektoren (z. B. Adrenalin, Biologika),
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standardisierte Risikoerfassung bei erhöhtem Blutdruck
Die pDL „Pharmazeutische Medikationsmanagement bei komplexer oder neu verordneter Dauermedikation“ muss zwingend vom Arzt verordnet werden. Alle anderen pDL können ärztlich verordnet werden.
Bewertung:
Die Ausweitung der pharmazeutischen Dienstleistungen bewirkt eine strukturelle Verschiebung von ärztlichen Beratungs- und Kontrollfunktionen in den nicht-ärztlichen, pharmazeutischen Bereich. Viele der vorgesehenen Leistungen – Risikoberatung, Prävention, Therapiebegleitung – sind jedoch ärztliche Kernaufgaben. Sie erfordern eine Anamnese, klinische Beurteilung und die Verantwortung für Folgeentscheidungen. Exemplarisch dargestellt, ist bei Beratungen im Rahmen der kardialen Prävention ohne Kenntnis relevanter Laborwerte (z. B. GFR, Lipoprotein(a)), ohne eine differenzierte Anamnese und ohne eine orthopädisch-kardiale Risikoeinschätzung eine qualifizierte Beurteilung nicht möglich. Eine rein apothekenbasierte Bewertung von Risikofaktoren birgt somit erhebliche Fehleinschätzungs- und Sicherheitsrisiken.
Besonders kritisch ist der Bereich der Inhalationsschulung zu bewerten. Die korrekte Auswahl, Einweisung und regelmäßige Überprüfung der Inhalationstechnik gehört untrennbar zur ärztlichen Therapieentscheidung. Wird ein Inhalationssystem aus Wirtschaftlichkeitsgründen in der Apotheke ausgetauscht, ohne dass eine erneute Schulung erfolgt, besteht das Risiko eines erheblichen Wirkungsverlustes und damit einer Gefährdung des Patienten. Der BDI ist daher der Ansicht, dass eine Schulung in Apotheken nur dann sinnvoll ist, wenn sie konsequent, regelmäßig und in enger Abstimmung mit der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt erfolgt.
Anstelle einer tatsächlichen Entlastung entsteht das Risiko von Parallelstrukturen, zusätzlicher Bürokratie und unklaren Zuständigkeiten. Zudem ist fraglich, ob das Angebot von pDL im Hinblick auf medikamentöse Versorgung, dauerhafte Betreuung bei spezifischen Krankheitsbildern und Präventionsleistungen bzw. Risikoeinschätzungen in der Fläche überhaupt realisierbar ist. In Regionen mit sinkender Apothekendichte werden pDL-Leistungen faktisch kaum angeboten werden können. Stattdessen wird die Telepharmazie zunehmend an Bedeutung gewinnen – ein Trend, der dem Anspruch der pDL, nämlich eine persönliche und wohnortnahe Betreuung zu gewährleisten, widerspricht.
Der BDI fordert daher eine klare Grenzziehung zwischen ärztlicher Diagnostik und Therapie einerseits und pharmazeutischer Begleitung andererseits. Bei neu eingeführten pharmazeutischen Dienstleistungen sind der Nutzen und die Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten regelmäßig zu evaluieren, beispielsweise durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Sollte sich herausstellen, dass kein oder nur ein geringer Nutzen für die Prävention der Patientinnen und Patienten besteht, sind die pDL wieder aus dem pDL-Katalog zu streichen.
Die Gesetzesbegründung verdeutlicht, dass bundesweit lediglich rund 1,3 Millionen pharmazeutische Dienstleistungen pro Jahr erwartet werden. Bezogen auf derzeit 16.800 öffentliche Apotheken entspricht dies durchschnittlich etwa sechs Dienstleistungen pro Apotheke und Monat. Selbst wenn jede Dienstleistung einer anderen versicherten Person zugutekäme, wären damit weniger als 2 % der gesetzlich Versicherten überhaupt erfasst. In Relation zum administrativen Aufwand und den neu zu schaffenden Strukturen wäre dies völlig unverhältnismäßig.
Der prognostizierte Umfang lässt erkennen, dass die erweiterten pDL mehr Bürokratie als Versorgungseffekt erzeugen. Der BDI sieht darin eine ineffiziente Ressourcenbindung bei gleichzeitig erhöhter Gefährdung der Versorgungssicherheit, wenn parallele Strukturen ohne nachgewiesenen Zusatznutzen etabliert werden.
3. Maßnahmen zur Ausweitung der Testung durch Apotheker
Artikel 5 Nr. 2 (Änderung des Heilmittelwerbegesetzes)
§ 12 Absatz 2 HWG: Werbung für In-vitro-Diagnostika
Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) beschränkt die werbliche Tätigkeit im Bereich von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie anderer Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich diese auf Werbeaussagen beziehen, die auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beim Menschen, auf Schwangerschaftsabbrüche oder auf operative, plastisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit abzielen.
Außerhalb von Fachkreisen darf nur im eng umgrenzten Rahmen Werbung erfolgen. Das Werbeverbot für die Durchführung von Testungen soll nunmehr für Apotheker und Apothekerinnen aufgehoben werden.
Bewertung:
Zur grundsätzlichen Fragestellung der Durchführung von Testungen durch Apothekerinnen und Apotheker verweisen wir auf die Ausführungen zu Artikel 7 Nr. 6 (Änderung des Infektionsschutzgesetzes), § 24 IfSG: Feststellung und Heilbehandlung übertragbarer Krankheiten.
Die medizinische Versorgung von Patienten basiert auf dem Vertrauensverhältnis zum Arzt, aber auch zum Apotheker. Ausgangspunkt der Durchführung eines Tests müssen anlassbezogene Umstände sein. Damit wird gleichzeitig eine ressourcenschonende Verwendung der Testkapazitäten gewährleistet. Außerdem kann sichergestellt werden, dass die individuellen Bedürfnisse des Patienten adäquat berücksichtigt werden. Deshalb ist die grundsätzliche Wertungsentscheidung des Heilmittelwerbegesetzes beizubehalten und nur in eng abgegrenzten Ausnahmen die Werbung zuzulassen.
Der BDI lehnt daher eine Ausweitung der Werbebefugnisse für Apotheker und Apothekerinnen zum Schutz der Patienten und Patientinnen ab.
Artikel 7 Nr. 6 (Änderung des Infektionsschutzgesetzes)
§ 24 IfSG: Feststellung und Heilbehandlung übertragbarer Krankheiten
Neu hinzukommen Ausnahmen, wonach Apothekerinnen und Apotheker, pharmazeutisches Personal sowie Pflegefachpersonen in Einrichtungen berechtigt sind, in ihren Apotheken oder Pflegeeinrichtungen Testungen auf bestimmte patientennahe In-vitro-Diagnostika (IVD) auf Adenoviren, Influenzaviren, das Norovirus, respiratorische Synzytialviren und das Rotavirus durchzuführen. Weiter können Personen unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation die Anwendung von In-vitro-Diagnostika, die für patientennahe Schnelltests bei Testung auf HIV, das Hepatitis-C-Virus, das SARS-CoV-2 und Treponema pallidum gestattet werden. Die Feststellung und Heilbehandlung müssen der Ärzteschaft vorbehalten bleiben.
Das BMG wird ermächtigt, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern, wie im Falle einer neuen Epidemie oder Pandemie, erforderlich ist, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass Personen unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation die Anwendung von In-vitro-Diagnostika gestattet. Die Regelung soll eine „niedrigschwellige Früherkennung“ ermöglichen, z. B. in Pflegeeinrichtungen und Apotheken, um Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen. Durch die Testung in der Apotheke sollen Personen Kenntnis über die jeweilige Erkrankung oder den jeweiligen Krankheitserreger erhalten, sodass eine gegebenenfalls notwendige ärztliche Behandlung schneller beginnen kann.
Bewertung:
Die medizinische Versorgung von Patienten basiert auf dem Vertrauensverhältnis sowohl zum Arzt als auch zum Apotheker. Ausgangspunkt der Durchführung eines Tests müssen anlassbezogene Umstände sein. Damit wird gleichzeitig eine ressourcenschonende Verwendung der Testkapazitäten gewährleistet. Außerdem kann sichergestellt werden, dass die individuellen Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt werden.
Komplexe medizinische Tests erfordern eine präzise Handhabung und Interpretation. Ärztinnen und Ärzte haben eine umfangreiche medizinische Ausbildung und klinische Erfahrung, die sicherstellt, dass komplexe Tests korrekt durchgeführt werden. Fehler bei der Testabnahme oder -interpretation haben schwerwiegende Folgen, einschließlich falscher Diagnosen und Behandlungen. Insbesondere die Testung auf das HI-Virus oder das Hepatitis-C-Virus durch nicht qualifiziertes Personal ist aus internistischer Sicht nicht sinnvoll, da sie das Risiko einer Vielzahl falsch-positiver und nicht aussagekräftiger Befunde birgt, mit dem Ergebnis großer Verunsicherung auf Patientenseite. Damit geht ein erheblicher diagnostischer Nachbearbeitungsaufwand mit steigenden Kosten für das Gesundheitssystem und Belastung wertvoller fachärztlicher Ressourcen einher. Wichtig ist bei der Durchführung der Tests, den gesamten Gesundheitszustand eines Patienten oder einer Patientin im Blick zu haben und umgehend die notwendigen medizinischen Maßnahmen zu ergreifen.
Der BDI lehnt daher eine Ausweitung der Testbefugnisse für Apothekerinnen und Apotheker, pharmazeutisches Personal sowie Pflegefachpersonen auf bestimmte In-vitro-Diagnostika ab. Medizinische Testungen müssen weiterhin an eine ärztliche Indikation und Befundbewertung gebunden bleiben, um die unmittelbare Versorgung der Patientinnen und Patienten durch Ärztinnen und Ärzte sicherzustellen. Die vorgesehene umfassende Testbefugnis für nicht qualifiziertes Personal lehnt der BDI ebenfalls ausdrücklich ab. Ebenso spricht sich der BDI für die Beibehaltung des bisherigen Werbeverbots aus, um medizinische Testungen weiterhin klar an einen medizinisch relevanten Anlass zu koppeln.
Die grundsätzliche Zielsetzung des BMG, Strukturen für den Pandemiefall vorzuhalten, wird positiv anerkannt. Dementsprechend ist es folgerichtig, die Testung auf SARS-CoV-2 auch geschultem Personal in den Apotheken sowie in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen.
4. Maßnahmen zur Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente
Artikel 6 Nr. 2 (Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG)
§§ 48a und 48b AMG neu: Anschlussversorgung bei chronischen Erkrankungen und Abgabe bei unkomplizierten akuten Erkrankungen
Mit den neu eingeführten §§ 48a und 48b Arzneimittelgesetz (AMG) erweitert der Referentenentwurf die Abgabebefugnisse von Apothekerinnen und Apothekern für verschreibungspflichtige Arzneimittel.
§ 48a AMG erlaubt in Fällen chronischer Erkrankungen die einmalige Abgabe eines ärztlich verordneten Arzneimittels in der kleinsten Packungsgröße, wenn innerhalb der letzten vier Quartale die entsprechende ärztliche Verordnung vorlag und die Fortsetzung der Behandlung keinen Aufschub duldet. Grundlage der Prüfung ist die elektronische Patientenakte oder ein anderweitiger Nachweis. Arzneimittel mit Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial sowie Off-Label-Anwendungen sind hiervon ausgenommen.
§ 48b AMG ermöglicht darüber hinaus die Abgabe bestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung bei definierten, unkomplizierten akuten Erkrankungen. Welche Erkrankungen und Arzneimittel hiervon erfasst sind, soll das Bundesministerium für Gesundheit per Rechtsverordnung festlegen können. Damit erhalten Apotheken erstmals eine eigenständige Kompetenz zur Behandlung standardisierter Krankheitsbilder. Ziel der Regelung ist laut Begründung eine „bessere Versorgung bei Wiederholungs- und Bagatellerkrankungen“ sowie die „Entlastung ärztlicher Praxen“.
Bewertung:
Die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich unkomplizierten Erkrankungen“ – lehnt der BDI ab. Das bewährte Vier-Augen-Prinzip – Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüfen und geben Arzneimittel ab – ist ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung. Wird dieses Prinzip aufgeweicht, drohen fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit.
Eine Apothekerin oder ein Apotheker kann durch eine Blickdiagnose trotz der geplanten Handlungsempfehlungen für beschriebene Erkrankungen inklusive deren Ausprägung in der beabsichtigten Rechtsverordnung nicht zuverlässig erkennen, ob eine vermeintlich unkomplizierte Erkrankung nicht doch einen komplizierten Verlauf nimmt oder sich eine andere ernsthafte Erkrankung akut entwickelt. Apothekerinnen und Apotheker verfügen nicht über die notwendige fachliche Qualifikation, eine solche Einschätzung vorzunehmen. Für dringende Fälle stehen mit der vertragsärztlichen Versorgung und dem ärztlichen Bereitschafts- und Notfalldienst bereits hinreichende Versorgungsangebote zur Verfügung, die gestärkt werden sollten. Im Falle dringlichst benötigter Medikation ist die Versorgung bereits heute über Vertretungspraxen oder den ärztlichen Notdienst gesichert ist. Das neu geschaffene niedrigschwellige Apothekenangebot führt damit lediglich zu Doppelstrukturen, ohne dass ein nennenswerter Effizienzgewinn oder eine Entlastung der ärztlichen Versorgung zu erwarten ist.
Die im Entwurf vorgesehene Ermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit, durch Rechtsverordnung Vorgaben zu bestimmten Erkrankungen, Arzneimitteln, Stoffen, Potenzierungen, Handlungsanweisungen, Beratungs- und Dokumentationspflichten sowie zur Datenspeicherung in der elektronischen Patientenakte (ePA) festzulegen, ist entschieden abzulehnen. Diese Aufgabe sollte der Verordnungsgeber in die Zuständigkeit des G-BA legen, der die notwendige medizinische, pharmazeutische und wissenschaftliche Expertise bündelt.
Arztpraxen werden auf diese Weise nicht entlastet. Im Gegenteil: Es entstehen Doppelstrukturen, die mehr Bürokratie als Entlastung schaffen. Gerade chronisch kranke Menschen profitieren von kontinuierlicher ärztlicher Begleitung bei der Arzneimittelverordnung. Nur so lassen sich notwendige Therapieanpassungen vornehmen sowie Komplikationen und riskante Wechselwirkungen frühzeitig erkennen, was die Patientensicherheit gewährleistet.
5. Maßnahmen zur Ausweitung der Impfung durch Apotheker
Artikel 7 Nr. 5 Buchst. b) (Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG))
§ 20 Absatz 1a SGB V IfSG: Ausweitung der Impfung in Apotheken allgemein auf Schutzimpfungen
Seit Juni 2022 ist es Apothekerinnen und Apothekern erstmalig gestattet, Grippeschutzimpfungen sowie Schutzimpfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 durchzuführen. Diese Sonderregel soll nunmehr auf alle Schutzimpfungen gemäß § 20c Absatz 1 Infektionsschutzgesetz erweitert werden. Apothekerinnen und Apotheker werden dauerhaft zur Durchführung von weiteren Schutzimpfungen mit Impfstoffen, die keine Lebendimpfstoffe sind, berechtigt, soweit sie zur Durchführung der Schutzimpfungen erfolgreich ärztlich geschult sind und sie diese Schutzimpfungen für eine öffentliche Apotheke durchführen, zu deren Personal sie gehören. Die Berechtigung betrifft die Durchführung von Schutzimpfungen bei Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Die vorher bestehende Altersgrenze für Schutzimpfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Vollendung des zwölften Lebensjahres) wird entsprechend angepasst, da gemäß aktueller COVID-19-Impfempfehlung eine Standardimpfung für Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht mehr vorgesehen ist. Die Impfberechtigung umfasst jedoch nicht die Verimpfung von Lebendimpfstoffen, also solchen Impfstoffen, die eine vermehrungsfähige abgeschwächte Form des Krankheitserregers enthalten. Die Verwendung von Lebendimpfstoffen ist grundsätzlich weiterhin den Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Die Regelung beinhaltet allerdings Totimpfstoffe sowie genbasierte Impfstoffe, zu denen mRNA-, DNA- und Vektorimpfstoffe gehören.
Bewertung:
Ärztinnen und Ärzte haben eine umfassende medizinische Ausbildung, die es ihnen ermöglicht, sowohl die Indikation als auch mögliche Kontraindikationen und Nebenwirkungen von Impfungen zu bewerten. Sie sind dazu qualifiziert, komplexe medizinische Situationen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Impfungen sind mehr als nur die Gabe eines Impfstoffes; sie erfordern eine gründliche Anamnese und eine klinische Beurteilung des Gesundheitszustands des Patienten oder der Patientin.
Jede Impfung ist eine invasive ärztliche Tätigkeit und ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Ärzte und Ärztinnen sind darin geschult, diese umfassenden Bewertungen vorzunehmen und dabei individuelle Risikofaktoren zu berücksichtigen. Die Ausweitung von Impfungen in Apotheken unterbricht die Kontinuität der Patientenversorgung. Patienten und Patientinnen, die ihre Impfungen in Apotheken erhalten, nehmen seltener regelmäßige Arztbesuche wahr, bei denen andere wichtige gesundheitliche Überprüfungen und Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden. Zudem ist eine korrekte Überwachung und Nachverfolgung von Impfungen essenziell, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe zu gewährleisten.
Im Rahmen des Impfschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 hat das besondere Interesse an einer schnellstmöglichen Impfung der Bevölkerung aufgrund einer pandemischen Situation zu Gunsten einer Impfung in der Apotheke überwogen. Diese Abwägung muss nunmehr wieder zugunsten der medizinischen Gesamtversorgung durch Ärzte und Ärztinnen verändert werden. Der BDI hält daher eine weitere Ausweitung des Impfangebots in Apotheken unter den Gesichtspunkten des individuellen Gesundheitsschutzes für nicht geboten.
Zweite Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung
1. Maßnahmen zur Definition der Anforderungen und Anwendung von Telepharmazie
Artikel 1 Nr. 1 (Änderung der Apothekenbetriebsordnung)
§ 1a Abs. 20 neu: Definition von Telepharmazie
Telepharmazie ist die pharmazeutische Beratung insbesondere zu Arzneimitteln und Medizinprodukten von Patienten und anderen Kunden mittels einer synchronen Echtzeit-Videoverbindung durch pharmazeutisches Personal der Apotheke oder, wenn die Apotheke einem Filialverbund angehört, durch pharmazeutisches Personal einer Apotheke dieses Filialverbundes.
Bewertung:
Der BDI begrüßt grundsätzlich den Ansatz, die pharmazeutische Beratung durch digitale Formate zu ergänzen und damit die Erreichbarkeit von Apotheken zu verbessern. Die im Verordnungsentwurf vorgesehene Definition der Telepharmazie greift jedoch zu weit. Die Beratung zu Arzneimitteln und Medizinprodukten ist ein verantwortungsvoller Bestandteil der Arzneimitteltherapiesicherheit und erfordert – analog zur ärztlichen Beratung über Medikation und Therapie – die umfassende fachliche Beurteilungskompetenz einer approbierten Apothekerin oder eines approbierten Apothekers.
Der BDI spricht sich daher dafür aus, dass telepharmazeutische Beratungen, die sich unmittelbar auf die medikamentöse Versorgung und Anwendung beziehen, ausschließlich durch approbierte Apothekerinnen und Apotheker erfolgen dürfen. Eine Delegation dieser Aufgaben an weiteres pharmazeutisches Personal ist abzulehnen, da sie die Qualität, Nachvollziehbarkeit und Verantwortlichkeit der Beratung beeinträchtigen kann.
2. Maßnahmen zur Änderung der Arzneimittelpreisverordnung
Artikel 2 Nr. 2 Buchst. b) (Änderung der Arzneimittelpreisverordnung)
§ 1a Abs. 1 neu: Austauschzuschlag für Apotheken
Die Verordnungsänderung sieht vor, dass Apotheken bei einem Austausch eines ärztlich verordneten Arzneimittels – etwa im Rahmen von Lieferengpässen oder Rabattverträgen nach § 129 Absätze 2a und 2b SGB V – künftig einen Zuschlag in Höhe von 50 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer pro ausgetauschtem Arzneimittel erhalten sollen.
Bewertung:
Der BDI erkennt an, dass der Austausch von Arzneimitteln bei Nichtverfügbarkeit gemäß § 129 Abs. 2a SGB V ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Arzneimittelversorgung ist. Gleichwohl bedarf die mit der Änderungsverordnung vorgesehene Honorierung dieses Austauschs einer kritischen Bewertung.
Aus ärztlicher Sicht ist zwingend sicherzustellen, dass die Verantwortung für einen durch die Apotheke vorgenommenen Austausch eindeutig geregelt ist. Ein Haftungsausschluss für die verordnenden Ärztinnen und Ärzte ist hierbei ebenso erforderlich wie eine Haftungsübernahme durch das austauschende pharmazeutische Personal. Nur so kann gewährleistet werden, dass ärztliche Verordnungen nicht ohne klare Verantwortungszuordnung modifiziert werden.
Die vorgesehene finanzielle Vergütung des Austauschs ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar. Sie setzt Fehlanreize und vermittelt den Eindruck, dass wirtschaftliche Erwägungen über die ärztliche Therapieentscheidung gestellt werden.
