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Versorgungssicherheit

Demografischer Wandel und Fachkräftemangel verändern die Gesundheitsversorgung grundlegend. Ohne einen politischen Kurswechsel drohen nicht nur Versorgungsengpässe, sondern auch ein Vertrauensverlust. Versorgungssicherheit gelingt, wenn Evidenz zählt, ambulante und stationäre Kapazitäten regional vernetzt geplant werden und Patientinnen und Patienten zielgerichtet gesteuert werden. Dafür sind klare Prioritäten, transparente Kommunikation und kurzfristig mutige Entscheidungen mit langfristigem Horizont erforderlich.

Internistische Versorgung sichern

Mit der Alterung der Bevölkerung und steigender Lebenserwartung nehmen die Krankheitslast sowie der Versorgungs- und Pflegebedarf zu, während die Zahl der Erwerbstätigen – auch im Gesundheits- und Pflegewesen – sinkt. Kurz: Die doppelte demografische Herausforderung gefährdet die flächendeckende medizinische Versorgung in Deutschland.

Das Problem ist seit Jahren bekannt, aber die Gesundheits- und Sozialsysteme sind darauf weder strukturell, personell noch finanziell ausreichend vorbereitet. Die Folgen zeigen sich bereits: Versorgungsengpässe, längere Wartezeiten und eine wachsende Unzufriedenheit – bei den Patientinnen und Patienten ebenso wie bei den Beschäftigten. Ein „Weiter so“ überfordert Strukturen und Menschen gleichermaßen.

Ohne einen Kurswechsel droht ein unkontrollierter Zusammenbruch der Versorgung. Das wäre das schlimmste Szenario für ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen. Um dies zu verhindern, braucht es Mut, unbequeme Tatsachen offen zu benennen sowie eine breite, ehrliche gesellschaftliche Debatte über den verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Ressourcen. Daraus müssen Strukturreformen folgen, die über Legislaturperioden hinausreichen und den Kollaps vorausschauend verhindern: durch klare Prioritäten, wirksame Steuerung, verlässliche Rahmenbedingungen und eine leistungs- und bedarfsorientierte Finanzierung.

Aus internistischer Perspektive ist die Relevanz offensichtlich: Je nach Abgrenzung entfallen rund drei Viertel der in Deutschland als Volkskrankheiten gefassten Krankheitsbilder auf internistische Fachgebiete – insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, chronische Atemwegs­erkrankungen sowie Krebs. Die Innere Medizin übernimmt damit eine tragende Rolle in der Versorgung einer alternden Gesellschaft: von der kontinuierlichen Betreuung chronisch Erkrankter bis zur koordinierten Behandlung multimorbider Patientinnen und Patienten – ambulant, stationär und sektorenübergreifend. Dabei steht der BDI für einen vorausdenkenden Ansatz und vertritt den Anspruch, Versorgungspraxis mit Versorgungsforschung zu verbinden, um Lösungen vorzulegen, die umsetzbar, wirksam und finanzierbar sind.

Unsere Forderungen im Detail

Die Einführung eines Primärarztsystems ist keine dogmatische Systemfrage, sondern eine gemeinsame Aufgabe. Für eine zukunftsfähige, patientenzentrierte Steuerung in der Regelversorgung sind aus Sicht des BDI sechs Prinzipien zu berücksichtigen:

1. Analyse

Versorgungsforschung findet in Deutschland derzeit überwiegend bei den wissenschaftlichen Instituten der Krankenkassen, am Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) und an einzelnen Lehrstühlen für Allgemeinmedizin statt. In der Inneren Medizin – wie in anderen Fächern – ist sie strukturell unterrepräsentiert; Professuren, Forschungsverbünde und praxisnahe Netzwerke sind die Ausnahme.

Versorgungsforschung liefert die Evidenz, um Probleme zu erkennen, Nutzen und Aufwand abzuwägen und daraus tragfähige, praxistaugliche Empfehlungen für Politik und Selbstverwaltung abzuleiten. Die breite internistische Perspektive ist hierfür besonders wertvoll, weil sie die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer sowie zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung adressiert und sektorenübergreifende Lösungen messbar macht. Der BDI versteht sich dabei als Impulsgeber und Praxispartner.

Der BDI fordert, die internistische Versorgungsforschung an den medizinischen Fakultäten zu stärken.

2. Planung

Versorgungssicherheit gelingt nur, wenn ambulante und stationäre Kapazitäten gemeinsam geplant und gesteuert werden. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ gewinnt mit der Konsolidierung der Krankenhausstrukturen weiter an Bedeutung. Es ist nicht nur der Garant für eine hochwertige, wohnortnahe Patientenversorgung, sondern verringert auch Kosten durch weniger Krankenhauseinweisungen.

Eine wirksame Planung muss dezentral erfolgen. Dezentral heißt, nicht an Landesgrenzen zu enden, sondern sich an regionalen Gegebenheiten und Bedarfen zu orientieren – entlang realer Versorgungsräume und Patientenströme, nicht entlang administrativer Grenzen. Das erfordert flexible Planungs- und Finanzierungsinstrumente für die Selbstverwaltung anstatt zentraler politischer Detailvorgaben. Nur so werden Ressourcen dorthin gelenkt, wo sie gebraucht werden, und Doppelstrukturen abgebaut.

Der BDI fordert die Bundes- und Landespolitik auf, die Rahmenbedingungen für eine ambulant-stationär vernetzte und regionale Ressourcenplanung voranzutreiben.

3. Patientensteuerung

Eine leistungsfähige und exzellente Gesundheitsversorgung setzt ein hohes Maß an Spezialisierung voraus. Daraus resultiert eine Komplexität, die eine gezielte und bedarfsgerechte Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten enorm erschwert. Im bestehenden System werden die verfügbaren Ressourcen nicht optimal genutzt – mit sichtbaren Folgen: überfüllte Notaufnahmen, überlastetes Personal, längere Wartezeiten und weniger Zeit für ärztliche Zuwendung.

Um begrenzte Ressourcen und die zunehmende Komplexität des Systems sinnvoll zu managen, ist die wirksame Steuerung von Patienten notwendig. Diese muss medizinische Dringlichkeit mit Inanspruchnahmeverhalten und Erwartungshaltungen zusammenführen. Steuerungsinstrumente müssen sowohl in der Akut- und Notfallversorgung als auch in der Regelversorgung konsequent greifen.

Der BDI fordert den Gesetzgeber auf, Instrumente der Patientensteuerung sowohl in der Akut- und Notfallversorgung als auch in der Regelversorgung einzuführen.

4. Ehrlichkeit

Die demografische Entwicklung und innovationsgetriebene Kostensteigerungen – auch in der Inneren Medizin – werden die bislang gewohnte Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens übersteigen. Diese Realität ist schmerzhaft und droht die Lebensrealität vieler Bürgerinnen und Bürger ohne eine ehrliche Neujustierung von Erwartungen und Leistungszusagen zu erschüttern. Dafür braucht es Mut, unbequeme Tatsachen offen zu benennen, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen über Legislaturperioden hinaus zu treffen, die im langfristigen Interesse der Gesellschaft liegen.

Unerfüllbare Leistungsversprechen wurden bislang häufig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen – sie zu Verwalterinnen und Verwaltern des Mangels zu machen, ist jedoch weder fair noch nachhaltig. Vielmehr führt diese Strategie zwangsläufig zu einem unkontrollierten und unsystematischen Systemversagen und untergräbt das Vertrauen in die Politik.

In der Diskussion, wie unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest gemacht werden können, ist es unerlässlich, dass alle Akteure im Gesundheitswesen Leistungsangebote entwickeln, die sich an den tatsächlich verfügbaren Ressourcen orientieren. Nur so lassen sich unerfüllbare Erwartungen vermeiden und die langfristige Versorgungssicherheit gewährleisten.

Der BDI fordert alle Akteure auf, realistische und qualitätsgesicherte Leistungsversprechen abzugeben.