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Selektivverträge

Selektivverträge bieten die Möglichkeit, außerhalb des Kollektivvertrages neue und verbesserte Konzepte zur Patientenversorgung zu erproben, um sie im Erfolgsfall in die Regelversorgung zu überführen. Damit sind sie ein wichtiger Motor für Innovation in der gesetzlichen Krankenversicherung. Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg von Selektivverträgen sind jedoch einheitliche gesetzliche Rahmenbedingungen und eine bessere Finanzierung.

Selektivverträge als Innovationsmotor

Der Selektivvertrag ist in der ambulanten Versorgung das Gegenstück zum Kollektivvertrag. Der Kollektivvertrag wird zwischen einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den Krankenkassen oder deren Verbänden abgeschlossen. Er ist für die Ärztinnen und Ärzte und Krankenkassen verbindlich. Selektivverträge hingegen bieten Leistungserbringern – und somit auch Berufsverbänden wie dem BDI – die Möglichkeit, individuell mit Krankenkassen zu verhandeln und spezielle regionale oder krankheitsspezifische Versorgungsprobleme zu lösen. Die Teilnahme an Selektivverträgen ist sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für Patientinnen und Patienten freiwillig. Um an einem Selektivvertrag teilzunehmen, muss sich der Arzt zunächst dafür anmelden und dann seine Patienten darin einschreiben.

Selektivverträge lassen sich vereinfacht in drei Formen unterscheiden:

  1. Modellvorhaben nach §§ 63 ff. SGB V, um Verbesserungen für den Kollektivvertrag zu testen und im Erfolgsfall in die Regelversorgung einzuführen.
  2. Ergänzungen zum Kollektivvertrag mit zusätzlichen Leistungen. Hierzu zählen insbesondere die besonderen Versorgungsverträge nach § 140a SGB V.
  3. Als Ersatz für den Kollektivvertrag oder Teile davon. In diesem Fall wird die Gesamtvergütung der Vertragsärztinnen und -ärzte um diesen Betrag bereinigt.

Vom Grundsatz her zählen auch Disease-Management-Programme (DMP) und Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) zu den Selektivverträgen. Sie nehmen angesichts der weitreichenden gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen, solche Verträge abzuschließen, jedoch eine Sonderstellung ein und sind gewissermaßen ein kollektives Instrument. Im Gegensatz zur HzV besteht für fachärztliche Selektivverträge keine vergleichbare rechtliche Verpflichtung für die Krankenkassen. Das ist ein Grund, warum vielen Krankenkassen der Anreiz fehlt, innovative Versorgungskonzepte über Selektivverträge zu erproben.

Das Ziel jedes Selektivvertrages ist es, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern. Außerhalb des Kollektivvertrages ermöglichen Selektivverträge eine größere Flexibilität und Regionalität in der Versorgung. Studien belegen nicht nur positive Versorgungseffekte bezüglich der Mortalität und Hospitalisierungsrate von Patienten, sondern auch eine deutlich höhere Arzt- und Patientenzufriedenheit. Damit sind Selektivverträge ein wichtiger Innovationsmotor in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Selektivverträge sind in der Regel zeitlich begrenzt. Sie können nach dem erfolgreichen Test und der entsprechenden Evaluation entweder auf andere Regionen ausgeweitet oder in die Regelversorgung (Kollektivvertrag) überführt werden. Voraussetzung für die Ausweitung oder die flächendeckende Einführung sind jedoch bundeseinheitliche Rahmenbedingungen. Nur so kann das Innovationspotential dieser Versorgungskonzepte erhalten bleiben.

Neben der Verbesserung der Versorgung bieten Selektivverträge für Vertragsärztinnen und -ärzte auch entscheidende finanzielle Vorteile. So lassen sich zusätzlich zu den Honoraren aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) Einnahmen erzielen. Insofern stellen Selektivverträge in einem budgetierten System eine attraktive alternative Einnahmequelle dar. Besonders mit Blick auf die schmerzhafte Abwertung vieler internistischer Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) im Jahr 2020 oder die zuletzt geplante Rückabwicklung der Neupatienten-Regelung aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wird die Bedeutung von Selektivverträgen weiter zunehmen.

Damit Selektivverträge ihr Potenzial entfalten können, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen jedoch verbessert und die Finanzierung auf eine solide Basis gestellt werden.

Unsere Forderungen im Detail

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, den gesetzlichen Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern auszuweiten, um innovative Versorgungsformen zu stärken. Der BDI fordert folgende Änderungen, um Selektivverträge nachhaltig zu fördern.

1. Innovationsbudget

Innovationen und bessere Versorgungskonzepte finden insbesondere durch Selektivverträge schneller Einzug in die Versorgung. Sie haben das Potential, verkrustete Strukturen der Regelversorgung aufzubrechen. Bürokratische Hemmnisse und Widerstände der Krankenkassen stehen dieser Versorgungsform aber immer noch im Weg. Die Krankenkassen müssen daher verpflichtet werden, zukünftig einen Teil ihres ambulanten Versorgungsbudgets in einen gemeinsamen Pool für fachärztliche Selektivverträge einzuzahlen (Innovationsbudget).

Der BDI fordert, die Krankenkassen gesetzlich zu verpflichten, mindestens fünf Prozent ihres ambulanten Versorgungsbudgets für fachärztliche Selektivverträge bereitzustellen.

2. Regionalität

Regionale Besonderheiten rufen nach regionalen Lösungen. Daher begrüßt der BDI das Vorhaben der Bundesregierung, so genannte „Gesundheitsregionen“ einzuführen. Der Kollektivvertrag bietet hierzu aber nicht die notwendige Flexibilität und Innovationskraft. Mit Selektivverträgen gemäß § 140a SGB V hingegen würde sich dieses Vorhaben schnell und effektiv umsetzen lassen.

Der BDI fordert, das Konzept der „Gesundheitsregionen“ in Form von Selektivverträgen abzubilden.

3. Evaluation

Eine große Anzahl von Selektivverträgen belegen eindeutig positive Versorgungseffekte. Um das Potential für die Regelversorgung noch besser zu erfassen, ist eine regelhafte Evaluation notwendig. Bei einem positiven Nutzennachweis kann die Übernahme in den Kollektivvertrag erfolgen. Fehlt ein positiver Nachweis, wird der Vertrag beendet.

Der BDI fordert die verpflichtende Evaluation von Selektivverträgen.

4. Einheitlichkeit

Selektivverträge müssen entweder durch die Aufsichtsbehörden der Länder oder das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) genehmigt werden. Für regionale Krankenkassen, wie z.B. die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), sind die Aufsichtsbehörden der Länder zuständig; für bundesweit agierende Kassen das BAS. Insbesondere aufgrund fehlender Regionalkenntnisse und umständlicher Verwaltungsprozesse steht das BAS vielen Selektivverträgen im Weg. Deshalb müssen Regelungen etabliert werden, dass bereits regional genehmigte Verträge bundesweit anerkannt werden (Anerkennungsklauseln).

Der BDI fordert, die Einflussnahme des Bundesamtes für Soziale Sicherung einzuschränken.

5. Bereinigung

Soweit Selektivverträge Leistungen im Kollektivvertrag ersetzen, werden diese aus der MGV herausgerechnet und damit bereinigt. Die Übernahme in den Kollektivvertrag ist jedoch nur sinnvoll, wenn sie unter gleichen finanziellen, d.h. extrabudgetären, und strukturellen Bedingungen stattfindet. Viele Kassenärztlichen Vereinigungen stehen Selektivverträgen kritisch gegenüber und können diese durch potenziell unvorteilhafte Bereinigungsvorgaben behindern. Das erschwert die flächendeckende Einführung von Selektivverträgen.

Der BDI fordert einheitliche und sinnvolle Bereinigungsvorgaben bei der Überführung selektivvertraglicher Leistungen in den Kollektivvertrag.