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Notfallversorgung

Patientinnen und Patienten mit Bagatellerkrankungen überfüllen die Notaufnahmen, der Rettungswagen wird bei Kleinigkeiten gerufen, fast jeder sieht sich als dringenden Notfall. Die falsche Inanspruchnahme bringt das System – vor allem Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal – ans Limit. Für eine bedarfsgerechte und ressourcenschonende Notfallversorgung führt an einer tiefgreifenden Reform kein Weg vorbei.

Patientenströme intelligent steuern

Die bestmögliche Versorgung von Menschen in medizinischen Notfällen gehört zu den zentralen Aufgaben unseres Gesundheitswesens. Wenn unmittelbare Gefahr für die Gesundheit oder sogar das Leben besteht, erwarten Bürgerinnen und Bürger ein reibungslos funktionierendes System der Notfallversorgung. Was im Einzelnen einen Notfall definiert, entscheidet in der Regel zunächst die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen. Dass diese mit der objektiven Erkrankungsschwere und Dringlichkeit nicht immer identisch ist, zeigt die unkoordinierte und übermäßige Inanspruchnahme der Notaufnahmen und ärztlichen Bereitschaftsdienste. Diese Entwicklung bringt die Einrichtungen der Notfallversorgung und damit das medizinische Personal zunehmend an die Belastungsgrenze.

An einer Reform der Notfallversorgung führt daher kein Weg vorbei. Für eine ressourcenschonende und bedarfsgerechte Inanspruchnahme müssen Patientinnen und Patienten passgenau in die richtige Versorgungsstruktur geleitet werden. Deutschland verfügt zwar über umfassend ausgebaute ambulante und stationäre Einrichtungen. Diese agieren bislang jedoch weitestgehend getrennt voneinander. Eine engere Verzahnung und Vernetzung der einzelnen Bereiche gibt den Patienten nicht nur eine bessere Orientierung und reduziert Wartezeiten, sondern führt auch zu einem effizienteren Einsatz finanzieller und personeller Ressourcen mit der Folge, dass die Gesamtqualität der Versorgung gesteigert wird.

In gesundheitspolitischen Debatten ist die Reform deshalb zurecht ein Dauerthema. Auch die amtierende Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag 2021 eine Neuordnung der Notfallversorgung angekündigt und kann dabei auf einen Vorstoß aus der vergangenen Legislaturperiode zurückgreifen, der coronabedingt nicht weiter beraten wurde. Der Gesetzentwurf fußt auf einem Gutachten des Sachverständigenrates Gesundheit aus dem Jahr 2018 und zielt im Wesentlichen darauf ab, die Strukturen der Notfallversorgung digital zu vernetzen und zu zentralisieren. Dabei sollen die telefonischen Leitstellen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und des Rettungsdienstes zu einer gemeinsam Notfallleitstelle inklusive standardisiertem Ersteinschätzungssystem zusammengefasst werden. In den Fällen, wo eine Zuweisung in die richtige Versorgungsebene (ambulant oder stationär) nicht eindeutig möglich ist, werden Patientinnen und Patienten zur weiteren Abklärung an ein so genanntes integriertes Notfallzentrum (INZ) verwiesen, bzw. dorthin transportiert. Dort erfolgt an einem „gemeinsamen Tresen“ von KV und Krankenhaus erneut eine Triage – ein Konzept, das der BDI bereits 2017 vorgestellt hat.

INZ sollen nach den Vorstellungen der Politik an allen Krankenhäusern eingerichtet werden, die eine stationäre Notfallstufe haben. Bundesweit nehmen von den rund 1.700 Akutkrankenhäusern 1.200 am System der gestuften stationären Notfallversorgung teil (s. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses [G-BA]). Das ist unter Berücksichtigung einer bestmöglichen Qualität und knapper Ressourcen eine sehr große Zahl. Gemessen an internationalen Standards ist an dieser Stelle eine Verschlankung und Neustrukturierung sinnvoll.

Aktuell gibt es bereits an jedem zweiten Krankenhaus mit Notfallstufe funktionierende Kooperationen, wo ärztliche Notfall- und Portalpraxen der KVen mit den Kliniken gemeinsam die Notfallversorgung sicherstellen. Studien gehen davon aus, dass 30 bis 50 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen, auch ambulant versorgt werden könnten. Eine Reform der Notfallversorgung sollte deshalb darauf abzielen, die ambulanten Strukturen zu stärken und Menschen, die keine stationäre Behandlung benötigen, frühzeitig und bedarfsgerecht in das ambulante System zu lenken. Nur so können die Kliniken nachhaltig entlastet werden.

Unsere Forderungen im Detail

In Anbetracht knapper finanzieller, ärztlicher und pflegerischer Ressourcen müssen die Prozesse und Strukturen der Notfallversorgung in Deutschland reformiert werden. Der BDI fordert folgende Änderungen, um Patientenströme intelligent zu steuern:

1. Integration

Eine Reform der Notfallversorgung erfordert umfangreiche Investitionen in die ambulante und stationäre Infrastruktur. Insbesondere mit Blick auf bereits bestehende Kooperationen und eine dringend notwendige Strukturreform der Kliniklandschaft, ist es nicht zielführend, INZ an jeder Klinik einzurichten. Stattdessen sollten existierende und bewährte Strukturen aus Kliniken mit Portalpraxen und fahrendem KV-Dienst erhalten bleiben und in ein zukunftsfähiges INZ-Konzept integriert werden.

Der BDI fordert Bund und Länder auf, bewährte Strukturen der Notfallversorgung in die Reform zu integrieren.

2. Qualität

Krankenhäuser der Stufe I nach G-BA-Richtlinien für die Notfallversorgung können einen Großteil der lebensbedrohlichen Notfälle, wie z.B. den akuten Herzinfarkt oder Schlaganfall, nicht adäquat behandeln. Unter qualitativen Gesichtspunkten sollten INZ deshalb ausschließlich an Kliniken mit Notfallstufe II und III eingerichtet werden. Zudem müssen die strukturellen und personellen Anforderungen für INZ eindeutig und verbindlich definiert werden.

Der BDI fordert eindeutige und verbindliche Qualitäts- und Strukturvorgaben für integrierte Notfallzentren.

3. Steuerung

Patientinnen und Patienten, die ohne ärztliche Einweisung oder den Rettungsdienst selbständig als Notfälle in die Notaufnahmen kommen, müssen niedrigschwellig, intelligent und präzise in die richtige Versorgungsebene geleitet werden. Das beinhaltet nicht nur die Entscheidung darüber, ob ein Notfall stationär oder vertragsärztlich versorgt wird, sondern im Optimalfall auch die spezifische Zuweisung innerhalb eines Sektors. Die existierenden Modelle zur Schaffung einer gemeinsamen Leitstelle der Rufnummern 116117 und 112 sind dafür ein geeignetes Mittel. Damit die gemeinsame Leitstelle ihre Steuerungsfunktion optimal entfalten kann, muss die Ersteinschätzung für alle Patienten verbindlich sein. Auf Basis von einheitlichen, standardisierten und validierten Algorithmen ist auch eine digitale Ersteinschätzung denkbar. Durch ein nachgeschaltetes Vermittlungssystem werden die bestehenden Versorgungsstrukturen passgenau genutzt, was eine fallgerechte Akut- und Notfallversorgung erheblich erleichtert.

Der BDI fordert eine verbindliche telefonische oder digitale Ersteinschätzung.

4. Spezifität

Die Regelversorgung zeigt, dass eine qualitativ hochwertige, effiziente Patientenversorgung fachgruppenspezifisch erfolgt. Dieses Prinzip muss auch für Notfälle gelten. Von Montag bis Freitag (7-19 Uhr) erfolgt die fachgruppenspezifische Zuweisung nach entsprechender Ersteinschätzung an eine Vertragsarztpraxis oder ein geeignetes Krankenhaus. Zu den übrigen Zeiten sowie an Feiertagen gewährleisten KV-geführte Einrichtungen in Kooperation mit den Krankenhäusern die Notfallversorgung. Der KV-Bereitschaftsdienst stellt die Versorgung immobiler Patienten sicher.

Der BDI fordert eine sektorenübergreifende und fachgruppenspezifische Zuweisung von Notfällen.

5. Finanzierung

Die Behandlung von Notfallpatienten ist nicht planbar. Ein Vergütungssystem, das allein auf Fallzahlen basiert, ist daher unzureichend. Deswegen bedarf es einer adäquaten Finanzierung der Vorhaltekosten der Krankenhäuser. Im ambulanten Bereich muss die Vergütung extrabudgetär erfolgen.

Der BDI fordert eine angemessene Finanzierung der Vorhalte- und Versorgungskosten von Notfallpatienten.