Letzte Stellschraube Arztkosten
Es ist mittlerweile breiter politischer Konsens, dass das DRG-Abrechnungssystem im Krankenhaus in den letzten Jahren erhebliche Fehlanreize geschaffen hat. Mit der Umstellung des Entgeltsystems von tagesgleichen Pflegesätzen auf Fallpauschalen (DRG) im Jahr 2004 wollte der Gesetzgeber nicht nur bestehende Fehlentwicklungen korrigieren, sondern auch die Wirtschaftlichkeit der Kliniken erhöhen und damit die Kosten im stationären Bereich senken. Zweifelsohne ist die durchschnittliche Verweildauer von Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern in den letzten 17 Jahren deutlich zurückgegangen. Auch die gewollte Bereinigung der Krankenhauslandschaft ist in vollem Gange. Die Zahl der Krankenhäuser und der verfügbaren Betten nimmt weiter kontinuierlich ab. Grundsätzliche Konstruktionsfehler im DRG-System haben jedoch dazu geführt, dass diese Ziele längst überkompensiert werden – zu Lasten der Patienten und der Beschäftigten in den Klinken.
Die Krankenhausfinanzierung erfolgt in Deutschland nach dem dualen Prinzip. Die Betriebskosten, das heißt alle Kosten, die für die Behandlung von Patienten entstehen, werden von den Krankenkassen mittels DRG finanziert; Investitionskosten hingegen werden von den Bundesländern getragen. Damit entscheiden letztere auch, wo ein Krankenhaus gebaut, erweitert oder geschlossen wird und finanzieren diese Investitionsmaßnahmen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung sind die Bundesländer in den letzten Jahren kaum noch nachgekommen. Zudem scheuen viele Länder eine aktive Krankenhausplanung. In der Konsequenz ist die Krankenhauslandschaft nicht das Ergebnis einer fortlaufenden Bedarfsanalyse, sondern vielmehr eine Fortschreibung bestehender Strukturen. Unter diesen Bedingungen hat sich das Versorgungsangebot maßgeblich am Vergütungssystem und weniger am tatsächlichen Bedarf der Patienten entwickelt. Das führt dazu, dass die ohnehin unzureichenden Investitionsmittel nicht gezielt eingesetzt werden, sondern zum Teil auch in Krankenhäuser fließen, die nicht versorgungsnotwendig sind. Dasselbe gilt auch für das Fachpersonal.
Vor dem Hintergrund von Unterfinanzierung und Fehlallokation steigt der Druck auf die Krankenhäuser, mit „Effizienzgewinnen“ aus dem laufenden Betrieb fehlende Investitionen querzufinanzieren. Die Fallpauschalen sind aber nicht dafür gedacht, Überschüsse zu generieren. Effizienzgewinne lassen sich nur erzielen, indem die Durchschnittskosten für einen Behandlungsfall möglichst weit unter der Vergütung der Fallpauschale liegen. Den Hauptkostenblock bilden dabei die Personalkosten und bieten damit das größte Einsparpotential. Die so eingesparten Kosten wirken sich fatalerweise auf die Fallpauschale des Folgejahres aus, da das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) diese jährlich anhand der entstandenen Ist-Kosten neu kalkuliert. Das hat zu einer systemlogischen Abwärtsspirale geführt, da die Kliniken Jahr für Jahr ihre Kosten senken oder die Leistung steigern müssen, um überlebensfähig zu bleiben.
Das alles führt zu einem unauflösbaren Widerspruch zwischen dem ärztlichen Auftrag und der ökonomischen Wirklichkeit in den Krankenhäusern: Die Anreizsysteme des DRG-Systems sind so nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch unter gesellschaftspolitischen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten von zweifelhaftem Vorteil. Ärztinnen und Ärzte geraten zunehmend unter Druck, ihr Handeln nicht dem Patientenwohl, sondern primär einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung des Krankenhauses unterzuordnen. Darüber hinaus haben die Sparmaßen zu einem Personalmangel und einem Maß an Arbeitsverdichtung geführt, das viele Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und weiteres Personal an den Rand ihrer Belastungsgrenze gebracht hat – zu Lasten ihrer eigenen Gesundheit und der Patientensicherheit.
Jahrelang haben die Kliniken maßgeblich am Pflegepersonal gespart, um Überschüsse zu erwirtschaften, und damit einen regelrechten Pflegenotstand produziert. Um den Klinken diesen Sparanreiz zu nehmen, hat Gesundheitsminister Jens Spahn 2019 die Pflegekosten aus den Fallpauschalen ausgegliedert. Die logische Konsequenz dieser Maßnahme – davor hat der BDI schon im Gesetzgebungsverfahren gewarnt – sind jetzt massive Personaleinsparungen im ärztlichen Dienst. Erst kürzlich hat Fresenius-Chef Stephan Sturm unmissverständlich skizziert, wie Helios nach der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten negative Auswirkungen auf die Profitabilität der Konzerntochter vermeiden will: mit einer „gezielte[n] Verringerung von Arzt-Kapazitäten“. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kostenschraube die Ärzteschaft trifft.
Damit das Finanzierungssystem nicht dazu incentiviert, sich seiner wichtigsten Ressource – der Ärztinnen und Ärzten – zu entledigen, müssen auch die Arztkosten ausgegliedert werden. Darüber hinaus bedarf es einer tiefgreifenden Reform der Krankenhausfinanzierung. Neben einer fallbezogenen Vergütung müssen zukünftig auch die tatsächlichen Vorhaltekosten der Kliniken finanziert werden. Zudem wird kein noch so ausgefeiltes Finanzierungssystem funktionieren, wenn die Länder nicht ihren Planungs- und Investitionsverpflichtungen nachkommen. Das zeigt: Wir brauchen beides – eine Reform unserer Krankenhausstruktur sowie eine Reform des DRG-Systems.
Unsere Forderungen im Detail
Um eine patientenorientierte und zukunftsfähige stationäre Versorgung sicherstellen zu können, müssen aus Sicht des BDI folgende Maßnahmen ergriffen werden:
1. Ausgliederung
Ärztinnen und Ärzte stellen tagtäglich die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in den Kliniken sicher. Ähnlich wie in der Pflege, hat auch im ärztlichen Dienst die Arbeitsverdichtung durch die Auswirkungen des DRG-Systems massiv zugenommen. Die hohe Arbeitsbelastung hat nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern gefährdet auch die Patientensicherheit. Folgt man der Auffassung, dass die Ausgliederung von Personalkosten aus den DRGs bewirkt, dass ausreichend Personal von den Kliniken vorgehalten wird, ist es nur konsequent, auch die Arztkosten auszugliedern. Damit die politischen Versäumnisse, die im Bereich der Pflege gemacht wurden, sich nicht wiederholen, muss der Gesetzgeber jetzt intervenieren und Ärztinnen und Ärzte schützen.
Der BDI fordert – analog zum „Pflexit“ – die Ausgliederung der Arztkosten aus den DRGs.
2. Reform
In seiner aktuellen Form führt das DRG-System zu Fehlanreizen, die mit einzelnen Korrekturen mittelfristig nicht mehr eingedämmt werden können. Die Ausgliederung der Pflegepersonal- und Arztkosten kann daher nur ein erster Schritt sein. Es ist Zeit für eine Grundsatzdiskussion über ein neues System der Krankenhausfinanzierung in Deutschland, das u.a. regionale Vorhaltekosten adäquat berücksichtigt, die ärztliche Weiterbildung angemessen finanziert und die ärztliche Entscheidungsfindung von ökonomischen Zwängen befreit.
Deswegen fordert der BDI eine grundlegende Reform des DRG-Systems. Hierzu ist der BDI im Gespräch mit den Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sowie Politikerinnen und Politikern auf Bundesebene.
3. Planung
Eine Finanzierungsform, in der Vorhaltekosten voll vergütet werden, kann nur nachhaltig gelingen, wenn diese mit einer bedarfsgerechten Krankenhausplanung einhergeht. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Investitionen der Bundesländer auch bereitgestellt werden. Krankenhausplanung durch die Hintertür (z.B. über Mindestmengen) kann eine ehrliche Debatte darüber, wie wir unsere finanziellen und personellen Ressourcen bestmöglich einsetzen, nicht ersetzen.
Nicht jedes der knapp 2000 Krankenhäuser in Deutschland ist notwendig, um eine bedarfsgerechte und wohnortnahe Patientenversorgung sicherzustellen. Es ist jedoch wichtig, dass der Versorgungsbedarf sorgsam und regionsspezifisch analysiert wird, bevor Krankenhäuser geschlossen werden. Dazu gehört auch eine Diskussion über sektorenübergreifende Versorgungskonzepte. Eine Krankenhausplanung über zentrale Strukturvorgaben alleine wird den lokalen Anforderungen nicht gerecht. Um den tatsächlichen Versorgungsbedarf beschreiben zu können, muss die Ärzteschaft zwingend in diesen Prozess, national ebenso wie regional, integriert werden. Ziel muss eine Krankenhausstruktur sein, in der eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung der häufigsten internistischen Erkrankungsbilder und Notfälle möglich ist.
Der BDI setzt sich für eine sinnvolle und bedarfsgerechte Krankenhausstruktur ein, die für die häufigsten internistischen Erkrankungsbilder eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung möglich macht.