Nachhaltigkeit im deutschen Gesundheitswesen
Im Jahr 2021 war der Gesundheitssektor für rund fünf Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Weltweit ist der Anteil des Gesundheitssektors am CO2-Ausstoß höher als der des Flugverkehrs oder der Schifffahrt. Es entsteht die paradoxe Situation, dass der Sektor, der die Gesundheit der Menschen erhalten und wiederherstellen soll, selbst an den Erkrankungen ebendieser Menschen beteiligt ist.
Im Sinne von Planetary Health fordern daher immer mehr Ärztinnen und Ärzte eine globale Transformation, um die menschliche Gesundheit durch die Entwicklung eines gesunden Ökosystems zu erhalten. Im September 2021 erschien ein internationaler Aufruf führender Mediziner an die jeweilige Landespolitik und die Vereinten Nationen, die gemeinsamen Anstrengungen für das vereinbarte Ziel zu erhöhen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Es ist urärztliche Aufgabe, sich den geänderten klimatischen Verhältnissen zu stellen und andererseits Maßnahmen zu entwickeln, ein Fortschreiten des Klimawandels im Sinne von Planetary Health zu begrenzen. Daran beteiligen wir Internistinnen und Internisten uns gemeinsam mit allen medizinischen Fachgesellschaften und Verbänden, denn der Inneren Medizin kommt dabei eine besondere Aufgabe zu: Die meisten gesundheitlichen Probleme und Erkrankungen im Zusammenhang mit Klimawandel resultieren aus dem Bereich von Funktionsstörungen innerer Organe (Herz-Kreislaufsystem, Lunge, Stoffwechsel, Immunsystem). Die dabei entstehenden Aufgaben sind komplex: Veränderungen von Morbidität und Mortalität müssen ebenso untersucht werden wie die veränderte Wirksamkeit von Medikamenten. Aufklärung und Informationen darüber müssen an ärztliches Fachpersonal sowie Patientinnen und Patienten weitergegeben werden.
Erfolgsversprechende Projekte wie beispielsweise Green Hospitals und Rahmenwerke zu klimagerechten Gesundheitseinrichtungen sind bereits erste Ergebnisse. Auch im ambulanten Versorgungsbereich, in den Praxen und medizinischen Versorgungszentren, bestehen durch konkrete Maßnahmen in den Bereichen Materialnutzung, Energieeinsparung bei Wasser und Wärmeerzeugung sowie durch Konzepte zur Mitarbeitermobilität Möglichkeiten, Nachhaltigkeit zu fördern und damit den CO2-Ausstoß zu senken.
Unsere Forderungen im Detail
Um die Themen Klimaschutz und Bevölkerungsgesundheit sowohl in der Gesellschaft als auch in allen Bereichen des Gesundheitswesens nachhaltig zu implementieren, sind folgende Maßnahmen notwendig:
1. Klimaneutralität
Die Erhebung des Ist-Zustandes konkreter CO2-Emissionen und Nachhaltigkeitsanstrengungen in deutschen Krankenhäusern, Arztpraxen und medizinischen Versorgungszentren bildet die Grundlage für gezielte Klimaschutzmaßnahmen wie energetische Gebäudesanierung, Einbau von Photovoltaik-Anlagen, Energieeffizienz, Abfallvermeidung oder die Entwicklung klimaneutraler Mobilitätskonzepte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Maßnahmen bedürfen einer soliden Finanzierung, wobei Krankenhausträger und Vermieterinnen und Vermieter von Praxisräumen einbezogen werden müssen. Denkbar sind Sonderprogramme von Bund und Ländern sowie der Bereitstellung von günstigen Finanzierungsinstrumenten, beispielsweise über die KfW-Bank.
Der BDI fordert die politischen Entscheidungsträger auf, Sonderprogramme für die Umrüstung von Krankenhäusern und Arztpraxen in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität aufzulegen.
2. Internistische Fachkompetenz
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf unterschiedliche Organsysteme und Erkrankungen. Beispielhaft dafür sind die Einflüsse auf das Herz-Kreislaufsystem (z.B. im Rahmen von Hitzewellen) und die Atemorgane (wie z.B. Feinstaubbelastung, geänderter Pollenflug etc.) genannt. Im Schwerpunkt Infektiologie wird seit längerem auf die Gefahr seltener Erkrankungen (Zoonosen) hingewiesen, die sich durch die geänderten klimatischen Verhältnisse in Europa ausbreiten. Hier sind Expertinnen und Experten aus allen internistischen Schwerpunkten sowie hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten gefordert, ihre Expertise bei Ursachenforschung und Entwicklung gezielter Gegenmaßnahmen einzubringen.
Der BDI fordert, internistische Kompetenzen und Expertise in die Entwicklung von Klimaschutzplänen einzubeziehen und ihnen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten eine führende Rolle zuzuweisen.
3. Klimaschutz in Studium, Fort- und Weiterbildung
Themen zur gesundheitlichen Auswirkung des Klimawandels und Nachhaltigkeit müssen integraler Bestandteil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden. Die Weiterbildungsinhalte aller klinischen Fächer sollten um den Aspekt „Klimaschutz und Gesundheit“ erweitert werden. Der Themenkomplex muss daneben in medizinisch-wissenschaftlichen Fortbildungsprogrammen einen festen Platz einnehmen.
Der BDI fordert einen umfänglichen Ausbau von Fort- und Weiterbildungsangeboten zu Klimaschutz und Gesundheit. Dabei ist es sinnvoll, Internistinnen und Internisten in die Entwicklung der Curricula einzubeziehen. Seine eigenen Angebote dazu wird der BDI stetig ausweiten.
4. Leitlinienentwicklung
Leitlinien sind ein wichtiges Instrument in der täglichen medizinischen Arbeit. Es ist erforderlich, den Themenkomplex „Klimawandel und Gesundheit“ in die von Leitlinien aufzunehmen und hierfür Standards zu entwickeln. Zum einen sollten die Auswirkungen der Klimaveränderungen wie Hitzeperioden, Überschwemmungen oder andere Extremwetterlagen auf die verschiedenen Krankheitsentitäten und deren Therapien dargestellt werden, zum anderen auch die ökologischen Auswirkungen von apparativer Diagnostik und Therapieempfehlungen. Genannt sei hier z. B. die Empfehlung zur Umstellung von Treibgas-Inhalatoren in der Pneumologie. Auch die Empfehlungen von „Klug entscheiden“ müssen um die Aspekte von Gesundheitsschutz und Klimaeinwirkungen erweitert werden.
Leitlinienempfehlungen zur Versorgung, Therapie und Prophylaxe gesundheitlicher Störungen sind um den Aspekt Klimawandel und Klimaneutralität zu ergänzen. Der BDI beteiligt sich gemeinsam mit seinen wissenschaftlichen Gremien an diesem Prozess.
5. Gesellschaftlicher Diskurs
Die Umsetzung von Klimaneutralität ist ein Prozess, der ein breites gesellschaftliches und politisches Bündnis braucht. Sowohl im Krankenhaus als auch in der ambulanten Versorgung sollte Klimaschutz fester Bestandteil des Versorgungsalltags sein. Ärztinnen und Ärzte genießen in der Bevölkerung nicht nur ein hohes Ansehen und Vertrauen, sie sind auch die besten Multiplikatoren, um die Lobbyarbeit für den Klimaschutz voranzubringen. Um das Bewusstsein und den Diskurs rund um Klimaschutz und Gesundheit aufrechtzuhalten, bedarf es einer breiten Vernetzung von Berufsverbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften.
Der BDI will durch seine berufspolitische Positionierung einen Beitrag dazu leisten, den Diskurs zu Klimaschutz und Gesundheit in Ärzteschaft und Gesellschaft voranzubringen. Durch Vernetzung mit anderen Gruppierungen können Lösungsansätze für die Ziele Klimaneutralität und Nachhaltigkeit entwickelt werden.