Patientenwohl statt Renditejagd
Seit die Bundesregierung die Rechtsform des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) im Jahr 2004 in die vertragsärztliche Versorgung eingeführt hat, ist ihre Anzahl rasant gestiegen. Insbesondere die Möglichkeit, arzt- bzw. fachgruppengleiche MVZ zu gründen, die 2015 mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz geschaffen wurde, hat die Etablierung dieser Versorgungsform deutlich beschleunigt. Mittlerweile gibt es bundesweit rund 4.200 MVZ. Der Großteil wird von Ärztinnen und Ärzten oder Krankenhäusern betrieben. Zunehmend drängen jedoch auch Kapitalinvestoren, die primär Rendite für ihre Anleger zu erwirtschaften versuchen, in den Markt.
Dass diese neue Art der Leistungserbringung nicht nur Chancen bietet – nämlich sektorenübergreifend und interdisziplinär, effektiver und kostengünstiger zu arbeiten – sondern auch sehr schnell Risiken birgt, hat der Gesetzgeber frühzeitig erkannt. 2012 wurden mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) die Gründungsvoraussetzungen eingeschränkt, um MVZ-Gründungen durch kapitalintensive Investoren, die keinen fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung haben, zu begrenzen sowie der Kommerzialisierung und Konzernbildung entgegenzuwirken. Da die Gründereigenschaft von Krankenhäusern jedoch nicht angetastet wurde, können Investoren weiterhin durch den Betrieb von Kliniken bundesweit MVZ gründen.
Tatsächlich überwiegt der Anteil von investorengetragenen MVZ (iMVZ) in einzelnen Fachgruppen bereits und betrifft dabei nicht nur diejenigen, die einen hohen Anteil an technischen Leistungen erbringen. Die Renditeorientierung und die Tendenzen zu marktbeherrschenden MVZ-Strukturen wirken sich nicht nur negativ auf das ärztliche Handeln, sondern auch auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten aus.
Besonders bei renditeorientierten Anbietern besteht die Gefahr, dass das Spannungsfeld zwischen kommerziellen und medizinischen Interessen die ärztliche Diagnose- und Therapiefreiheit beeinflusst. Die Freiheit der ärztlichen Entscheidung ist jedoch die zentrale Voraussetzung für eine hochwertige und an den individuellen Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientierte Gesundheitsversorgung. Damit schützt die ärztliche Tätigkeit als freier Beruf auch die Patienten vor einer renditeorientierten Medizin und muss gewahrt werden.
Oftmals siedeln sich iMVZ in urbanen Regionen mit einer jüngeren Bevölkerung und überdurchschnittlichem Einkommen an und konzentrieren sich auf wenige, renditeträchtige Leistungen zu Lasten der Grundversorgung. Um einen Versorgungsauftrag umfassend zu erfüllen, muss aber sichergestellt werden, dass das volle Leistungsspektrum eines Fachgebietes (Kernleistungen) auch erbracht wird. Andernfalls kann eine flächendeckende, bedarfsgerechte Versorgung nicht gewährleistet werden.
Auch wenn MVZ grundsätzlich das Potenzial bieten, Probleme an den Sektorengrenzen abzubauen und geeignet sind, einen wichtigen Beitrag zur Versorgung in strukturschwachen Regionen zu leisten, bedarf es klarer Regeln für Investorentätigkeiten in diesem Bereich der medizinischen Versorgung, um ausschließlich renditeorientierten Investitionen einen Riegel vorzuschieben.
Unsere Forderungen im Detail
Um den medizinischen Versorgungsbedarf zu sichern und die ärztliche Entscheidungsfreiheit in Diagnostik und Therapie zu schützen, fordert der BDI folgende gesetzliche Änderungen:
1. Transparenzregister
Die freie Arztwahl sowie das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beinhaltet einen legitimen Anspruch der Patientinnen und Patienten, in Erfahrung bringen zu können, wer als wirtschaftlich Berechtigter die Gesellschafts- und Inhaberstrukturen der aufgesuchten Praxis oder Einrichtung maßgeblich beeinflusst.
Der BDI fordert die Einrichtung eines bundesweiten Transparenzregisters zur umfassenden Offenlegung der Inhaberstrukturen von zugelassenen MVZ.
2. Gründungsbefugnis
Gesundheitsversorgung hat einen wesentlichen regionalen Aspekt. Überregionale MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser, bei denen oft eine große räumliche Distanz zwischen Krankenhaus und MVZ besteht, laufen der Grundidee einer integrierten Versorgung zuwider. Im Zuge des Ausbaus von sektorübergreifenden Versorgungsangeboten ist daher eine Begrenzung von MVZ-Gründungen auf das Bundesland, in dem ein Krankenhaus seinen Standort hat, sinnvoll. In Planungsbereichen mit festgestellter Unterversorgung sind Ausnahmen denkbar.
Der BDI fordert die Bundesregierung auf, in § 95 Abs. 1a SGB V einen räumlichen Bezug bei MVZ-Gründungen einzuführen, um den Planungsbereich nach der Bedarfsplanung, in dem das Krankenhaus seinen Standort hat, zu begrenzen.
3. Versorgungsumfang
Eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung setzt nachvollziehbare Spezialisierungen von MVZ voraus. Diese müssen bei der Zulassung klar festgelegt und regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass der übertragene Versorgungsauftrag tatsächlich erfüllt wird.
Der BDI fordert die kassenärztlichen Vereinigungen auf, regelmäßig zu überprüfen, ob MVZ ihren Versorgungsauftrag umfassend erfüllen und das volle Leistungsspektrum der Fachgruppe erbringen.
4. Haltepflichten
Im Interesse einer kontinuierlichen Versorgung der Bevölkerung muss die Nachhaltigkeit von Investitionen dahingehend festgeschrieben werden, dass der Verkauf eines MVZ oder Vertragsarztsitzes vor Ablauf von fünf Jahren nicht ohne die Gefahr eines Zulassungsentzuges einhergeht. Das bedeutet, dass die Zulassung entzogen wird, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem Tag der Zulassung die Mehrheit der Gesellschaftsanteile veräußert wird oder ein Wechsel in der wirtschaftlichen Berechtigung an der Versorgungsstruktur eintritt. Entsprechende Ausnahmeregelungen bei nachvollziehbaren Gründen, wie z.B. Erkrankungen in der Gesellschafterstruktur, sind zu treffen.
Der BDI fordert die Bundesregierung auf, gesetzliche Regelungen für eine Haltepflicht festzuschreiben.
5. Gründungsvoraussetzungen
Um marktbeherrschenden Konzernbildungen entgegenzutreten, bedarf es einheitlicher Gründungsvoraussetzungen für MVZ durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte einerseits und Krankenhäuser andererseits. Nach derzeitiger Rechtslage kann ein vertragsärztliches MVZ als juristische Person in der Rechtsform der GmbH kein weiteres eigenständiges MVZ in der Rechtsform der GmbH gründen. Krankenhäuser sind per se bereits juristische Personen und können beliebig viele MVZ als GmbH gründen. Damit werden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte eindeutig benachteiligt.
Um die Versorgung durch MVZ in der Hand von Vertragsärzten zu fördern, sind gleiche Voraussetzungen notwendig, damit Vertragsärzte sowohl als Niedergelassene als auch als Angestellte an regionalen MVZ beteiligt werden können. Auch weitere Gründe, wie zum Beispiel die nur bei Vertragsärzten erforderliche persönliche Bürgschaft, sprechen dafür.
Der BDI fordert die Bundesregierung auf, in § 95 Abs. 1a SGB V gesetzliche Regelungen zu schaffen, die ein vertragsärztliches MVZ in der Rechtsform einer GmbH und die Gründung von weiteren, eigenständigen MVZ als GmbH ermöglichen.