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| Interview

Wir brauchen mehr Pragmatismus

Anfang Mai hat Gesundheitsminister Lauterbach die Mitglieder der Regierungskommission vorgestellt, die die geplante Krankenhausreform vorbereiten soll. Der Internist und Intensivmediziner Christian Karagiannidis ist Mitglied der Kommission. Im Interview erläutert er, welche Probleme zügig angegangen werden sollten.

Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis / © Klinik Merheim

BDI: Herr Prof. Karagiannidis, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Berufung. Über die Zusammensetzung der Kommission wurde im Vorfeld viel spekuliert, weil der Minister explizit keine „Kommission der Betroffenen“, sondern ein wissenschaftliches Beratungsgremium wollte. Sie sind eines der wenigen Mitglieder aus der direkten Patientenversorgung. Was für Empfehlungen können wir vor diesem Hintergrund von der Kommission erwarten?

Prof. Christian Karagiannidis: Vorneweg sei angemerkt, dass die Kommission vertraulich tagen und sich ausschließlich schriftlich äußern wird. Die angesprochenen Punkte reflektieren meine Meinung und Erfahrungen in der direkten Patientenversorgung, die ich gerne in die Kommission einbringen werde. Ganz wichtig ist mir hierbei, dass wir Gesundheitsversorgung neu denken. Gleichzeitig sollten wir versuchen, aus der Sicht der Patienten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der direkten Patientenversorgung eine qualitativ hochwertige Medizin anzubieten, genauso wie einen lebenswerten Arbeitsplatz. Dies wird am Ende nur über den Patienten-/Personalschlüssel zu lösen sein.

Entscheidend ist, dass wir den demografischen Wandel stemmen; d.h. es schaffen, trotzdem flächendeckend eine qualitativ hochwertige Medizin anzubieten – mit einem guten Personalschlüssel auf allen Ebenen. Gerade der Inneren Medizin kommt aufgrund der demografischen Entwicklung eine besondere Bedeutung zu. Hierzu brauchen wir ein stückweit eine „amerikanische Mentalität“, Dinge jetzt auch positiv nach vorne hin zu entwickeln. Kritisiert haben wir genug.

Die Kommission soll sich mit einer Vielzahl an Fragen beschäftigen: Von der Krankenhausfinanzierung und -planung bis hin zum Belegarztsystem. Welches sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme, die die Kommission angehen sollte?

Das dringendste Problem, das die Kommission angehen muss, ist sicherlich die auskömmliche Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin sowie der Geburtshilfe und Notfallmedizin. Hier sehen wir einen teils eklatanten Personalmangel, der insbesondere im kommenden Herbst/Winter die stationäre Versorgung im Rahmen erheblicher Infektionsfälle an ihre Grenzen bringen könnte.

Darüber hinaus müssen wir dringend die Notfallversorgung in Deutschland durch eine enge Verzahnung des ambulanten und stationären Sektors restrukturieren.

Zu guter Letzt ist es in meinen Augen wirklich inakzeptabel, dass wir immer noch wichtigste Informationen von Patienten per Fax übermitteln und dass die Kerninformation eines jeden Patienten nicht digital, am besten auf dem Handy, zur Verfügung stehen. Am Ende werden wir die Krise im stationären Sektor nur lösen können, wenn wir einen sehr guten Personalschlüssel in den Kliniken haben und Indikationen mit einer hohen und besonnenen Qualität stellen und in keinem Fall aus „DRG-Gründen“, wie wir es in den letzten Jahren viel zu oft gehört haben.

Das Auftakttreffen hat bereits stattgefunden. Statt eines umfassenden Abschlussgutachtens sollen kontinuierlich Empfehlungen entwickelt und veröffentlicht werden. Gibt es schon einen konkreten Zeitplan?

Die Kommission wird ähnlich arbeiten wie der Corona-ExpertInnenrat und kontinuierlich Empfehlungen entwickeln und veröffentlichen. In unserer heutigen Zeit ist es nicht mehr zeitgemäß, 300-seitige Gutachten zu veröffentlichen, die nur von wenigen wirklich gelesen werden. Es bietet sich eher an, dass man in eine direkte Kommunikation mit Fachkollegen aber auch der Öffentlichkeit und insbesondere der Politik geht: mit prägnanten Aussagen in gut lesbaren Dokumenten, die sich mit einem spezifischen Thema befassen. Hier müssen wir einen neuen Stil generieren. Da die Kinder- und Jugendmedizin insbesondere im kommenden Herbst/Winter ganz weit vorne stehen wird, denke ich, dass sich die Kommission zeitnah mit den ganz dringenden Problemen auseinandersetzen muss.

Die Ökonomisierung der Medizin ist besonders im Krankenhaussektor weit fortgeschritten und bestimmt zunehmend den ärztlichen Alltag. Der BDI fordert deshalb als Ad-hoc-Maßnahme die Ausgliederung der Arztkosten aus den Fallpauschalen. Minister Lauterbach sieht dafür keine Notwendigkeit, weil er in Anbetracht des Ärztemangels nicht der Meinung ist, dass Ärztestellen abgebaut werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die Ausgliederung von Personalkosten wie jetzt der Pflegekosten stellt das System doch vor erhebliche Probleme, wie wir im Moment sehen. Die alleinige Ausgliederung wird am Ende nicht dazu führen, dass wir das System nachhaltig verbessern. In meinen Augen ist es sinnvoller, eine grundsätzliche Reform vorzuschlagen, in der es keiner Diskussion mehr bedarf, ob Ärzte refinanziert sind. Im Rahmen dieser Restrukturierung des stationären Sektors muss die Struktur dann so aufgestellt sein, dass wir genügend Ärztinnen und Ärzte haben, die auch Zeit haben, sich mit ihren Patientinnen und Patienten zu beschäftigen, und dass die Finanzierung gesichert ist. Ich halte dies für alternativlos im Generationenwandel.

Unabhängig von den Empfehlungen der Kommission hat die Koalition sich darauf verständigt, die Finanzierung für bestimmte Krankenhausabteilungen – Pädiatrie, Geburtshilfe und Notfallversorgung – kurzfristig zu reformieren. Wie bewerten Sie die Chancen und Risiken einer solchen Teillösung?

Sicherlich birgt eine Teillösung eine gewisse Gefahr, insbesondere weil man dazu neigen könnte, dass gewisse Teilbereiche dann dauerhaft ausgegliedert werden und notwendige Strukturreformen damit nicht kommen. Ich denke aber, dass dies nicht der Fall sein wird. Hier sind Übergangsmodelle in meinen Augen eine kurzfristige Lösung, um insbesondere den Kindern zu helfen. Sie sind unser höchstes Gut in der Patientenversorgung.

Bislang galt im BMG: keine Finanzierungsreform ohne eine neue Krankenhausplanung. Die Bertelsmann-Stiftung schlägt eine drastische Reduktion der Krankenhäuser vor. Wenn auch nicht in dieser Vehemenz, so gibt es auch in der Ärzteschaft großen Konsens, dass wir zu viele Kliniken in Deutschland haben. Welche strukturellen Veränderungen muss es aus Ihrer Sicht in der deutschen Kliniklandschaft geben?

Ich glaube, ganz grundsätzlich darf man nicht hergehen und einfach sagen, dass Krankenhäuser geschlossen werden und damit verbessert sich dann alles von alleine. Das wird realistisch nicht umsetzbar sein. Aus meiner Sicht ist es besser, dass wir die Krankenhäuser zum Beispiel in drei unterschiedliche Level einteilen. Dies hat sich gerade im Rahmen der Pandemie in verschiedenen Regionen Deutschlands sehr bewährt. Eine solche Vorlage scheint auch für eine Restrukturierung im stationären Sektor sinnvoll. Denken Sie an das Berliner SAVE Netz.

Kleinere Krankenhäuser sind auch wichtig für die Versorgung der Bevölkerung, sodass man hier aus meiner Sicht eher daran denken sollte, ob man diese Strukturen umfunktioniert zu Integrierten Versorgungszentren - zusammen mit dem niedergelassenen Bereich – und dafür dann auch auskömmlich finanziert. High touch und low technical care sind gerade für die Innere Medizin ein Kern unserer Tätigkeit, den wir im DRG-System fast verloren haben. Manchmal ist die Diagnose einfach „hohes Lebensalter“ und eben nicht hypertensive Krise.

Sektorenübergreifende Konzepte werden immer wieder als Lösung beschworen. In welchem Umfang sollten die ambulanten Strukturen bei der zukünftigen Neuausrichtung eine Rolle spielen?

Dass die enge Verzahnung von stationären und ambulanten Strukturen absolut essenziell ist für eine zukünftige Reform, steht in meinen Augen außer Frage. Ich denke beide Seiten müssen sich aufeinander zubewegen und wir müssen die starren bisherigen Systeme ein Stück weit verlassen. Nur so können wir in der Fläche in Deutschland qualitativ hochwertige Medizin anbieten. Dazu brauchen wir natürlich auch die Fachexpertise vieler Experten aus dem Krankenhausbereich im ambulanten Sektor.

Ich glaube abschließend, dass gerade die Innere Medizin das Paradebeispiel ist, wie man ambulante und stationäre Medizin sehr gut miteinander verknüpfen kann. Wir haben das hier in Köln als Beispiel mit unserer Ambulanz für monoklonale Antikörper bei COVID gezeigt, dass man ambulante und stationäre Strukturen auf dem Campus eines Krankenhauses sehr gut miteinander verbinden kann. Wir müssen die Dinge jetzt positiv nach vorne hin entwickeln. Lösungen hierzu sollten (!) nicht zu 100% perfekt funktionieren, sondern lieber zu 80 oder 90%, und dafür aber auch pragmatisch und zeitnah umsetzbar sein. Dieser Pragmatismus hat uns in den letzten Jahren zu oft gefehlt.

So setzt sich die Regierungskommission zusammen
Prof. Dr. Boris Augurzky Kompetenzbereichsleiter Gesundheit im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut (RWI)
Prof. Dr. Reinhard Busse Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin
Prof. Dr. Tom Bschor Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung, langjähriger Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie der Schlosspark-Klinik Berlin
Prof. Dr. Jörg Dötsch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln
Michaela Evans Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit & Wandel am Institut Arbeit und Technik (IAT) an der Westfälischen Hochschule
Prof. Dr. Dagmar Felix Professorin für Sozialrecht an der Universität Hamburg
Volkswirtin Irmtraud Gürkan Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Charité
Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg Vorsitzende der Gesellschaft für Qualitätsmanagement und Leiterin Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement der Sana Kliniken AG
Prof. Dr. Martina Hasseler Professorin für Klinische Pflege an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Prof. Dr Stefan Huster Professor für Öffentliches Recht, Gesundheits- und Sozialrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Christian Karagiannidis Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin
Prof. Dr. Thorsten Kingreen Professor für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht an der Universität Regensburg
Prof. Dr. Heyo Kroemer Pharmazeut und Pharmakologe und Vorstandsvorsitzender der Charité
Prof. Dr. Laura Münkler Professorin für Öffentliches Recht (Verwaltungs- und Gesundheitsrecht) an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Rajan Somasundaram Ärztlicher Leiter in der Notaufnahme Campus Benjamin Franklin
Prof. Dr. Leonie Sundmacher Professorin für Gesundheitsökonomie an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften an der TU München

Erschienen in BDIaktuell 06/2022