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| Gastbeitrag

Warum lassen wir uns das gefallen?

Lauterbach plant, die Neupatientenregelung im TSVG wieder zu kassieren. Einer Leserin geht die Forderung des BDI nicht weit genug. Sie sagt ganz klar: „Wir sollten alle Patienten und alle ärztlichen Leistungen komplett vergütet bekommen!“

© PRIVAT

Ich bin Mitglied im BDI und niedergelassene, hausärztliche Internistin in einer Gemeinschaftspraxis. Ich bin erst 40 Jahre alt (meine Kollegin 38 Jahre) und wir sind jetzt schon fix und fertig aufgrund der katastrophalen Situation im Gesundheitswesen.

Ich finde es gut, dass es aus der Ärzteschaft Gegenwehr gibt bezüglich der Streichung der Neupatientenregelung, aber mal ehrlich, das ist doch wirklich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein! Wir kämpfen darum, dass wir Neupatienten komplett vergütet bekommen? Wir sollten alle Patienten und alle ärztlichen Leistungen komplett vergütet bekommen!

Wo gibt es denn so was, dass wir erst ein komplettes Quartal schuften und dann sagt man uns danach „sorry der Topf ist leer und es gibt nur eine Teilvergütung“. Warum lassen wir uns das gefallen?

Ich bin seit knapp 3 Jahren niedergelassen und mir war das definitiv nicht in diesem Umfang bewusst, dass wir so einen Ärger mit der Abrechnung, der KV und der Politik haben werden. Jedes Quartal bekommen wir unterschiedliche Vergütungen, je nachdem wie voll der Topf grad ist. Das geht doch nicht! Dann soll man mir bitte vorher sagen, wie viel ich arbeiten darf, um eine volle Auszahlung zu bekommen.

Natürlich ist der Arztberuf ein sozialer Beruf und ich behaupte mal, dass wir Ärzte auch sehr sozial sind. Aber wir sind auch nur alle Menschen und haben eigene Familien. Wir sitzen teilweise 12-13 Stunden in der Praxis, machen in der Mittagspause Hausbesuche und werden bombardiert mit Infobriefen von der KV, dass es wieder eine neue Coronaverordnung gibt. Da blickt doch keiner mehr durch, was man bei wem darf und welche Ziffer es dann gibt und welche Leistungen jetzt auch noch in der Grundpausschale mitabgegolten werden.

Wir brauchen dringend eine Institution im Sinne einer Gewerkschaft, welche mal unsere Interessen vertritt. Auch wir sind von der Inflation betroffen, die Krankmeldungen sind jetzt ja auch auf weißem Papier (müssen wir selbst kaufen! Vorher das rosa Papier wurde ja von der KV gestellt) und die ganze Telematik kostet uns Unsummen an Geld sowie jede Menge Zeit (bekommen wir ja auch nicht bezahlt).

Würde mich jemand fragen, ob es sich lohnt, sich niederzulassen: Nein!

Dieser ganze ungerechte Ärger zerrt sehr an den Nerven. Die Patienten sind wütend, weil sie keine Facharzttermine bekommen und lassen dies an uns aus. Die Menschen werden immer Älter und der Anteil an Sozialmedizin, den wir leisten, nimmt drastisch zu. Seit Corona gibt es ein deutlich höheres Rentenbegehren von Patienten und die Arbeit an auszufüllenden Anträgen (Reha, Rente, Schwerbehinderung) nimmt auch enorm zu. Und im Herbst wird es ja in die zweite Runde Impfaktion gehen, wohlgemerkt parallel zum normalen Praxisalltag.

Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung für die Dinge, die wir einfach nicht mehr leisten können – z.B. Hausbesuche? Oder wenn ein

Patient einfach keinen Facharzttermin erhält und dadurch seine Diagnostik verzögert wird?

Sollen wir aus Angst vor gesundheitlichen oder rechtlichen Konsequenten einfach alle Patienten ins Krankenhaus schicken? Wenn dies zukünftig so gewollt ist dann bitte, dann machen wir das doch so!

Ich mache meinen Job wirklich gerne und bin auch bereit, dafür viel zu investieren. Das habe ich auch im Sinne von Krediten und anderen verbindlichen Verträgen (IT-Firmen, Mietverträge über 10 Jahre etc.) und das ist auch der Grund, warum ich nicht aufgeben kann, obwohl ich das sehr oft sehr gerne täte. Das ist sehr schade und ich habe auch immer noch die Hoffnung, dass es irgendwann besser werden wird.

Ich habe diesen Brief an Sie geschrieben, weil ich es gut finde, dass Sie sich als Verband dafür engagieren, gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen.

Ich persönlich hatte eigentlich schon vor, bis zu meiner Rente Hausärztin zu bleiben, aber aktuell kann ich es mir nicht mehr vorstellen, da die psychische Belastung auf Dauer ganz sicher krank machen wird.

Ich wünsche uns für unseren Berufszweig, dass alles gut werden wird.

Ein Leserbrief von Dr. Linda Orzegowski

Erschienen in BDIaktuell 09/2022