Mein Name ist Lisa Marie Sgonina. Nach Abschluss meines zweiten Staatsexamens im April sollte ich am 17. Mai 2021 mein PJ im Lehrkrankenhaus einer Uniklinik beginnen.
Dazwischen veränderte sich alles. Ich war bis dahin eine begeisterte Langstreckenläuferin, fühlte mich fit und gesund. Doch meine Strecken wurden kürzer, ich wurde immer müder, bis ich kaum noch Treppen steigen konnte. Beim Einatmen verspürte ich einen täglich stärker werdenden, stechenden Schmerz im Thorax. Mehrmals suchte ich Hausarztpraxen und Notaufnahmen auf, jedes Mal wurde ich mit Schmerzmitteln versorgt und nach Hause geschickt. Mein PJ startete ich daraufhin verspätet mit sieben Fehltagen und versuchte, mir dort nichts anmerken zu lassen.
Mitte Juni wurde mein linkes Bein dick und verfärbte sich blau. Ich konnte nicht mehr laufen und das Atmen strengte mich sehr an. Die Kolleginnen untersuchten mich und teilten mir mit, dass ich tiefe Venenthrombosen in Bein und Becken und Lungenembolien beidseits hätte. Daraufhin wurde ich auf der gleichen Station aufgenommen, auf der ich mein PJ absolvierte. Über das Ausmaß und das weitere Prozedere erfuhr ich von ärztlicher Seite erst einmal nichts, auch nicht auf Nachfrage. Es waren meine PJ-Kolleginnen und -Kollegen und ein Assistenzarzt, die durch die tägliche Frühbesprechung mehr wussten als ich und mich später informierten.
Bei der Visite hieß es, dass ein konservatives Vorgehen indiziert wäre und ich nach fünf Tagen wieder nach Hause gehen könnte. Mein PJ könnte ich dann regulär weiterführen. Durch die noch offene Tür hörte ich dann, wie über meine axillären Lymphknotenpakete gesprochen wurde und ob die Gynäkologinnen mit einzubeziehen seien, anstatt mit mir direkt darüber zu sprechen. Ich wusste, dass bedeutet in Verbindung mit der Thrombose einen Verdacht auf Brustkrebs. Mir schossen die schlimmsten Gedanken durch den Kopf. Am darauffolgenden Morgen dann eine Überraschung: Es sei eine Verlegung in die Uniklinik geplant. Auf die Frage, was dort mit mir passieren würde, bekam ich keine Antwort. Erst am Abend erklärte mir ein Assistenzarzt, dass für den nächsten Morgen dort in der interventionellen Radiologie eine Thrombektomie mit Stenteinlage geplant sei. Eine schriftliche Aufklärung/Einwilligung erhielt ich erst auf mehrfache Nachfrage.
Einfach auf dem Flur abgestellt
Die nächste Überraschung erwartete mich in der Uniklinik. Ich sollte nicht radiologisch, sondern gefäßchirurgisch behandelt werden. Nur war ich noch nicht auf der Station angemeldet, weshalb ich einfach auf dem Flur abgestellt wurde. Alles, was man mir sagte, war, dass ich nüchtern bleiben musste. Ich bekam Angst. Nach einigen Stunden wurde ich endlich auf ein Zimmer gebracht und nach einer Entschuldigung ausführlich von einer Gefäßchirurgin aufgeklärt. Ich sollte doch nicht konservativ behandelt werden und außerdem hätte ich eine Infarktpneumonie, hieß es. Erst an dieser Stelle wurde mir das Ausmaß meiner Erkrankung allmählich bewusst. Meine weiteren Fragen und Ängste wurden adressiert und beantwortet und ich fühlte mich ernstgenommen, als Patientin und als zukünftige Kollegin.
Eine Woche nach dem Erstereignis wurde ich operiert und musste mein PJ unterbrechen. Da ich das 1. Tertial nicht vollständig ableisten konnte, wurde mir der bis dahin absolvierte Zeitraum nicht anerkannt. Im November 2021 begann ich mein PJ erneut. Trotz der Behandlung befanden sich Restthrombosen in meinem Körper, die sich durch Schmerzen im Bein und beim Einatmen sowie verminderte körperliche Belastbarkeit äußerten. Trotzdem war ich froh und dankbar für den Neustart. Ich hatte ein tolles erstes Tertial in der Inneren Medizin und fühlte mich bestätigt, dass der ärztliche Beruf für mich genau der richtige ist.
Während meines zweiten Tertials in der Anästhesie erlitt ich im Mai 2022 ein plötzliches Rezidiv. Erneut wurde ich in der Gefäßchirurgie der Uniklinik stationär behandelt. Sobald ich weitestgehend mobil war, setzte ich mein PJ fort. Ich erlebte einen ständigen Rollenwechsel. Ich lag selbst im Patientenbett und wurde von den Ärztinnen und Ärzten behandelt, mit denen ich die Woche zuvor als PJlerin gemeinsam auf Visite gegangen war. Für mich wurde die Situation zunehmend belastender. Im PJ sind offiziell 30 Fehltage erlaubt, egal ob Urlaub, Krankheit oder zur Vorbereitung auf die 3. Prüfung.
Dann kam der Rückfall
Einen Nachteilsausgleich für Studierende in besonderen Lebenslagen gibt es nicht. Manche Abteilungen drücken bei dem einen oder anderen Fehltag ein Auge zu. Nicht so in der Anästhesie: Hier wurde die Anwesenheit täglich oberärztlich dokumentiert und Buch über meine Fehltage geführt, bis hin zum unrechtmäßigen Zugriff auf meine Patientinnenakte.
Um weitere Fehltage zu vermeiden, ging ich also im letzten Tertial weiter in die Chirurgie. Einige Wochen später wachte ich am Morgen mit Fieber auf und konnte nicht mehr aufstehen. Die sich gebildete und infizierte Hydrocele die erst nach meinem PJ entfernt werden sollte, wurde tags darauf operativ saniert. Während meiner Bettruhe dachte ich an meine Fehltage und hatte Angst, dass mir das Tertial wieder nicht anerkannt werden würde. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich weiter durch mein PJ zu schleppen. Ich nahm mir vor, das letzte Tertial „durchzuziehen“, danach würde ich mich um meine Gesundheit kümmern. Mein Immunsystem muss sichtlich geschwächt gewesen sein, denn nur wenige Wochen später erlitt ich einen großflächigen Herpes Zoster und wurde erneut stationär aufgenommen. Zum Glück hieß es im Anschluss: Ich solle zu Hause bleiben und gesund werden. Die Chirurgie würde mir keine weiteren Fehltage aufschreiben.
Das tat ich. Während meiner Vorbereitung auf mein drittes Staatsexamen konnte ich mir die Zeit dafür nehmen. Ich war endlich in der Lage, meine Arzt- und Physiotherapietermine wahrzunehmen und die Ursache für meine Gerinnungsstörung festzustellen. Ich konnte ausschlafen und spürte, wie sich mein Körper erholte. Jetzt ist klar: Ich nehme Blutverdünner auf Lebenszeit und trage weiterhin die Kompression. Aber ich fühle mich wieder gut, normal belastbar und laufe Langstrecke, ich habe vor kurzem sogar einen Halbmarathon geschafft.
Kann man so ein gutes Beispiel sein?
Meine Prüfung habe ich erfolgreich absolviert und ich bin Ärztin. Als ich das Prüfungsergebnis bekam, konnte ich mich nicht wirklich darüber freuen, ich war nicht stolz auf das, was ich mir und meinem Körper antun musste. Denn was will ich meinen Patientinnen und Patienten später raten, wenn ich meine eigene Gesundheit so missachte? Wie kann ich ihnen ein gutes Beispiel sein? Wie kann es sein, dass man als PJlerin von ärztlicher Seite derart unkollegial behandelt wird? Auch wenn es nur einige wenige waren, sind sie aber für die Lehre und Ausbildung vor Ort verantwortlich.
Ich habe am eigenen Körper erfahren, wie ausgeliefert, machtlos und buchstäblich entblößt man sich als Patientin fühlen kann. Durch diese Erfahrung habe ich eine sehr konkrete Vorstellung davon bekommen, wie ich meine Arzt-Patienten-Beziehungen in Zukunft führen möchte. Dass ich mich in die Situation hineinversetze, Empathie, Verständnis und Respekt zeige und auf die Bedürfnisse jedes einzelnen eingehe, wie viel Information sie oder er sich von mir wünscht.
Gedächtnisprotokoll von Lisa Marie Sgonina und Ralf Schweikart
Erscheien in BDIaktuell 4/2023