Im Flugzeug oder auf hoher See verlassen wir uns auf die korrekte Navigation durch Piloten oder Kapitäne. Wobei hier meist der Autopilot zum Einsatz kommt und der Mensch nur in bestimmten Situationen selbst das Ruder in die Hand nimmt beziehungsweise den Steuerknüppel bedient. Im PKW fahren wir meist selbst und bestimmen Tempo und Richtung, oft unterstützt durch ein Navigationssystem. Die Gemeinsamkeit in allen Fällen ist die Richtung, das Ziel. Ohne klares Ziel keine vernünftige Steuerung. Oder anders ausgedrückt: hat man kein Ziel, ist es unwahrscheinlich, dass man ankommt.
Hausarztzentrierte Versorgung als Lösung?
In den letzten Monaten werden die Rufe nach einer vernünftigen Steuerung im Gesundheitswesen lauter. Kaum ein Akteur aus der Gesundheitspolitik, den Verbänden oder Krankenkassen, der sich genauer mit der Analyse unseres Systems beschäftig, kommt an diesem Zauberwort vorbei. In der kurzen Wahlkampfperiode vor dem 23. Februar brachten sich nahezu alle gesundheitspolitischen Vertreter der großen Parteien mit Vorschlägen zur Patientensteuerung in Position. Die meisten favorisierten eine Hausarztzentrierte Versorgung (HzV), die entweder durch ein Bonussystem der Krankenkassen begleitet wird oder Hausärzte und Patienten zu einem Primärarztsystem verpflichtet, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern. Der Gedanke dahinter: Facharztbesuche werden reduziert, Wartezeiten verkürzt, Ressourcen besser und zielgenauer genutzt, Geld wird eingespart.
Kassenbeiträge steigen, Entbudgetierung verschlingt Millionen
Gerade der Gedanke von Einsparungen ist sehr verlockend. Die GKV schiebt ein milliardenschweres Defizit vor sich her, die Kassenbeiträge sind zu Beginn des Jahres 2025 um durchschnittlich 3,6 Prozent gestiegen. Da liegt es nahe, wenn die neue Regierung nach Modellen sucht, um die Versorgung effizienter aufzustellen und Kosten einzusparen. Deshalb hat die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag nun auch Eingang in den vorliegenden Koalitionsvertrag gefunden.
Doch ist von einer HzV tatsächlich eine nennenswerte finanzielle Entlastung zu erwarten? Und wenn, wo genau sollen diese liegen? Die Kassen zahlen einmal jährlich für die vertragsärztliche Versorgung einen Gesamtbetrag an die Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung. 2024 lag dieser Betrag bei rund 52 Milliarden Euro. Haus- und Facharzttopf sind bekanntlich getrennt. Die kurz vor Ende der Ampel-Regierung beschlossene Entbudgetierung der Hausärzte belastet nach BMG-Aussagen die GKV zusätzlich mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Die Auflösung der Budgets im fachärztlichen Bereich - eine alte Forderung des BDI - würde ähnliche Zusatzkosten auslösen. Passend dazu legte der AOK-Bundesvorstand kürzlich ein Sofortprogramm zur Stabilisierung der GKV-Ausgaben vor. Darin wird ein harter Sparkurs angemahnt und unter anderem die Rücknahme der Entbudgetierung für Haus- und Kinderärzte gefordert - ein Skandal. Die finanzielle Ausgangslage bleibt also angespannt und klare Antworten auf die Frage nach spürbaren Einsparungen durch die HzV sind nicht einfach zu finden.
Ziele nur im Kollektivvertrag zu erreich
Der Hausärzteverband (HÄV) macht sich die Sache zu einfach, wenn er erklärt, die HzV funktioniere nur richtig außerhalb des Kollektivvertrags. Ähnlich dem Erfolgsmodell in Baden-Württemberg wünschen sich die Vertreter des Verbandes die flächendeckende Einführung von Selektivverträgen, die den teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzten höhere Honorare versprechen und den Patienten eine bessere Versorgung garantieren. Begleitet wird dieses Bestreben durch positive Gutachten aus dem Umfeld allgemeinmedizinischer Lehrstühle, allen voran Professor Gerlach aus Frankfurt. Darin wird anhand umfangreicher Zahlen versucht, die selektivvertragliche HzV als Sparmodell der Kassen darzustellen. Objektiv überprüft wurden diese Studien nie.
Eine sinnvolle Patientensteuerung kann nur gelingen, wenn die Ziele klar definiert sind und es einheitliche Regeln in allen Winkeln und KVen unseres Landes gibt. Ein Flickenteppich unterschiedlicher Verträge ist wenig hilfreich und führt nicht zu der notwendig breiten Akzeptanz in der Bevölkerung. Ein steuerndes Primärarztsystems kann nachhaltig Ressourcen freisetzen und Kosten einsparen. Voraussetzung ist, dass dies innerhalb des Kollektivertrags geschieht, mit der Politik eine allgemeinverbindliche Richtung konsentiert wird und die wachsende Zahl hausärztlicher Internistinnen und Internisten gleichberechtig beteiligt ist.
Dr. med. Ivo Grebe
Vorsitzender der AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten
Erschienen in "CME" 4/2025