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| Meinung

Revolution mit vielen Fragezeichen

© Neumann-Grutzeck

Weniger ökonomischer Druck, bessere Medizin: Nichts Geringeres als eine Revolution im Krankenhaussektor hat Karl Lauterbach angekündigt. Jetzt hat er die dritte Stellungnahme der Regierungskommission zur grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung vorgestellt.

Wenn man sich anschaut, wie die stationäre Versorgung gerade kollabiert, wäre eine Revolution bitter nötig: Rettungswagen stauen sich vor den Notaufnahmen; Patienten liegen wegen knapper Betten reihenweise auf den Fluren; die Charité sagt wegen Personalmangels bis Ende des Jahres alle elektiven Eingriffe ab und viele Kolleginnen und Kollegen sind am Limit. Das System fährt vor die Wand. Die Zeit kleiner Reförmchen und von Flickschusterei ist vorbei.

Die nächste Reform muss sitzen, wenn wir die stationäre Versorgung zukunftsfähig machen wollen. Das haben der Gesundheitsminister und die Kommissionsmitglieder erkannt und einen Vorschlag vorgelegt, über den es sich zu diskutieren lohnt. Vor allem, weil das Konzept nicht nur eine neue Vergütungsstruktur, sondern auch tiefgreifende Strukturveränderungen in der Krankenhausplanung vorsieht – eine Forderung, die auch der BDI gestellt hat.

Wer aber nach den öffentlichen Ankündigungen des Ministers darauf gehofft hatte, dass mit der Reform die Fallpauschalen überwunden werden, wird enttäuscht. Stattdessen soll der Anteil der DRG um einen einheitlichen Abschlag (40-60 Prozent) an fallmengenunabhängigen Vorhaltekosten abgesenkt werden. Darin enthalten ist weiterhin das Pflegebudget (ca. 20 Prozent), das bereits ausgegliedert wurde. Der Großteil der Arztkosten dürfte damit aber in der DRG enthalten bleiben. Die angestrebte Entkopplung der ärztlichen Tätigkeit vom wirtschaftlichen Druck, der auf dem Personal lastet, steht so in Frage. Eine Revolution sieht anders aus.

Einen deutlich größeren Effekt werden vielmehr die geplanten Strukturvorgaben haben. Auch wenn die Kommission es nicht direkt ausspricht: Eine Bereinigung der Krankenhauslandschaft ist unausweichlich und intendiert. Das Ziel: Weniger Masse, mehr Qualität. Und mehr Ambulantisierung. Dafür wurden eine einheitliche Klassifizierung von Versorgungsstufen und Leistungsgruppen inklusive verbindlicher Mindeststandards entwickelt, die bundesweit gelten sollen. Der Vorschlag bietet große Chancen. Fraglich ist nur, ob die Bundesländer sich diesen ungefragten Eingriff in ihre Planungshoheit gefallen lassen. Erst recht nicht, wenn es für die Umstrukturierung keine zusätzlichen Mittel geben soll.

Schuldig bleibt die Stellungnahme vor allem die Frage, wie der ambulante Sektor, der die reduzierten stationären Kapazitäten auffangen soll, sinnvoll in die Reform eingebunden wird. Auch wenn es dem Minister schwerfällt: Es ist höchste Zeit, um mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die in der Kommission nicht vertreten sind, in den Dialog zu treten. In dieser kritischen Lage ist kein Platz für Eitelkeiten. Jetzt ist schnelles, entschiedenes Handeln gefragt, damit die Effekte der Reform nicht erst in fünf oder zehn Jahren spürbar sind. Ansonsten frisst die Revolution ihre Ärztinnen und Ärzte.

Ihre 

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDIaktuell 01/2023