Dass sich wichtige Reformen in einem parlamentarischen Verfahren gerne einmal etwas in die Länge ziehen, ist nichts Ungewöhnliches. Deutlich unverständlicher ist es hingegen, wenn Rechtsverordnungen, die für einen ganzen Berufsstand elementar sind, vom zuständigen Ministerium jahrelang verschleppt werden. Ärztinnen und Ärzte sind mittlerweile leidgeprüft. Die Debatte um die neue GOÄ ist mit der Verweigerung des Bundesgesundheitsministers, in der Sache tätig zu werden, zu einer kompletten Farce verkommen. Nur wenige Kolleginnen und Kollegen glauben überhaupt noch daran, dass die fast dreißig Jahre alte Gebührenordnung jemals novelliert wird. Ein Armutszeugnis.
Ein ähnliches Schicksal könnte jetzt der ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) drohen. Die letzte substanzielle Neufassung ist ebenfalls schon über zwanzig Jahre her und wird sowohl den inhaltlichen als auch den didaktischen Ansprüchen einer modernen Medizinerausbildung nicht mehr umfassend gerecht: von der Studienstruktur, über Lehrinhalte und Prüfungsformate bis hin zum Praxisbezug, der Abbildung der ambulanten Versorgung und der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Zwar haben Bund und Länder schon vor Jahren den Reformbedarf erkannt und 2017 mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, der insbesondere auch eine Novellierung der ÄApprO vorsieht. Die letzte Initiative aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), das Vorhaben umzusetzen, stammte bis vor Kurzem aber noch aus der Amtszeit von Jens Spahn. 2020/2021 waren die Beratungen schon weit fortgeschritten bis erst die Coronapandemie und später die Bundesländer dem Prozess einen Strich durch die Rechnung machten.
Der BDI hat sich seinerzeit intensiv in den Stellungnahme- und Anhörungsprozess eingebracht, um einen Webfehler des Masterplans zu korrigieren: die Gleichsetzung von Allgemeinmedizin und hausärztlicher Versorgung. Die neue Approbationsordnung sieht verpflichtende Abschnitte der klinisch-praktischen Ausbildung in der ambulanten – vor allem hausärztlichen Versorgung – vor.
Während wir verstärkte Einbeziehung von Lehrpraxen in das Medizinstudium natürlich begrüßen, geht die exklusive Fokussierung auf die Allgemeinmedizin an der Versorgungsrealität vorbei. Um das volle Spektrum sowohl der hausärztlichen Versorgung im Speziellen als auch der ambulanten Versorgung im Allgemeinen abzudecken, braucht es eine angemessene fachliche Breite. Das erlaubt es auch den Fakultäten, die ambulante Versorgung im notwendigen Umfang und gemessen an regionalen Erfordernissen flexibel einzubinden.
Nach zwei Jahren Stillstand hat das BMG Ende April den Zwischenstand für einen neuen Referentenentwurf vorgelegt, um den Novellierungsprozess wieder aufzunehmen. Um im dritten Anlauf die notwendige Zustimmung der Länder zu erhalten, hat der Bund den finanziellen Erfüllungsaufwand deutlich reduziert. Das darf jedoch nicht zu einem Qualitätsverlust führen!
Darüber hinaus besteht an weiteren Stellen Korrekturbedarf – auch bei der Fokussierung auf die Allgemeinmedizin. Diesen gilt es jetzt unter Einbeziehung der Selbstverwaltung, der Verbände und Fachgesellschaften in einem konstruktiven Beratungsprozess zügig umzusetzen. Durch die Verzögerungen der letzten zwei Jahre wurde das Inkrafttreten der Reform bereits auf den 1. Oktober 2027 verschoben. Das ist mit Blick auf die rasanten Veränderungen in der Medizin schon sehr spät. Unser ärztlicher Nachwuchs sollte uns wichtiger sein.
Ihre
Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin
Erschienen in BDIaktuell 06/2023