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Pyrrhussieg - Warum Flickschusterei am GKV-Spargesetz nicht hilft

© Neumann-Grutzeck

Unsere Proteste in den letzten Wochen haben Wirkung gezeigt. Mit zahlreichen Änderungsanträgen ist der Regierungsentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in die parlamentarische Endrunde gegangen. In der letzten Woche hat der Bundestag über die finale Fassung abgestimmt. Darin hat die Koalition zwar an der Streichung der Neupatientenregelung festgehalten. Ganz unbeantwortet konnte die Politik die massive Kritik an der Maßnahme, die Ärztinnen und Ärzte bundesweit geschlossen vorgetragen haben, aber nicht lassen. Als Trostpflaster gibt es für Haus- und Fachärzte deshalb Honorar-Zuschläge. Ein guter Kompromiss?  

Mit Sicherheit nicht, denn die Neupatientenregelung hat gewirkt. Im Gegensatz zum Bundesministerium für Gesundheit, das für seine gegenteilige Behauptung bis heute keinen Nachweis erbracht hat, belegen die Daten des Zi eindeutig, dass seit Einführung der Regelung im TSVG signifikant mehr Neupatienten behandelt wurden. Damit soll jetzt Schluss sein, um das für 2023 erwartete 17-Milliarden-Loch in den Kassenfinanzen zu stopfen. Grundlegende Finanzierungsreformen, wie z.B. die Dynamisierung des Bundeszuschusses oder eine auskömmliche Finanzierung seitens des Bundes für die ALG-II-Empfänger, sieht das Gesetz hingegen ebenso wenig vor wie potentielle Millionen-Einsparungen an dem völlig irrsinnigen Austausch der TI-Konnektoren in den Praxen oder den Verwaltungskosten der Krankenkassen. Kurzum: Es wird mal wieder an den falschen Stellen gespart. 

Als Alternative zur Neupatientenregelung schlägt die Ampel-Koalition ein höheres Honorar für Hausärztinnen und Hausärzte für die Vermittlung von Patientinnen und Patienten an eine Facharztpraxis vor. Die Vergütung soll von 10 auf 15 Euro angehoben werden. Zudem soll es höhere Honorarzuschläge auf die Versicherten- und Grundpauschale für schnelle Behandlungstermine via Terminservicestelle (TSS) oder Hausarzt geben. Diese können bei Akutfällen bis zu 200 Prozent betragen, wenn die Behandlung spätestens am nächsten Tag erfolgt. Bis zu 100 Prozent Aufschlag könnte es nach einer Vermittlung mit Behandlungsbeginn innerhalb von vier Tagen geben – usw.  

Das ist allerdings nur der vorgegebene gesetzliche Rahmen. Die konkrete Höhe der Zuschläge muss erst noch von den Selbstverwaltungspartnern verhandelt werden. Ob die neuen Regelungen überhaupt eine Chance haben, einen positiven Effekt auf die Patientenversorgung zu entwickeln, hängt maßgeblich von dem Verhandlungsergebnis ab. Mit Blick auf die Finanzlage der Krankenkassen gehört nicht viel Fantasie dazu, dass am Ende wieder ein Schiedsspruch entscheiden muss. Diese sind zuletzt ja eher selten zu Gunsten der Ärzteschaft ausgefallen. Auch deshalb wäre eine politische Festsetzung der Vergütungshöhe an dieser Stelle angebracht gewesen. 

Die neue Regelung wertet zudem die Terminservicestellen als Steuerungselement deutlich auf – auch gegenüber der Überweisung durch hausärztliche Kolleginnen und Kollegen. Wer in Zukunft einen schnellen Arzttermin benötigt, muss über den Weg der TSS gehen. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das unweigerlich eine Einschränkung der freien Arztwahl. Für die Praxen bedeutet es zusätzlichen bürokratischen Aufwand, wenn Terminslots für zusätzliche TSS-Patienten bereitgestellt werden müssen. Somit droht das Gesetz nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch ein Rückschritt zu werden. 

Vor diesem Hintergrund kommen die Änderungen einem Pyrrhussieg gleich. Die Protestaktionen, die wir insbesondere mit dem Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) zusammen durchgeführt haben, waren insofern erfolgreich, dass die Politik sich zum Nachbessern genötigt gesehen hat. Der Vorschlag ist jedoch eher ein gesichtswahrender politischer Kompromiss als eine Versorgungsverbesserung. Besonders schmerzt, dass die ordnungspolitische Erkenntnis, dass die Budgetierung die Wurzel des Problems darstellt, wieder aufgegeben wurde. Dafür werden wir weiter kämpfen. 

Ihre 

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDIaktuell 11/2022